Die Vitalienbrüder
eine Freie Kompanie im Ostseeraum.
Vielen sind die sogenannten Vitalienbrüder unter ihren Anführern
Klaus Störtebeker und Godeke Michels als bloße Seeräuber
bekannt, doch dabei handelt es sich lediglich um ihre, später romantisierte
Endphase. Während ihrer großen Zeit waren sie eine Söldnerformation
ähnlich den Freien Kompanien in Frankreich und Italien. Schon ihr
Name deutet auf diese Verbindung. Die Kaper in der Ostsee wurden vor dieser
Zeit lediglich als Seeräuber oder Ausleger bezeichnet. "Vitaillers"
dagegen nannte man in Frankreich Söldner, die sich ihre eigene Verpflegung
raubten. über die Niederlande kam dieser Begriff ins Niederdeutsche
als Synonym für Räuber, Plünderer und fouragierende Söldner.
Der Name "Vitalienbrüder" entstand deshalb nicht durch die Versorgung
des belagerten Stockholms mit Lebensmitteln, wie oft fälschlich kolportiert
wird, sondern "dewile se nicht up Besoldunge dehneden, sondern up der egene
Eventuhre", wie ein Chronist schrieb. Auch die Bezeichnung "Brüder",
ihr späterer Name "Likedeeler" (Gleichteiler) und ihr Wahlspruch "Gottes
Freunde und aller Welt Feinde" sind deutliche Gemeinsamkeiten mit den Freien
Kompanien des hundertjährigen Krieges.
Wie in Frankreich und Italien schuf auch im Ostseeraum ein langer Krieg
mit vielen Fraktionen und wechselnden Bündnissen die Voraussetzungen
für die Entstehung einer eigenständigen Kompanie. In der Auseinandersetzung
zwischen Mecklenburg und Dänemark um Schweden formierten sich die
Vitalier zuerst als mecklenburgische Söldner auf eigene Rechnung und
begannen damit ihr Eigenleben als typische Soldkompanie des Spätmittelalters.
Ihre Blütezeit erlebten sie zwischen der Gefangennahme des schwedischen
Königs Albrecht 1389 und dem Frieden von Wordingborg 1435. In dieser
Zeit spielten sie eine zentrale Rolle als Kaper und Söldner der verschiedenen
Machtgruppen. Sie wechselten zwischen Königin Margarete von Dänemark,
König Albrecht von Schweden, dem Bischof von Dorpat, dem Herzog von
Pommern, den Grafen von Oldenburg und von Holland und den friesischen Häuptlingen.
Die nordischen Länder waren relativ dünn besiedelt und arm. Entsprechend
klein waren auch die Armeen und Flotten. Selbst in ihren besten Zeiten
zählten die Vitalier nie mehr als 2.000 Mann. Ihre größte
Flotte soll aus ungefähr 100 Schiffen bestanden haben, von denen die
meisten allerdings nur winzige Schuten waren. Trotzdem kann man ihre Anführer
zu Recht als nordische Condottieri bezeichnen.
See- und Strandraub hatte es in Nord- und Ostsee gegeben seit dort Schiffe
fuhren. Im Mittelalter waren seine Zentren die dänischen Inseln und
die oft unbesiedelten schwedischen und finnischen Schären. Für
Seeräuber ohne politischen Rückhalt war es ein hartes Leben.
Sie mussten die endlosen Winter in ihren Schlupfwinkeln - manchmal nur
Blockhäuser im schwedischen Urwald - überstehen. Aber sie benötigten
auch Plätze und Material, um ihre Schiffe auszubessern und mussten
ihre Beute absetzen können. Diese bestand nur in den seltensten Fällen
aus Geld, sondern meistens aus Heringen, Getreide und in den glücklicheren
Fällen aus Tuch oder Bier. Sie brauchten also Hehler, die die Ladung
für das nötige Kleingeld aufkauften, damit die Mannschaft bezahlt
werden konnte. Feste Häfen waren somit von zentraler Bedeutung für
die Seeräuber, und in ihrer ganzen Geschichte waren sie immer verzweifelt
auf der Suche nach Werft- und Absatzplätzen.
In Friedenszeiten verhinderte der politische Druck der Hanse, dass den
Kapern ein sicherer Unterschlupf zur Verfügung gestellt wurde, und
ihre armselige Existenz fand nicht allzuviele Nachahmer. Die Sache änderte
sich, als es zum Konflikt zwischen Dänemark und dem Haus Mecklenburg
kam. 1363 war Albrecht III. von Mecklenburg König von Schweden geworden.
