Vom Mauserei Reiten
in den Kriegen der blutigen Sintflut.
Polen hatte den Dreißigjährigen Krieg relativ gut überstanden.
Um im Reich eingreifen zu können, hatte 1629 sogar sein hartnäckigster
Gegner Schweden einen langjährigen Waffenstillstand unterzeichnet.
Bald folgte Moskau, so dass schließlich auch Krimtartaren und Türken
Frieden machten. Da jedoch die so genannte "Adelsanarchie" nicht nur den
Aufbau einer Zentralgewalt völlig unmöglich machte, sondern auch
Städte und Steuerwesen ruinierte, war es nur eine Frage der Zeit bis
dieses eigentlich mächtige Land zum Zankapfel seiner gierigen Nachbarn
werden sollte. Die Probleme begannen 1648 mit dem großen
Kosakenaufstand unter Bogdan Chmielnicki,
in den zuerst die Krimtartaren und dann Moskau
hineingezogen wurden. In den folgenden Jahren verlor Polen die Westukraine
große Teile Weißrusslands, im Südosten wurden Wolhynien
und Podolien grausam verwüstet. Dennoch blieben die polnischen Kerngebiete
vom Krieg verschont.
Das änderte sich 1654 mit dem Eingreifen Schwedens, wodurch auch
Brandenburg, Siebenbürgen und Dänemark auf der Bühne erschienen.
Die Schweden eroberten Warschau und Krakau, nun wurde ganz Polen von feindlichen
Armeen durchzogen, es kam landesweit zu Aufständen und einem erbitterten
Kleinkrieg. Dazu kamen Einfälle der Kosaken und der Krimtartaren,
ganze Teile der Armee meuterten und plünderten auf eigene Faust. Polen
stand bereits damals kurz vor der Teilung. Als die Schweden endlich zum
Abzug gezwungen worden waren, gingen die Kämpfe dennoch weiter und
kulminierten schließlich in einem Bürgerkrieg. Diesen Konflikt,
der normalerweise als "Erster Nordischer Krieg" in die Geschichtsbücher
eingegangen ist, nennt man in Polen aus gutem Grund die "Kriege der blutigen
Sintflut".
Der Großteil, der dabei von den Hauptkontrahenten Polen und Schweden
äußerst zahlreich verwendeten Söldnern, kam aus dem Reich.
Schweden konnte leicht in seinen norddeutschen Besitzungen werben und viele
Reichsfürsten waren froh durch diesen Krieg einen guten Teil der unbeschäftigten
Veteranen gegen gutes Geld loszuwerden. Dazu kamen viele alte Obristen,
bewährte Kriegsunternehmer, die nur auf ein Werbepatent warteten,
um endlich wieder die Werbetrommel zu rühren. Nach Polen zogen aber
nicht nur die Alten. Im Reich war eine ganze Generation während des
Krieges aufgewachsen, deren ganzes Wertesystem und Weltanschauungen entscheidend
von diesem geprägt worden war. Sie hatten nie gelernt, nach dem Warum
oder gar dem Sinn eines Krieges zu fragen. Vor allem aber waren sie typische
Kinder des Barock, die sich der Vergeblichkeit menschlichen Strebens -
der Vanitas - nur allzu bewusst waren. Sie wollten kämpfen, rauben
und prassen bevor auch ihre Stunde schlug.
Charakteristisch für dieses Selbstverständnis ist die Autobiographie
des Reiters H.C.. Er schreibt so unbefangen über Plünderungen und
Beutezüge, dass man an die Ritter der
Freien Kompanien oder an die
Schwarzen Reiter erinnert wird.
Italien im 14., Frankreich im 16. oder Polen im 17.
Jahrhundert, man kann kaum einen Unterschied entdecken. Aus H.C. spricht der
Söldner aus Leidenschaft mit all seinem Leichtsinn und seiner Bedenkenlosigkeit.
Wie Grimmelshausen verknüpft er unglaubliche Brutalität mit einem
gewissen Humor. Er war der Typus des einfachen Reiters, den die Winkelzüge
der Politik und die Ziele der großen Feldherren wenig kümmerten,
sondern ausschließlich im Hier und Jetzt lebte.
