Fahrende Ritter - I
Aufstieg und Niedergang einer Kriegerschicht.
Echte Söldner und Abenteurer ziehen in den Krieg - sofern sie dies
überhaupt aus freien Stücken tun - um Geld zu verdienen, Beute
zu machen oder sich gar als Conquistadoren ein eigenes Reich zu erobern.
Wenn ihnen dabei irgendwelche Ideale nützlich erscheinen, erheben
sie gerne deren Banner - wenn nicht, scheren sie sich nicht weiter darum.
Wenn also unter Abenteurern mehr von Idealen als vom Geld die Rede ist,
so wird die Sache verdächtig. Ganz allgemein werden Werte meistens
dann beschworen, wenn sie längst verloren gegangen sind. In der Militärgeschichte
findet man historische Rückgriffe vor allem als verspätete Reaktion
einer Kriegerkaste, die ihre besten Zeiten bereits hinter sich hat. Wenn
technische Neuerungen oder soziale Umschichtungen das Kriegswesen wieder
einmal tiefgreifend verändert haben, begegnet man dem Typus des fahrenden
Ritters, der den Krieg noch nach guter Altväter Sitte führen
will. Geld ist für ihn ein eher sekundäres Problem, da er ja
meist den privilegierten Schichten entstammt. Viel wichtiger sind ihm dagegen
ideelle Werte, mit denen er seine bedrohte Position verteidigen möchte,
was wohl die ganze Aussichtslosigkeit dieser Versuche unterstreicht.
Die traditionelle Aufgabe des Adels ist es zu kämpfen. Allein aus
diesem Grund ist er in fast allen arbeitsteiligen Kulturen entstanden,
aus ihm bezieht er seine Privilegien und sein Selbstverständnis. Seine
Erziehung dient neben der praktischen Ausbildung im Umgang mit Waffen vor
allem der Vermittlung von Standesgefühl, Ehrenkodex und Wertesystem,
wie es für den Krieger notwendig ist. In Friedenszeiten pflegt er
seine Fähigkeiten bei kriegerischen Wettkämpfen und auf der Jagd.
Nun weiß jeder, dass auch noch so üppige Turniere die praktischen
Erfahrungen eines richtigen Krieges nicht ersetzen können, zudem wiegt
der Ruhm, der in einer realen Schlacht zu gewinnen ist, ungleich schwerer
als die schönsten Trophäen aus eher sportlichen Wettkämpfen.
Adlige, die etwas auf sich hielten, mussten also ausziehen, um in Kriegen
Erfahrungen und damit verbundene Ehre zu sammeln.
Mann könnte jetzt vermuten, dass sie das schon immer gemacht haben,
denn schließlich berichten die Legenden von den Helden an König
Artus Tafelrunde, den Paladinen Karls des Großen oder den Recken,
die Dietrich von Bern um sich gesammelt hatte. Bei vielen von ihnen wird
ausdrücklich auf ihre ferne Herkunft verwiesen. Sie folgten diesen
Königen nicht aus Lehnverpflichtungen, sondern aus Gründen der
Ehre. Nun bezeichnet das Wort "Recke" im Germanischen und Althochdeutschen
aber einen Flüchtling oder Verbannten, der als herumziehender, heimatloser
Krieger sein Schwert vermietet; das moderne "Wrack" trifft den ursprünglichen
Sinn weitaus genauer als die Vorstellung vom strahlenden Helden. Das heißt
im frühen Mittelalter hatten Krieger wahrscheinlich einfach genug
zu tun und mussten keine Abenteuer in der Fremde suchen; das war eher eine
Sache für die, die aus ihrer Heimat flüchten mussten. Der fahrende
Ritter, der in fernen Ländern auf Aventiure zieht ist eine Geburt
des Hochmittelalters, in dem die alten Sagen und Legenden entsprechend
als Epen umgeformt wurden.
