Kriegsreisende

 die Sozialgeschichte der Söldner

Lateinamerika

San Patricios Die San Patricios.
Die Legion der Deserteure.
Bolivar Gregor McGregor und John D'Evereux
Dunkle Geschäfte im Namen der Freiheit.
Dom Pedro Für Dom Pedro
Export aus Europas Armenhäusern und Gefängnissen.
40 Reis Die Brummer
Brasiliens Fremdenlegion.
Surinam Außenposten in Surinam
Nachts sah ich Bacchanalien.
Freikorps Für Kaiser Maximilian
Das österreichische Freiwilligenkorps in Mexiko.
United Fruit Die Bananensöldner
United Fruit in Mittelamerika.

Um den Pazifik

Taiping Der Taiping-Aufstand
und die Gründung der Ever Victorious Army.
Frederick Townsend Ward Die Ever Victorious Army
unter Frederick Townsend Ward.
William Walker William Walker
Ein Flibustier als Präsident von Nicaragua.
Tempsky Von Tempsky
Offizier, Goldsucher und Abenteurer.
Südsee Die Beachcomber
Der schwer bestimmbare Bodensatz der Südsee.

Europa

Karlisten Der Karlistenkrieg
Verkauf und Untergang der Fremdenlegion.
Rekruten Kanonenfutter für die Krim
Großbritanniens Fremdenlegionen.
Algerien Die französische Fremdenlegion
im 19. Jahrhundert - ein Überblick.

Afrika

Slatin Im Reich des Mahdi
Europäische Paschas im Dienste der Khediven.
Leopold Im Herz der Finsternis
Die Gründung der Kongokolonie.
Afrika Die Voulet-Chanoine Expedition
Offiziere, die Könige sein wollten.
Soldaten Sklaven und Sklavenjäger
Rabehs Reich am Tschadsee.

Söldner im Imperialismus – Relikte und Exoten

Nach dem Ende Napoleons waren die Siegermächte auf dem Wiener Kongress eifrig bemüht, die alten Verhältnisse wieder herzustellen. Es folgte die Phase der Restauration. Die Fürsten bestätigten sich gegenseitig ihr Gottesgnadentum, verschafften den Bourbonen wieder die Krone Frankreichs und verteilten Länder und Völker. Der gerade erwachte Nationalismus und die Hoffnung auf Reformen wurden von Polizei und Militär der Heiligen Allianz unterdrückt. Alles erstrahlte wieder in alter Pracht und Herrlichkeit.

Unter diesen Umständen wäre eigentlich zu erwarten, auch die Söldner wieder in ihren alten Positionen vorzufinden. Doch die Restauration war in vielem schöner Schein. Unter der Oberfläche hatte sich bereits zu viel geändert. Eine Welt war zerbrochen, und selbst die Heilige Allianz konnte die Stücke nur noch kitten, aber nicht wieder dauerhaft zusammenfügen. Die Französische Revolution hatte den Patrioten entdeckt, und die deutsche Romantik hatte als Reaktion darauf das Vaterland erfunden. Plötzlich starben Soldaten für abstrakte Ideen mit einer Begeisterung, über die selbst die Veteranen der Religionskriege erstaunt den Kopf geschüttelt hätten. Söldner, die zuerst nach dem Preis und dann nach der Sache fragten, galten nun erst recht als fremde Mietlinge, die allein dem schnöden Mammon dienten, anstatt sich auf dem Altar von König, Volk und Vaterland zu opfern. Dem seit Menschengedenken ehrbaren Gewerbe, das Cäsaren und Demokratien, Pharaonen und Republiken, Kaisern und Königen, Päpsten und Sultanen gedient und sie überstanden hatte, machten Nationalismus und Idealismus nun endgültig den Gar aus.