Holstein kam aus einer Söldnerfamilie und man kann annehmen, dass
Geschichten vom Krieg seine Kindheit mit geprägt hatten. Sein Großvater
diente als Oberst in den Niederlanden und erwarb mit seinem Gewinn ein
Gut bei Kaltenkirchen; sein Vater brachte es im Dreißigjährigen
Krieg zum Hauptmann und wurde 1643 auf dem Gut von schwedischen Plünderern
erschlagen. Holstein blieb mit einigen Geschwistern zurück und ließ
sich 1655 gerade siebzehnjährig für ein schwedisches Reiterregiment
anwerben. Man schätzte zwar die Feuerkraft der Musketiere und benötigte
sie zur Eroberung und Besetzung der Städte, dennoch stützten
sich alle Parteien immer mehr auf die Kavallerie. Nur Reiter konnten schnell
genug die großen Entfernungen zurücklegen, sich durch Streifzüge
selbst verpflegen und auch notfalls in einem schnellen Rückzug entkommen.
Als Holstein nach Polen kam, musste er gleich feststellen, dass das
"Mauserei-Reiten" bei Todesstrafe verboten war. Um die Ordnung in seinen
Regimentern aufrecht zu erhalten ließ der kommandierende General
ohne Rücksicht auf Rang und Titel jeden Mittwoch einige Plünderer
hängen. Da er seine Söldner aber nur zu gut kannte, hatte er
außerdem den Wachen verboten, voll gerüstete Reiter aus dem
Lager zu lassen. Trotzdem wollten viele von dem beliebtem Zeitvertreib
nicht lassen. Der junge Holstein war leicht zu überreden und schloss
sich einigen erfahrenen Schnapphähnen an. Um kein Aufsehen zu erregen,
ritten sie ohne Sattel los und verbargen ihre Waffen unter den Mänteln.
Ein verlassenes Dorf erwies sich als unbefriedigend und erst "durch Peinigung
eines Bauren" erfuhren sie vom Gehöft eines Landadligen. Dort fanden
sie dann alles was sie begehrten: Frauen, Silber, Vorräte und sogar
vier Pferde, die sie mit ihrer Beute beladen konnten. Gut gelaunt machten
sie sich auf den Rückweg. Doch inzwischen hatte sich die Bevölkerung
zusammengerottet und begann mit der Verfolgung. Da die Plünderer kein
Sattelzeug hatten und schwer mit Beute beladen waren, wurden sie an einem
Fluss eingeholt und in die Enge getrieben. Das Pulver war nass geworden
und wahrscheinlich wären alle den Mistgabeln und Spießen der
Bauern zum Opfer gefallen, wenn nicht ein anderer Trupp schwedischer Reiter
die Bauern vertrieben hätte. Am Schluss war einer tot und Holsteins
Arm gebrochen. Danach ließ sich im Lager das Ereignis nicht mehr
verschweigen und alle Missetäter kamen in Arrest, um gehängt
zu werden. Sie entgingen diesem Schicksal nur, weil der König den
Aufbruch des Heeres befahl und die Gefangenen begnadigte.
Für Holstein scheint es dennoch mehr ein Spaß, eine Art Lausbubenstreich
gewesen zu sein. Weder das Schicksal seines Vaters, noch die angedrohten
Strafen hatten ihn im Geringsten beeindruckt. Denn kaum dass die Armee
auf dem Marsch war, ritt er wieder mit einigen Genossen "ein wenig von
der Armee ab, etwas Frühstück oder sonsten was dienlichs zu holen".
Als sie wieder auf ein verlassenes Dorf trafen, machten sie sich sogleich
über Kisten und Schränke her. Holstein wurde von einem Bauern
überrascht, konnte ihn aber gerade noch niederschießen. Da beschloss
er, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Skrupel scheinen ihn nicht belastet
zu haben. Man hat im Gegenteil den Eindruck, dass der Siebzehnjährige
eifrig bemüht war, durch besondere Dreistigkeit und Brutalität
die Anerkennung der alten Kriegsgurgeln zu gewinnen.
Bald durfte er sich dann auch einigen erfahrenen Räubern anschließen.
