Immigranten an die Front
Greencard-Soldaten ersetzen Wehrpflichtige.
Während die Presse zunehmend über Söldnerfirmen berichtet,
findet ein für die Rückkehr des Söldnertums viel grundlegenderer
Prozess weitgehend im Stillen statt. Das liegt zum Teil daran, dass Journalisten
das große spektakuläre Ereignis suchen - am besten irgend etwas
mit Nazis und Söldnern - und sich wenig für schleichende Entwicklungen
interessieren. Geschichten über Söldnerfirmen, hinter denen man
ja immer die finsteren Machenschaften multinationaler Konzerne und der
Geheimdienste vermuten kann, verkaufen sich wahrscheinlich auch besser,
als die simple Tatsache, dass die Bürger der großen Industrienationen
nur noch wenig Lust verspüren, sich den Unannehmlichkeiten des Militärdienstes
zu unterziehen, und dass die Regierungen, die ja schließlich an allen
Ecken und Enden sparen müssen, nicht bereit sind, ihre Soldaten anständig
zu bezahlen.
So war Lance Corporal José Gutiérrez zwar einer der ersten
Marines, die im Irak gefallen sind, aber kein Landsmann von Präsident
Bush. Der Guatemalteke gehörte zu den über 37.000 so genannter
Greencard-Soldaten, die in immer größerer Zahl junge US-Amerikaner
an der Front ersetzen. In einigen Rekrutierungsbüros in Kalifornien
stellen Ausländer inzwischen über 50% der Bewerber. Und so erstaunt
es nicht, dass die Hälfte der bislang im Irak getöteten Kalifornier
keine US-Bürger waren. Die Werbestrategen des Pentagon bescheinigen
den Latinos gerne eine "natürliche Tendenz zum Militär", und
auch die Rekruten betonen ihre idealistischen Motive. Sie möchten
dem Land dienen, "dem sie so viel verdanken", oder sie wollen einfach beweisen,
dass auch sie gute Amerikaner sind.
Wir wollen natürlich nicht bestreiten, dass manch junger Mexikaner
oder Kolumbianer mit Begeisterung für die USA in den Krieg ziehen
möchte. Betrachtet man die Angelegenheit jedoch etwas genauer, so
entdeckt man logischerweise auch fundamentale materialistische Gründe.
Voraussetzung für den Militärdienst ist zwar eine unbefristete
Aufenthaltgenehmigung, eine so genannte Greencard, viele der Rekruten erhoffen
sich jedoch die volle Staatsbürgerschaft mit allen ihren Rechten,
die folgt der Greencard nämlich nicht automatisch auf dem Fuße.
Einige Rekruten haben über Jahre bereits Tausende von Dollars dafür
ausgegeben, den begehrten US-Pass endlich zu erhalten und versuchen nun
über den Militärdienst diesen umständlichen Prozess etwas
zu beschleunigen. Andere wie Gutiérrez versuchen auf diese Weise
an eines der zahlreichen Stipendien zu kommen, mit denen die Rekrutierungsoffiziere
locken. Für viele Kinder armer Einwanderer ist dies oft die einzige
Möglichkeit studieren zu können.
Das Pentagon hat bereits seit einiger Zeit die in den USA lebenden Latinos
als ideales Rekrutierungspotential ausgemacht und in einer auf diese zugeschnittenen
dreijährigen Werbekampagne 11 Millionen Dollar ausgegeben. Latinos
sind zur Zeit nicht nur die am schnellsten wachsende ethnische Gruppe, sondern
auch die ärmste. Armut ist inzwischen einer der stärksten Werber.
Die Armee verspricht den Chancenlosen Ausbildung und Geld fürs College.
Auch das Pentagon räumt ein, dass die Rekrutierung zur Zeit besonders
gut läuft, da es der Wirtschaft schlecht geht. Bekannt wurde hier
der Fall von Juan Escalante, der sich eine gefälschte Greencard kaufte
und damit zur Armee ging. Während er im Irak diente, stellten seine
Eltern, die bereits seit 15 Jahren in den USA leben, einen Einbürgerungsantrag
und beriefen sich dabei auch auf den Militärdienst ihres Sohnes. Dadurch
kam ans Licht, dass dieser eigentlich gar nicht in der Armee sein dürfte.
Nun droht der ganzen Familie die Abschiebung.
