Im Herz der Finsternis
Die Gründung der Kongokolonie.
Wie nur in wenigen der ganz großen Werke der Weltliteratur gelingt
Joseph Conrad in seinem Roman "Heart of Darkness" die Konstruktion eines
Mythos, einer Geschichte, die weit über die persönlich-aktuelle
Ebene hinausgeht und auf menschliche Urerfahrungen verweist. Es geht dabei
nicht um die Afrikaner, sondern um den Repräsentanten der Zivilisation,
der in einer barbarischen Gesellschaft der Versuchung der Macht erliegt und
sich zum König, ja schließlich zum Gott erhebt. Während
dieses Prozesses verliert er jedoch die dünne Schale der Zivilisation
und mutiert selbst zum "Wilden". Um 1900 besaß Afrika wie kein anderer
Kontinent den Ruf des Primitiven, Mythischen und Geheimnisvollen. Sowohl
die moderne Kunst, wie auch die neu entstandene Psychoanalyse bezogen von
hier grundlegende Inspirationen. Das Zentrum des dunklen Kontinents war
der einzige Ort an dem noch Mythen wuchsen, als Europa die seinen längst
verloren hatte. Die Reise dorthin wurde für den Europäer automatisch
auch zu einer Reise in die Abgründe seiner eigenen Psyche. Das Erschreckende
dabei war nicht nur, was er dort an Wildem und Grausamem vorfand, sondern
seine geradezu unglaubliche Einsamkeit - die Verlorenheit des modernen,
rationalistischen Individuums in einer kollektiven, mystischen Welt.
Die Eroberung Afrikas begann spät. Der Kontinent war verglichen
mit Lateinamerika oder Asien arm, seine Bevölkerung kriegerisch, das
Klima und die Krankheiten für Europäer mörderisch. Die Kolonialmächte
hatten sich deshalb lange auf einzelne Forts an der Küste beschränkt,
wo sie Sklaven - den einzigen für sie erkennbaren Reichtum Afrikas
- von einheimischen Sklavenhändlern kauften. Als es den ersten Europäern
dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelang, ins Landesinnere
vorzustoßen, wurde dieser letzte noch uneroberte Kontinent nicht
nur zum großen Anziehungspunkt von Naturforschern und Träumern,
er erweckte auch die Gier skrupelloser Abenteurer, Karrierristen und verspäteter
Conquistadoren.
Eine der schillerndsten Figuren unter ihnen war Henry Morton Stanley.
Widerstände räumte er mit Maschinengewehren und Dynamit beiseite,
was ihm unter den Eingeborenen den Beinamen "Bula Matari"- der Felsenbrecher
- eingebracht hatte. Aber mindestens genauso wichtig waren seine Fähigkeiten
im Umgang mit den Medien. Er schrieb Bücher mit der gleichen Besessenheit,
mit der er sich den Weg durch den Dschungel bahnte, publizierte Artikel
und machte Vortragsreisen. Kaum jemand konnte Afrika besser verkaufen als
er. Im Auftrag einer amerikanischen Zeitung hatte er 1871 den verschollenen
Afrikaforscher Livingstone am Tanganyikasee gefunden. Ein paar Jahre später
hatte er von Sansibar aus die zentralafrikanischen Seen erkundet, war zum
Quellgebiet des Kongo vorgestoßen und hatte auf diesem den Kontinent
von Ost nach West durchquert. Aber Stanley hatte nicht nur den wichtigsten
Verkehrsweg Afrikas erkundet, er hatte sich seinen Weg mehrmals in regelrechten
Schlachten freigeschossen und dadurch bewiesen, dass eine Hand voll
entschlossener Männer mit Gewehren hier einfach alles erreichen konnte.
In den europäischen Salons und Fürstenhöfen, wo er danach
häufig zu Gast war wurde er deshalb enthusiastisch als "neuer Pizarro"
gefeiert.
Bei diesem Jubel wurde gerne übersehen, dass die europäischen
Entdecker nicht die ersten waren, die auf diesem Weg ins Innere Afrikas
vordrangen. Alle folgten den Spuren der swahili-arabischen Sklavenhändler
von Sansibar. Diese trieben bereits seit Jahrhunderten Handel an der Küste,
doch dann ermöglichten ihnen wie auch den Europäern zwei Dinge,
ihr Einflußgebiet schlagartig auszuweiten: die Verbreitung des Chinins
und die Verbesserung der Feuerwaffen. Dem Fieber fielen weit mehr Weiße
in Afrika zum Opfer als den Speeren der Eingeborenen. Stanley benützte
Schnellfeuerkanonen von Krupp und Maschinengewehre von Maxim, und die Mahdisten
wurden erst in der sogenannten "Maschinengewehrschlacht" von Omdurman besiegt.