Zufrieden stellte er fest: "Sie lernten mich noch viel alte Strich, es
ging selten ein Partey aus, wo ich nicht mitritte." Genauso unbekümmert
wie auf die Raubzüge ging er in den Kampf. Mit heiler Haut überstand
er seine erste Feldschlacht und einige weitere Gefechte. Auch hier interessierte
ihn im wesentlichen die Beute. Bei einem Scharmützel nahm er einen
deutschen Dragoner gefangen und bei der Plünderung einer Stadt machte
er guten Gewinn. Mit diesem Geld kaufte er Pferde und rüstete zwei
Knechte auf eigene Kosten aus. Knechte erleichterten zwar auch das Lagerleben,
dienten aber vor allem als Hilfskräfte bei den Raubzügen und
mussten in der Schlacht eingebrachte Gefangene bewachen. Als schließlich
Krakau eingenommen wurde, führte er dort bei der Besatzung unter General
Würtz ein angenehmes Leben. "Geld hatten wir damahls genug, das pollnische
Frauenzimmer war fein, klein, net und schön, die polnische Music gefiel
uns wol, summa es war damahls ein erwünschtes Leben".
Von Krakau aus unternahmen sie Streifzüge ins Umland und plünderten
Gehöfte und Adelssitze. Nachdem sich Holstein mit den Pocken infiziert
hatte, musste er in einer Kleinstadt im Haus einer Witwe zurückbleiben.
Eines Nachts überfiel die geschundene Bevölkerung die Stadt
und erschlug alle Söldner. Holstein überlebte als einziger, da
ihn die Witwe auf dem Dachboden versteckt hatte. Anscheinend hatte sie
Mitleid mit dem jungen Burschen gehabt. Er fand das zwar ganz anständig,
an seiner Einstellung änderte sich aber nichts. Fortuna war eben eine
launische Göttin, und er war einfach sicher, voll in ihrer Gunst zu
stehen. Sobald er sich wieder halbwegs erholt hatte, kehrte er nach Krakau
zurück und durchlebte dort feuchtfröhliche Nächte. Das Geld
lieferte der Krieg. Über einen geglückten Überfall auf eine
größere polnische Abteilung schreibt er zufrieden: "Ich bekam
auf meine Person einen großen Rüstwagen und 4 Pferde und eine
junge Edelfrau zur Beute".
Doch das Kriegsglück wendete sich. Dänemark erklärte
Schweden den Krieg und Habsburg begann mit der Unterstützung Polens.
Die Schweden mussten große Teile ihrer Truppen zurückziehen
und Krakau wurde belagert. Aber auch bei Ausfällen konnte man wertvolle
Stücke erbeuten und Gefangene machen, die gutes Lösegeld brachten.
Für Holstein scheinen diese Gefechte mehr eine große Rauferei
gewesen zu sein, bei der jeder versuchte auf seine Kosten zu kommen: "Wie
wir nun mitten unter sie waren, ging es mehrenteils auf Hauen und Stechen,
ich bekam auch damahls einen zimlichen Hieb mit einem polnischen Sebel
in den Kopff. Also ward mir selbigen Tags zweymal wider meinen Willen zur
Ader gelassen, sonsten hätte ich bessere und mehr Beute bekommen".
Ein schlechter Tag also für Holstein. Aber die Wunden störten
ihn wenig, ärgerlich war nur, daß er wegen ihnen um die erhoffte
Beute gekommen war.
Als ein neuer Streifzug geplant wurde war er natürlich wieder dabei,
da er "damahln allezeit etwas naßweis war". Aber dieses Mal wurde
der Trupp von einer Übermacht gestellt und zum Großteil niedergehauen.
Holstein wurde verwundet und überwältigt. Da er seinem Gegner
einen Beutel Dukaten anbieten konnte, wurde er verschont und gefangen genommen.
Die Gefangenen wurden durch einige Dörfer geführt, wo sie von
der ausgeplünderten Bevölkerung mit Steinen beworfen und bespuckt
wurden. Dann sperrte man sie in ein Gewölbe. Mit ihren Bewachern scheinen
sie allerdings ganz gut ausgekommen sein. Diese ließen sie tagsüber
auf den Feldern nach Eßbarem suchen und zeigten sie gelegentlich
gegen einige Kannen Bier den Bauern, die noch nie einen dieser schrecklichen
Schweden gesehen hatten.
Gleich zu Anfang waren sie aufgefordert worden Lösegeld zu bezahlen
oder in die polnische Armee einzutreten. Sie hatten um Bedenkzeit gebeten.
