Die Brummer
Brasiliens Fremdenlegion.
In Brasilien hatte man im Krieg gegen Argentinien (1826-28) mit den aus
Deutschen und Iren angeworbenen
Fremdenbataillonen alles andere als gute
Erfahrungen gemacht. Ihre große Meuterei hatte in Rio de Janeiro
zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen geführt, und von
den wenigen, die überhaupt Richtung Front in Marsch gesetzt werden
konnten, war ein guter Teil desertiert. Brasilien hatte - natürlich
nicht nur deshalb - anschließend den Krieg und seine südlichste
Provinz Uruguay verloren. Auf Dauer war aber Argentinien mit diesem Erfolg
nicht zufrieden. Nach einer längeren Phase der Konsolidierung strebte
der mächtige Diktator Juan Manuel Rosas danach, Uruguay, Paraguay,
Bolivien und Rio Grande do Sul (Brasiliens aktuelle Südprovinz) seinem
Reich hinzuzufügen. Die bedrohten Länder schlossen also eine
Allianz gegen Rosas und begannen mit der Mobilisierung ihrer Armeen.
Obwohl man meinen sollte, dass Brasilien aus dem letzten Experiment
seine Lehren gezogen haben sollte, kamen sogleich wieder Pläne zur
Anwerbung einer deutschen Fremdenlegion auf den Tisch. Es gab zwar heftiger
Widerstand von Seiten des Heeres und der liberalen Opposition, die in den
fremden Söldnern hauptsächlich die "Verteidiger einer despotischen
Regierung" sah. Dennoch setzte sich die konservative Regierung unter Führung
des Kaisers Dom Pedro II. letzten Endes durch. Den Ausschlag gab sicher
der gravierende Arbeitskräftemangel, der sich seit der erfolgreichen
Unterdrückung des Sklavenhandels immer stärker bemerkbar machte.
Während Rosas in seinen Gauchos über hervorragende Truppen verfügte,
wurden in Brasilien gerade die unteren Volkschichten, die ja die Masse
der Soldaten stellten, dringend auf den Plantagen und im Handwerk gebraucht.
Zur Abhilfe hatte man deshalb damit begonnen, auf den Azoren und Kanaren
Kolonisten mit falschen Versprechungen anzuwerben. Die Regierung verteidigte
die Anwerbung der Söldner dann auch mit dem Argument, dass diese dem
Land nicht nur das Leben tausender Bürger sparten, sondern danach
auch als Kolonisten von unschätzbarem Nutzen seien.
Ende 1850 erschien deshalb Oberstleutnant Sebastião Rego Barros in Hamburg
und begann mit der Erlaubnis des Senats mit der Werbung. Die Bedingungen
waren im allgemeinen nicht schlecht. So sollte die Dienstzeit maximal vier
Jahre betragen, für danach wurden Landschenkungen oder freie Rückfahrt
und eine Gratifikation schriftlich zugesichert. Am wichtigsten war aber
sicher, dass preußische Disziplinarvorschriften gelten sollten, und
nicht die brasilianischen, wo z.B. Prügelstrafen noch allgemein üblich
waren. Aber gerade in Norddeutschland waren die üblen Geschäftspraktiken
Major Schäffers, der tausende mit Betrug ins Elend geführt hatte,
noch in allzu guter Erinnerung, und die Werber hätten wohl keinen
großen Erfolg gehabt, wenn nicht wenn nicht 1851 die schleswig-holsteinische
Armee von Preußen aufgelöst worden wäre.
In Schleswig-Holstein war es im Zuge der Nationalbewegungen zu immer
stärkeren Spannungen zwischen Deutschen und Dänen gekommen, die
dann 1848 zum offenen Krieg führten. Autorisiert vom ansonsten relativ
machtlosen Parlament in der Paulskirche hatte sich eine schleswig-holsteinische
Armee aus Freiwilligen gebildet, die an der Seite Preußens gegen
Dänemark kämpfte. Nachdem die revolutionären Bewegungen
in den verschiednen deutschen Kleinstaaten 1849 niedergeschlagen worden
waren, wurden die Freikorps der schleswig-holsteinischen Armee zum letzten
Sammelbecken nationalistischer Idealisten, geflüchteter Achtundvierziger
und arbeitsloser Abenteurer, die hier eine letzte Chance sahen, in einer
"nationalen" Armee zu dienen. Als sich die Großmächte aber auf
Kosten Schleswig-Holsteins verständigten, standen nicht nur die herbeigeeilten
Berufsrevolutionäre, sondern auch viele der einheimischen Soldaten
vor dem Nichts.