Präsident Bush versprach im Sommer 2002 öffentlich persönlich
dafür zu sorgen, dass die Einbürgerung der Soldaten wesentlich
beschleunigt wird. Vertreter von Einwandererorganisationen beklagen dennoch,
dass die Besitzer einer Greencard ja bereits die schwerste Hürde genommen
hätten und es zu wünschen wäre, auch anderen Einwanderungswilligen
diese Möglichkeit zu eröffnen. Viele Ausländer melden sich
einfach auf das Gerücht hin freiwillig, dass man als US-Soldat die
Staatsbürgerschaft bekomme. So sagte ein Rekrutierungsoffizier der
Marines in LA:, dass sie meisten Interessenten zur Zeit gar keine Greencard
hätten. Sie sagen, sie hätten gehört, dass eine Aufenthaltgenehmigung
nicht notwendig wäre. Die US-Botschaft in Mexiko-City erhält
täglich hunderte von Anfragen von potentiellen Rekruten, die auf diese
Weise US-Bürger werden möchten.
Während des Vietnamkrieges entfielen 19% der Verluste auf Latinos,
die zu dieser Zeit lediglich 4,5% der Bevölkerung stellten. George
W. Bush nutzte damals den politischen Einfluss seines Vaters, um diesem
Risiko zu entgehen, nun schickt er wieder Latinos an die Front. Wie es
ihnen dort ergehen kann berichtete einer der ersten Deserteure der spanischen
Tageszeitung "La Vanguardia".
In dem Interview nannte er sich Carlos. Er kommt aus Mittelamerika und
diente acht Jahre in der Army, ohne die Staatsbürgerschaft erhalten
zu haben. Im Irak kommandierte er als Sergeant 10 Soldaten und machte ganz
spezielle Erfahrungen. "Sie schickten uns nachts auf Patrouille durch unbeleuchtete
Straßen, oder im Konvoi immer wieder auf die selben Ruten, trotz
der Hinterhalte. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass wir als Köder
dienten, um den Feind herauszulocken." Mehrmals geriet er dabei in blutige
Scharmützel und verlor Kameraden, nur um am nächsten Tag wieder
in die gleiche Straße geschickt zu werden. "Warum?" fragte er sich.
"Die Offiziere brauchen Gefechte, um Orden zu bekommen [...]. Manchmal fragten
wir uns, ob der wirkliche Feind nicht die Offiziere sind." Carlos nutzte
dann einen kurzen Urlaub in den USA um sich abzusetzen. Wenn sie ihn erwischen,
muss er mit einer mehrjährigen Haftstrafe und anschließender
Abschiebung rechnen.
Nun kann man einwenden, dass die Methode Einwanderer als Kanonenfutter
zu rekrutieren in den USA eine lange Tradition hat - bereits im Sezessionskrieg
gingen ganze Schiffsladungen europäischer Immigranten direkt an die
Front. Das Interessante ist dann auch nicht, dass die Amerikaner arme Immigranten
für ihre ökonomischen Interessen am Golf sterben lassen, sondern
dass dieses Beispiel weltweit Schule zu machen scheint.
Natürlich wird immer wieder die französische Fremdenlegion zitiert,
wenn man von der Rekrutierung von Immigranten in Europa spricht. Allerdings
geht die Sache viel weiter. So schrieb die Times am 14.11. 2005: "How British
Army is fast becoming foreign legion". Da auch Großbritannien vor
dem Problem steht, dass viel zu wenige Einheimische - d.h. die mit den
Bürgerrechten - für den kargen Sold dienen wollen, hat man schon
vor Jahren damit begonnen im gesamten Commonwealth zu werben. Inzwischen
bilden Ausländer aus 57 Nationen mit fast 7.000 Mann annähernd
10% der Streitkräfte - im Irak und bei den Gefallenen ist der Anteil
natürlich wesentlich höher. Die Masse stellen traditionell die
Gurkhas mit 3.000 Mann, gefolgt von Fidschi (2.000), Jamaica (975) und
Südafrika (720).
Aber auch in Spanien stellte man nach der Abschaffung der Wehrpflicht
schnell fest, dass für die miese Bezahlung nicht ausreichend Rekruten
zu bekommen waren. Andererseits warten aber auch in den spanischen Botschaften Lateinamerikas
zahlreiche Antragsteller auf eines der begehrten Visen, das es ihnen erlauben
soll ihren krisengeschüttelten Heimatländern zu entfliehen und
in Europa Arbeit zu finden. Zuerst wurde in Uruguay und anderen Ländern
zaghaft damit begonnen, nur unter denen zu werben, die noch die spanische
Nationalität haben. Damit fiel jedoch das wichtigste Argument flach,
nämlich sich mit dem Militärdienst eine permanente Aufenthaltsgenehmigung
in Europa zu verdienen. Der Erfolg war also entsprechend gering und führte
hauptsächlich zu Protesten einiger uruguayischer Parlamentarier, die
sich darüber erregten, dass die Jugend ihres Landes "als Kanonenfutter
für die politischen Notwendigkeiten der Regierung und des spanischen
Militärs benutzt würden."