Als jedoch Rákóczi aus Ungarn mit einem Heer brennend und
mordend in Polen eingefallen war und auf schwedischer Seite niemand daran
dachte, Lösegeld zu bezahlen, wurden sie ohne weitere Formalitäten
untergesteckt. Die schwedischen Gefangenen - zum größten Teil
deutsche Söldner - wurden zusammengeführt und drei Kompanien
mit ihnen gebildet. Holstein kam in die Leibkompanie des polnischen Feldherren
Lubomirski. Ausrüstung und Pferde der Neuen waren ziemlich schlecht
aber man hatte ihnen erlaubt, sich bei Gelegenheit zu verbessern. Holstein
fasste es treffend zusammen: "Summa, der damahls am besten mausen kondte,
war der beste Soldat". Da er sich inzwischen ausgezeichnet auf dieses Metier
verstand, hatte er bald nicht nur gute Pferde, sondern auch einen Wagen,
einen Knecht und einen Jungen.
Da sich Lubomirski den vereinigten Schweden, Ungarn und Kosaken nicht
gewachsen fühlte, wich er ihnen aus und fiel selbst in Siebenbürgen
ein. Rákóczi hatte in Polen hunderte von Dörfern und
Marktflecken verwüstet und alle Einwohner abschlachten lassen. Lubomirski
wollte es ihm nun mit gleicher Münze heimzahlen, und das bedeutete natürlich
wie in fast allen Kriegen, nicht Rákóczi persönlich, sondern seinen
Untertanen. "Da ging es an ein Sengen und Brennen, Hauen und Schießen, summa,
nichts ward verschont, Alt und Jung ward ohn Ansehen nidergemacht", beschreibt
Holstein das Gemetzel. Er hielt es zwar mehr für ein unerfreuliches
Geschäft, aber Mitleid oder Bedauern sucht man bei ihm vergeblich.
Er schlug sich in seiner inzwischen sechsten Schlacht mit dem ungarischen
Adel und machte wieder gute Beute. Aber Rákóczi ließ
sich nicht zurücklocken, sondern übte nur seinerseits um so grausamere
Vergeltung an den polnischen Bevölkerung und befahl seinen Untertanen
die Karpaten zu versperren. Mehrere Durchbruchsversuche des polnischen
Heeres scheiterten. Sie fanden die Pässe durch Verhaue blockiert und
die Bauern schossen aus dem Hinterhalt und wälzten Steine von den
Abhängen. Endlich gelang es ihnen sich nach Südosten in die Walachei
durchzuschlagen.
Immer wieder musste die Bevölkerung büßen und die Söldner
betätigten sich als willfährige Werkzeuge. Sie wurden zu einer
Landplage wie Seuchen, Missernten und Krieg. Nur konnte in ihrem Fall das
Unglück personifiziert werden. Für die Bauern machte es oft nur
einen geringen Unterschied, ob eigene oder feindliche Truppen durchzogen.
Als Holsteins Kompanie wieder auf polnisches Gebiet kam und in einigen
Dörfern einquartiert wurde, wurden sie plötzlich von den Bauern
überfallen. Mit Sensen, Spießen und Stangen erschlugen sie die
überraschten Söldner. Holstein und einige seiner Genossen mussten
sich gefangen geben. Nach kurzer Beratung begannen die Bauern damit den
Gefangenen mit einer Sense die Köpfe abzuschneiden. Nur das rechtzeitige
Eintreffen einiger einheimischer Adliger rettete den Letzten das Leben.
Der Streit wurde beigelegt, die Bauern mussten eine Art Schadensersatz
bezahlen und die Söldner sich schriftlich verpflichten, auf Vergeltung
zu verzichten.
Inzwischen hatte sich die militärische Lage für Polen verbessert
und man rückte gemeinsam mit habsburgischen Truppen nach Norden vor.
Jetzt stieß Holstein auf seine ehemaligen Waffenbrüder - die
Schweden. Er scheint sich wenig Gedanken darüber gemacht zu haben.
Doch der Krieg wurde mühseliger. In Ostpreußen schleppten sich
die Belagerungen hin und während des Winters litten alle unter dem
Hunger. Das Fußvolk grub auf den verwüsteten Feldern nach Rüben,
fraß Hunde und soll auch vor Kannibalismus nicht zurückgeschreckt
sein.
Als Schweden 1560 zum Frieden bereit war, wurden die Truppen wieder
nach Süden in Marsch gesetzt, um die Russen aus der Ukraine zu vertreiben
und die Kosaken endlich der polnischen Krone zu unterwerfen. Chmielnicki
war inzwischen gestorben und die Kosaken in mehrere Fraktionen zerfallen.
