Die Türken
Sklaven, Söldner und Eroberer.
Je mehr die anfangs rasante arabische Expansion im 8. Jahrhundert an
Schwung verlor, desto mehr verstärkten sich die inneren Konflikte
in der Welt des Islam. Dabei rangen nicht nur die alten arabischen Familien
um Macht und Einfluss, sondern auch die Neubekehrten, die inzwischen einen
Großteil der Truppen stellten, forderten immer lauter ihren Anteil.
Als es schließlich den Abbasiden 750 gelang, die Herrschaft im Kalifat
an sich zu reißen, stützten sie sich dabei vor allem auf die
persische Reiterei aus Chorasan. Zwar konnten auch die Abbasiden ihre Herkunft
von der Familie des Propheten belegen, dennoch verdrängten unter ihnen
die Perser die Araber als dominierendes Element im Kalifat. Am deutlichsten
wurde dies durch die Verlegung des Regierungssitzes nach Bagdad.
Allerdings beruhigte sich die Lage dadurch nicht. Ganz im Gegenteil,
es gab nun noch mehr Fraktionen, die an die Macht wollten. Die Abbasiden
kämpften nicht nur gegen Araber, Perser und verschiedene Sekten, sondern
auch gegen ihre eigenen Onkel, Brüder und Söhne. Neben den eigenen
Familienmitgliedern bildete für jeden Kalifen der arabische Adel die
größte Gefahr. Schließlich war das Misstrauen so groß,
dass in manchen Regionen gar keine Araber mehr in die Armee aufgenommen
wurden. Aber auch den persischen Generälen gegenüber war äußerste
Vorsicht geboten. Als Schutz vor den Verschwörungen der Araber und
als Gegengewicht zum chorasanischen Militär begann deshalb der Kalif
Al-Muetasim (833-842) mit dem Aufbau einer besonders treu ergebenen Sklavengarde.
Hierzu ließ er auf dem Sklavenmarkt junge Türken aufkaufen,
die dann über Jahre ausgebildet wurden. An Angeboten fehlte es nicht.
Die Türkvölker der zentralasiatischen Steppen fielen immer wieder
in Chorasan ein und provozierten dadurch Strafexpeditionen, wodurch zahlreiche
Gefangene gemacht wurden. Vor allen Dingen aber führten die türkischen
Stämme unentwegt Krieg untereinander, und dabei waren Sklaven die wichtigste
Beute, die dann an die Händler aus Buchara oder Samarkand verkauft
wurde.
Die idealen Rekruten sollten nicht zu alt sein, so dass sie noch formbar
waren. Andererseits aber auch schon mit den Kriegstechniken ihres Volkes
vertraut. An den Türken schätzte man besonders ihre Fähigkeiten
als berittene Bogenschützen. Die Araber selbst kämpften bevorzugt
mit der Lanze, und wenn sie Bogenschützen einsetzten so meistens zu
Fuß. Obwohl die Chorasanier zwar auch den Bogen zu Pferd verwendeten,
so scheinen sie doch nicht die Meisterschaft der Türken erreicht zu
haben, denen man nachsagte, dass sie im Galopp sogar Vögel erlegt
hätten.
Ihr größtes Plus war aber, dass sie als Nomaden noch weitaus
mehr als die Chorasanier an Härten und Strapazen gewohnt waren. Ein
unschätzbarer Vorteil in Zeiten als bei fast allen Feldzügen
die Hauptverluste noch durch Krankheiten und Hunger entstanden. In den
arabischen Quellen finden sich deshalb zahlreiche Belege, die genau diese
Eigenschaften hervorheben: "Die Türken bilden die Armeen der Kalifen,
wegen ihrer Überlegenheit über alle anderen Rassen in Verwegenheit,
Tapferkeit, Mut und Unerschrockenheit." Oder: "Die türkischen Nachbarn
der Chorasanier sind die tapfersten unter all ihren Feinden, wie auch die
härtesten in ihrem Unglauben. Sie sind auch die härtesten im
Ertragen von Elend und am wenigsten Verweichlichung und Luxus ausgesetzt."