Doch auch im Hochmittelalter gab es reale materielle Gründe Abenteuer
in anderen Ländern zu suchen. Es ging fast immer darum eine eigene
Herrschaft, nach Möglichkeit gar eine Grafschaft, ein Herzogtum oder
sogar ein Königreich zu erobern. Als zu den Kreuzzügen aufgerufen
wurde, stellte die Kirche den Teilnehmern ausdrücklich geistlichen
und weltlichen Lohn in Aussicht. Ganz deutlich wird dies im Verlauf des
vierten Kreuzzuges, als sich das ganze Kreuzfahrerheer von Venedig gewissermaßen
in Sold nehmen ließ, um seine Überfahrt nach Palästina
"abzuarbeiten". Im Auftrag Venedigs eroberten die Kreuzfahrer zuerst das
christliche Zara an der dalmatinischen Küste und dann 1204 Konstantinopel.
Nach getaner Arbeit nutzten aber nur die wenigsten die freie Überfahrt
ins heilige Land. Statt dessen errichteten sie in Byzanz ein "lateinisches
Kaiserreich" und begannen Städte und Ländereien unter sich zu
verteilen. Die dabei zu kurz gekommenen machten sich unter der Führung
zweier französischer Abenteurer an die Eroberung von Südgriechenland
und der Morea. Es war eine internationale Mischung vorwiegend aus Frankreich,
Flandern, Burgund, dem Rheinland und der Lombardei, die in Byzanz zusammenfassend
"Franken" genannt wurden. Diese fränkischen Ritter bezeichneten sich
selbst ganz ungeniert als "Leute, die erobern gehen". Das Land war groß
und reich genug, dass sich fast jeder, der über einige entschlossene
Männer verfügte, ein eigenes Fürstentum schaffen konnte
und ein Historiker bezeichnete es treffend als "die Zeit, wo die Märchen
und Sagen wahr wurden, wo irrende Ritter Königskronen im Archipel
fischten".
Problematisch wurde es im Spätmittelalter, wo die Expansion des
Abendlandes weitgehend abgeschlossen war, der Adel damit begann seine militärische
Monopolstellung zu verlieren und gleichzeitig in eine ökonomisch immer
bedrängtere Situation geriet. Die Aventiure verlor jetzt nach und
nach ihre ökonomische Basis, außer Rum und Ehre gab es immer
weniger zu erwerben. Aber genau die wurden für den Adel immer wichtiger
um seine eigene Position zu legitimieren. Nun konnte man bei den zahlreichen
Fehden im Reich den Kleinkriegen in Italien oder Frankreich sicher Erfahrungen
sammeln und auch Geld verdienen, was auch viele taten. Richtige Ehre konnte
jedoch am besten durch die Teilnahme an einem veritablen Kriegszug erworben
werden, vor allem wenn dieser gegen Heiden geführt wurde. Diesen ständigen
Bedarf an kurzen, überschaubaren aber dennoch ruhmreichen Kriegszügen
deckten vor allem die Ritterorden in Spanien, auf Rhodos und in Preußen.
Vor allem der Deutsche Orden in Preußen entwickelte sich zu einer
Art Marktführer auf dem Gebiet Abenteurerreisen inklusive Ritterschlag.
Zu den jährlichen Fahrten gegen die Heiden kamen Ritter aus ganz Europa,
aus dem Reich, Skandinavien, Frankreich, Italien, Ungarn und auch sehr gerne
aus Schottland und England. Die Kriegsreisen nach Preußen erfreuten
sich dort bis hin zu den englischen Königen solcher Beliebtheit, dass
das Wort "reysa" als Bezeichnung für eine kriegerische Expedition
übernommen wurde. Der Deutsche Orden versorgte seine Gäste hervorragend
und veranstaltete ihnen zu Ehren große Festlichkeiten. Außerdem
waren die Heidenjagden selten besonders verlustreich. Man kämpfte
als Kreuzritter und konnte dafür nicht nur seiner Sünden ledig
werden, sondern auch auf dem Schlachtfeld den Ritterschlag erhalten. Der
vom Orden zelebrierte Kult und der illustre Kreis europäischer Adliger
entschädigte dabei für die sicher eher magere Beute.