Die polnische Armee war über 20.000 Mann stark, darunter vier deutsche
Regimenter. Wie üblich schleppte sie einen unübersehbaren Tross
mit sich. Viele der Reiter hatte einen eigenen Wagen, Burschen, Knechte
und Frauen, die Offiziere noch mehr. Ihnen folgten die Wagen der Marketender
und all derer, die auf schnellen Gewinn hofften oder einfach im Tross auf
die verschiedensten Arten ihr Leben fristeten. In der Ukraine stieß
ein starkes tatarisches Heer mit einem ähnlich gewaltigen Tross zu
ihnen. Die Bündnisse hatten wieder einmal gewechselt, und die Tataren
zogen jetzt mit den Polen gegen Kosaken und Russen.
So weit das Auge reichte dehnten sich die Marschkolonnen in der Steppe.
Oft war das Wasser knapp und es gab nur schlammige Tümpel. Die ans
Land gewohnten Tataren führten Wasser in Lederschläuchen mit,
während die Polen von ihren Marketendern mit Met und Bier verköstigt
wurden. Da es in der baumlosen Ebene an Wegmarkierungen fehlte, orientierte
man sich mehrmals an den riesigen Skeletthaufen, die von den großen
Schlachten übrig geblieben waren. Das waren die einzigen Spuren, die
die verschwundenen Armeen im Wilden Feld zurückgelassen hatten.
Am Dnjepr trafen die Verbündeten auf die Russen und es kam zu mehreren
für beide Seiten verlustreichen Gefechten. Holstein war inzwischen
trotz seiner jungen Jahre, bereits ein abgeschlagener Krieger. Ungerührt,
ja geradezu makaber berichtet er von den Toten und Verwundeten, die zu
tausenden die Steppe bedeckten. Als er von einem Kosaken vom Pferd gehauen
wurde und nach einigen Stunden unter "einem Hauffen Todter und Gequetschen"
wieder zu sich kam, stellte er fest, daß die Steppe voller Körper
lag, die "zappelten wie die Sperling". Einmal verbrachten sie die Nacht
erschöpft auf dem Schlachtfeld: "da waren unsere Sessel und Hauptküssen
derer nackendt todten Cörper, warauf wir mit Freuden etliche Pfeiffen
Toback schmöckten, ja, die Todten musten uns noch den letzten Reuterdienst
erweisen, unsere Pferde halten, denn wir bunten die Zügel fest an
dero Köpffen oder Armen". In voller Absicht vermischt hier Holstein
wie schon Richshoffer das alltägliche Grauen mit eher lustigen Szenen.
Demjenigen, der so unberührt und witzig davon erzählen konnte,
war der anerkennende Beifall seiner Kameraden sicher. Darüber konnte
man in den Wirtshäusern lachen, und wer auf Toten ruhig schlafen konnte
oder sein Pfeifchen rauchte, der war schon ein ganzer Kerl.
Die Kämpfe zogen sich hin und im Winter verschanzten sich beide
Armeen dicht beieinander in ihren Wagenburgen. Gegen die Kälte wurden
Erdhütten gegraben und recht komfortabel mit Öfen und Betten
eingerichtet. Trotzdem verlief der Winter nicht friedlich. Zuerst versuchte
man die Wagenburg der zur Unterstützung ihrer russischen Verbündeten
herbeigeeilten Kosaken zu stürmen, dann die der Russen. Bei diesem
Versuch kam Holstein, der inzwischen zum Leutnant befördert worden
war, wieder einmal in Gefangenschaft. Da die Russen selbst belagert wurden
und Hunger litten, war für die Gefangenen kaum etwas übrig. Man
hatte sie in eine tiefe Grube gesetzt, ihnen aber aus Mitleid immerhin
einige Pferdedecken gegeben. Es war erbärmlich kalt, schneite und
zu Essen gab es nur, was ihnen die deutschen Offiziere zuwarfen. Ohne die
Hilfe ihrer Kollegen im russischen Dienst wären sie wohl elend verhungert.