Den Sklavenhändlern genügten Chinin und Repetiergewehre, um in
den 70er Jahren Katanga und Maniema auf der Westseite des Tanganyikasees
zu erreichen. Die benötigten Truppen rekrutierten sie wie die Türken
einfach unter ihren Sklaven. Was am Nil "Basinger" genannt wurde, hatte
am Kongo den Namen "Wangwana". Auch hier bevorzugte man geraubte Kinder,
die dann zum Kriegsdienst erzogen ideale Werkzeuge ihrer Herren waren.
Oft verfügte ein Sklavenhändler über mehrere tausend Wangwana.
Der mächtigste unter ihnen war der gefürchtete Tippu Tip, der
sich um Nyangwe ein eigenes Reich erobert hatte. Er galt als der ungekrönte
König von Maniema und wurde Stanleys wichtigster Verbündeter
in dieser Region. Gegen gute Bezahlung begleitete ihn Tippu Tip eine Strecke
entlang des Kongo und nutzte dabei die Gelegenheit seine Jagdgründe
nach Norden auszuweiten.
Nach Stanleys Rückkehr nahmen Agenten König Leopolds von Belgien
mit ihm Kontakt auf. Leopold suchte schon lange nach der Möglichkeit
eine Kolonie zu gründen. An der Küste zwischen den portugiesischen
und französischen Besitzungen war zwar praktisch nichts mehr zu bekommen,
aber auf das Landesinnere entlang des gewaltigen Stroms und seiner Nebenflüsse
hatte bislang niemand Anspruch erhoben. Stanley hatte mit seiner Expedition
dem König nicht nur das Ziel gezeigt, sondern sich gleichzeitig als
der passende Mann für diese Aufgabe empfohlen. Da man in Belgien wenig
Interesse an den afrikanischen Geschäften des Königs hatte, wurde
der Erwerb der Kolonie zu dessen Privatsache, deren Ausführung Stanley
übernahm.
Die Unterwerfung der Kolonie geschah wie im Sudan hauptsächlich
durch Afrikaner, die von einigen wenigen Weißen geführt wurden.
Das erste Kontingent rekrutierte Stanley unter den Sklavenhändlern
Sansibars, dann folgten schwarze Söldner von der Goldküste, Sierra
Leone und Haussa aus dem heutigen Nigeria. Mit diesen Truppen war es dann
einfach bei den unterworfenen Stämmen Arbeiter, Träger und neue
Söldner zu rekrutieren. Aus ihnen wurde dann 1886 die FP (Force Publique)
geformt. Lange unterschied sich eine Kolonne der FP kaum von einer der
Sklavenhändler. Den Söldnern folgten Frauen und Träger,
und bei Siegen wurde geplündert und gemordet.
Stanley wurde bald von König Leopold abberufen um dessen Sache
an der Propagandafront in Europa zu vertreten. Und während er auf
Vortragsreisen die internationale Anerkennung der Kolonie mit vorbereitete,
begann die FP damit den Kongo durch das Sammeln von Kautschuk und Elfenbein
in ein profitables Unternehmen umzuwandeln. Offiziell verbreitete man die
Zivilisation und bekämpfte den Sklavenhandel. Doch auch hier ging
es mehr darum, die arabische Konkurrenz aus dem Geschäft zu drängen,
da die Kolonie einen unersättlichen Bedarf an Gummisammlern, Trägern
und Soldaten hatte. Auf der Suche nach neuen Gebieten und Menschenreserven
stieß die FP immer weiter ins Landesinnere vor.
Da begann plötzlich die Diskussion um die Befreiung Emin Paschas,
der nach dem Aufstand der Mahdisten abgeschnitten in Äquatoria saß.
König Leopolds Blick fiel dadurch auf die von Ägypten aufgegebene
Provinz, die im Nordosten zumindest hypothetisch an sein Gebiet grenzte.
In Emins Magazinen lagerten riesige Mengen Elfenbein und warteten nur auf
den Abtransport. Vor allem aber hatte Emin mit den Jahren eine funktionierende
Infrastruktur aufgebaut. Er hatte Soldaten, eine Verwaltung und die Häuptlinge
der Region hatten sich mit seiner Herrschaft abgefunden. Äquatoria
war ein kleines Reich, das nur darauf zu warten schien, sich einer größeren
Macht anzuschließen.
