Die Fatemiyoun Division
Irans Kanonenfutter in Syrien
Als nach gut einem Jahr Bürgerkrieg Assads Truppen fast überall auf dem Rückzug waren oder gleich zu den Aufständischen übergingen, wurde sein Regime in letzter Minute durch die aktive Hilfe seiner Verbündeten Russland und Iran gerettet. Wie die Internationale Allianz gegen den Islamischen Staat (ISIS), die etwas später unter der Führung der USA gebildet wurde, hielten sie es für besser, nicht offiziell in diesen chaotischen und völlig unkalkulierbaren Krieg verwickelt zu werden. Sie beschränkten ihre Hilfe deshalb auf möglichst wenige unverzichtbare Spezialisten und stützten sich statt dessen auf Stellvertreter und Söldner. Russland schickte Wagner und Iran die Fatemiyoun Division.Nach iranischer Darstellung geht die Gründung der Fatemiyoun Division auf den Afghanen Ali-Reza Tavassoli zurück. Der hatte bereits in den 80er Jahren in einer afghanischen Freiwilligen-Brigade im Irak-Iran-Krieg gekämpft, später dann in Afghanistan gegen die Taliban und 2006 für Hisbollah im Libanon. Nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien machte er sich mit einer kleinen Gruppe afghanischer Veteranen auf den Weg, um die schiitischen heiligen Stätten bei Damaskus zu beschützen. Nach diesen bescheidenen Anfängen erhielt er die Unterstützung der Iranischen Revolutionsgarde, um unter den im Iran lebenden Afghanen weitere Freiwillige zu werben.
Man mag nun darüber spekulieren, ob die Idee wirklich von Tavassoli oder der Revolutionsgarde entwickelt wurde. Wahrscheinlich haben sich beide gefunden. Tavassoli suchte nach neuen Aufgaben und die Revolutionsgarde musste dringend Assad mit Truppen unterstützen. Also wurde Tavassoli bei der Werbung von Landsleuten unterstützt; Iran übernahm Sold und Ausbildung und sorgte für eine positive Berichterstattung in den Medien. Dabei wurden natürlich die idealistischen Motive der Freiwilligen groß in den Vordergrund gestellt und betont, dass diese angeblich allein aus religiösen und humanitären Motiven in den Kampf zogen.
Wie immer bei diesen Dingen, sah die Realität etwas nüchterner aus. Bei den in Iran lebenden Afghanen handelt es sich fast ausschließlich um Hazara, eine ethnische Gruppe, die in ihrer Heimat Diskriminierungen und Verfolgungen bis hin zu Pogromen ausgesetzt waren. Da sie ebenfalls schiitische Moslems waren und einen persischen Dialekt sprachen, lag es für sie nahe nach Iran zu flüchten. Zu den politischen Flüchtlingen kamen natürlich viele, die in Iran einfach ein besseres Leben suchten.
Trotz aller pan-schiitischen Propaganda, waren sie nicht willkommen. Viele Perser halten Afghanen für Kleinkriminelle, Schmuggler und Drogendealer. Normalerweise bleiben ihnen nur die härtesten und am schlechtesten bezahlten Arbeiten als Erntehelfer, Hilfsarbeiter, in Steinbrüchen oder Ziegeleien. Aber selbst da werden sie oft genug um ihren Lohn betrogen und befinden sich ständig in der Gefahr ausgewiesen zu werden.
2013 als in Iran mit der Rekrutierung für die Fatemiyoun Brigade begonnen wurde, lebten ungefähr 3 Millionen afghanischer Flüchtlinge im Land. Ungefähr eine viertel Million davon wurde jährlich zurück nach Afghanistan deportiert. Das half allerdings wenig, da 2013 die USA und ihre Verbündeten mit dem Rückzug aus Afghanistan begannen. Plötzlich fehlten Millionen westlicher Hilfsgelder, die Arbeitslosigkeit stieg sprunghaft; dazu kam die Angst vor einem Sieg der Taliban.
Fatemiyoun Kämpfer 2016 in Syrien
Es gab also mehr als genug potentielle Rekruten, für die ein Monatssold von umgerechnet 600-800 Dollar eine attraktive Alternative zum Elend in den Flüchtlingslagern darstellte. Dazu kamen andere Erleichterungen wie eine Reiseerlaubnis, mit der man sich frei im Land bewegen konnte oder die Aussicht auf eine permanente Aufenthaltserlaubnis. Außerdem kümmerte sich der Staat um die Familien der Gefallenen, der Märtyrer. So wurde der Sold weiter bezahlt, manche sollen sogar ein Haus erhalten haben.