Als die Russen mit Kapitulationsverhandlungen begannen wurden die Gefangenen
freigelassen. Im eigenen Lager musste Holstein feststellen, dass seine
Kameraden inzwischen seinen ganzen Besitz unter sich verteilt hatten. Soweit
als möglich erhielt er ihn wieder zurück. Es bot sich ihm aber
bald die Gelegenheit, seine Verluste mehr als wettzumachen. Er wurde als
Abgesandter ins russische Lager geschickt. Bei seinen Botengängen
trieb er einen einträglichen Handel mit Tabak und Lebensmitteln. Einige
der russischen Offiziere versprachen ihm reiche Belohnungen, für die
Rettung ihrer kostbaren Wagen. Er brachte sie unter seiner Obhut ins polnische
Lager. Bald herrschte zwischen den beiden Heeren ein schwunghafter Kleinhandel,
und da die Polen gut mit Branntwein und Met versorgt waren, begossen die
ehemaligen Gegner kräftig ihre neue Freundschaft. Holstein hatte seine
gut gewärmte Erdhütte bald randvoll mit "vertrauten Moscowiters".
Trotz der harten, blutigen Kämpfe waren die Söldner schnell bereit
ihren privaten Frieden zu machen und miteinander zu saufen. Die Fahnen,
unter denen sie vorher gegeneinander gekämpft hatten, waren allzu
beliebig und viele hatten sie noch nicht einmal freiwillig gewählt.
Doch die Idylle währte nicht lange. Die verbündeten Tataren
bestanden auf der Vernichtung des russischen Heeres. Nur die Vornehmsten
durften als Gefangene behalten werden; die einfachen Offiziere, die Soldaten
und das ganze Trossvolk sollten in die Sklaverei geführt oder niedergesäbelt
werden. Der Befehl stieß zwar auf Widerstand, aber nachdem jedem
die Todesstrafe angedroht wurde, der einen Russen bei sich verbarg, hieß
es "Parire". Es war das einzige Mal, dass Holstein wirklich Schwierigkeiten
mit seinem blutigen Handwerk erkennen ließ: "Ich kan in Wahrheit
sagen, daß mir solches sehr zu Hertzen gieng, denn sie hatten mir
doch in meinem Elend viel Guts gethan." Er untersagte seinen Leuten, sich
an dem Gemetzel zu beteiligen und holte einige Tataren, denen er Flüchtlinge
als Gefangene übergeben konnte. Nicht alle hatten soviel Skrupel.
Tataren, Polen, Söldner und Trossknechte fielen über die Russen
im eigenen Lager her und stürmten die feindliche Wagenburg. Der Widerstand
war gering. Um ihr Leben Flehende wurden erbarmungslos niedergemacht, andere
aus ihren Verstecken gezerrt und erschlagen. Selbst die einfachsten Knechte
konnten reiche Beute machen, aber auch Stiefel oder Hemden wurden nicht
verschmäht. Am nächsten Tag bedeckten Zehntausende nackter Leichen
das Gelände und die Wölfe wurden zu einer solchen Plage, dass
niemand mehr allein ausreiten konnte. Nur die deutschen Söldner waren
dem Massaker zum Großteil entkommen. Sie wurden von den Polen übernommen
und auf die deutschen Regimenter verteilt. Holstein blieben die mit "viel
köstliche Sachen" beladenen, inzwischen herrenlosen Wagen der russischen
Offiziere.
Nach der völligen Vernichtung des russischen Heeres, zogen die
Tataren mit ihren Sklaven zur Krim und die Polen in feste Winterquartiere
in der Westukraine. Diese Dörfer waren bislang vom Krieg verschont
geblieben, denn Holstein war voll des Lobes über die gute Versorgung
mit Brot, Fleisch, Branntwein und Tabak. Die Nächte verbrachte man
auf den warmen Kachelöfen der Bauern und zur Unterhaltung "spielten
wir was mit den ukrainischen schönen goldgelben Mädtgens".
Als der Winter zu Ende ging, begannen die polnischen Regimenter zu meutern,
da sie seit langem keinen Sold erhalten hatten. Die Regierung konnte oder
wollte das Geld nicht aufbringen, fürchtete aber die offene Rebellion
des schlagkräftigen Heeres. Man versuchte die deutschen Regimenter
abzusondern, um sie später gegen die Aufständischen verwenden
zu können, und animierte gleichzeitig Tataren und Kosaken zu Angriffen
auf die Meuterer. Bei einem dieser Überfälle wurde Holstein,
da er immer noch "so naßweis war", gefangen, zu seinem Glück
aber kurz darauf befreit, während er sich noch überlegte, sein
restliches Leben als Galeerensklave oder Haremswächter zu verbringen.
