Kriegsreisende

 die Sozialgeschichte der Söldner

Jermak und die Eroberung Sibiriens

Die Kosaken als Conquistadoren des Ostens.

Jermak Liest man von der europäischen Expansion am Beginn der Frühen Neuzeit, geht es fast immer um die Eroberung Lateinamerikas und die Gründung von Kolonien und Handelsniederlassungen in Asien und Afrika. Die Eroberung Sibiriens, die eigentlich auch in diesem Kontext zu betrachten wäre, wird dabei weitgehend außer Acht gelassen. Obwohl zwischen Lateinamerika und Sibirien nicht nur geographisch Welten zu liegen scheinen, lassen sich dennoch einige erstaunliche Gemeinsamkeiten  beobachten. So diente auch bei der Eroberung Sibiriens eine kleine Schar von Glücksrittern und Desperados als Speerspitze, und obwohl die meisten mit Schwert und Pike kämpften, gaben doch die neuen Feuerwaffen den Ausschlag. Riesige Entfernungen mussten unter unmenschlichen Strapazen überwunden werden, um Länder zu unterwerfen, von denen man vorher kaum eine Vorstellung hatte. Den Anführer der ersten Expedition, den Kosakenhetman Timofejewitsch Jermak bezeichnet man deshalb auch als den "russischen Pizarro".

Die Kosaken waren sicher zu guten Teilen russischen Ursprungs. Allerdings waren sie gerade vor der brutalen Ausbeutung und Unterdrückung in Russland in die herrenlosen Gebiete im Süden geflohen. Dort hatten sie sich mit den Tartaren vermischt und weitgehend deren Lebensweise übernommen. So soll es sich bei den ersten Kosaken um Tartaren gehandelt haben, die ihrerseits nach unglücklichen Machtkämpfen im Chanat der Krim nach Norden emigriert waren. Jedenfalls lebten sie lange relativ unabhängig zwischen den Großmächten Polen-Litauen, Russland und dem Osmanischen Reich. Die Großmächte bekämpften die Kosaken als Räuber und Banditen, bedienten sich ihrer als Bündnispartner oder warben sie als Söldner, je nach den politischen Gegenbenheiten.

Nachdem Mitte des 16. Jahrhunderts der Zar Iwan IV. (der Schreckliche) die Chanate von Kasan und Astrachan unterworfen hatte, fühlten sich die Kosaken an Don und Wolga auch alles andere als befreit. Plötzlich wurden sie von den Strelitzen des Zaren wegen Flusspiraterie und Straßenraub verfolgt. Russische Adlige, denen die Gunst des Zaren ganze Provinzen beschert hatte, kamen ins Land und erwarteten von ihren neuen Untertanen Gehorsam, Fleiß und vor allem Steuern. Viele Kosaken zogen sich deshalb weiter nach Süden zurück oder in die Wälder im Nordosten. In den folgenden langen Kriegen um Livland fanden auch viele eine Beschäftigung als Söldner. Allerdings kämpften hier die meisten auf polnischer Seite, wo sie dem König Stefan Bathory wertvolle Hilfe bei der Abwehr russischer Großmachtpolitik leisteten.

Während Iwan IV. über Jahrzehnte fast die gesamten Kräfte seines Staates an seinen Westgrenzen verschliss und damit Russland an den Rand des Ruins führte, blieb der Osten weitgehend sich selbst überlassen. Dort weitab am Ural im politischen Niemandsland um Perm hatte die Kaufmannsfamilie der Stroganov ein riesiges Gebiet von der Größe eines europäischen Herzogtums erhalten. Sie handelten mit Pelzen und versuchten russische Kolonisten anzusiedeln. Vor allem aber suchten sie nach Bodenschätzen und betrieben Salzsiedereien, Erzbergwerke, Gießereien und Hammerwerke. Die notwendige Arbeitskraft stellten gekaufte russische Leibeigene, Flüchtlinge vor Iwans Terrorherrschaft, gefangene Tartaren und nicht zuletzt, da als Fachkräfte besonders geschätzt, Deutsche und Litauer, die bei den russischen Einfällen in Kriegsgefangenschaft geraten oder einfach verschleppt worden waren.