Die englische Regierung hatte nach dem Desaster der Hicksschen Expedition
und dem Fall von Khartoum vorerst das Interesse an weiteren afrikanischen
Abenteuern verloren. Da es dennoch ein starkes öffentliches Interesse
an einer Rettung Emin Paschas gab, wurde der Entschluß gefasst, Stanley
mit einer durch private Spenden finanzierten Rettungsexpedition zu beauftragen.
Was dabei von seinen Auftraggebern offensichtlich übersehen wurde
war, dass dieser immer noch auf Leopolds Gehaltsliste stand. Und so
nahm das Unglück seinen Lauf. Stanley entschied sich nicht für den bekannten
und kürzeren Weg von Sansibar durch Ostafrika, sondern für den
vom Kongo, um auf diese Weise Äquatoria Leopolds Kolonie anzugliedern.
Natürlich begann er seine Expedition in Sansibar, wo er über
600 bewaffnete Träger rekrutierte. Um Verbündete zu gewinnen,
ernannte er im Namen Leopolds Tippu Tip zum Gouverneur der Provinz an den
Stanleyfällen. Der mächtigste Sklavenhändler konnte dadurch
sein Einflußgebiet gewaltig ausdehnen, erhielt Waffen und Munition,
und versprach im Gegenzug der Expedition die benötigten Träger
zu liefern.
Nachdem Stanley mit seinen europäischen Offiziere, den Sansibariten
und 150 Tonnen Waffen und Munition Afrika umrundet hatte, fuhren sie mit
den Dampfbooten der Kongogesellschaft bis zur Mündung des Aruwimi,
wo sie auf Tippu Tips Träger warteten. Da dieser jedoch immer neue
Ausreden vorschob, machte sich Stanley mit den Gesündesten seiner
Männer auf den Weg durch den Regenwald zum Albertsee. Die Kranken
wurden mit der Masse der Ausrüstung unter der Aufsicht einiger europäischer
Offiziere zurückgelassen. Außer Trägern fehlte Stanley
vor allem Proviant. Er hatte sicher damit gerechnet beides auf gewohnte
Weise bei den Eingeborenen zu beschlagnahmen. Doch die hatten inzwischen
ausreichend Bekanntschaft mit den Sklavenjägern oder der FP gemacht,
so dass sie beim Herannahen der Expedition sofort flohen, oder sie
aus dem Hinterhalt angriffen. Die meisten von Stanleys Männer überlebten
die Strapazen nicht. Diejenigen, die auch mit der Nilpferdpeitsche - der
gefürchteten Chikote - nicht zum Weitergehen zu bewegen waren, wurden
als ausgebrannte Wracks zurückgelassen. Und obwohl Stanley mehrmals
"Deserteure" hängen ließ und die Sansibariten den Dschungel
fürchteten versuchten viele zu fliehen.
Schließlich erreichte ein armseliger Rest halbverhungert den Albertsee.
Emin Pascha war von diesen "Rettern", die er erst einmal füttern und
kleiden mußte nicht sehr beeindruckt. Wieder bei Kräften ging
Stanley noch einmal zurück, um nach der Nachhut zu suchen. Doch auch
von der war in dem Lager am Aruwimi nicht mehr viel übrig. Sein Diener
William Hoffmann beschreibt die Szene so: "Lying on the ground, unburied
and rotting, where the bodies of dead men. Close by, too weak to stand,
crawled the sick, some obviously dying, their flesh eaten away by disease
and dysentery, their bodies bearing ulcers as large as saucers. The whole
place seemed to me like one gigantic graveyard: the stench was unbearable;
the sights were worse. [...] The statistics, too were appaling: out of
257 men that we had left at Yambuya, we found only 71 alive." Tippu Tips
Leute hatten die Gelegenheit benützt um von den ausgehungerten Zurückgelassenen
Waffen und Munition gegen Essen einzutauschen. Um die Disziplin aufrecht
zu erhalten, griffen die weißen Offiziere zu immer drastischeren
Methoden, wobei einige ihrer niedrigsten Instinkte zum Ausbruch kamen.