Die Armee hatte sich inzwischen völlig selbständig gemacht, und
die Meuterer verhandelten mit der polnischen Krone, mussten dabei aber
ständig Angriffe zurückschlagen und die unzuverlässigen
deutschen Söldner im Auge behalten. Nachdem ein Jahr ohne Ergebnisse
vergangen war, setzten sich die Meuterer Richtung Lemberg in Marsch, um
ihren Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen. Als sich die Deutschen,
von polnischen Versprechungen gelockt, absetzen wollten, wurden sie umstellt
und mussten schwören bei dem "Hochheyligen Verbündnis" zu bleiben,
bis alle Forderungen erfüllt waren.
Die Meuterer wählten einen Leutnant zum Oberbefehlshaber und setzten
ihren Marsch nach Polen fort. Aus den Festungen und Städten am Weg
nahmen sie Geschütze und Besatzungen mit. Außerdem forderten
sie die anderen Regimenter im Königreich zur Teilnahme an der Rebellion
auf. Auf diese Weise wurden sie ständig stärker und konnten die
Regierungstruppen vor sich her treiben. Bald hatten sie große Teile
Polens unter ihrer Kontrolle, erhoben Abgaben und vergaben großzügig
Quartiere. Auch der König erhöhte die Steuern und ließ
schlechte Münzen prägen. Die Bevölkerung stöhnte und
das Land versank immer mehr in Anarchie. Holstein führte auch jetzt
sein unbeschwertes Reiterleben und lebte manchmal "wie ein junger Printz".
Endlich kam es zu einer Einigung. Mehrere Regimenter wurden ausbezahlt
und abgedankt, die anderen erhielten einen Teil ihres Solds und mussten
sich unter ihren alten Kommandeuren an die Grenze begeben. Jedem Offizier
wurde es freigestellt, seinen Abschied zu nehmen. Da Holstein inzwischen
erfahren hatte, daß ihn seine Brüder für tot hielten und
sein Erbe unter sich geteilt hatten, wollte er nach Hause, um seine Angelegenheiten
zu regeln. Doch dieses Unternehmen sollte eines der schwierigsten werden.
Die Straßen und Wälder waren voll von verzweifelten Menschen,
entlassenen Söldnern und regulären Truppen, die alle von Mord
und Raub lebten. Selbst in Lemberg, wo Holstein seinen Abschied erhielt,
musste er feststellen: "es ging Tag und Nacht an ein Rauben, Stehlen, Plündern,
daß es nicht zu beschreiben, ja, bey hellem liechten Tage gab es
auf den Gassen Mordt und Totschlag".
Unter diesen Umständen kam kein beutebeladener Söldner in
die Heimat. Aber Holstein kannte mittlerweile die notwendigen Schliche.
Zuerst verkaufte er seine Wagen, Pferde, Zelte und anderen Beutestücke.
Von seinem inzwischen recht zahlreichen Gefolge behielt er nur fünf
Knechte und zwei Jungen. Dann besorgte er sich vom Feldherren Lubomirski,
dem er immerhin sieben Jahre gedient hatte, einen Pass, der ihn immer noch
als Angehörigen der polnischen Armee auswies. Da er aber auch seinen
eigenen Knechten nicht traute zahlte er sein Geld demonstrativ bei einem
Juden ein, der es für ihn nach Danzig überweisen sollte, holte
es später aber wieder heimlich ab. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen
blieb er noch einige Wochen in Lemberg "damit die Armee und das andere
Lumpengesschmeiß ein wenig voneinander gehen möchte" und schloss
sich mit einem anderen Adligen zusammen.
Die Reisenden verfügten also über die nötige Schlagkraft,
um sich kleinere Banden vom Hals zu halten. Aber die Städte waren
gestopft voll von brotlosen Söldnern, und überall streiften raublustige
Patrouillen, die ihnen selbst mit 20 Abschieden "allen die Hälse gebrochen"
hätten. Nur der Pass, der bescheinigte dass Holstein selbst immer
noch polnischer Offizier war, verhinderte das Schlimmste. Über mehrere
Seiten beklagte er die schlimmen Zustände, die seine ehemaligen Genossen
in Polen angerichtet hatten. "Denn ich hatte nun selber in der That gesehen,
wie unsicher die Straßen waren, denn das Plündern, Rauben hatte
fast kein Ende, denn das Lumpengesinde streiffte herumb wie brüllende
Löwen". Man kann sich gut vorstellen, dass Werner von Urslingens Ritter
ähnlich über die Räubereien in Italien geschimpft hatten,
bei dem Versuch ihre Schätze sicher über die Alpen zu bringen.
