Für Dom Pedro
Export aus Europas Armenhäusern und Gefängnissen.
Die Kaiserin von Brasilien schrieb: "Senden sie weitere 3.000 Personen, alle ledig
und jung, ungerechnet die Anzahl, welche ich Ihnen das letzte Mal angegeben."
Der Kaiser höchstselbst forderte auf etwas energischere Art: "Schicken Sie,
schicken Sie, schicken Sie, denn ich befehle es Ihnen. Wer Sie entschuldigen und
belohnen wird, das ist Ihr Kaiser". Und Major Schäffer tat, was er konnte.
Er log, betrog und leerte in Mecklenburg die Gefängnisse.
Söldner waren in Europa knapp geworden. Es gab zwar immer noch genug
stellenlose Offiziere auf der Suche nach standesgemäßer Arbeit, aber das einfache
Fußvolk war froh, dem Militärdienst entronnen zu sein. Außerdem hatten
die Hungrigen und Enttäuschten eine neue Zuflucht entdeckt: sie wanderten aus.
Hunderttausende Deutsche, Polen, Iren, Schotten und Skandinavier, arbeitslose
Handwerker, arme Landarbeiter, unruhige Söhne, politische Emigranten und
entlassene Soldaten versuchten ihr Glück in der neuen Welt, unter ihnen all
jene, die einst die Söldnerheere gefüllt hatten. Aber mit dem Verkauf von Söldnern
war einst viel Geld gemacht worden. Condottieri, Obristen und Fürsten hatten
daran verdient, und diese Leute waren nicht völlig ausgestorben. Manche warfen
ihre Augen jetzt auf die Auswanderer, denn in einigen Fällen konnte man diese
sogar als Soldaten verkaufen.
In Lateinamerika stritten sich Kaiser, Generäle und Präsidenten um die
befreiten Länder. Regierungen wurden gestürzt, neue Staaten gegründet und Grenzen
korrigiert. Einzelne europäische Offiziere findet man in fast allen diesen
weitgehend unbekannten Kriegen, aber der brasilianische Kaiser Dom Pedro I. hatte es
sich in den Kopf gesetzt, ein ganzes Fremdenregiment aufzustellen. Doch die ersten
Werbungen unter gescheiterten Kolonisten und entlaufenen Seeleuten verliefen wenig
zufriedenstellend. Da trat Major Schäffer in seine Dienste. Georg Anton
Aloys Schäffer der Sohn eines unterfränkischen Brennereibesitzers hatte
schon als Apotheker, wahrscheinlich als fahrender Wunderheiler, in Ungarn und
Galizien sein Glück versucht und war anschließend als Arzt in russische Dienste
getreten. Nach einem gescheiterten Kolonisationsprojekt in Brasilien war er als
Major in die kaiserliche Ehrengarde aufgenommen worden. Er war ein Säufer der
schlimmsten Sorte aber auch ein mit allen Wassern gewaschener Karrierist. 1824
schickte ihn Dom Pedro nach Hamburg, um für die nötigen Rekruten zu sorgen.
In Hamburg wurde seine Tätigkeit vom Senat wohlwollend unterstützt, da man hoffte dadurch eine Menge "Vagabunden und müßigen Volkes" los zu werden.
Auch in Mecklenburg wollte man diese Gelegenheit beim Schopfe packen, um die überfüllten Gefängnisse etwas zu entlasten. Zuchthäusler, unter ihnen auch
viele Schwerverbrecher, wurden kurzerhand begnadigt, wenn sie bei Schäffer unterschrieben. Ganze Schiffsladungen exportierte man auf diese Weise in die neue
Welt. Ein mecklenburgischer Legationsrat bemerkte hoch erfreut, daß "das Vaterland von dieser Brut befreit" war. Aber Schäffer warb nun auch biedere
Auswanderer. Für einige Jahre Militärdienst wurde ihnen freie Überfahrt und Land versprochen. Schriftlich festgehalten wurde kaum etwas, dafür um so mehr
versprochen. Brasilien erschien als ein Land, "wo man Scheffel Goldes liegen läßt, um nur mit Diamanten sich beladen zu können". Da sich aber immer noch
nicht genug Freiwillige fanden, wurden viele samt ihren Familien als reine Kolonisten angeworben. In Rio de Janeiro überzeugte man sie dann mit Stockschlägen
davon, daß sie Soldat werden wollten, und ihre minderjährigen Söhne fanden als Trommler Verwendung.