Allen voran war der britische Major Barttelot für seine Grausamkeit
gefürchtet, bis ihn endlich ein Eingeborener erschoß, der seine
Frau beschützen wollte. Barttelot hatte es zum Beispiel geduldet,
dass Jameson der "Wissenschaftler" der Expedition eine Sklavin einer
Gruppe von Kannibalen übergab, um sich dann Skizzen von den folgenden
Szenen machen zu können. Selbst der an einiges gewohnte Stanley schrieb
später, dass seine Offiziere Dinge getan hätten "too horrible
to describe in all their barbarity-things which were they fully described
would make an Englishman’s blood boil and his cheeks flush with shame."
Damit hatte Stanley Emin nichts mehr zu bieten. Dennoch wollte er seinen
persönlichen Triumph haben. Das hieß, wenn er schon Äquatoria
nicht für die Kongokolonie gewinnen konnte, so wollte er doch zumindest
Emin als Trophäe nach Europa bringen. Doch dieser dachte gar nicht
daran sich zurückzuziehen. Auch seine Soldaten wollten bleiben. Sie
hatten sich entschlossen gegen die Mahdisten verteidigt und diese mit schweren
Verlusten zurückgeschlagen. Alle hatten Familien, die Offiziere oft
einen richtigen Harem. Vor allem die unter den Einheimischen rekrutierten
schwarzen Söldner waren bereit gegen die Mahdisten, die sie lange
genug als Sklavenhändler kennengelernt hatten, bis zum Letzten zu
kämpfen. Jetzt mit der Ankunft Stanleys machten schnell Gerüchte
die Runde, dass die Weißen nur Emin und die türkischen
Offiziere retten wollten, die schwarzen Söldner und ihre Familien
aber als Sklaven verkaufen wollten. Es kam zu Verschwörungen und schließlich
zur offenen Meuterei, bis Emin nur noch die gemeinsame Flucht mit seinen
Rettern blieb. Damit waren zwar Stanleys Dienste für den Kongostaat
beendet, aber nicht dessen Interesse an Äquatoria.
Als zehn Jahre später (1892) eine Expedition der FP vom Kongo aus
an den Nil bei Wadelai vorstieß traf sie dort auf Reste von Emins
Truppen, die sich immer noch hielten. Nachdem sich die FP zurückziehen
mußte, versuchten die Belgier fünf Jahre später noch einmal
Äquatoria zu annektieren. Dieses Mal hatten sie genug Truppen zusammengezogen
und planten sogar Khartoum zu erobern. Doch diese Machtfülle war anscheinend
dem kommandierenden Offizier der Vorhut zu Kopf gestiegen. Er hatte seinen
Soldaten nicht nur verboten wie sonst üblich ihre Frauen mitzunehmen,
sondern drillte sie auch noch am Abend nach den erschöpfenden Märschen
mit militärischen Übungen. Zu Festigung seiner Autorität
machte er dabei ausgiebigst von der Chikote gebrauch. Kurz vor dem Nil
rebellierten seine Soldaten, banden ihn an einen Baum und folterten ihn
zu Tode. Nur einigen seiner weißen Offizieren gelang die Flucht zur
Hauptmacht. Als dann auch diese von den Meuterern angegriffen wurde, liefen
die meisten Schwarzen sofort zu diesen über. Durch immer neue Deserteure
verstärkt versuchten die Rebellen am Tanganyikasee ein eigenes Reich
zu errichten. Erst Jahre später und nach mehreren blutigen Feldzügen
der FP, zog sich der Rest nach Deutsch Südostafrika zurück.
Dieses Beispiel verdeutlicht das Hauptproblem der Weißen im Kongo.
Anders als die Engländer in Indien verfügten sie über keine
disziplinierten Kolonialtruppen. Da die Kolonie bei geringen Mitteln möglichst
schnell Profit abwerfen sollte, stützten sie sich wie die Araber auf
Sklavensoldaten, für die es nur zwei Motive gab ihrem Herrn zu folgen:
Angst und die Lust auf Beute. Oft beherrschte ein einziger Weißer
ein riesiges Gebiet, dem er mit seinen Hilfstruppen immer größere
Mengen an Elfenbein, Kautschuk und Menschen abpressen mußte. Auf
den Kriegszügen führte eine Hand voll weißer Offiziere
über 1.000 Eingeborene, von deren Sprachen sie bestenfalls einige
wenige Worte verstanden. Unter diesen Umständen mutierten sie zu Häuptlingen,
zu Magiern. Da sie aber für die fremde Kultur keinerlei Verständnis
hatten und von der eigenen total isoliert waren, verloren sie oft völlig
den Bezug zur Realität. Geiselnahme ganzer Dörfer, hängen,
peitschen, der Hungertod von Zwangsarbeitern waren sozusagen "normale"
Maßnahmen, die von allen Kolonialmächten praktiziert wurden.