Viele Araber waren dabei anscheinend der Meinung, dass sie selbst in den
wenigen Generationen seit ihren großen Eroberungen verweichlicht
und dekadent geworden waren. So schreibt ein Autor: "Immer wenn sich Menschen
in fruchtbaren Ebenen niederlassen, Bequemlichkeiten ansammeln und sich
an ein Leben in Luxus und Überfluss gewöhnen, geht ihre Tapferkeit
in dem selben Ausmaß zurück wie Wüsten- und Wildnisgewohnheiten
abnehmen."
Es war sicher leicht diese Jugendlichen, die beim Anblick Bagdads die
Augen vor Staunen nicht mehr zubekamen, für die eine reichliche Mahlzeiten
ein Festessen und ein gutes Schwert die Waffe eines Fürsten waren,
mit Geschenken an sich zu binden. Zu Treue und Loyalität musste man
sie gar nicht erst erziehen, das waren bereits essenzielle Werte bei ihren
Stämmen gewesen. Und der Kalif ließ sie verwöhnen; er beschenkte
sie mit guten Pferden, prächtigen Kleidern und Waffen. Zusätzlich
erhielten sie regelmäßigen Sold und lebten in speziellen Quartieren.
Als es aber in Bagdad weiterhin häufig zu Unruhen kam, an denen die
Türken der Garde ihren Anteil hatten, ließ der Kalif eine Tagesreise
stromaufwärts in Samarra eine neue Residenz erbauen, in die er sich
zurückzog. Dass seine Gardesklaven dort keinen engen Kontakt mit dem
Volk hatten, war wahrscheinlich voll beabsichtigt.
Die Hauptaufgabe der Garde lag sicher darin, die Macht des Kalifen im
Inneren zu sichern. Da sie sich dabei sehr gut bewährte und es den
Kalifen im Gegensatz zu westlichen Herrschern nicht an Geld fehlte, erreichte
sie immer größere Dimensionen. Historiker gehen inzwischen von
bis zu 70.000 Militärsklaven aus, bei denen Angehörige der Türkvölker
den Löwenanteil stellten. Unter diesen Umständen wurden natürlich
auch immer wieder bedeutende Kontingente dazu abgeordnet, um größere
Aufstände in anderen Provinzen wie zum Beispiel in Ägypten niederzuwerfen.
Aber die Türken bewährten sich auch gegen den äußeren
Feind. Als Byzanz die Unruhen im Kalifat dazu nutzen wollte, seinen Herrschaftsbereich
auszudehnen, zog der Kalif 838 mit einem großen Heer, in dem sich
auch 10.000 türkische Militärsklaven befanden, nach Anatolien.
Bei der folgenden Schlacht in der Nähe von Dazimon konnten die Byzantiner
relativ schnell die arabische und chorasanische Reiterei werfen; lediglich
die Türken hielten stand. Dabei überschütteten sie die Byzantiner
konstant mit einem vernichtenden Pfeilhagel. Nachdem sie den Byzantinern
auf diese Weise schwere Verluste zugefügt und Teile der geflohenen
Truppen wieder gesammelt hatten, gingen sie zum Gegenangriff über.
Nur ein plötzlich hereinbrechendes Unwetter rettete die Byzantiner
und den Kaiser vor der vollständigen Vernichtung.
Dass der Sieg keine größeren Folgen hatte, lag lediglich
daran, dass der Kalif wegen eines Aufstandes seines Neffen mit seinem Heer
schnellstens nach Bagdad zurück musste. Obwohl die Ordnung schnell
wieder hergestellt war, wurde das Kalifat in den folgenden Generationen
immer stärker von Unruhen und Rebellionen erschüttert, an denen
die Türken einen wachsenden Anteil hatten. Das grundlegende Problem
der Sklavensöldner war, dass ihre Loyalität auf ihren Herrn und
ihre persönlichen Vorgesetzten beschränkt war. Schon nach wenigen
Jahrzehnten hatten sie sich zu einer Art Prätorianergarde entwickelt,
die demjenigen diente, der ihnen am meisten versprach. Waren sie für
Al-Muetasim noch ein williges Werkzeug gewesen, so wurde bereits dessen
Nachfolger von ihnen auf Betreiben seines eigenen Sohnes ermordet.
