Die Ever Victorious Army
unter Frederick Townsend Ward.
Um Shanghai vor den unaufhaltsam vorstoßenden Armeen der revolutionären
Taiping zu schützen, hatten reiche chinesische Geschäftsleute
unter der Führung des Bankiers Taki 1860 den Amerikaner Frederick
Townsend Ward damit beauftragt, eine nach europäischem Muster ausgebildete
Truppe aufzustellen. Mit einer wilden Mischung aus Deserteuren von europäischen
Kriegsschiffen, entlaufenen Seeleuten und dem menschlichen Strandgut der
Südsee war Ward zwar die Eroberung von Sunkiang geglückt, danach
hatte er jedoch einige schwere Niederlagen hinnehmen müssen. Er hatte
deshalb unzuverlässigsten Elemente aus seiner Truppe entfernt und
war dazu übergegangen, Chinesen zu rekrutieren und Europäer nur
noch als Ausbilder zu beschäftigen. Diese neu aufgestellten Regimenter
begann er Anfang 1862 bei Kämpfen in der Umgebung von Shanghai zu
erproben. Nach einigen ersten Erfolgen erhielt die Einheit vom Kaiser den
Titel "Ever Victorious Army".
Ward hatte allerdings aus seinen alten Niederlagen gelernt. Er war nun
nicht mehr so überheblich, seine kleine Armee in einer Offensive gegen
einen weit überlegenen Gegner zu riskieren. Er baute Sunkiang zu einer
festen Garnison aus, wo ständig an der Ausbildung neuer Truppen gearbeitet
wurde. Zudem kümmerte er sich um die Lieferung von Waffen und Ausrüstung,
wobei Artillerie und Kanonenbooten eine besondere Bedeutung zukamen. Allerdings
gab es sich damit nicht zufrieden. Um seine gesellschaftliche Position
in Shanghai abzusichern, nahm er die chinesische Staatsbürgerbürgerschaft
an und heiratete Chang Mei die Tochter seines Geschäftspartners Taki.
Dadurch wurde er nun ganz offiziell zum Mitglied der chinesischen Oberschicht
von Shanghai. Das war eine gewaltige Karriere für den Abenteurer aus
den USA, den die lokale Presse noch kurz zuvor als "Flibustier" oder als
"Beachcomber" verspottet hatte. Zu den Prämien die er für die
eroberten Städte erhalten hatte kam nun noch die Mitgift seiner Frau.
Auch in Peking wurden diese Ereignisse zur Kenntnis genommen, und der Provinzgouverneur
erhielt die Anweisung, Wards Freundschaft zu suchen.
Doch Ward blieb keine Zeit, sein Geld zu zählen sich am Luxusleben
zu erfreuen. Die Taiping hatten eine neue Offensive begonnen und die meisten
Städte im Umland von Shanghai eingenommen. Dieser neue Vorstoß
brachte jedoch den Vorteil mit sich, dass nun auch England und Frankreich
bereit waren, sich mit eigenen Truppen an einem Gegenschlag zu beteiligen.
Gemeinsam mit englischen und französischen Marinesoldaten - die Engländer
stellten allerdings hauptsächlich indische Truppen - begann die Ever
Victorious Army damit, die Taiping aus einer etwa 30 Meilen großen
Zone um Shanghai zu verdrängen. Es waren blutige Kämpfe um auf
Deichen aufgeworfene Feldbefestigungen, Gemetzel auf schlammigen Reisfeldern
und Sturmangriffe auf mittelalterliche Stadtmauern. Manchmal gelang es
die Taiping schon mit der überlegenen Artillerie aus ihren Stellungen
zu vertreiben, doch oft musste mit dem Bajonett gestürmt werden. Wenn
die Geschütze jedoch in dem von zahllosen Gräben und Kanälen
durchzogenen Gelände nicht schnell genug herangeführt werden
konnte, gelang es den Taiping auch gelegentlich die Angreifer unter schweren
Verlusten zurückzuschlagen.
Dennoch war die Moral der Truppen gut, denn für die Härte
der Kämpfe entschädigte die Plünderung reicher chinesischer
Städte. Als zum Beispiel am 17.4. die Einnahme von Tsipao gelang und
die Söldner auf die Beute stießen, die die Taiping dort seit
Monaten angehäuft hatten, war es mit jeder Disziplin vorbei. Europäer,
Chinesen und Inder plünderten wie die Besessenen und schlugen sich
fast zwei Tage in den Straßen um die Beute. Eine englische Zeitung
in Shanghai schrieb darüber: "Als die Häuser geplündert
wurden, fand man große Mengen an wertvollen Juwelen, Gold, Silber,
Dollars und kostbaren Kleidern, was eine gerechte Beute für Offiziere
und Mannschaften war. Eine Blaujacke fand 1.600 Dollar, und einige Soldaten
jeweils mehr als 500, während viele goldene Armreifen, Ohrringe, andere
Schmuckstücke und Perlen zusammen mit wertvollen Steinen aufsammelten.
