Reiternomaden
Berittene Bogenschützen als Eroberer und Söldner.
Eine der revolutionärsten Neuerungen in der Geschichte der Militärtechnik
war mit Sicherheit die Nutzbarmachung des Pferdes. Man nimmt an, dass dies
irgendwann Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. in den zentralasiatischen
Steppen gelang. Das Pferd dient seinem Besitzer nicht nur als Lasttier
und Schutzschild es erhöht vor allem seine Geschwindigkeit um rund
das Zehnfache. Pferde verhalfen also zu entscheidenden Vorteile bei Mobilität
und Versorgung im Kampf gegen langsame und schwerfällige Infanterieaufgebote.
Sollte sich die Infanterie im Kampf dennoch als unerwartet stark erweisen,
so war für die Reiter nichts einfacher als die Schlacht zu vermeiden
und dem Gegner durch schnelle Überfälle und Abschneiden der Versorgung
so lange zuzusetzen, bis er mürbe war. Die passende Waffe für
diese Taktik, der Komposit- oder Reflexbogen kam wahrscheinlich aus den
gleichen Regionen wie das Pferd. Beim Reflexbogen werden Holzstreifen mit
Tiersehnen und Horn in einem langwierigen Prozess verleimt. Seine Herstellung
kann fast ein Jahr dauern und erfordert großes handwerkliches Können.
Da der Reflexbogen entgegen seiner natürlichen Krümmung gespannt
wird, beträgt seine Spannung und damit seine Durchschlagskraft das
Vielfache von der eines normalen Bogens. Gegenüber dem europäischen
Langbogen, der ähnliche Werte erreicht aber erst im Mittelalter entwickelt
wurde, hat der Reflexbogen den Vorteil, dass er kürzer ist und deshalb
vom Pferd aus verwendet werden kann.
Anfangs waren die domestizierten Pferde allerdings noch lange zu schwach,
um einen Reiter auf ihren Schultern tragen zu können. Man benützte
sie deshalb lange zum Ziehen von Streitwagen. Niemand kann mit Genauigkeit
sagen wo der Streitwagen zuerst entwickelt wurde. Es liegt jedoch auf der
Hand seine Heimat dort zu vermuten, wo das Pferd domestiziert wurde. Die
zentralasiatischen Hirtennomaden werden die Pferde anfangs dazu benutzt
haben, ihr Hab und Gut auf Wagen ziehen zu lassen. Mit der Zeit haben sie
dann wahrscheinlich die Erfahrung gemacht, dass sich von einem kleinen
schnellen Wagen aus ihre Herden sehr gut überwachen und dirigieren
ließen. Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. müssen sie dann bei
den üblichen Überfällen auf ihre seßhaften Nachbarn
ihre gewaltige militärische Überlegenheit festgestellt haben.
Denn dann überstürzten sich die Dinge mit einer für die
damalige Zeit und die gewaltigen Räume geradezu unglaublichen Geschwindigkeit.
Um 1700 v. Chr. fielen die mit Streitwagen ausgerüsteten Hyksos in
Ägypten ein, um 1500 v. Chr. wurde das Zweistromland von Streitwagenkämpfern
überrannt, kurz danach Indien und wenig später China.
Verglichen mit der sesshaften Bevölkerung waren die Eroberer jedoch
in verschwindend kleinen Gruppen gekommen, was dazu führte, dass sie
entweder schnell assimiliert oder nach einigen Generationen vertrieben
wurden. Ihre überlegene Militärtechnik wurde jedoch übernommen
und der Streitwagen verbreitete sich in nur drei Jahrhunderten als entscheidende
Waffe in ganz Eurasien, von den britischen Inseln über das Zweistromland
bis nach Indien und China. Man nimmt an, dass bei den Kämpfen der
einzelnen Reiche Nomaden immer wieder als Söldner geworben wurden
und dabei auch als eine Art Instruktoren und Lehrmeister die Verbreitung
der neuen Technik förderten.
Mit ihren adligen Streitwagenkämpfern und ihren Infanterieaufgeboten
waren die alten Hochkulturen nicht nur in der Lage sich gegen räuberische
Nomaden zu schützen, sie konnten auch ihrerseits hier und da zum Gegenangriff
vorgehen. Das änderte sich, als im 8. Jahrhundert v. Chr das Pferd
durch Züchtung soweit war, dass es effektiv als Reittier verwendet
werden konnte. Bald darauf begann das Reitervolk der Kimmerier, das seinerseits
von den viel stärkeren Skythen verfolgt wurde, in Kleinasien einzubrechen.