Man kann fragen, warum sich die Kräfte der Restauration nicht stärker auf Söldner gestützt haben und mit ihnen gegen die verteufelte Moderne zu Felde gezogen sind. Warum sie nicht mit den Fremdenregimentern den Sturm auf die Bastille rückgängig gemacht haben? Wie immer war es eine Frage des Geldes und auch die Mächte der Heiligen Allianz waren dagegen nicht gefeit. Sie lehnten zwar die politischen Ideen der Moderne vehement ab; auf den damit verbundenen Opfermut der eigenen Untertanen wollten und konnten sie nicht verzichten. Patrioten waren nicht nur zuverlässiger, sondern auch viel billiger als Söldner. Diesem Argument konnte sich auch der reaktionärste Monarch nicht verschließen.

Also endet hier die Geschichte, die lange vor der Einführung des Geldes begonnen hatte? In gewisser Weise schon. Bis zum Wiener Kongreß gab es keinen Krieg, kaum eine Schlacht, wo Söldner nicht auf mindestens einer Seite eine entscheidende Rolle gespielt haben. Danach sucht man sie in den bedeutenden militärischen Ereignissen vergebens; sie wurden von Berufssoldaten, Freiwilligen und Wehrpflichtigen verdrängt. Dennoch sind sie nicht völlig verschwunden. Menschen ändern sich langsam und hemmen dadurch den Lauf der Geschichte, und so gab es immer noch einige, die vom Vaterland nichts wissen wollten und statt dessen mit den Methoden von Vorgestern dem Glück hinterher jagten. Es gab immer noch das menschliche Strandgut, die vielzitierte "Hefe des Volkes", die verkrachten Existenzen, die verträumten Tunichtgute, die geflohenen Schuldner und entlassenen Soldaten. Die napoleonischen Kriege hatten Unmassen an arbeitslosen Veteranen hinterlassen, und die nationalistischen Aufstände gegen die Restauration sorgten für einen ständigen Strom kriegserfahrener Emigranten. Doch wer wollte sie nach der Einführung der Wehrpflicht noch haben?

Preußen, Österreich und Rußland, die konservativen Großmächte der Heiligen Allianz verließen sich ganz auf die Treue ihrer Untertanen. Pragmatischer verhielten sich dagegen paradoxerweise die eher fortschrittlichen Staaten wie England, Frankreich und die USA. Zwar setzten auch sie auf nationale Heere, aber der wachsende Welthandel und der Kapitalismus führten immer wieder zu Interessenkonflikten, in die man nicht direkt eingreifen wollte und deshalb auf "unabhängige" Legionäre zurückgreifen mußte. Nach wie vor wurden unpopuläre Kolonialkriege geführt, für die man sich billiges Menschenmaterial besorgen mußte, an dessen Verschleiß sich die immer mächtigere öffentliche Meinung in der Heimat nicht störte. Aber nicht nur bei der Verteilung der letzten Reste der Welt kamen Söldner noch einmal reichlich zum Einsatz. Alte Kolonien und kleine Völker, die um ihre Freiheit kämpften, fragten nicht lange nach der Herkunft der Truppen, die sie dabei unterstützten. Auch die Länder, die sich dem Siegeszug des Imperialismus noch eine Zeit lang widersetzen konnten, warben Fachkräfte aus dem Westen. Wie die Geschützmeister des Spätmittelalters oder die europäischen Free Lances im Mogulreich boten jetzt Militärberater, Ausbilder und Söldnerführer chinesischen Mandarinen, den Khediven in Ägypten und heidnischen Königen ihre Dienste an. Einige entwickelten sich sogar zu regelrechten Condottieri und träumten noch einmal von einem eigenen Reich, ohne sich daran zu stören, dass sie damit eigentlich Relikte einer längst vergangenen Zeit waren.

Mit dem Ende napoleonischen Ära hatten sich die Söldner und Abenteurer zwar von der hell erleuchteten Bühne der Weltgeschichte verabschiedet, aber ihnen blieben die schmutzigen Kleinkriege, die kaum beachteten Revolutionen und die hinteren Winkel der Welt. Es kam zum Ausverkauf des Gewerbes.