Unter den Freiwilligen dominierten deshalb nicht die jungen Abenteurer, religiösen Heilsucher und verkrachten Existenzen, wie dies oft bei ISIS der Fall ist, sondern junge Ehemänner oder ältere Söhne, auf denen der Broterwerb der Familie lastete. Bei der großen Mehrheit standen materielle Gründe und dabei vor allem die Absicherung ihrer Familien im Vordergrund. Das soll allerdings nicht bedeuten, dass nicht religiöse und andere idealistische Motive hinzukamen.
Wahrscheinlich war es – wie fast immer in diesen Fällen – eine Mischung aus mehreren Gründen. Sold, Aufenthaltsgenehmigung und andere materielle Vorteile spielten sicher eine große Rolle. Dennoch wollten die meisten sicher auch für eine "gute, gerechte" Sache kämpfen. Und schließlich ist es für soziale Außenseiter oft besonders attraktiv sich als Kämpfer die notwendige Anerkennung zu verschaffen. Ein Freiwilliger formulierte diese Mischung sehr treffend: "Jedes mal, wenn ich im Iran verhaftet wurde, musste ich mich mit vier Millionen Toman verschulden, um die Schmiergelder zu bezahlen. Ich konnte kein Brot für meine Frau und mein Kind kaufen. Ich hatte keine andere Wahl als hierherzukommen. Jetzt habe ich legale Dokumente und habe eine Hypothek für ein Haus. Mein Leben hat Ordnung. Vorher war ich ein dreckiger Afghane, jetzt bin ich ein Herr."
Wie in allen modernen Staaten werden auch in Iran die idealistischen Motive der Freiwilligen herausgestellt (Söldner kämpfen immer nur für die anderen). Angeblich kämpften sie in Syrien allein um die heiligen Stätten der Schiiten zu beschützen. Das iranische Staatsfernsehen berichtete ausführlich von ihren Opfern und der Beisetzung gefallener "Märtyrer".
Vor allem durch die heroische Berichterstattung in den iranischen Medien wurde der Kampf der afghanischen Kämpfer schnell bekannt und populär. Es meldeten sich zahlreiche Freiwillige und die anfängliche Brigade konnte zur Division erweitert werden. Viele Rekruten wurden jedoch auch von der Polizei geliefert. Afghanen, die wegen illegalen Aufenthalts oder anderer kleinerer Vergehen verhaftet worden waren und auf ihre Abschiebung warteten, wurden gezielt von Werbern angesprochen. Vor der Alternative die Kosten für die Abschiebung aufbringen zu müssen oder für einen äußerst attraktiven Sold in einen ehrenhaften Krieg zu ziehen, entschieden sich viele für letzteres.
Obwohl sicher oft die Notlage potentieller Rekruten ausgenutzt wurde und sich auch mehrere Minderjährige unter den Gefallenen nachweisen lassen, kann man trotzdem nicht von Zwangsrekrutierungen sprechen. So wurden Freiwillige, auch nachdem sie bereits unterzeichnet hatten, meistens wieder aus dem Dienst entlassen, wenn Familienangehörige dies nachdrücklich forderten.
Die Rekruten erhielten eine kurze militärische Ausbildung von zwei bis vier Wochen und wurden dann direkt nach Syrien an die Front geschickt, wo sie bei den schweren Kämpfen 2015, 2016 entscheidend mit dazu beitrugen Assads wankendes Regime zu stützen. Während ihres Einsatzes in Syrien wurden einige auch an russischen schweren Waffen wie Artillerie und Panzern ausgebildet. Bei den russischen Ausbildern handelte es sich wahrscheinlich um Wagner-Söldner, da sich offiziell keine russischen Truppen in Syrien befanden. Andere wurden von libanesischen Hisbollah-Kämpfern gezielt für den Häuserkampf als Scharfschützen geschult.
Entgegen der ursprünglichen Propaganda beschränkte sich ihr Einsatz allerdings nicht auf den Schutz der heiligen Stätten bei Damaskus. Sie kämpften überall, wo sie gebraucht wurden, darunter in einigen der härtesten Schlachten des gesamten Krieges wie in Palmyra und Deir Ezzor. Dabei wurden sie oft als Stoßtruppen eingesetzt, um wichtige feindliche Positionen zu erobern, die dann der syrischen Armee übergeben wurden. Als sehr vorteilhaft erwies sich auch, dass sie keine Beziehungen zu den lokalen Netzwerken aus Clans, Großfamilien und anderen lokalen Gruppen hatten, die oft zur Kollaboration mit dem Gegner führten, bis zum Überlaufen ganzer Truppenteile. Wie bei vielen klassischen Söldnerformationen war auf sie als Fremde einfach mehr Verlass. Man übergab ihnen deshalb auch oft wichtige Stellungen, die von syrischen Regierungstruppen eventuell aufgegeben worden wären.