Die Reiter waren den Streitwagenkämpfern an Geschwindigkeit und Flexibilität
und dadurch an Kampfkraft noch einmal gewaltig überlegen. Sie kamen
über die Seßhaften mit der Gewalt einer Naturkatastrophe und
erschienen diesen dann als eine von Gott gesandte Strafe. So schrieb der
Prophet Jeremiah über einen Einfall der Skythen, dem ganz Palästina
zum Opfer fiel: "Die Tochter Zion ist wie eine liebliche Aue; aber es werden
Hirten über sie kommen mit ihren Herden [...]. Siehe es kommt ein
Volk von Mitternacht, ein großes Volk wird sich erheben vom Ende
der Erde. Sie führen Bogen und Speer, sind grausam und ohne Erbarmen.
Sie brausen daher wie ein ungestümes Meer und reiten auf Rossen, gerüstet
als Kriegsleute, gegen dich, du Tochter Zion."
Die Kimmerier verwüsteten Lydien verschwanden dann aber schnell
von der Bildfläche, von den Skythen dagegen kann man sich Dank archäologischer
Funde und historischer Quellen ein gewisses Bild machen. Herodot hat sie
als wilde, blutrünstige Krieger beschrieben: "Wenn ein Skythe seinen
ersten Feind erlegt, trinkt er von dessen Blut. Die Köpfe aller, die
er in der Schlacht tötet bringt er dem König. Wenn er einen Kopf
bringt, erhält er seinen Beuteanteil, sonst nicht. Sie ziehen den
Schädeln die Haut ab [...]. Der Reiter bindet die Haut an den Zügel
seines Pferdes und prahlt damit. Wer die meisten hat, gilt für den
tapfersten Helden. Vielfach macht man sogar Kleider aus diesen Kopfhäuten.
Sie werden zusammengenäht wie die Hirtenpelze." Aus den Schädeln
ihrer schlimmsten Feinde machten sie vergoldete Trinkbecher. Auch von Verwandten,
die sie im Streit erschlagen haben. Wenn sie einem Gast einen Trank daraus
vorsetzten, liebten sie es bei dieser Gelegenheit von ihren Kämpfen
und Siegen zu erzählen.
Man könnte jetzt erwarten, dass der zivilisierte Grieche Herodot
von diesen barbarischen Sitten abgestoßen wäre, aber er erscheint
im Gegenteil eher tief beeindruckt von der wilden Vitalität und der
damit verbundenen militärischen Stärke der Skythen. Denn er schreibt
zusammenfassend: "Muß nicht ein Volk unüberwindlich und unnahbar
sein, das weder Städte noch Burgen baut, seine Häuser mit sich
führt, Pfeile vom Pferd herab schießt, nicht vom Ackerbau, sondern
von der Viehzucht lebt und auf Wagen wohnt?"
Was Herodot an den Skythen ganz offensichtlich bewundert ist nicht nur
ihre Fähigkeit als Reiter mit Pfeil und Bogen zu kämpfen, sondern
vor allem auch die Härte und Mobilität des Nomaden. Natürlich
lernten auch die Sesshaften zu reiten, aber hier bevorzugte man die schwerfällige
gepanzerte Adelsreiterei, berittene Bogenschützen mussten immer unter
Nomaden geworben werden. In der Antike war nicht ohne Grund die allgemeine
Vorstellung verbreitet, Nomaden seien aggressiv und würden die Seßhaften
berauben. Armut und eine lebensfeindliche Umwelt wurden für
ihr "elendes Wanderleben" verantwortlich gemacht, das von Kampf und Gewalt
geprägt war. Bei vielen Nomaden ist es üblich in Notzeiten Alte
und Kinder auszusetzen. Schon von Kindesbeinen an werden sie an den Kampf
gewöhnt, beim Schutz der Herden und beim Streit um Wasser- und Weideplätze.
Kein Ritterheer kann ohne Tross und gesicherten Nachschub lange überleben.
Ein Nomade dagegen zieht mit seinen Tieren und lebt von ihnen. Ein Deutscher,
der um 1400 lange in den Reihen
der Mongolen gekämpft hatte berichtete
später fasziniert, dass sie keinerlei Getreide aßen, sondern
sich ausschließlich von Fleisch, Kamel- und Stutenmilch ernährten,
dass sie rohes Fleisch in Leinen wickelten, um es unter seinem Sattel mürbe
zu reiten, und in der Not sogar das Blut ihrer Pferde tranken.