Vor allem fern von Europa hatte man durchaus noch Verwendung für Söldner. Gemeinsam mit Strafbataillonen und Eingeborenentruppen sollten sie das Licht der Zivilisation in den Kolonien verbreiten. Es war ein schmutziges Geschäft, das Kipling hochtrabend "des weißen Mannes Bürde" nannte.

Die Schätze des Orients hatten die Kolonialmächte schon vor längerer Zeit unter sich verteilt. Übrig geblieben waren Staaten, die für eine Intervention zu mächtig waren, Gebiete, deren Klima einfach zu mörderisch war, oder Völker, die zu wild und anarchisch waren, als dass man sie mit einem Sieg über einen König oder Sultan zum Gehorsam hätte zwingen können. Doch man machte im Westen mächtige Fortschritte. Gegen moderne Geschütze, Karabiner und Maschinengewehre blieb den bestenfalls mit alten Musketen ausgerüsteten Gegnern keine Chance. Gleichzeitig wurde die Versorgung verbessert und nur noch relativ wenige Soldaten starben an Mangelkrankheiten. Schnellsegler verkürzten die Verbindungen und Dampfboote machten enge Flüsse schiffbar. Auch die Militärmedizin erzielte in der Bekämpfung von Seuchen und Tropenkrankheiten erste Erfolge.

Mit Kanonenbooten, Repetiergewehren und Chinin begann der Sturm auf die letzten unverteilten Gebiete der Welt. Bereits 1815 hatten amerikanische Kriegsschiffe die bisher unbesiegbaren Korsaren von Tripolis zum Frieden gezwungen; 1853 mußte sich das mächtige Japan einem kleinen Geschwader beugen. Holland, das sich in Indonesien meist auf einzelne Stützpunkte an den Küsten beschränkt hatte, begann mit der Eroberung Javas, Borneos, Sumatras und schließlich des ganzen Archipels. Frankreich griff nach Algerien und dann nach Westafrika, Indochina und Madagaskar. England setzte sich in Ägypten fest und sicherte sich immer neue Teile Afrikas. Chile und Argentinien unterwarfen die wilden Stämme im Süden des Kontinents, die seit den Tagen der Conquistadoren alle Angriffe abgeschlagen hatten. Gegen Ende des Jahrhunderts kamen dann noch die neuen Kolonialmächte wie Deutschland, Belgien, Japan und Italien, die ebenfalls ihren Anteil haben wollten. Zu dieser Zeit war aber fast nur noch in China, Afrika und in der Südsee etwas zu haben. Während dann Afrika und die Südseeinseln langsam verteilt wurden, sicherten sich alle Kolonialmächte Niederlassungen in China, um beim letzten großen Fischzug rechtzeitig zur Stelle zu sein.

Weder die chinesischen Massenheere, noch die selbstmörderisch tapferen Zulus und Maoris oder die kriegerischen Amazonen des Königs von Dahomey konnten dem weißen Mann Einhalt gebieten. Es war ein Siegeszug ohnegleichen. Die Verluste im Kampf waren zwar fast immer verschwindend gering, aber der eigentliche Gegner waren nicht die "Wilden", die man ohne große Mühe über den Haufen schießen konnte, sondern die Natur. Allen Fortschritten zum Trotz wüteten Pocken, Cholera, Typhus, Schlafkrankheit, Bilharziose, Malaria und Gelbfieber - um nur die wichtigsten zu nennen - weiter unter den Soldaten, und da man nun in die wirklich tödlichen Regionen vorzustoßen begann, war ihre Wirkung im wahrsten Sinne des Wortes verheerend. Bei der Eroberung Madagaskars verloren die Franzosen über ein Drittel ihres 18.000 Mann starken Expeditions­korps, davon aber nur 25 im Gefecht. Auch der heimlichste Feind aller Kolonialarmeen - die Langeweile - war oft noch schlimmer geworden.