Ihre Verluste waren entsprechend hoch. Offiziell wurde zwar lediglich der Tod von 900 "Märtyrern" bestätigt. Schätzungen gehen aber von mindestens 2.000 Gefallenen und .8.000 Verwundeten aus. Ali-Reza Tavassoli der Gründer und erste Kommandeur der Division fiel bereits im Februar 2015 in Daraa in Südsyrien. Er wurde mit einer großen Zeremonie als Märtyrer in Iran beigesetzt. Das Kommando der Division wurde anschließend von iranischen Offizieren der Revolutionsgarde übernommen. Auch die Schätzungen über die Anzahl der rekrutierten Kämpfer gehen weit auseinander. Al Jazeera ging 2018 von gut 20.000 aus. Es gibt aber auch durchaus ernst zu nehmende Artikel die 50.000 für realistisch halten, was bei den hohen Verlusten, einer Kampfkraft von über 10.000 Mann und dem langen Einsatz (2013-2017) durchaus Sinn macht.
Die Verluste wurden durch neue afghanische Rekruten mehr als ausgeglichen und Stärke und Bedeutung der Fatemiyoun Division wuchsen. Die Werbung wurde erst im November 2017 eingestellt, nachdem Irans Präsident Hassan Rouhani offiziell den Sieg über ISIS erklärt hatte. Anschließend wurde die Einheit durch die Entlassung unerwünschter Soldaten verkleinert, allerdings nicht vollständig aufgelöst.
Fatemiyoun Kämpfer 2018
In einer Zeit, in der Stellvertreterkriege (Proxy-Wars) populärer sind als je zuvor, ist eine bewährte Einheit wie die Fatemiyoun Division – und sei es nur als Kader - für Iran ein ideales Werkzeug. Iran kann allein mit ihrer Präsenz drohen oder auch aktiv in Konflikte im Golan, dem Libanon, Yemen oder Afghanistan eingreifen ohne selbst offiziell darin verwickelt zu werden. Wie viele traditionelle Söldnereinheiten könnte die Division sogar auch bei inneren Unruhen in Iran verwendet werden. Während der jüngsten Unruhen wurde von der Opposition behauptet, dass einige tausend "afghanische Sölnder" (i.e. Kämpfer der Fatemiyoun Division) nach Isfahan verlegt worden seinen, um die dortigen Proteste zu unterdrücken.
Der Großteil der Kämpfer ist anscheinend inzwischen nach Afghanistan zurückgekehrt und schlägt sich dort äußerst bescheiden durch. Die großartigen Versprechungen von permanenten Aufenthaltsgenehmigungen scheinen nur in Einzelfällen eingelöst worden zu sein. Die Heimkehrer sind in Afghanistan äußerst ungern gesehen und müssen jede Organisation oder Treffen vermeiden, da die herrschenden Taliban Veteranen der Fatemiyoun Division als Fünfte Kolonne Irans betrachten.
Die militärische Rekrutierung von Flüchtlingen und Emigranten ist absolut nichts Neues sondern zieht sich durch die gesamte Söldnergeschichte wie ein roter Faden. In der großen Zeit der Nationalstaaten und Ideologien hatte man zwar etwas Abstand davon genommen, da man ja über Massen an Patrioten als Kanonenfutter verfügte. Doch nachdem diese inzwischen weltweit knapp geworden sind, greift man überall wieder auf altbewährte Methoden zurück.
Bei all dem Zynismus der diesen Praktiken zugrunde liegt, scheint es geradezu beruhigend, dass selbst ein ultrakonservatives Land wie Iran von der Moderne nicht verschont wird. Hatte man dort noch im Irak-Iran-Krieg (1980-88) zigtausende Kindersoldaten mit Paradiesschlüsseln ausgerüstet und als Minenräumer verheizt, so schreckt man heute – ganz wie im dekadenten Westen und in Russland - vor unpopulären Rekrutierungen zurück und schickt statt dessen Söldner an die Front.
Literatur:
Tobias Schneider
The Fatemiyoun Division. Afghan Fighters in the Syrian Civil War
Middle East Institute 2018
Ahmad Shuja Jamal
The Fatemiyoun Army: Reintegration into Afghan Society
United States Institute of Peace 2019
Lars Hauch
Understanding the Fatemiyoun Division: Life Through the Eyes of a Militia Member
Middle East Institute 2019
Basil Nicobin
Afghan Shia Fighters in the Syrian Conflict. An empirical study on Fatamiyyon Corps’ rise and involvement in the Syrian civil war
Oslo 2019
Dr. Göktuğ Sönmez
Foreign Shiite Fighters in the Syrian Civil War: Actors, Recruitment Strategies and Iran’s Regional Role
Journal of Security Studies. Year: 24 Volume: 24 Issue: 1 December 2022 p.158-173
© Frank Westenfelder