Allerdings verübelte Holstein niemanden persönlich sein Tun.
Einen Leutnant, der längere Zeit "unter diesen Raubvögeln" gewesen
war, dem aber inzwischen "blutangst" war, da er selbst nach Hause wollte,
nahm er sofort in die Gruppe auf. Man musste sich eben wehren und entsprechend
vorsichtig sein. Die Gruppe übernachtete nie in Dörfern, sondern
immer in relativ sicheren Kleinstädten und gab auch dort immer ein
falsches Reiseziel an, damit die Zechkumpane vom Abend vorher an der falschen
Straße lauerten. Sie vermieden die großen Wälder, die
angeblich voller wilder Kohlenbrenner waren, schliefen mit geladenen Pistolen
und brachen überraschend auf.
Dank dieser Vorsichtsmaßnahmen gelangten sie tatsächlich
nach Danzig. Hier dachte Holstein kurz darüber nach, Pferde und Ausrüstung
zu verkaufen, behielt sie dann aber doch, da er weiter Kriegsdienst zu
nehmen gedachte. Erst hier erkennt man den Söldner aus Passion, für
den der Krieg zum eigentlichen Lebensinhalt geworden ist. Holstein hatte
über ein Dutzend Schlachten und schwere Gefechte überstanden,
dazu unzählige Überfälle, Streifzüge und Kämpfe
mit Bauern, Hunger und Krankheit; mehrmals war er verwundet worden und
in Gefangenschaft geraten und hatte nur mit außergewöhnlichem
Glück Leben und Beute heil aus Polen gerettet. Ein normaler Mensch
wäre sicher froh gewesen, sich mit Gewinn und Erbteil zur Ruhe zu
setzen. Er aber saß lustlos in Hamburg und grübelte: "was ich
in Holstein machen wolte, ich hätte ja weder Vater oder Mutter da.
[...] bald, wie ich meine 6.000 Reichsthaler Erbgeld wolte nehmen und darmit
wieder nach Polen gehen oder sonsten einen frischen Krieg suchen".
Der Frieden langweilte ihn. Eine der wenigen Abwechslungen war ein Besuch
in Stettin, wo General Würtz sein alter schwedischer Kommandeur Stadtkommandant
war. Ihm und einigen alten schwedischen Kameraden musste er von seinen
Erlebnissen in Polen erzählen, woran alle ihren Spaß hatten
und einige lustige Tage miteinander verbrachten. Alle waren Söldner
und es spielte keine Rolle, wem man zuletzt gedient hatte. Trotz dieses
guten Einvernehmens wollte Holstein wieder nach Polen zu seinem "guten
Lubomirsky". Doch alles war nicht so eilig und so wichtig. Er besuchte
Verwandte, ging auf die Jagd und erzählte vom Krieg. Während
eines Besuchs in Westfalen ließ er sich dann für die Armee des
Fürstbischofs von Münster zum Krieg gegen Holland anwerben. Anschließend
trat er in dänische Dienste, nachdem er sich erfolglos um eine Stelle
in der französischen Armee bemüht hatte.
Holstein verkörperte den Söldner und Reiteroffizier, den der
Dreißigjährige Krieg hervorgebracht hatte in Reinform. Krieg
war für ihn eine Lebensform, allerdings nicht die Kämpfe, in
denen er sich zwar auch gut geschlagen hatte, sondern das Drumherum, das
Saufen und Geschichtenerzählen, die kleinen Überfälle und
Streifzüge. Der Beschreibung einer guten Winterbehausung oder der
Organisation von Nahrungsmitteln schenkte er wesentlich mehr Aufmerksamkeit
als den großen Schlachten. Viel wichtiger als die Heldentaten, waren
ihm all die Schliche und Streiche, die das Überleben erleichterten.
Er war tapfer und leichtsinnig, sicher auch verroht und skrupellos, aber
nicht ohne Humor und nie pathetisch. Seine Zukunft kümmerte ihn so
wenig wie Sinn und Zweck des Krieges; ihn interessierte allein die Beute,
die er dann in Kneipen und im Lager verprasste.