Aufgrund der verbesserten Waffen konnten weite Gebiete von wenigen Soldaten kontrolliert werden. In den einsamen Blockhäusern, Wachttürmen und Hütten herrschte eine unglaubliche Tristesse. Die Fremdenlegionäre erfanden für diese Mischung aus Heimweh, Langeweile und Verzweiflung ein eigenes Wort: den "Cafard". Wenn ein Legionär tagelang nur noch vor sich hinstarrte, unverständliche Worte murmelnd in der Wüste verschwand, plötzlich ohne ersichtlichen Grund Vorgesetzte oder Kameraden angriff, sich erhängte oder mehr oder weniger dauerhaft wahnsinnig wurde, dann hatte er den Cafard. Es gab ihn unter verschiedenen Bezeichnungen in allen Kolonialtruppen; manchmal hieß er einfach nur Tropenkoller. Selbstmord und Totschlag waren häufig, aber das beliebteste Gegenmittel war nach wie vor der Alkohol. Nirgendwo wurde so viel getrunken wie beim Militär in den Kolonien.

Diesen Umständen entsprechend war der Kolonialdienst mehr als unbeliebt, manchmal geradezu gefürchtet. Zumal sich die Patrioten nur wenig für die Ziele der großen Handelsgesellschaften begeistern konnten. Das Bürgertum verfolgte zwar mit Interesse die steigenden Aktienkurse, seine Söhne wollte es aber nicht in den Kolonien wissen. Lediglich Offiziere auf der Jagd nach einer schnellen Beförderung meldeten sich freiwillig. Aber auch sie waren nur selten beeindruckende Vertreter der abendländischen Kultur. Es galt durchaus als standeswürdig, während der gesamten Dienstzeit kein einziges Buch zu lesen. Der Militärarzt Heinrich Breitenstein, der sich über 20 Jahre in Indonesien aufhielt, war der Ansicht, dass sich die Gesprächsthemen der Offiziere auf "Sexuelles und Darmkrankheiten" beschränkten. Mit dem einfachen Fußvolk war es noch um einiges schlimmer bestellt. Es kam wie einst vorwiegend aus der Hefe des Volkes, dem untersten Bodensatz der Gesellschaft, aus Strafbataillonen und aus dem Ausland. In England stellten Schotten und Iren einen überproportional großen Anteil der Kolonialtruppen. Ungebildet, arm, abgehärtet und brutal waren sie geradezu ideal für den Dienst in den Kolonien.

Aber in Europa gab es Arbeit, und selbst wenn die Lebensbedingun­gen in den Industrierevieren erbärmlich waren, so fand sich doch immer weniger Ersatz für den unersättlichen Menschenhunger der Kolonien. Man begann deshalb immer mehr auf das Reservoir der eroberten Länder zurückzugreifen. Die dort ausgehobenen Soldaten waren zudem billiger und an das Klima gewohnt. Das war zwar keine neue Methode, aber jetzt praktizierte man sie in großem Stil. Indische Sepoys kämpften an allen Brennpunkten des Empires. Frankreich versuchte sich in Afrika eine ähnlich ergiebige Quelle zu erschließen und rekrutierte algerische Spahis und senegalesische Schützen. Holland warb seine Söldner vorwiegend auf den Molukken, Amboina und dem Celebes; die Italiener hatten ihre Somalier und die Deutschen ihre Askaris.

Schwarze, braune und gelbe Söldner vollendeten die Eroberung der Welt für die Weißen und hielten sie dort an der Macht. Westafrika wurde zum Beispiel von Schwarzen und einer Handvoll Europäer unterworfen. Das Hauptproblem dabei war, dass Unruhen auf die Söldner übergreifen konnten. So hatte die große Meuterei in Indien fast die englische Herrschaft beendet. Man griff deshalb bevorzugt auf ethnische Minderheiten oder missionierte Christen zurück; in Burma auf Karen und Kachins oder in Indien auf Gurkhas und Sikhs. Vor allem die kriegerischen Gurkhas aus den Bergen Nepals wurden dadurch zu Englands neuen Hessen.



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