Der Reichtum der Stroganovs weckte natürlich die Raubgier der Tartaren. Die Krim war zwar zu weit entfernt und in Kasan lag eine Moskauer Garnison, aber hinter dem Ural in Isker (nahe bei dem heutigen Tobolsk) herrschte mit Khan Kutschum noch ein Nachkomme Dschingis Khans. Kutschum stammte zwar aus Buchara, hatte dann aber mit seinen tartarischen Reitern die sibirischen Stämme zwischen Irtysch und Ob unterworfen und eine eigene Dynastie gegründet. Auf ihren ausgedehnten Raubzügen kamen seine Krieger auch ins Gebiet der Stroganovs und machten dort gute Beute. Unter den unterworfenen Tartaren und den eingeborenen Stämmen der Taiga, die von den Russen erbarmungslos ausgepresst wurden, fanden sie willige Helfer. Bald kamen immer größere Gruppen über den Ural, verwüsteten die Siedlungen und Salzsiedereien der Stroganovs und schleppten die Einwohner in die Skalverei.

Pelze - das Gold Sibiriens Als sie 1574 einen besonders verheerenden Überfall unter der Führung von Kutschums Neffen Mahmetkul nur knapp überstanden hatten, begannen sich die Stroganovs nach Schützenhilfe umzusehen. Vom Zaren war nicht viel zu erwarten; dieser war viel zu sehr mit seinen Kriegen im Westen beschäftigt, die fast alle Ressourcen seines Reiches verschlangen. Er war zwar bereit, den Stroganovs einen Freibrief für alles zu erobernde Land zu geben, durch den ihnen alle Gewinne für zwanzig Jahre zufallen sollten; helfen sollten sie sich aber selbst. Auf der Suche nach einer geeigneten Schutztruppe stießen sie auf die Kosaken. Diese waren nicht nur im Kleinkrieg zu Pferde erfahren, sondern befuhren auch auf ihren Raubzügen in flachen Kähnen die großen Flüsse und konnten damit zur Kontrolle dieser oft einzigen Vekehrsadern eingesetzt werden. Vor allem aber bezahlten sie sich weitgehend selbst, indem sie von den unterworfenen Stämmen Pelze als Steuern eintrieben.

Eine russische Chronik berichtet von diesen Werbungen: Da "hörten Semjon und Maxim und Nikita Stroganov von vertrauenswürdigen Leuten von der Verwegenheit und Tapferkeit Jermak Timofejews und seiner Gefährten, der Kosaken und Atamane von der Wolga, wie sie die Nogaier töteten, als sie über die Wolga setzten und wie sie die Kaufleute der Goldenen Horde ausraubten und töteten. Als sie nun solches über ihre Verwegenheit und Tapferkeit gehört hatten, sandten sie ihre Leute zu ihnen mit einem Brief und mit vielen Geschenken, damit sie ihnen zu Hilfe kämen"

Zum Anführer dieser Privatarmee wurde der Kosakenhetman Jermak. Dieser hatte schon für den Zaren in Livland gekämpft, nach den ersten Niederlagen dort jedoch in den Sümpfen und Wäldern an Wolga und Don ein unstetes Räuberleben geführt. Vermutlich hatte er am Don davon erfahren, dass die Stroganovs erfahrenen Krieger suchten, und beschlossen sein Handwerk wieder einmal unter offizieller Flagge auszuüben. Dieser Schluss liegt nahe, da einige seiner Unterführer nachweislich von den Vertretern des Zaren als Straßenräuber gesucht worden waren. Es war jedoch kein großes Heer, das er vom Don nach Perm führte, lediglich einige hundert Kosaken. Doch in den Bergwerken und Salzsiedereien der Stroganov schufteten genug Kriegsgefangene. Jermak hatte es vor allem auf Landsknechte abgesehen, die im Umgang mit Kanonen und Arkebusen erfahren waren. Zuerst erprobte er seine Söldner in Abwehrkämpfen gegen die Tartaren und bei Vergeltungsaktionen gegen aufständische Stämme, in deren Verlauf die Kosaken nun ihrerseits immer weiter nach Osten vorstießen und Informationen sammelten.