Die zahlreichen deutschen Soldritter, die er zu seiner Unterstützung
mit ins Land gebracht hatte, hatten ihn bei der Bevölkerung nicht
gerade beliebt gemacht. Kritisch wurde es, als nach dem Tod des Dänenkönigs
Waldemar die Mecklenburger auch noch Anspruch auf den dänischen Thron
erhoben. Waldemars Tochter Margarete, die gleichzeitig auch die Witwe des
norwegischen Königs war, beanspruchte im Gegenzug den Thron für
ihren Sohn Olaf. Nachdem die Dänen sich dann für Olaf entschieden,
stellten die Mecklenburger sofort Kaperbriefe aus und Rostock und Wismar
öffneten den Piraten ihre Häfen. Unternehmungslustige mecklenburgische
Adlige begannen gleich damit Schiffe auszurüsten. So wie sich ihre
binnenländischen Standesgenossen mit Freunden und Verwandten zusammenschlossen
und den Pfeffersäcken auflauerten, so legten die Mecklenburger bei
Gelegenheit zusammen, um sich ein Schiff zu kaufen. Wenn das Geld nicht
reichte, wurden Teile des Besitzes verpfändet, die Raten mussten dann
mit dem Schwert verdient werden. Wie im Reich Fehden jeder Art immer ein
willkommener Anlass waren, Straßenraub legal zu betreiben, so erhielt
die Piraterie in der Ostsee durch Kaperbriefe einen offiziellen Anstrich.
Viele der bekannten mecklenburgischen Adelsgeschlechter wie die Rantzau
oder Manteufel haben den einen oder anderen Vitalierkapitän abgegeben.
Für den Krieg in der Ostsee waren keine großen, kostspieligen
Galeeren wie im Mittelmeer notwendig. Die Großunternehmer verfügten
zwar über Koggen mit einer Besatzung um die 50 Mann, das Gros aber
benützte lediglich bessere Fischerboote. Kanonen kamen auf diesen
Schiffen noch nicht zum Einsatz. Gekämpft wurde mit Schwertern, Äxten
und Entermessern. Die es sich leisten konnten trugen zum Schutz Sturmhauben,
Lederkoller und Kettenhemden. Beliebt war wie unter allen Seefahrern die
Armbrust, die vom Mastkorb oder den Bug- und Heckkastellen aus eingesetzt
wurde. Die Mannschaften bildeten arbeitslose Seeleute und die sozialen
Unterschichten der Hansestädte, arme Fischer und Bauern aus dem Hinterland.
Der hansische Chronist Reimar Kock hat ein buntes Bild von diesem Volk
überliefert: "Es ist nicht zu beschreiben, was an losem und bösem
Volke zusammenlief aus allen Ländern von Bauern und Bürgern,
von Amtsknechten und anderem losem Volke, die alle nicht arbeiten wollten,
sie ließen sich dingen, sie wollten alle von den armen dänischen
und norwegischen Bauern reich werden."
Eine erste Krise ergab sich für die Kaper als 1379 Albrecht einen
Waffenstillstand mit Dänemark schloss. Einige der freien Unternehmer
zogen sich daraufhin wahrscheinlich mit ihrer Beute auf ihre Landsitze
zurück. Die Masse aber hatte entweder immer noch Schulden oder einfach
Blut geleckt. Da die mecklenburgischen Häfen für sie geschlossen
wurden, räuberten sie von Dänemark aus. Königin Margarete
sah dies nicht ungern, da sie die Macht der Hanse einschränken wollte.
Die mecklenburgischen Söldner wurden zu einer internationalen Truppe
aus Dänen, Holsteinern, Schweden, Friesen, Pommern, Balten und anderen.
Als jedoch Rostock und Wismar die hansischen Strafaktionen nicht mehr mit
ihrem Veto blockierten, wurde auch für Margarete der Druck der Hanse
zu groß und sie musste mit ihr gemeinsam gegen die Seeräuber
vorgehen. Allzu hart wird man nicht durchgegriffen haben, denn bei den
unklaren politischen Verhältnissen wollte sich jeder die spätere
Verwendung der erprobten Truppe offen halten.
"Glücklicherweise" begann der Kleinkrieg bald von Neuem. Das Reich
Margaretes, die von ihrem Gatten Norwegen geerbt hatte, schien nach dem
Tod ihres Sohnes eine leichte Beute für die hungrigen Mecklenburger.
Doch die Königin nahm den Kampf auf und erklärte ihren Adoptivsohn
Erich von Pommern zu ihrem Nachfolger. Als ihr dann auch noch der mit den
Mecklenburgern verfeindete schwedische Adel huldigte, musste Albrecht mit
einem Heer nach Schweden, um seine eigenen Besitztümer zu schützen.