In den folgenden Bürgerkriegen spielten türkische Truppen
unter eigenen Heerführern eine immer größere Rolle. Sie
setzten Kalifen ein oder stürzten sie und griffen zuerst in den entfernten
Provinzen selbst nach der Macht. So gründeten türkische Generäle,
deren Väter einst noch auf dem Sklavenmarkt gekauft worden waren, in
Afghanistan und Ägypten eigene Dynastien. Fast alle diese Statthalter
und selbstherrlichen Söldnerführer persischer, arabischer oder
türkischer Herkunft, die nun im Kalifat um die Vorherrschaft kämpften,
besorgten sich ihre besten Truppen aus den Steppen nördlich von Chorasan.
Längst ließ sich der Bedarf auf dem Sklavenmarkt nicht mehr
decken; zudem war durch die vielen Bürgerkriege an eine geordnete
Finanzierung nicht mehr zu denken. So ging man langsam dazu über,
ganze Stämme anzuwerben. Sold wurde dabei oft nur noch am Anfang bezahlt,
anschließend sollten sie sich durch Raub selbst entlohnen und später
Land für ihre Dienste erhalten.
An Nachschub herrschte kein Mangel. In Zentralasien waren im 9. Jahrhundert
wieder einmal die Völker in Bewegung gekommen. Ganz weit im Osten
hatten die Uighuren die Türken vertrieben, nur um dann selbst den
Kirgisen zum Opfer zu fallen. Es handelte sich selten um große
Eroberungszüge, sondern mehr um Stämme, Familien und Clans, die
ihre alten Weideplätze verlassen mussten und sich nun langsam nach
Westen bewegten und ihrerseits andere Gruppen verdrängten. So kamen
Petschenegen und Kumanen in die Gebiete nördlich der Donau und verdrängten
dort die Magyaren nach Ungarn.
Wenn sie sich stark genug fühlten, versuchten diese Völker
ihr Glück als Eroberer. Da es ihnen jedoch nur selten gelang, gut
befestigte Plätze einzunehmen, beschränkten sich ihre Aktionen
im Kontakt mit mächtigeren Staaten meistens auf Plünderungszüge.
Kamen sie nun an einer halbwegs gut verteidigten Grenze zum stehen, wurden
aber weiterhin von nachrückenden Stämmen bedroht, so blieb ihnen
oft gar nichts anderes übrig als Solddienst zu nehmen, um dafür
ein Ansiedlungsrecht für sich und ihre Familien zu erhalten.
Auf diese Weise trat kurz nach 1000 ein kleiner Stamm von Turkmenen
aus dem Gebiet am Aralsee in den Dienst eines lokalen Herrschers in Transoxanien.
Der Anführer dieses Stammes trug den Namen Seldschuk
und war erst im hohen Alter zum Islam übergetreten. Seine Nachkommen
kämpften zuerst auch noch für verschiedene Herrscher und zogen
dabei immer neue Turkmenen nach, bis sie schließlich selbst die Macht
an sich rissen. 1055 zogen sie dann von einer der streitenden Fraktionen
um Hilfe gerufen in Bagdad ein und bekamen vom Kalifen als Sultane die
Ausübung der weltlichen Macht im Islam übertragen. Das Reich
der Seldschuken wurde dadurch zum Hauptgegner von Byzanz.
Dort hatte man die langen inneren Kämpfe im Kalifat genutzt, um
im Osten verlorene Gebiete wie Teile Syriens und Armeniens zurückzuerobern.