Es war ein glorreicher Tag des Plünderns, und wir erfuhren, dass eine
Gruppe, die die Schatzkiste der Taiping mit tausenden von Dollars entdeckte
und sich selbst nach Herzenswunsch beladen hatte, wieder einiges abgeben
mußte, um ihre Taschen zu erleichtern, da sie diese nicht mehr tragen
konnten." Man kann sich leicht vorstellen, dass solche Nachrichten natürlich
die beste Werbung für die Ever Victorious Army waren und welchen Menschenschlag
sie anzogen.
Nach diesen Erfolgen wagte Ward noch einmal einen Angriff auf Tsingpu.
An dieser Stadt, die mit einer Garnison von bis zu 20.000 Mann die stärkste
Festung der Taiping in der Nähe Shanghais bildete, war er bereits
drei mal gescheitert. Doch nun mit starker englischer und französischer
Unterstützung, einer Artillerie von 36 Geschützen und Kanonenbooten
verfügte er über die notwendige Feuerkraft. Artillerie und Scharfschützen
säuberten die alten Stadtwälle, und vier verzweifelte Gegenangriffe
der Taiping scheiterten im Kugelhagel der Schrapnells und der diszipliniert
feuernden Chinesen. Nach einigen Stunden war alles vorbei und tausende
toter Taiping bedeckten die Straßen. Es versteht sich von selbst,
dass die Beute wieder ganz hervorragend war.
Ward selbst hatte es allerdings nicht nötig in den eroberten Städten
Leichen zu fleddern oder Kisten aufzubrechen; er erhielt neben seinem Sold
die vereinbarten Prämien für die eroberten Städte und wurde
dadurch zu einem wirklich reichen Mann. Für fünf kleinere Städte
erhielt er jeweils 40.000$ und für sechs größere jeweils
133.000$. Selbst der Kaiser im fernen Peking reagierte und schickte wohlwollend
einige Geschenke, beförderte ihn zum Generalmajor der kaiserlichen
Armee und erteilte die Erlaubnis seine Armee bis auf 6.000 Mann zu vergrößern.
Aufgrund seiner strategischen Position machte er Tsingpu zu seiner zweiten
festen Garnison neben Sungkiang. Edward Forrester einer seiner beiden Stellvertreter
wurde dort mit einem ganzen Regiment stationiert, um diese wichtige Flankenstellung
zu halten.
Aber die Taiping waren noch lange nicht geschlagen. Während ward
noch unter schweren Verlusten das südlich von Shanghai liegende Cholin
eroberte, schlugen die Taiping eine weit überlegene Armee des Provinzgouverneurs
und eroberten einige Städte westlich von Shanghai zurück. Auch
eine größeres englisch-französisches Hilfskontingent konnte
diesen Vormarsch nicht aufhalten. Kurz darauf wurden die beiden Hauptstützpunkte
der Ever Victorious Army Sungkiang und Tsingpu von starken Kräften
belagert. Es gelang Ward gerade noch rechtzeitig mit der Unterstützung
englischer Marineinfanterie Sungkiang zu entsetzen. Tsingpu blieb jedoch
sich selbst überlassen.
Forrester verfügte dort über ungefähr 1.500 Mann, die
von über 20.000 Taiping belagert wurden. Über Wochen schlugen
sie alle Sturmangriffe ab und unternahmen nächtliche Ausfälle.
Doch während die eigenen Truppen zusammenschmolzen, konnten die Taiping
ihre Verluste ersetzen. Als die Verteidiger nur noch 500 Mann hatten, bot
ihnen der Taiping-General freien Abzug an, wobei jeder soviel Gold mitnehmen
sollte, wie er tragen könne. Forrester lehnte zwar ab, aber seine
weißen Offiziere wollten nicht als Helden sterben und planten eine
Meuterei. Als Forrester rechtzeitig gewarnt wurde, musste er alle verhaften
lassen, so dass ihm zur Truppenführung nur noch seine chinesischen
Unteroffiziere blieben.