Doch die kranken Gehirne der Weißen im Kongo ersannen immer schrecklichere
Methoden, um ihre Macht zu festigen. Aus Angst vor Rebellionen erhielten
die schwarzen Söldner oft nur eine Patrone, wenn sie die rechte Hand
eines getöteten Feindes brachten. Da diese jedoch auch mit ihren Gewehren
jagten und im Kampf manchmal ihr Ziel verfehlten, besorgten sie sich die
Hände von Lebenden. Und viele der weißen Herren duldeten es,
wenn man ihnen die Hände von Frauen oder Kindern brachte. Ein amerikanischer
Missionar schrieb 1895: "Stellen Sie sich vor, Sie kommen aus einem Kampf
gegen die Rebellen (?) zurück, und sie sehen am Bug ihres Kanus ein
Bündel mit irgend etwas. Es sind die Hände von sechzehn von ihnen
umgebrachten Kriegern. 'Krieger!' Sehen Sie darunter nicht auch die Hände
von kleinen Kindern und Mädchen? Ich habe sie gesehen."
Mit die besten Söldner fand die FP unter den kannibalistischen
Stämmen. Und auch hier zeigten die Offiziere Verständnis. Selbst
William Hoffmann, der in Stanleys Gefolge genug Grausamkeiten gesehen hatte
und später noch einige Jahre im Kongo diente, berichtet von den von
Gräueltaten während des großen Söldneraufstandes in
Kasai als etwas Außergewöhnlichem. Er sah wie Frauen gehängt,
gefoltert und lebend geschlachtet wurden. Ein weißer Offizier wies
ihn darauf hin, dass er keine Befehle habe, sich in die "Angelegenheiten
der Soldaten. zu mischen". Mehrmals wurde er Zeuge wie Gefangene von den
Söldnern geschlachtet und gebraten wurden: "it was dreadful to watch
them cut up the body for all the world as though it were a beefsteak, and
cook it greedily before their little fires".
Natürlich waren nicht alle weißen Söldner in Afrika
perverse Schlächter. Bei einigen mischte sich Abenteuerlust mit einer
echten Neugier an fremden Kulturen, wie z.B. bei Slatin, der bereits mit
16 Jahren in den Sudan reiste. Er sprach fließend arabisch und hatte
trotz seiner langen Gefangenschaft nie Resentiments gegenüber den
Arabern. Von ähnlicher Natur war der britische Abenteurer Herbert
Ward, der ebenfalls aus gutbürgerlicher Familie stammte und mit 15
Jahren zur See fuhr. Er lebte bei den Maoris, arbeite als Goldsucher in
Australien und für eine britische Handelsgesellschaft auf Borneo.
Danach zählte er zu den ersten weißen Offizieren, die unter
Stanley die Kongokolonie erschlossen. Andere wie der Italiener Romolo Gessi
im Sudan oder einige belgische Offiziere bemühten sich wirklich den
Sklavenhandel zu unterdrücken, doch alle waren auf schwarze Sklavensoldaten
und Träger angewiesen. Von Emin steht fest, dass ihm Gewalt und
Brutalität zuwider waren, und er sich ehrlich bemühte die Situation
der Eingeborenen zu verbessern. Für Stanley, der besser mit der Chikote
umzugehen wußte, war Emin deshalb ein weltfremder Idealist. Sein
Diener Hoffmann bezeichnete ihn sogar als: "an indecisive, vacillating,
yet charming humbug."
Für die meisten Europäer war Afrika jedoch eine Chance den
beengten Verhältnissen ihrer Heimat zu entfliehen, Karriere zu machen
und für europäische Verhältnisse ungewöhnlich viel
Geld zu verdienen. Dabei mußten sie sich beeilen, denn viele starben
einen gewaltsamen Tod, noch mörderischer war das Fieber, und auch
der Alkohol forderte zahlreiche Opfer. In der Gründungsphase der Kongokolonie
klagte Stanley darüber, dass das ganze Projekt dabei sei, sich
in ein Transportunternehmen für Bier und Wein zu verwandeln. Alle
waren prozentual am Handel mit Elfenbein und Kautschuk beteiligt und viele
machten mit Alkohol und Sklaven Geschäfte auf eigene Rechnung. Dabei
gebärdeten sich die schlimmsten wie barbarische Häuptlinge. So
dekorierte der belgische Kommandeur der Station an den Stanley-Fällen
sein Blumenbeet mit Totenköpfen und hielt sich gleich mehrere schwarze
Konkubinen. Aus dem Sudan wurde von dem französischen Elfenbein- und
Sklavenhändler Alfons de Malzac berichtet, dass er einen seiner
Diener, der im Streit die Partei seiner Lieblingssklavin ergriffen hatte,
im Hof an einem Baum, den zahlreiche Eingeborenenschädel schmückten,
gebunden und als Zielscheibe benutzt habe.