Byzanz war zwar dank energischer Reformen wieder zu großer Macht
aufgestiegen, aber spätestens seit dem 11. Jahrhundert vernachlässigten
die Kaiser die Bauernsoldaten, die das Rückgrat des Heeres gebildet
hatten. Es schien einfacher, den Launen des Adels entgegenzukommen und
in Krisenzeiten Söldner zu mieten. Dabei gab es Feinde genug. Nach
der Eroberung Süditaliens fielen die Blicke der Normannen als nächstes
auf Byzanz, das sie für eine viel lohnenswertere Beute hielten. Vom
Norden drängten immer neue slawische Stämme auf den Balkan, seit
kurzem standen die türkischen Petschenegen an der Donau und hinter
diesen kamen die Kumanen. Zudem begannen nun auch noch die Seldschuken
damit, die unruhigsten Turkmenenstämme nach Kleinasien abzuschieben.
Byzanz war umgeben von Feinden, und nahm sie fast alle in Sold. Man
schlug die einen mit Hilfe der anderen, vertraute auf die Macht des Geldes,
die Intrigen erfahrener Diplomaten und die Assimilationskraft des uralten
Imperiums. Man benötigte Söldner besonders bei der Kavallerie,
da sich immer weniger der verarmten Bauernsoldaten die teure Ausrüstung
leisten konnten. Zwar stellte auch der eigene Militäradel gepanzerte
Reiter, die besten wurden jedoch im Westen unter den "Lateinern" oder "Franken"
geworben, wie Normannen, Italiener, Deutsche und Franzosen generell genannt
wurden. Am dringendsten war der Bedarf aber bei den berittenen Bogenschützen.
Dies wurde deutlich in den 1040er Jahren, als die byzantinische Armee mehrere
schwere Niederlagen gegen die Petschenegen erlitt, und bald darauf als
die Seldschuken mit den ersten größeren Einfällen in Anatolien
begannen.
Konnten die Byzantiner noch selbst schwere Kavallerie aufbringen, auch
wenn diese nicht die Qualität der Lateiner erreichte, so waren sie
bei berittenen Bogenschützen fast ausschließlich auf Söldner
der verschiedenen Turkvölker angewiesen. Wenn Byzanz auch bei weitem
nicht über die finanziellen Mittel der Kalifen verfügte, um in
großem Stil Militärsklaven aufzukaufen, so blieb doch die alte
Methode, Kriegsgefangene zu verwenden. Ein Chronist berichtet z. B. von
15.000 kriegsgefangenen Petschenegen, die zuerst auf dem Balkan angesiedelt
und dann bei den Kämpfen in Anatolien eingesetzt wurden. Zusätzlich
warb man Hilfskontingente bei verschiednen Völkern, die normalerweise
am Ende des Feldzuges wieder zurückkehrten, oder nahm ganze Stämme
in Dienst, die dafür Siedlungsland erhielten.
Die Petschenegen stellten einige Zeit die größten Kontingente,
dazu kamen Kumanen, Oghuzen (oft auch nur Uz oder Uzoi genannt) und immer
mehr Seldschuken. Die Werbung wurde dadurch erleichtert, dass sich diese
Völker nur selten unter einer straffen Führung zusammenfanden.
Viele Stämme und Clans waren in Bewegung, wurden von anderen bedrängt
und mussten neue Weideplätze suchen. Wenn sie kein Land erobern oder
ausreichend Beute machen konnten, war der Solddienst für sie oft die
einzige Möglichkeit zu überleben. Vor allem in den umkämpften
Gebieten Anatoliens waren Übertritte von beiden Seiten keine Seltenheit.
So nutzte ein Schwager des Seldschukensultans Alp Arslan seinen Sieg über
eine byzantinische Abteilung, um in Verhandlungen über ein Bündnis
zu treten und trat dann mit seiner Truppe in byzantinische Dienste. Alp
Arslan forderte vergeblich seine Auslieferung.
Nachdem sich die Lage im Osten weiter verschärft hatte und die
Seldschuken Teile von Armenien und Syrien erobert hatten, sammelte Kaiser
Romanos IV. 1071 ein mächtiges Heer, um die Lage dort endgültig
zu bereinigen. Den Kern dieser Streitmacht bildete zwar immer noch die
schwere griechische Kavallerie, verstärkt durch eine große Zahl
schlecht ausgerüsteten Fußvolks. Zusätzlich hatte man noch
einige tausend Franken unter dem Kommando des Normannen Roussel von Bailleul
geworben. Eine entscheidende Bedeutung kam aber großen Kontingenten
von Petschenegen und Oghuzen zu, die Aufklärung und Flankensicherung
übernehmen sollten.