Schließlich näherte sich dann doch eine Entsatzarmee unter
Ward von Sunkiang. Sie hatten sich den ganzen Weg über Deiche und
Kanäle freikämpfen müssen und wollten nun Forrester und
seinen Männern den Rückzug ermöglichen; die Stadt zu halten
stand nicht zur Diskussion. Doch gerade als Wards Männer den Zugang
zur Stadt freigekämpft hatten, starteten die Taiping einen neuen Angriff,
der demonstriert wozu sie in der Lage waren. Forrester schrieb später
darüber: "Bevor wir richtig begriffen hatten, was passierte, hatten
die Rebellen die Mauern erklettert und schwärmten durch die Stadt.
Ich bemerkte plötzlich, dass die Aufständischen die Oberhand
hatten und meine Leute schnell erledigten. Über ihren Reihen trugen
sie die Köpfe meiner Offiziere auf Lanzen - diese unglücklichen
Männer, die ich noch vor kurzem unter Arrest gestellt hatte. Die Rebellen
gaben keine Gnade und kämpften wie Dämonen. In unglaublich kurzer
Zeit waren alle meine Männer vernichtet."
Ward wurde mit seinen Truppen wieder aus der Stadt geworfen und musste
sich schnell zurückziehen. Nur etwa die Hälfte von Forresters
Männern gelang es mit ihnen wegzukommen. Zurück blieben alle
Verwundeten, die nicht mehr schnell genug laufen konnten, und Forresters
gesamte Artillerie. Forrester, der das ganze von einem Turm aus beobachtet
hatte, wurde nackt und gefesselt vor den Heerführer der Taiping geschleppt
und dann ins Gefängnis geworfen. Zuerst wurde noch darüber diskutiert,
ob er den "Tod der tausend Schnitte" oder den des "Entzündens der
himmlischen Lampe" sterben sollte. Doch dann entschied man sich wahrscheinlich
dafür, das Leben diese äußerst wertvollen Gefangenen nicht
so zu verschwenden. Abgemagert bis aufs Skelett wurde Forrester dann an
einen Pfosten gekettet in Soochow zur Schau gestellt, wo ihn die Bevölkerung
schlagen und mit Dreck bewerfen konnte. Der Himmlische König bot ihm
hohe Summen für seinen Übertritt in seine Dienste. Doch Forrester
lehnte ab. Bald bot auch Ward ein Lösegeld von 100.000$. Geld war
für die Taiping zwar nicht so wichtig, dafür benötigten
sie aber dringend Waffen und Munition, die sie sonst nur völlig überteuert
von Schmugglern oder korrupten Offizieren kaufen konnten. Schließlich
wurde Forrester freigelassen, gegen eine enorme Waffenlieferung von den
Engländern, die allerdings von den Shanghaier Kaufleuten bezahlt wurde.
Durch die neue Offensive der Taiping und die damit verbundenen Verluste,
kamen die Kolonialmächte zu dem Schluss, keine eigenen Truppen mehr
zu riskieren. Der schmutzige und blutige Krieg im Delta sollte ausschließlich
vom kaiserlichen Heer und der Ever Victorious Army übernommen werden.
Wards chinesische Truppen hatten gezeigt was sie konnten, und seine europäischen
und amerikanischen Söldner wurden für ihr Berufsrisiko ja entsprechend
bezahlt. Zum Ausgleich lieferten sie unbeschränkt Waffen und Munition
- selbstverständlich gegen gute Bezahlung. Im Sommer 1862 erreichte die Ever
Victorious Army eine Stärke von über 6.000 Mann. Sie bestand aus fünf
Infanterieregimentern, einem Regiment Scharfschützen und als Elitestoßtruppe
Wards Leibgarde von etwa 200 Manilamen. In jedem Regiment dienten knapp 20 Europäer
als Offiziere; die Unteroffiziere waren inzwischen alle Chinesen. Dazu
kamen fünf Batterien leichter und schwerer Artillerie. Die wichtigste
Waffe war aber die Flotte aus mehreren hundert (!) mit Rudern angetriebenen
kleinen Kanonenbooten und 32 gepanzerten Dampfern. Lediglich auf den Dampfern
dienten jeweils drei Europäer als Kapitän, Ingenieur und Artillerieoffizier;
die restliche Besatzung bestand ganz aus Chinesen. Dieser Flotte hatten
die Taiping nichts entgegen zu setzen, und mit ihr konnte Ward alle größeren
Kanäle kontrollieren, seine Truppen schnell verlegen, mit Nachschub
versorgen oder mit den Bordgeschützen unterstützen.
Europäischer Dampfer versenkt chinesische Dschunken.
Die Ungleichheit der Waffen ist überdeut-lich.