Wie so oft bildeten nun diese arbeitslosen Idealisten das Hauptreservoir
für die Werbungen. Zu ihnen stieß, was die Hansestadt Hamburg
an unruhigen Elementen zu bieten hatte, und jene, die ein Abenteuer in
Übersee lockte. Karl von Koseritz, der sich bereits als fünfzehnjähriger
Gymnasiast an der badischen Revolution beteiligt hatte, schreibt: "Da gab
es alte Landsknechte, die in Afrika, in Indien, in Polen, ja sogar in Spanien
gedient hatten, neben blutjungen Kadetten, davongelaufenen Zöglingen
von Realschulen usw. Ehemalige Offiziere dankten Gott, wenn sie Unteroffiziere
wurden". Andere wie den siebzehnjährigen Christoph Lenz trieb die
nackte Not. Als er in Hamburg einigen bereits Geworbenen, einer "Gruppe
lustiger Brüder" in die Hände fiel, und ihm diese 25 Taler Handgeld
in Aussicht stellten, sicher um es sofort gemeinsam zu vertrinken, war
er schnell überredet. Unter seinen Kameraden befand sich der Ungar
Fidlidad, der aus einer österreichischen Artillerieeinheit desertiert
war, um so nach Amerika zu kommen, oder einen gewissen v. d. Oye. Dieser
stammte angeblich aus einem alten preußischen Adelsgeschlecht, hatte
bereits in der französischen Fremdenlegion gegen Abd el Kader gekämpft
und sich nach seiner Heimkehr einem Freikorps in Schleswig-Holstein angeschlossen.
Ein anderer war unter König Otto in Griechenland gewesen. Am interessantesten
fand er aber einen deutschen Mulatten, dessen Vater als schwarzer Diener
am Hof des Kurfürsten von Hessen gedient und dann eine Hofdame geheiratet
hatte. Der Sohn hatte in Hamburg als Konditor gearbeitet und sprach reinstes
Platt, was später besonders die Brasilianer verblüffte, die nicht
verstehen wollten, dass ein Mulatte kein Portugiesisch verstand.
Da es den preußischen Behörden - und nicht nur ihnen - äußerst
gelegen kam, sich auf diese Weise möglichst vieler potentieller Unruhestifter
zu entledigen, wurden den Werbungen nur selten Hindernisse in den Weg gelegt.
Auf diese Weise kamen knapp 1.800 Mann zusammen, aus denen ein Infanteriebataillon
mit sechs Kompanien, vier Artilleriebatterien und zwei Pionierkompanien
- alle mit jeweils 150 Mann - gebildet wurden. Interessant ist in diesem
Zusammenhang noch, dass die zuerst aufgestellten Infanteriekompanien noch
zum Großteil aus gedienten Veteranen bestanden, die dann später
bei den Pionieren nur noch 10% ausmachten. Ausgerüstet waren alle
mit preußischen Uniformen, einschließlich Pickelhaube und dem
damals hochmodernen Zündnadelgewehr. Im April 1851 begann der Transport
nach Rio, wo bis zum Herbst die verschiednen Kontingente eintrafen. Dort
wurden die Truppen anständig untergebracht, erhielten ausreichend
Verpflegung und auch den zugesagten Sold ausbezahlt. Bei dieser Gelegenheit
kamen die Legionäre dann zu ihrem Spitznamen, unter dem sie noch heute
ihren Platz in der brasilianischen Kolonialgeschichte haben. Ihren Sold
erhielten sie in großen Kupfermünzen von 40 "Reis", die gerade
für ein Glas Schnaps reichten. Diese Münzen nannten sie wegen
ihrer Größe "Brummer", und da das in den Kneipen anscheinend
eines ihrer meistgebrauchtesten Worte war, ging der Name auf sie über.
Das ist zwar nur eine Anekdote am Rande, aber vielleicht waren ja auch
die ersten "Söldner/Soldaten" zu ihrem Namen gekommen, als sie in
byzantinischen Tavernen ihre Solidi in Wein umgesetzt hatten.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Rio wurden die Truppen in die Stadt
Pelotas in Rio Grande do Sul verschifft, wo sie für den Einsatz formiert
und eingeübt werden sollten. Obwohl es sich jetzt im Unterschied zu
den von Major Schäffer in den 20er Jahren gelieferten Söldnern
um ausgesprochen gutes "Menschenmaterial" handelte - viele waren ehemalige
Soldaten und auch der Anteil an Kriminellen war gering - und die brasilianischen
Behörden ihre Verpflichtungen einhielten, begann fast umgehend der
Zerfall der deutschen Legion. Die Hauptursache hierfür lag bei den
deutschen Offizieren, die wie so oft mit Kompetenzgerangel beschäftigt
waren. So hatte der Kommandeur, Oberstleutnant v. d. Heyde - ein ehemaliger
preußischer Gardeoffizier - nach seiner Ankunft in Pelotas nichts
besseres zu tun als gegen verschiedene Offiziere Ehrengerichte einzuberufen,
die über noch in Deutschland begangene Verstöße richten
sollten. Nun gab es unter all diesen Offizieren, die im 19. Jahrhundert
um den Globus vagabundierten, sicher nur sehr, die nicht vor Spielschulden,
den Folgen eines Duells oder einer Liebesaffäre geflohen waren.