Im Herbst 1581 war es dann so weit: Jermak hielt an den Ufern der Kama Heerschau. Er verfügte über gut 500 Kosaken, dazu kamen etwa 300 Deutsche, Polen, Litauer und Tataren - ehemalige Kriegsgefangene, die sich auf diese Weise ihre Freiheit verdienen wollten - und drei kleine Kanonen. Da die Beteiligung der Fremden (immerhin mehr als 1/3!) von der russisch- patriotischen Geschichtsschreibung gerne übergangen wird, möchten wir hier noch einmal die russische Chronik zitieren: "Und sie [die Stroganovs] versammelten ihre Soldaten aus den Stützpunkten, Litauer und Westeuropäer und Tartaren und Russen, verwegene und tapfere und hervorragende Krieger, 300 Mann, und entsandten sie zusammen mit den Atamanen und Kosaken von der Wolga, und durch diese Vereinigung ergaben sich 840 verwegene und tapfere Männer."

Diese kleine Armee fuhr nun in flachen Kähnen von der Kama die Tschusowaja aufwärts und dann auf deren Nebenflüssen immer tiefer in den Ural hinein. Es war auch für die erfahrenen Wolgapiraten ein schwieriger Weg. Oft mussten sie ihre Kähne ziehen, manchmal sogar über Land schleppen, um Stromschnellen zu umgehen, was durch die umfangreichen Vorräte an Lebensmitteln und Pulver und Blei besonders zeitraubend war. Deshalb versuchten sie, wenn es möglich war, die kleinen Flüsse aufzustauen, um auf diese Weise wieder ein paar tausend Meter zu gewinnen. Schließlich ging es nicht mehr weiter und sie überquerten zu Fuß die Wasserscheide, bis sie den Oberlauf eines Zuflusses der Tura erreichten. Dort bauten sie sich dann neue Kähne und begannen mit der Fahrt stromab ins unbekannte Sibirien.

Schließlich erreichten sie das sibirische Tiefland und kamen damit in den Machtbereich des Khans Kutschum. Erste Überfälle der sibirischen Stämme konnten sie mit ihren Feuerwaffen leicht abschlagen. Im Gegenzug brannten die Kosaken einige der vereinzelten Siedlungen nieder. Als die Tundra fror, richteten sie sich in einer dieser Siedlungen zum Überwintern ein. Mittlerweile hatte auch der alte Khan Kutchum in seiner Hauptstadt Sibir an den Ufern des Irtysch von den Eindringlingen erfahren. Er sandte seine Pfeilboten durchs Land und rief die Steppenvölker zur Heeresfolge. Tausende von Kriegern kamen zusammen. Als im Mai das Eis geschmolzen war und die Kosaken ihren Weg fortsetzten, gerieten sie in einen Hinterhalt. Die Tataren hatten mit Baumstämmen den Fluß versperrt und überschütteten vom Ufergehölz die Kähne mit Pfeilen. Doch auch hier erwiesen sich die unbekannten Musketen und Kanonen als schreckliche Waffen, vor denen die Tataren schnell die Flucht ergriffen.

die Kosaken kämpfen sich den Weg frei

Trotz dieser Siege wurde die Lage schwierig. Die Kosaken hatten vor allem durch Krankheiten bereits viele Leute verloren, und die Munition ging zur Neige. Andererseits war der Rückweg über den Ural vor Einbruch des Winters kaum noch zu schaffen. Wenn sie noch einen Winter überleben wollten, brauchten sie ein festes Lager und Proviant. Jermak entschloss sich, alles auf eine Karte zu setzen und Sibir zu erobern. Dieses Mal wichen die Tataren nicht. Lange wogte der Kampf hin und her. Die Kosaken waren erschöpft und hatten viele Verwundete. Doch für sie bedeutete eine Niederlage den sicheren Tod. Schließlich wichen die sibirischen Stämme als erste. Sie wollten nicht für ihre tartarischen Herren sterben. Von ihren Verbündeten im Stich gelassen konnten auch die Tataren nicht mehr lange stand halten.