Die Ernüchterung begann bereits mit der Überfahrt. Auf den überfüllten Schiffen waren die Verpflegung und die medizinische Versorgung so miserabel, daß die
Todesrate deutlich die der zwischen Afrika und Brasilien verkehrenden Sklavenschiffe überstieg. Söldner kosteten eben immer noch nur den Bruchteil eines
kräftigen Sklaven. Zudem sorgten Schäffers Beauftragte mit brutalsten Methoden für Disziplin. Geprügelt wurde wegen Nichtigkeiten und nach einer gescheiterten
Meuterei wurden acht Söldner erschossen. In Rio wurden dann alle Männer in die Fremdenbataillone des Kaisers gesteckt. Ob man sie als Kolonisten geworben
hatte oder ob sie die Überfahrt aus eigener Tasche bezahlt hatten, interessierte nicht. Quittungen, Versprechungen oder Zeugnisse waren bedeutungslos. Jeder,
der den Verlockungen des Rattenfängers Schäffer erlegen war, wurde als Militärsklave verkauft. Als sich einer beim Kaiser nach der Länge der Dienstzeit
erkundigte, wurde ihm geantwortet: "So lange es mir gefällt und euch eure Knochen tragen". Mit diesen Methoden konnten schließlich zwei Jäger- und zwei
Grenadierbataillone aufgestellt werden.
Das Leben eines brasilianischen Soldaten spottete jeder Beschreibung. Vor allem war die verhaßte Prügelstrafe noch in Gebrauch und wurde bei jeder Gelegenheit
ausgiebigst angewendet. Von dem kärglichen Sold blieb durch die zahlreichen Abzüge praktisch nichts, und die Korruption ging von den Unteroffizieren bis zum
General. Die Söldner betranken sich und desertierten, und die Hospitäler füllten sich mit Kranken und halb tot geprügelten Deserteuren. Blutige Schlägereien, das
Gelbfieber und Selbstmorde sorgten für weitere Verluste. Die Fremdenbataillone schmolzen dahin und wären recht schnell völlig verschwunden, wenn nicht Schäffer
ständig für neuen Nachschub gesorgt hätte. Insgesamt schickte er über 3.000 Rekruten. Aber nachdem immer mehr Hiobsbotschaften aus Brasilien nach Deutschland
gelangten, wurden Schäffers Werbepraktiken zu einem öffentlichen Skandal, von dem sich auch die Behörden distanzieren mußten. Als es dann Ende 1827 wieder
mit Argentinien zum Konflikt um Uruguay kam, sollten die Fremdenbataillone endlich auf Sollstand gebracht werden. Da von Schäffer nicht mehr viel zu erwarten
war, wurde der irische Oberst Cotter nach Irland geschickt, um dort das dringend benötigte Menschenmaterial aufzutreiben. In Irland gab es genug arbeitslose
Landarbeiter und ruinierte Kleinbauern, und da Cotter den Militärdienst noch nicht einmal erwähnte, sondern den Auswanderern großzügige Landschenkungen
und Starthilfen in Aussicht stellte, hatte er keine Schwierigkeiten in kürzester Zeit ein paar tausend Menschen zusammenzubringen.
Doch durch die Iren wurden für die Fremdenbataillone zu einer hoch brisanten Mischung. Das lag vor allem daran, daß die Iren noch schamloser als die
Deutschen belogen worden waren und nicht wie diese über die Jahre verteilt in relativ kleinen Gruppen ankamen. In Rio galten die fremden Söldner als
versoffenes, disziplinloses Gesindel, auf das selbst die Negersklaven mit einer Mischung aus Abscheu und Verachtung herabblickten. Als nun die
unwissenden Iren in Rio ankamen, wurden sie sogleich von einer johlenden Menge in Empfang genommen, die sie als "weiße Sklaven" verspottete.
Daraufhin weigerten sie sich geschlossen, in die Armee einzutreten. Es kam zu Krawallen und Schlägereien. Vor der Alternative zu verhungern oder Soldat
zu werden, traten schließlich doch einige hundert in die Fremdenbataillone ein. Aber erst nachdem man ihnen doppelten Sold und Verpflegung, die Abschaffung
der Prügelstrafe und eine begrenzte Dienstzeit von vier Jahren zugesichert hatte. Diese besseren Konditionen führten natürlich zu Neid und Erbitterung unter
den Deutschen. Doch damit nicht genug. Die Iren dachten nicht daran, sich der harten Disziplin zu beugen. Sie randalierten in den Kneipen, plünderten
Geschäfte und schikanierten bei jeder Gelegenheit die schwarzen Sklaven, um sich wenigstens hier als weiße Herren fühlen zu können. Dabei wurden sie kräftig
von den anderen Iren unterstützt, die sich mit ihren Familien immer noch ohne Lohn und Brot in der Stadt herumtrieben. Es gab Tote und Verletzte und die
Aggressionen stiegen. Als dann noch eine Geldentwertung die Kaufkraft des Soldes um die Hälfte senkte, war die Stimmung unter den Söldnern kurz vor dem
Siedepunkt.