Zu Heydes Gegenspieler bei diesem Irrsinn wurde sein Stellvertreter,
der äußerst korrupte und bei der Truppe unbeliebte Major v.
Lemmers. Heyde und Lemmers hatten sich bereits in der schleswig-holsteinischen
Armee befehdet, waren getrennt angeworben worden und hatten dabei zum Teil
ihren persönlichen Anhang mitgebracht. Während Heyde die ersten
Offiziere noch in Rio entließ, begann Lemmers in Pelotas mit dem
Ausbau seiner Macht. Nachdem Heyde auch dort angekommen war, spitzte sich
der Konflikt zu. Heyde legte daraufhin beleidigt sein Kommando nieder,
nur um es einige Zeit später wieder anzutreten. Dennoch gelang es
Lemmers durch fortgesetzte Intrigen beim Generalstab letztlich die Suspendierung
von Heyde zu erreichen. Als sich daraufhin viele Offiziere weigerten, unter
Lemmers zu dienen und seine Ablösung forderten, wurden sie ihrer Posten
enthoben und teilweise inhaftiert. Das erste Resultat dieser Kabalen war,
dass nicht mehr genügend Offiziere übrig waren, so dass vier
Kompanien des Infanteriebataillons von Sergeanten geführt werden mussten.
Für Lemmers hatte das einen wahrscheinlich nicht unbeabsichtigten
Nebeneffekt: Er löste zwei Kompanien auf und kassierte ganz im Sinne
der alten Landsknechtsführer weiterhin das Geld für die volle
Stärke.
Wesentlich fataler war, dass sich kaum jemand um Ausbildung und Organisation
der zusammen gewürfelten Truppe kümmerte; diese zudem durch die
ständigen Streitereien und Kommandowechsel denkbar schlechte Vorbilder
vor Augen hatten. Weitgehend auf sich gestellt widmeten sich die Legionäre
ihrer Lieblingsbeschäftigung: dem Trinken. Es blieb aber nicht dabei.
Bald suchten die ersten Brummer das Weite. Als es auf dem Marsch nach Montevideo
im Süden zu Versorgungsschwierigkeiten kam, wurden die Desertionen
zu einem Massenproblem. Ganze Gruppen von bis zu 40 Mann schlugen sich
in die Büsche und konnten manchmal nur nach kleineren Gefechten zurückgebracht
werden. Einige ließen sich in brasilianische Truppenteile aufnehmen,
und viele erkrankten durch die Hitze und die ungewohnte Nahrung. So schmolz
das Infanteriebataillon ganz ohne Kampf schnell auf zwei Drittel seines
Bestandes. Einige Brummer, darunter auch Offiziere, gingen zu den Argentiniern
über, da sie dort auf schnellere Karrieren hofften. Einer von ihnen,
der ehemalige Maurer Heinrich Reich aus Posen brachte es dort sogar bis
zum General. Die beiden Pionierkompanien der Legion schrumpften so schnell
zusammen, dass sie bereits in Montevideo aufgelöst und ihre Reste
auf die brasilianische Armee verteilt wurden.
Das brasilianische Oberkommando hatte inzwischen jedes Vertrauen in
die Legion verloren. Als die Armee der Verbündeten im Dezember die
Mündung des Paraná überquerte und auf Buenos Aires vorstieß,
blieben deshalb die meisten Legionäre in Uruguay zurück. Lediglich
100-200 Mann wurden in brasilianische Bataillone eingegliedert, und eine
Kompanie von 80 Mann blieb unter der Führung von Hauptmann Franz Josef
Wildt zusammen. Wildt hatte bereits beim Krieg 1827 in den Fremdenbataillonen
von Dom Pedro I. gedient und war danach in der Armee geblieben. Bei der
Schlacht von Monte Caseros am 3. Februar 1852 bewährte sich diese
Einheit dann aber hervorragend und zeigte, was die Legion unter nur halbwegs
brauchbarer Führung hätte leisten können. Verglichen mit
den Steinschlossgewehren, die nach wie vor die Hauptwaffe der südamerikanischen
Armee waren, hatten die preußischen Zündnadelgewehre als Hinterlader
mit gezogenem Lauf eine wesentlich höhere Feuergeschwindigkeit und
eine geradezu unglaubliche Trefferquote. Damit ging die Kompanie unter
Wildt gegen die feindliche Artillerie vor, erschoss deren Bedienungen und
ermöglichte so den Einbruch der nachfolgenden brasilianischen Bataillone.