So verschieden diese Männer auch waren, eines hatten sie gemeinsam:
Alle waren Entwurzelte, die als echte Abenteurer im Dienst fremder Herren
ihr Glück zu machen suchten. Die erste größere Gruppe stellten
wie gesagt Veteranen Napoleons. Ihnen folgten dann entlassene Offiziere
des Sezessionskriegs. Sowohl im Sudan wie im Kongo trifft man auch immer
auf Deutsche und Italiener. Als dann Deutschland und Italien eigene Kolonien
in Afrika hatten, ging ihre Zahl zurück. Schweizer und Skandinavier
blieben König Leopold dagegen erhalten. Eine weitere Gruppe bildeten
die Briten, unter denen sich viele ehemalige Seeleute befanden. Natürlich
dominierten im Kongo die Belgier, aber unter diesen wiederum die Flamen,
die in ihrer Heimat kaum Aufstiegschancen hatten. Bezeichnend mag hier
auch das Schicksal Emins sein, dem nach dem Medizinstudium in Deutschland
aufgrund seiner jüdischen Herkunft die Zulassung verweigert worden
war. Ein extremes Beispiel ist sicher die Biographie von Stanley, der unter
erbärmlichen Umständen in einem englischen Armenhaus aufgewachsen
war. Später war er in die USA emigriert, hatte auf beiden Seiten am
Sezessionskrieg teilgenommen und war sicher bereit für den gesellschaftlichen
Aufstieg fast jeden Preis zu bezahlen.
Aber auch Joseph Conrad war einer dieser Männer von überall
und nirgendwo. Als Pole ohne Heimat war er mit russischer Nationalität
aufgewachsen, dann war er auf englischen Schiffen in Asien gefahren, um
schließlich König Leopold seine Dienste anzubieten. Er war diesen
abgemusterten Seeleuten, Ex-Offizieren und Abenteurern schon oft begegnet.
Sie suchten nach Gold in Kalifornien oder Transvaal, verkauften Waffen
an die Maoris in Neuseeland, die Buren in Südafrika oder die Aufständischen
in Kuba, handelten in Asien mit chinesischen Kulis und in Afrika mit Elfenbein
und Sklaven. Gordon der Verteidiger von Khartoum war in Asien als Conrad
sich dort aufhielt bereits als "Chinese-Gordon" eine Legende, genauso die
Beute, die seine Söldner beim Plündern chinesischer Städte
gemacht hatten. Auch Ward und Barttelot hatten in Asien gedient, bevor
sie in den Kongo gekommen waren. Conrad war diesem Menschlag, den er im
Kongo antraf, bereits zu Genüge in asiatischen Hafenstädten begegnet.
Obwohl Conrad viele dieser Männern sicher verachtete, muß er
doch bemerkt haben, dass die Unterschiede innerhalb der Gruppe größer
waren, als die zwischen ihm selbst und so manchem von ihnen. Die Übergänge
waren fließend, und oft verlief zwischen dem "noch Akzeptablen" und
dem "schon Verdorbenen" nur eine hauchdünne Trennlinie. Mit dem Überschreiten
dieser Grenze - besonders in extremen Situationen - beschäftigte sich
Conrad immer wieder. 1890 besuchte er am oberen Kongo das Grab von Major
Edmund Musgrave Barttelot, dem Helden der britischen Armee und Sohn eines
Parlamentsabgeordneten, der als Kommandeur von Stanleys Nachhut gerade
zwei Jahre zuvor in sadistischen Orgien den Verstand verloren haben mußte.
Im Gegensatz zu Edmund Morel, Roger Casement, Mark Twain oder Arthur Conan
Doyle, die die Gräueltaten in Königs Leopolds Kolonie anklagten,
interessierte sich Conrad mehr für die Psyche der Täter, die
aus seinem eigenen sozialen Umfeld kamen. Und dabei gelang es ihm "den
Schrecken" eindringlicher und dauerhafter zu vermitteln als seinen Zeitgenossen