Genauso angesehen wie die Heidenfahrten des deutschen Ordens, war eine
Reise zum heiligen Grab nach Jerusalem. Sie wurde nicht nur aus religiösen
Zwecken unternommen. Die Pilger nutzten oft die Gelegenheit, die Inseln
des östlichen Mittelmeers und nach Möglichkeit Konstantinopel,
Ägypten und Kleinasien zu besuchen. Die Pilgerfahrt nach Jerusalem
war eine frühe Art der Bildungsreise, die den Teilnehmern hohes Ansehen
verschaffte. Diejenigen, die es sich leisten konnten, unternahmen diese Reise auf eigene
Kosten, andere arbeiteten ihre Fahrt auf venezianischen Galeeren ab, suchten
unterwegs Solddienst in Italien, Zypern oder Rhodos, oder bettelten wie
viele Pilger. Diese Mischung aus Kreuzzug, Pilgerfahrt und gelegentlichem
Solddienst wird am Leben des Ritters
Friedrich von Chreutzpeck, der auf den meisten Schlachtfeldern
kämpfte und mehrmals den Orient bereiste, besonders deutlich.
Dieses in Konventionen erstarrte Leben zwischen Turnieren, Festlichkeiten
und Heidenfahrten in Preußen, hatte mit echtem Söldnertum zwar
wenig gemeinsam, war aber dennoch eine seiner Grundlagen im Spätmittelalter.
Viele Söhne des Adels waren auf der Suche nach einer Gelegenheit sich
ihre Rittersporen zu verdienen. Die Unternehmungslustigen unter ihnen gaben
sich damit nicht zufrieden und jagten weiter nach Ruhm und Ehre. Dass
es dabei auch oft um Geld ging, wurde gerne verschwiegen. Man sollte aber
auch nicht die Wirkung von Auszeichnungen unterschätzen. Könige
empfingen die fahrenden Ritter und stifteten die ersten Orden, so der englische
König im hundertjährigen Krieg den Hosenbandorden und der französische
den Orden vom Stern, andere folgten wie der von Philipp dem Guten von Burgund
1429 gegründete und später von Habsburg übernommene Orden
vom Goldenen Vlies. Dass diese Auszeichnungen in der Regel mit reichen
"Geschenken" verbunden waren versteht sich von selbst. Zudem verhalfen
manchem Auszeichnungen und Empfehlungsschreiben zu einer guten Stellung
bei Hofe in der Heimat.
Je mehr sich jedoch der Adel auf die formalen Äußerlichkeiten
verlegte, desto mehr verlor von seinen eigentlichen kriegshandwerklichen
Fähigkeiten. Eines der bekanntesten Beispiele ist sicher Johann von
Luxemburg König von Böhmen, der als einer der größter
Helden seiner Zeit galt. Neben vielen Fehden und Kriegszügen für
den Erfolg seiner Familie und zahllosen Turnieren kämpfte er auch
immer wieder im Dienst Frankreichs. 1329 und 1336 beteiligte er sich mit
großem Gefolge an den Kreuzzügen des Deutschen Ordens. Selbst
als er durch eine Augenkrankheit erblindet war nahm er 1345 noch an einem
dritten Kreuzzug teil. 1346 kämpfte er dann wieder für Frankreich
bei Crecy, wo er sich dann von seinem Gefolge ins Schlachtgetümmel
führen ließ, um mit diesem von den
englischen Bogenschützen massakriert
zu werden.