Nach dem Sieg über Rosas war die Legion überflüssig geworden,
und man überließ sie weitgehend sich selbst. Da in Uruguay und
Südbrasilien leicht Arbeit zu finden war, verringerten die Desertionen
weiterhin zuverlässig den Bestand. Die Reste wurden mit längeren
Aufenthalten über Pelotas nach Porto Alegre verlegt. Lemmers, der
sich mit dem brasilianischen Verpflegungskommisar zusammengetan hatte,
weitete dabei seine Unterschlagungen aus. Die meisten Soldaten hatten ihre
Waffen und Teile ihrer Ausrüstung verkauft und suchten sich Nebenbeschäftigungen,
um ihren armseligen Sold aufzubessern. Die Offiziere, so weit sie überhaupt
anwesend waren, scheint das nicht weiter gekümmert zu haben. In Porto
Alegre kam dann der Großteil barfuß und in Lumpen an.
Angesichts der Gleichgültigkeit der offiziellen Stellen, kommt
man nicht umhin, anzunehmen, dass diese einiges von den versprochenen Prämien
einzusparen gedachten. Auch die Strafen für ertappte Deserteure waren
ungewöhnlich leicht. Ständig befand sich eine größere
Anzahl von ihnen auf einem Gefangenenschiff vor Rio Grande. Koseritz schreibt
in seinen Erinnerungen dazu: "Da kochte man nach seinem Wohlgefallen, badete
sich, fischte, brauchte keinen Dienst zu tun und lebte eigentlich wie unser
Herrgott in Frankreich. Ich wenigstens habe auf dem Blockschiff die besten
Tage meines brasilianischen Militärlebens zugebracht". Gerade durch
diese scheinbare Idylle sollte eigentlich deutlich werden, wie leicht Söldner
zufrieden zu stellen waren: genug zu essen und keine Schikanen und schon
fühlten sie sich im Paradies. Neben den Desertionen wurde die Legion
vor allem durch Krankheiten dezimiert. Erbärmliche sanitäre Verhältnisse,
schlechte Kleidung, unzureichendes Essen und die üblichen Alkoholexzesse
forderten laufend ihre Opfer.
Nach neuen Streitigkeiten mit Major Lemmers nahmen auch noch die restlichen
Offiziere im August ihren Abschied. Den Mannschaften wurde daraufhin ebenfalls
die vorzeitige Entlassung angeboten, was von den meisten auch angenommen
wurde. Nur etwas über 200, die sich anscheinend wenig mit dem Zivilleben
anfreunden konnten, dienten weiter in brasilianischen Einheiten. 1855 am
Ende ihrer vierjährigen Dienstzeit wurden dann die letzten Brummer
entlassen. Die brasilianische Regierung hielt sich dabei korrekt an die
Vertragsbestimmungen und bot ihnen Landverschreibungen, freie Überfahrt
nach Europa oder 80 Dollar in Gold. Fast alle nahmen das Geld, da sie zwar
mit einem weit abgelegenen Stück Land nichts anzufangen wussten, aber
dennoch in Brasilien bleiben wollten.
Militärisch waren die Brummer zwar ohne jede Bedeutung geblieben,
dafür wurden sie als Kolonisten um so wichtiger. Der größte
Teil blieb im Süden und fand dort eine Beschäftigung in Handel
und Handwerk. So sollen sich in Rio Grande do Sul bis zu 1.500 Brummern
angesiedelt haben. Vor allem unter den ehemaligen Achtundvierzigern befanden
sich viele gut ausgebildete Leute. Auf ihre Initiative wurde die erste
deutschsprachige Auswandererzeitung gegründet, und nach einigen Jahren
stellten sie über die Hälfte der Lehrer in den deutschen Schulen.
Die Integration der abgedankten Söldner in die brasilianische Bevölkerung
verlief ohne größere Schwierigkeiten. Zu einem letzten Veteranentreffen
im Jahr 1901 erschienen noch 15 alte Brummer unter ihnen auch Christoph
Lenz, doch da war ihre Geschichte bereits weitgehend vergessen.