Die lang aufgestaute Wut entlud sich bei der öffentlichen Vollstreckung der Prügelstrafe. Ein deutscher Soldat des zweiten Grenadierbataillons sollte 150 Hiebe
erhalten, da er angeblich einen Offizier nicht gegrüßt hatte. Als er um Strafmilderung bat, da er dreieinhalb Jahre ohne ein einziges Vergehen gedient hatte, wurden
ihm kurzerhand 100 Hiebe zusätzlich verordnet. Die angetretenen Soldaten murrten unzufrieden, und als der Verurteilte unter der Tortur ohnmächtig wurde, waren
sie nicht mehr zu halten. Sie stürzten sich auf den Profos und den kommandierenden Offizier. Der letztere konnte ihnen nur durch sein schnelles Pferd entkommen
und die enttäuschten Soldaten verwüsteten daraufhin sein Haus. Am nächsten Tag schickten sie eine Abordnung an den Kaiser und forderten Begrenzung der
Dienstzeit und der Abzüge, Auszahlung des rückständigen Soldes und die Entfernung einiger besonders grausamer und korrupter Offiziere. Der Kaiser, der von
den Zuständen sicher wenig wußte, versprach, den Klagen nachzugehen und seine Entscheidung in acht Tagen zu treffen. Die Söldner verschanzten sich
daraufhin in ihrer Kaserne, plünderten die nahegelegenen Geschäfte, verjagten ihre Offiziere mit Steinwürfen und erschlugen den Verpflegungsoffizier. In der
Nacht griffen die Unruhen auf das in Rio stationierte Jägerbataillon über. Auch dort wurden die Offiziere wie Hasen gejagt. Einer, der für seine Prügelstrafen
berüchtigt war, versuchte in Zivil zu entkommen, wurde aber erkannt und zu Tode gesteinigt.
Am zweiten Tag meuterte dann auch das zweite Grenadierbataillon. Auf der Suche nach Beute und Alkohol unternahmen die Söldner jetzt immer ausgedehntere
Streifzüge durch die Stadt, wobei es mit den Bürgern und deren Sklaven zu größeren Straßenkämpfen mit Toten auf beiden Seiten kam. Eine Gruppe von Iren jagte
Major Cotter; eine Polizeiwache wurde gestürmt und eine berittene Patrouille in die Flucht geschlagen. Die rasende Soldateska, die zunehmend betrunkener wurde,
machte ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht alles nieder, was ihr beim Plündern in den Weg kam. Einzelne versprengte Söldner wurden von Bürgern und
Sklaven grausam niedergemetzelt. Die Offiziere, die noch nicht geflohen waren, mußten an den Saufgelagen teilnehmen. Da auch unter ihnen die Erbitterung recht
groß war, leisteten sie nur wenig Widerstand. Als der kommandierende General versuchte, die Meuterer zu beruhigen, indem er ihnen Generalpardon und die
Erfüllung ihrer Forderungen zusagte, riefen diese, daß er und selbst der Kaiser sie schon so oft betrogen hätten, daß sie diesen Versprechungen nicht mehr trauen
könnten. Als das Morden und Plündern kein Ende nahm, zog die Regierung Truppen zusammen. Zwei Jägerbataillone, Kavallerie, Artillerie und Polizei wurden
gegen eine der Grenadierkasernen in Marsch gesetzt. Um die Kaserne entspann sich ein langwieriger und blutiger Kampf. Erst als ihnen die Munition auszugehen
drohte, waren die Meuterer zur Kapitulation bereit. Nach ihren schweren Verlusten wagten die Regierungstruppen aber nicht mehr die beiden anderen Kasernen
anzugreifen. Dort verfügten die Meuterer sogar über einige Kanonen und diskutierten noch darüber, ob und wie sie ihren Kameraden zu Hilfe kommen sollten.