Um den mobileren Gegner stellen zu können, teilte Romanos sein
Heer. Allerdings setzte sich der kleinere Teil unter dem Normannen Roussel
bereits beim ersten Feindkontakt ab, während Romanos die Festung Manzikert
in Armenien zurückeroberte. Alp Arslan, der mit seinen Truppen in
der Nähe stand, zog sich vor den weit überlegenen Byzantinern
zurück, ließ sie aber auf dem Marsch unentwegt von seinen schnellen
Reitern belästigen. Die Lage wurde dann richtig kritisch, als die
Petschenegen und Oghuzen von den Byzantinern zum Feind überliefen.
Ob sie dies aus Verbundenheit mit ihren türkischen Brüdern taten,
oder ob ihnen Alp Arslan einfach mehr versprochen hatte, wird man wohl
nie wissen. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie genug von den Intrigen
und Spannungen im byzantinischen Heer mitbekommen hatten und zu der Einsicht
gekommen waren, dass das Unternehmen unter keinem guten Stern stand.
Obwohl er nun über keine berittenen Bogenschützen mehr verfügte,
entschied sich Romanos entgegen aller Regeln der damaligen byzantinischen
Kriegskunst zur Schlacht. In dieser zogen sich dann die Seldschuken den
ganzen Tag vor den nachrückenden Byzantinern zurück und setzen
mit ihren Bogenschützen den Flügeln stark zu. Erst als die Byzantiner
am Spätnachmittag schon schwer angeschlagen kehrt machten, gingen
die Türken zum Gegenangriff über. Die Sache war für die
Byzantiner noch nicht verloren, da hinter ihrer vorderen Linie noch eine
starke Nachhut unter der Führung eines gewissen Andronicus Ducas kam,
die durchaus noch entscheidend hätte eingreifen können. Das Problem
war nur, dass die Familie Ducas ebenfalls nach dem Thron strebte. Und so
ließ Ducas die Meldung verbreiten, der Kaiser sei gefallen, und zog
mit der gesamten Nachhut relativ unbeschadet ab.
Die Schlacht von Manzikert gilt als einer der schwärzesten Tage
in der byzantinischen Geschichte, durch die Anatolien das Kernland von
Byzanz verloren ging. Und manchmal kann man lesen dass der Verrat der türkischen
Söldner die Ursache dafür war. Davon entspricht allerdings wenig
der Wahrheit. Sicher stimmt es, dass durch deren Überlaufen, die Byzantiner
ihre wichtigste Hilfstruppe verloren. Doch Romanos hätte die Schlacht
unter diesen Umständen nicht annehmen müssen; Alp Arslan hatte
kurz vorher noch einen äußerst günstigen Frieden angeboten.
Verrat übten außerdem auch andere. Roussel von Bailleul begann
wenig später mit seinen fränkischen Söldnern damit, aus
dem zerfallenden Reich ein eigenes Fürstentum herauszuschneiden. Am
schlimmsten - wenn man diese Kriterien benutzen möchte - war aber
ohne Zweifel der Verrat von Ducas, der viel weitreichendere Folgen haben
sollte.
Denn mit der Niederlage von Manzikert ging Anatolien nicht verloren,
sondern in dem folgenden Bürgerkrieg, in dem alle Parteien ihre türkischen
Söldner mit Land und Städten in eben diesem Anatolien entlohnten.
Alp Arslan hatte Kaiser Romanos einen überaus günstigen Frieden
gewährt und sich mit einem hohen Lösegeld statt territorialer
Gewinne begnügt. Als der Kaiser aber nach Konstantinopel zurückkehren
wollte, hatte dort bereits ein Verwandter von Andronicus Ducas die Regierung
als Michael VII. übernommen. Romanos wurde kurz darauf von Andronicus
Ducas gefangen genommen und geblendet, was er nicht lange überlebte.