Mit dieser imposanten Streitmacht unternahm Ward dann Anfang August
seinen fünften Angriff auf Tsingpu. Zuerst mussten mit der Artillerie
die zahlreichen Verhaue niedergekämpft werden, mit denen die Taiping
die Stadt umgeben hatten. Dann richtete sich ein vernichtendes Artilleriefeuer
auf die Stadtmauern. Dennoch hielten die Taiping stand. Als Wards Elite,
seine Manilamen stürmten, wurden sie von einem wilden Musketenfeuer
empfangen, und zum ersten mal seit ihrer Aufstellung flüchteten sie
und ließen die Sturmbrücken am Graben liegen. Nun mussten sich
Wards Europäer ihren hohen Sold verdienen und die Brücken in
Position bringen, dann erhielten die Manilamen die Chance, die Scharte
wieder auszuwetzen. Unterstützt von Wards Scharfschützen und
der Artillerie, die die Wälle von Verteidigern säuberten, gelang
ihnen nun der Sturm. Ihnen folgten drei Regimenter durch die Bresche und
bald war alles vorbei. Die Ever Victorious Army machte über Zehntausend
Gefangene, von denen zumindest die Offiziere später von den kaiserlichen
Truppen hingerichtet wurden, verlor aber auch selbst 15 Offiziere und 700
Mann an Toten und Verwundeten.
Mit dem Fall von Tsingpu war die Macht der Taiping im Delta um Shanghai
gebrochen. Es kam zwar immer noch zu einzelnen Gefechten und Überfällen,
aber damit konnten auch die kaiserlichen Truppen fertig werden. Ward war
nun auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Er plante den Ausbau der Ever
Victorious Army auf bis zu 25.000 Mann und einen Angriff auf die wichtige
Stadt Soochow. Von dort aus wollte er dann nach Nanking vorstoßen,
das seit Jahren von kaiserlichen Truppen erfolglos belagert wurde. Bevor
es jedoch so weit war, sollte die Ever Victorious Army die Taiping aus
der Umgebung der reichen Hafenstadt Ningpo in der benachbarten Provinz
Chekiang vertreiben. Als er dann dort wie so oft an vorderster Front seine
Truppen bei einem Angriff kommandierte, traf ihn am 21.9.1862 eine feindliche
Kugel in den Unterleib. Er starb in der folgenden Nacht und wurde später
von seinen dankbaren Auftraggebern als Gott in einem eigenen Tempel beigesetzt.
Zum Ausgleich für diese Ehre verschwand ein Großteil seines
immensen Vermögens auf rätselhafte Weise.
Das Kommando über die Ever Victorious Army ging danach an Wards
Stellvertreter Henry Burgevine. Dieser war zwar persönlich tapfer
als typischer Südstaatler jedoch auch so arrogant und rassistisch,
dass sich die guten Verbindungen zu chinesischen Bankiers und Politikern
rapide verschlechterten. Bald machte die Ever Victorious Army wieder mehr
durch Plünderungsorgien und Disziplinlosigkeiten von sich reden als
von Siegen auf dem Schlachtfeld. Schließlich wurde das Kommando dem
britischen Offizier Charles George Gordon übertragen, unter dem sie
zu einer Art privatisierten Teilstreitkraft der britischen Armee wurde.
Einige von Wards enttäuschten Offizieren desertierten deshalb unter
Burgevines Führung zu den Taiping.
Wards militärische Erfolge waren begrenzt. Er hatte auch viele
Niederlagen hinnehmen müssen, und nach seinem Tod hatten die Taiping
schnell viel Terrain zurück gewonnen. Den Ruhm, die Taiping endgültig
besiegt zu haben, erntete sein Nachfolger Gordon, der sich dabei den Beinamen
"Chinese Gordon" verdiente. Wards großer Verdienst lag in seiner
Erkenntnis, dass man aus Chinesen gute Soldaten machen konnte - darin war
er seinen meisten Zeitgenossen voraus -, und in seinem Organisationstalent.
Er zeigte auch deutlich wo der wirkliche Wert weißer Söldner
zu dieser Zeit noch liegen konnte. Als Kampftruppen waren sie einheimischen
gut ausgebildeten Soldaten kaum überlegen, hatten sogar die Nachteile,
dass sie wesentlich teurer und viel schwerer zu disziplinieren waren. Um
ihre hohe Bezahlung zu rechtfertigen, mussten sie bereits über bestimmte
militärische Kenntnisse verfügen, dann waren sie als Ausbilder,
Offiziere, Artilleristen oder Techniker durchaus noch gefragt.