Ihren hybriden Höhepunkt und ihr Ende fand diese Entwicklung dann
am prunkvollen Hof von Burgund, wo mit den Rittern vom Goldenen Vlies auch
die erlesenste Adelsrunde gepflegt wurde. Unter Karl dem Kühnen wurden
die Ritterheere noch glänzender und noch exklusiver. Seine Feldzüge
glichen riesigen Turnieren, mit zahllosen Prunkzelten, Trosswagen,
adligen Frauen und Prostituierten, erlesenen Speisen und Weinen. Die Neuerungen
beschränkten sich im wesentlichen darauf, dass das Heer mit englischen
Bogenschützen und einem imponierenden Artilleriepark verstärkt
wurde. Am härtesten kämpften die Ritter jedoch in Turnieren vor
belagerten Städten, während das niedere Volk der Schützen,
Mineure und Kanoniere die eigentliche Arbeit tat. Alles veränderte
sich und die elitäre Kriegerkaste wollte es nicht wahrhaben, bis das
schweizer Fußvolk das burgundischen Heer 1476/77 in drei Schlachten
völlig vernichtete. Karl der Kühne fand dabei einen ähnlich
anonymen Tod wie König Johann. Doch selbst dann hielten die fahrenden
Ritter immer noch an ihren verblasenen Idealen fest, auch als sie, längst
von der Zeit überholt, von Cervantes' Don Quijote der Lächerlichkeit
preisgegeben wurden.
Nachdem im 16. Und 17. Jahrhundert die sogenannte "militärische
Revolution" das Kriegswesen grundlegend verändert hatte, gewöhnte
sich der Adel langsam daran seine Abenteuerlust im Offiziersdienst zu befriedigen.
Unter denen, die nicht zum Militär aber dennoch etwas erleben wollten,
kam die Kavalierstour in Mode. Vom Vater mit ausreichend Geld versehen
sollten sie auf einer meist mehrjährigen Europareise Fremdsprachen
und höfisches Verhalten lernen, Kontakte knüpfen und sich natürlich
kräftig die Hörner abstoßen. Viele verknüpften ihre
Tour bei Gelegenheit gerne mit einem kleinen Kriegszug. Die Johanniter
auf Malta boten nach wie vor die Möglichkeit in angemessener Gesellschaft
bei ein bisschen Seeraub Ehre zu gewinnen und gleichzeitig noch etwas für
sein Seelenheil zu tun. Dass aber auch solche Abenteuer an der harten Realität
scheitern konnten, zeigt das Schicksal der "sechshundert Narren"
beim Kampf um Candia.
Ähnlichen Schiffbruch als fahrender Ritter erlitt der sächsische
Adlige Heinrich von Uchteritz. Er wollte zum "Lob seiner Vorfahren" und
um ritterliche Tugenden zu erwerben auf Reisen gehen. "Wozu ich den Krieg
/ als das bequemste Mittel meines Zustandes und Gelegenheit nach beliebet
/ und im selben meine Fortun zu suchen". Mit einigen Gleichgesinnten machte
er sich 1650 auf den Weg über Norwegen nach Schottland, um sich
dort der royalistischen Armee gegen Cromwell anzuschließen. Schlecht
geführt wurde diese nach ihrem Einfall in England von Cromwell leicht
geschlagen und die Gefangenen nach London gebracht. Da in der englischen
Armee wenig Bedarf an fremden Glücksrittern bestand, und die Puritaner
äußerst praktisch denkende Menschen waren, wurden 1.300 der
Gefangenen nach Barbados transportiert, wo jeder für 800 Pfund Zucker
als Sklave verkauft wurde. Zusammen mit schwarzen und indianischen Sklaven
plagten sie sich nun auf den westindischen Zuckerplantagen. Uchteritz gelang
es schließlich einige deutsche Kaufleute von seiner adligen Abkunft
zu überzeugen. Nachdem er Wechsel für 450 Reichstaler unterschrieben
hatte, kauften sie ihn frei und schickten ihn mit einem holländischen
Schiff in die Heimat. Seine Leidensgenossen, unter denen sich auch einige
Sachsen befanden, blieben wo sie waren.