Auf Bitten der Regierung gingen dann englische und französische Kriegsschiffe mit ihrer Marineinfanterie gegen die Meuterer vor. Diese hatten inzwischen die
Sinnlosigkeit ihres Widerstandes eingesehen und streckten die Waffen.
Nachdem die Gefangenen unter dem Jubel der Bevölkerung auf Gefangenenschiffe gebracht worden waren, begann ein Militärgericht mit der Aufklärung der
Affäre. Man witterte hinter dem Aufstand eine großangelegte, möglicherweise von Argentinien gesteuerte, Verschwörung. Aber die Richter mußten zu ihrem
eigenen Erstaunen feststellen: "Diese Leute sind zu einer Verschwörung nicht fähig". Da man außerdem keine neuen Unruhen provozieren wollte, übte man bei
der Bestrafung eine ungewöhnliche Zurückhaltung. Lediglich ein Deutscher wurde zum Tod verurteilt und 31 Söldner erhielten mehrjährige bis lebenslängliche
Haftstrafen. Angesichts der üblichen Militärgerichtsbarkeit und den hunderten von Toten waren die Meuterer damit wirklich glimpflich davon gekommen.
Schließlich führte die Revolte sogar zu einigen der geforderten Reformen: Die Dienstzeit wurde auf vier Jahre begrenzt, das Essen verbessert, die Prügelstrafe
eingeschränkt und einige der unfähigsten Offiziere nach Deutschland zurückgeschickt. Die rebellischen Iren wurden alle entlassen. Ein Teil blieb als Siedler im
Land, die anderen wurden nach Irland und Nordamerika abgeschoben.
Eines der Jägerbataillone und eine Schwadron Lanzenreiter befanden sich während der Revolte im Süden, um die von Argentinien unterstützte
Unabhängigkeitsbewegung in der Provinz Uruguay zu unterdrücken. Aber auch die Argentinier verfügten über einige Kompanien Deutsche, die nicht wenige
ihrer unterbezahlten Landsleute dazu überredeten, die Fronten zu wechseln. Nach der Niederlage von Ituzaingó ergaben sich ganze Abteilungen des Jägerbataillons.
Vor die Wahl gestellt, entweder in die argentinische Armee einzutreten oder interniert zu werden, wählten die meisten die Gefangenschaft. Sie hatten vom Militär
die Nase gestrichen voll. Der bei Brasilien verbliebene Rest war weitgehend auf wohltätige Spenden der Bevölkerung angewiesen und verminderte sich weiter
durch Krankheit und Desertion. Nachdem sich Brasilien mit dem Verlust von Uruguay abgefunden hatte, wurde 1830 die Auflösung der Fremdenbataillone
beschlossen. Da man befürchtete, daß die enttäuschten Offiziere in den unruhigen Südprovinzen einen Militärputsch versuchen könnten, entließ man zuerst die
Mannschaften in kleinen Gruppen und dann erst die Offiziere.
Der überwiegende Teil der Söldner war heilfroh, endlich wieder in Freiheit zu sein. Sie fanden Arbeit in ihren alten Berufen oder siedelten in Rio Grande do Sul. Zu
einer richtigen Landplage entwickelten sich allerdings die ehemaligen Sträflinge und diejenigen, die inzwischen ähnliche Talente entwickelt hatten. Im Süden
Brasiliens verbreiteten die sogenannten "Mecklenburger" jahrelang Entsetzen unter der Bevölkerung. In größeren Banden plünderten sie Kirchen, überfielen
abgelegene Siedlungen und kleine Reisegruppen. Ein anderes Problem waren die Offiziere. Sie hatten im Gegensatz zu den Gemeinen einiges verloren und nur in
seltenen Ausnahmen Lust und Geschick, als einfache Handwerker oder Bauern von vorne anzufangen. Einige der stolzen Söhne des deutschen Adels endeten
als Säufer in der Gosse von Rio und schließlich in einer anonymen Grube auf dem Armenfriedhof. Andere, unter ihnen ein von Salisch, beteiligten sich einige Jahre
später wie schon erwartet am Unabhängigkeitskrieg von Rio Grande do Sul, und ein Baron von Bülow zettelte sogar einen Putsch zur Wiedereinsetzung des
inzwischen abgedankten Kaisers an. All diese Unternehmen scheiterten und einige der Unruhestifter verschwanden damit endgültig von der Bildfläche, andere
suchten sich als echte Glücksritter neue Betätigungsfelder.