Nach der Schlacht besetzten die Kosaken ohne weiteren Widerstand zu finden Sibir. In dieser von einem Palisadenwall umgebenen Ansammlung von Lehmhütten und Holzhäusern fanden sie reiche Beute an Schmuck, Proviant und vor allem an Pelzen. Damit hatten die Kosaken die "Hauptstadt" Sibiriens erobert, und bald erschienen auch die ersten Häuptlinge der sibirischen Stämme, um den neuen Herren ihren Tribut in Marder-, Schneefuchs-, Hermelin- und Zobelfellen zu entrichten. Dennoch waren sie in einer äußerst prekären Sitation. In der letzten großen Schlacht hatten sie über hundert Mann verloren; Pulver und Blei gingen zur Neige, und das Umland wurde weiterhin von Kutschums Tartaren beherrscht. Jermak schickte deshalb seinen Stellvertreter Iwan Kolzo nach Perm, um dort Verstärkungen zu werben.

Kolzo gelang es, sich mit einer kleinen Gruppe durch die feindlichen Linien zu schlagen und nach unendlichen Strapazen Perm zu erreichen. Doch dort hatte sich die Stimmung inzwischen gewandelt. Sibirische Stämme waren zur Vergeltung in russisches Gebiet eingefallen und hatten dort schlimm gehaust. Iwan befürchtete nun wegen der Eroberungen der Stroganovs in einen Zweifrontenkrieg verwickelt zu werden. Wie nicht anders zu erwarten, wuschen die reichen Händler ihre Hände in Unschuld und schoben alle Verantwortung auf die Raublust der Kosaken. Sie schickten Kolzo deshalb gleich weiter nach Moskau, um dort dem Zaren seinen Kopf vor die Füße zu legen. Als Kolzo jedoch dem Zaren berichtete, dass Kutschum der gefürchtete Khan von Sibirien von ein paar hundert Kosaken geschlagen worden war, und dann noch einige tausend kostbare Felle vor dem Zaren ausbreiten ließ, wandelte sich dessen Stimmung schnell. Er begnadigte die geächteten Kosaken und gab Kolzo dreihundert Soldaten mit auf den Rückweg, Vorräte und Munition, und eine vergoldete Rüstung für Jermak, der zum Fürsten von Sibirien ernannt wurde.

Iwan IV. betrachtet Pelze Doch das Eintreffen dieser Verstärkungen bedeutete nur einen kurzen Aufschub. Oft gerieten kleinere Trupps beim Eintreiben der Tribute in Hinterhalte und wurden niedergemacht. Iwan Kolzo, der mit 40 Kosaken einem verbündeten Stamm zur Hilfe eilen sollte, wurde von diesem ermordet. Im Winter lichteten Fieber und Skorbut die Reihen. Mehrmals ließ Jermak gefasste Deserteure im Fluss ertränken. Bald waren von der alten Truppe nur noch 150 Mann am Leben. Schließlich wurde Jermak selbst bei einem Streifzug überfallen. Es gelang ihm zwar, sich bis zum Irtysch durchzuschlagen, da seine Rüstung Pfeile und Schwerthiebe abhielt; als er aber versuchte schwimmend das andere Ufer zu erreichen, wurde er von seiner Rüstung unter Wasser gezogen und ertrank.

Nach seinem Tod räumten die letzten Kosaken Sibir und machten sich auf den langen Heimweg. Aber die Eroberung Sibiriens war nicht mehr aufzuhalten. Der Zar schickte immer neue Kontingente über den Ural. In der Nähe von Sibir entstand die Festung Tobolsk. Vom weiteren Schicksal der fremden Söldner ist nichts bekannt. Einige der wenigen Überlebenden werden in Moskau ihre Pelze verkauft und vertrunken haben, um dann wieder in Kriegsdienst zu treten, andere ließen sich vielleicht mit den Kosaken in Tobolsk als Steuereintreiber und Pelzhändler nieder. Für Nachschub wurde jedenfalls gesorgt. Denn nach Sibirien schickte man nicht nur russische Sträflinge und Verbannte, sondern auch immer wieder gefangene Söldner.

© Frank Westenfelder  


 
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