Damit nicht genug. Bald darauf rebellierte ein Onkel des neuen Kaisers
in Kleinasien und auch noch der Normanne Roussel von Bailleul. Beide suchten
türkische Hilfe und wurden letzten Endes von türkischen Truppen
geschlagen, denen man für ihre Dienste Land überlassen musste
- Geld war inzwischen knapp geworden.
Schließlich erhoben sich die beiden mächtigsten Generäle
Bryennius und Botoneiates. Botoneiates war Stratege von Anatolikon und
konnte deshalb den Türken die besten Angebote machen, so dass er mit
ihrer Hilfe seinen Gegner schlagen und den Thron gewinnen konnte. Aber
auch danach gingen die Aufstände weiter. Jeder benötigte türkische
Söldner, mit denen nicht nur Schlachten geschlagen, sondern auch die
eroberten Städte besetzt wurden. Bis schließlich Botoneiates
fähigster Feldherr Alexios Komnenos 1081 selbst die Macht eroberte
und die relativ stabile Dynastie der Komnenen gründete.
Erst jetzt nach 10 Jahren Intrigen und Bürgerkrieg war Anatolien
verloren. Die Türken hatten es aber nicht in einem organisierten Siegeszug
erobert, sondern man hatte es ihnen einfach als Sold überlassen oder
sie dort als Truppen stationiert. Dass sie anschließend nicht mehr
daran dachten abzuziehen, versteht sich wohl von selbst. Da Alexios gleich
nach der Regierungsübernahme mehrere Jahre gegen die Normannen kämpfen
musste, die in Dyrrhachion gelandet waren, übertrug er den Seldschuken
das besetzte Land ganz offiziell und konnte im Gegenzug dafür in ihren
Gebieten ausreichend Söldner werben. Seine Tochter Anna schreibt dazu:
"Da er wusste, dass die Lateiner seinen Truppen an Zahl weit überlegen
waren, holte er die Türken aus dem Osten."
Auf Dauer wurden die Seldschuken Kleinasiens jedoch zur gefährlichsten
Bedrohung für Byzanz. Deshalb wandte sich Alexios auf der Suche nach
neuen Truppen schließlich an den Papst und gab durch dieses Hilfsersuchen
den Anstoß zum ersten Kreuzzug von 1096. Während der Kreuzzüge
wurden die Seldschuken selbst zu einer der Hauptkriegsparteien. Man sollte
jedoch nicht denken, dass deshalb, oder gar weil nun alle im Namen Gottes
kämpften, die Verwendung türkischer Söldner ein Ende gefunden
hätte.
Die Kreuzritter lernten in Palästina schnell die Bedeutung leichter
Kavallerie, besonders die berittener Bogenschützen. Allerdings schreckte
man davor zurück, in diesen "heiligen" Kriegen Moslems zu beschäftigen.
Man verfügte auch nicht über große Provinzen, die man an
verbündete Stämme hätte abtreten können; dafür
aber über die reichen Einkünfte von Palästina. Und so stößt
man bald auf die so genannten "Turkopolen" - nach dem griechischen "Tourkopouloi",
d.h. Söhne von Türken -, die schließlich bis zu einem Drittel
der aktiven christlichen Streitkräfte stellten; in den Garnisonen
noch mehr.
Die Turkopolen wurden oft unter christlichen Türken angeworben.
Bei den vielen Gebietswechseln in Anatolien und Syrien war es im Laufe
der Zeit immer wieder zu Glaubenübertritten gekommen. Man nimmt aber
auch an, dass viele Kriegsgefangene konvertierten und dann als Söldner
dienten, um einem schlimmeren Schicksal zu entgehen. Die wenigen überlieferten
Namen deuten jedenfalls oft auf eine moslemische Herkunft. Zudem kämpften
die Turkopolen meistens als berittene Bogenschützen, was man den einheimischen
Christen wohl schlecht so schnell hätte beibringen können. Im
Gegensatz zu europäischen Kriegern wurden Turkopolen bei einer Gefangennahme
meistens ohne Gnade exekutiert. Das heißt, man hielt sie auf der
Gegenseite für Verräter, was auch für einen kurz zuvor stattgefundenen
Glaubenswechsel spricht. Auch in der byzantinischen Armee dienten zunehmend
Turkopolen, was sich wahrscheinlich schon allein aus der teilweisen Rückeroberung
Kleinasiens ergab.