Der Militärhistoriker John Keegan geht sogar noch einen Schritt
weiter. Seiner Ansicht nach entwickeln Hirten eine ganz besonders Fähigkeit
zum gezielten Töten, sie selektieren Tiere und töten sie mit
einem schnellen Stoß. Ähnlich seien sie dann auch mit den Aufgeboten
der benachbarten bäuerlichen Bevölkerung umgegangen. Sie umfassten
die Flanken, selektierten und töteten die "Leittiere", sie wußten
wie man mit Drohgebärden "die träge Masse dem eigenen Willen
unterwarf". Die Kampfweise der Hunnen, Mongolen und Türken entsprach
genau diesem Muster.
Wahrscheinlich hätte keine Hochkultur dem Ansturm der Reiternomaden
widerstehen können, wenn diese nicht das grundlegende Problem gehabt
hätten, ihre Pferde ernähren zu müssen. Ohne Ruhe und ausreichendes
Futter sterben Pferde schnell. Reiternomaden benützen zwischen 10
und 20 Pferden pro Kopf, deshalb ist leicht einzusehen, dass ein großes
Heer gewaltige Weideflächen benötigt. In Europa stießen
die Hunnen, Mongolen und Ungarn deshalb auch nur so weit vor, dass sie
in einem Feldzug ihre festen Weideflächen in der ungarischen Tiefebene
wieder erreichen konnten. Auch die Skythen haben sich entweder nach ihren
Raubzügen wieder in die Steppen nördlich des Schwarzen Meers
zurückgezogen, oder sind in den fremden Völkern aufgegangen.
Die Sesshaften lernten es schließlich sich mit Hilfe von Grenzbefestigungen,
Panzerreitern und Schützen - die Chinesen erfanden wahrscheinlich
in diesem Zusammenhang die Armbrust - gegen die Überfälle der
Reiternomaden zur Wehr zu setzen. Doch auch danach blieben diese als Söldner
begehrt. skythische Söldner wurden von Persern, Ägyptern, Indern
und Chinesen verwendet, und auch einige griechische Tyrannen haben sich
mit ihrer Hilfe an der Macht gehalten. So gelang es den Athenern zwar um
560 v.Chr. den Tyrannen Peisistratos zu vetreiben, doch er kehrte mit fremden
Söldern - vor allem skythischen Bogenschützen - zurück und
blieb bis zu seinem Tod an der Macht. Die Skythen dienten den Tyrannen
als Leibwache, sogenannte "Doryphoroi" und als eine Art Polizeitruppe in
Athen. Gerade bei Unruhen und Straßenkämpfen waren die leichtbewaffneten
Skythen den schwerfälligen Hopliten
weit überlegen, über die nicht ohne Grund gesagt wurde, dass
sie sich immer ein ebenes Gelände suchen mussten, um ihre Phalanx
aufstellen zu können.
Einige griechische Vasenmalereien dieser Epochen zeigen skythische Krieger
in ihrer typischen Tracht: Hosen, spitzer Mütze und meistens mit dem
Reflexbogen bewaffnet. Aus Gräberfunden kennt man ihre Vorliebe für
Gold, Menschenopfer und Tätowierungen. Diese Tätowierungen am
ganzen Körper waren wahrscheinlich wie die Rituale und Trophäen,
von denen Herodot berichtet, Teil der Initiationsriten der Krieger. Die
Skythen und die ihnen eng verwandten Sarmaten gehörten zur indoeuropäischen
Sprachfamilie aber als Kriegerkultur waren sie ein Produkt der südrussischen
und zentralasiatischen Steppen. Nach ihnen kamen von dort Hunnen, Ungarn,
Mongolen und Türken, die ähnliche Taktiken verwendeten. Aber
auch die germanischen Goten oder die
slawischen Kosaken lernten in diesen
Regionen den Kampf zu Pferde. Auf der anderen Seite verloren viele Reitervölker,
wenn sie sich zu lange von ihren Weideplätzen entfernten viel von
ihrer alten, nomadischen Härte. So benötigten die Enkel Dschingis
Khans, die als Kaiser über China herrschten, ständig frischen
Nachschub aus der Mongolei. Und die Nachkommen der Moguleroberer in Indien
verlangten immer wieder nach neuen abgehärteten Rekruten aus Persien,
Buchara und Korasan.