Inzwischen hat die spanische Regierung ihr Angebot erweitert es gilt
jetzt für alle die aus "Ländern mit historischen Bindungen zu
Spanien" kommen, also neben einem Großteil Lateinamerikas auch für
Äquatorial Guinea. Lediglich Cuba bildet eine Ausnahme, da sich dessen
Regierung hartnäckig der großzügigen Offerte widersetzt.
Die Rekruten müssen für drei Jahre unterschreiben, nach denen
sie die spanische Nationalität beantragen können. Im ersten Jahr
erhalten sie 661 Euro monatlich, die dann auf 841 aufgestockt werden. Obwohl
sich für diesen Lohn verständlicherweise nicht genug Spanier
finden, unterzeichnen doch zunehmend Rekruten aus Ecuador, Peru und vielen
anderen Ländern. Inzwischen wird aber nicht nur in den entsprechenden
Ländern geworben. Die Armee wirbt auch direkt in den Immigrantenvierteln
spanischer Städte um neue Rekruten. Wirtschaftskrisen und schlechte
Ernten in Südamerika tun das ihre, um vielen den Dienst schmackhaft zu machen.
Im Gegensatz zu Spanien gibt es in Italien noch eine allgemeine Wehrpflicht
und damit ausreichend Rekruten, allerdings nur bis 2005! Danach wird es
auch in Italien schwierig. Der italienische Ex-General und Abgeordnete
des Europaparlaments Luigi Caligaris hat deshalb schon vorgeschlagen man
solle endlich Homosexuelle und Ausländer rekrutieren.
Allerdings zielt man in Italien wie anfangs in Spanien im
Moment noch auf Lateinamerikaner mit italienischen Vorfahren. Ein Abgeordneter
der Lega Nord ereiferte sich sogar: "Einem Albaner oder einem marokkanischen
Moslem ein Maschinengewehr oder einen Panzer zu geben, und von ihm zu verlangen,
dass er unser Land verteidigt, ist etwas undenkbares und ein Wahnsinn."
Andere sind da realistischer. Die Albaner stellen inzwischen die größte
Ausländergruppe in Italien, und wie den Latinos in Amerika sagt man
ihnen eine gewisse Tendenz zum Militär nach. Im Austausch gegen einen
italienischen Pass werden sie wohl in Zukunft die Jobs übernehmen,
die jungen Italienern zu gefährlich und zu schlecht bezahlt sind.
Aber diese neuen Gedanken beschränken sich nicht nur auf den reichen
Westen. Sogar in Russland, wo der Militärdienst durch den verlustreichen
Krieg im Kaukasus besonders unpopulär ist, überlegt man sich,
die Armee von Wehrpflichtigen auf Freiwillige umzustellen. Im Moment wird
es immer schwieriger alljährlich die benötigten 400.000 jungen
Männer zu finden. Viele entziehen sich dem Dienst durch Krankheit,
Verweigerung oder Bestechung, andere entfallen wegen Drogensucht und Alkoholproblemen
und tausende desertieren. Also plant das russische Verteidigungsministerium
ebenfalls die Rekrutierung von Ausländern, sofern diese russisch sprechen.
Die Soldaten sollen dann nach drei Jahren die russische Staatsbürgerschaft
erhalten. Verteidigungsminister Sergei Ivanov sagte (Komsololsaka Pravda
2. April 2003), dass durch das Lockmittel der Staatsbürgerschaft die
Qualität der Armee erhöht werden würde. "Man ist motiviert,
besser als russische Bürger zu dienen. Denn, ein Fehler und du bist
gefeuert." Obwohl sich das Angebot vor allem an Bürger russischer
Herkunft in den Ex-Sowjetrepubliken richtet, hat sogar die russische Armee
inzwischen eine gewisse Anziehungskraft für Leute aus Ländern,
in denen der Durchschnittslohn deutlich unter einem Monatssold von ca.
150$ liegt.
Der italienische Ex-General Caligaris meinte zu seinen Überlegungen:
"das alte Rom belohnte Ausländer, die in seiner Armee dienten mit
der Staatsbürgerschaft. Warum können wir nicht dem Beispiel des
alten Rom folgen?" Nun, vielleicht sollte er mal bei seinem großen
Landsmann und Staatsphilosophen
Niccolo Machiavelli (1469-1527) nachlesen,
der behauptete, Rom sei allein durch seine Volksheere frei geblieben und
mit der Verwendung gotischer Söldnertruppen hätte sein Untergang
begonnen.