Durch die gewaltigen Eroberungen der Mongolen Mitte des 13. Jahrhunderts
kamen die türkischen Völker erneut in Bewegung. Die Sklavenmärkte
wurden überschwemmt mit menschlicher Beute, manche Stämme verkauften
in der Not sogar ihre eigenen Kinder. Das Sultanat von Delhi und die ägyptischen
Aiyubiden besorgten sich dort die Rekruten für ihre Elitetruppen aus
türkischen Sklaven, die dann oft genug selbst die Macht übernahmen.
Baibars der große Mamelukenherrscher von Ägypten, der den Vormarsch
der Mongolen stoppte und mehrmals die Kreuzfahrer schlug, war noch als
Jugendlicher selbst von den Mongolen als Sklave verkauft worden. Die meisten
Stämme drängten weiter nach Kleinasien gegen die byzantinische
Grenze, aber einige kamen auf ihrer Flucht über Nordafrika sogar bis
ins maurische Spanien, wo in den Kriegen immer wieder kleine Kontingente
türkischer Bogenschützen auftauchen. Meistens handelte es sich
nur um ein paar hundert Krieger, die mit ihren Familien eine neue Heimat
suchten und dabei ihre Dienste offerierten.
Wie solche Dienstverhältnisse manchmal zustande kamen berichtet
Ramon Muntaner, der 1302 mit der großen
katalanischen Kompanie in
die Dienste von Byzanz getreten war. Die Kompanie kämpfte zuerst gegen
die Türken in Kleinasien, begann jedoch bald damit, in bester fränkischer
Tradition eigene Ziele zu verfolgen. Nachdem die Byzantiner ihren Anführer
samt Gefolge ermordet hatten, begannen die Katalanen von Gallipoli aus
einen grausamen Raubkrieg. Nach ihren ersten Erfolgen fand sich dort ein
türkischer Hauptmann mit knapp 3.000 Kriegern ein, die zudem von ihren
Frauen und Kindern begleitet wurden, und bot seine Dienste an. Für
die Katalanen war es eine willkommene Verstärkung und Muntaner ist
voll des Lobes: "Und wenn jemals Leute ihrem Herrn gehorchten, so waren
sie es. Und wenn jemals Männer loyal und treu waren, so waren sie
es, und sie waren sehr erfahren im Umgang mit Waffen."
Als es den Katalanen kurz darauf gelang, die türkischen Söldner
des Kaisers zu schlagen, nahmen sie von diesen die Überlebenden in
Dienst. Außerdem scheinen auch zahlreiche Turkopolen der Byzantiner
übergelaufen zu sein, die dann immer mit den Türken zusammen
eingesetzt wurden. Gemeinsam zogen sie mit den Katalanen jahrelang plündernd
durch Griechenland und zerschlugen mit ihnen den letzten Kreuzritterstaat
in der Schlacht am Kephissos 1311. Obwohl die Katalanen sie aufforderten,
sich mit ihnen auf dem eroberten Peleponnes niederzulassen, wollten sie
doch mit ihrer Beute nach Kleinasien zurück, wurden dann aber auf
dem Rückweg vernichtet.
Byzanz hatte mit Kleinasien seine traditionellen Hauptrekrutierungsgebiete
verloren, wurde aber weiterhin von allen Seiten bedroht. Die Türken
in Anatolien waren längst als "Rum"-Seldschuken bekannt. Früher
hatte man im Islam mit "Rumi" die Rhomäer (Römer = Byzantiner)
bezeichnet; inzwischen war der Name aber auf die Türken übergegangen.
Bei ihren Kämpfen gegen Serben, Katalanen Genuesen und Venezianer
blieb den Byzantinern gar nichts anderes übrig als bei den türkischen
Fürsten Kleinasiens Söldner zu werben, und auf diese Weise holte
man dann die Osmanen nach Europa.