1389 wurde er mit seinen gepanzerten deutschen Rittersöldnern im Moor
von Falköping vernichtend geschlagen und kam mit seinem Sohn Erik
in dänische Gefangenschaft.
Danach entbrannte der Kaperkrieg erst richtig. Die große Zeit
der Vitalier war angebrochen. Herzog Johann, ein Vetter Albrechts, besetzte
das loyale Stockholm und plünderte unterwegs noch Gotland, um seine
Kriegskasse aufzubessern. Bei Uppsala vernichtete er ein Bauernaufgebot
und plünderte dann ungehindert in Schweden. Der mecklenburgische Adel
machte nun jeden Kahn flott, mit dem man sich noch auf die Ostsee wagen
konnte, bewaffnete seine Knechte und rekrutierte den sozialen Bodensatz
der Hansestädte. Ein Chronist schreibt dazu: "In demselben Jahr, als
die Schiffe von Rostock und Wismar mit Herzog Johann nach Stockholm unterwegs
waren, da ließen die von Rostock und Wismar ausrufen, dass derjenige,
der auf seine freie Beute und auf seine eigenen Kosten sein Glück
versuchen wolle, um die Reiche Dänemark und Norwegen zu berauben und
zu schädigen, sich in den Städten Wismar und Rostock einfinden
solle, um Kaperbriefe zu empfangen, wo es ihnen auch erlaubt sei, frei
zu teilen, zu tauschen und die geraubten Waren zu verkaufen."
Die Hanse boykottierte den Handel mit Margaretes Ländern, da sie
bei einer Vereinigung der drei Reiche um ihre Monopolstellung fürchten
musste. Trotzdem litten die hansischen Schiffe am stärksten unter
den Kapern. Von Wismar und Rostock abgesehen erkannten deshalb die Hansestädte
die Kaperbriefe nicht an. Immer wieder wurden Strafexpeditionen ausgerüstet,
und selbst wenn sie Kaperbriefe vorweisen konnten, wurden die Gefangenen
meistens zum Tod verurteilt. Ein Schiff aus Stralsund machte einmal sogar
so viele Gefangene, dass die Ketten nicht ausreichten und die Vitalier
in Fässer gesteckt werden mussten, wo sie bis zur ihrer Hinrichtung
blieben. Aber diese kleinen Erfolge schreckten nur wenige ab. 1393 plünderten
die Vitalier mit der Beteiligung des mecklenburgischen Hochadels das reiche
norwegische Bergen, wobei auch die hansischen Händler nicht geschont
wurden.
Um den Friedensplänen der Hanse zuvorzukommen, begannen die Dänen
mit der Einschließung von Stockholm. Der Schutz der Stadt bestand
im wesentlichen aus Wasserflächen und einem Wall aus Holzbohlen. Bei
diesen Kämpfen fanden die Vitalier auf beiden Seiten Verwendung. Sie
waren noch keine feste Gruppe und immer auf der Suche nach Kriegsdienst
und Beute. Im Winter 1393/94 versuchten die Schweden den Wall über
das Eis zu stürmen. Den Mecklenburgern gelang es unter ihrem Hauptmann
Otto Peccatel den Angriff abzuschlagen. Diese Kämpfe in erbarmungsloser
Kälte, auf zugefrorenen Wasserarmen und mit Eis überzogenen Holzwällen
hatten wenig mit ritterlichen Schlachten gemeinsam. Reimar Kock hat einen
solchen Kampf überliefert. Ein Teil der Kaper versorgte als Blockadebrecher
das belagerte Stockholm mit Lebensmitteln, woraus dann oft fälschlicherweise
der Name Vitalier abgeleitet wurde. Acht dieser Schiffe froren vor der
schwedischen Küste im Eis ein. Da ihr Hauptmann einen dänischen
überfall befürchtete, ließ er im Wald Holz schlagen und
mit den Stämmen einen Wall um die Schiffe errichten. Dieser Wall wurde
mit Wasser übergossen, so dass das Eis die Stämme fest zusammenhielt
und nach außen eine gläserne Oberfläche bildete. Als die
Dänen angriffen, konnten sie trotz ihrer übermacht den glatten
Wall nicht überwinden. Sie mussten sich zurückziehen und begannen
eine Sturmmaschine, die sie Katze nannten, zu bauen. Der Hauptmann der
Wismarer ließ daraufhin in der Nacht große Eisschollen vor
dem Wall losschlagen. Am nächsten Tag waren diese Löcher wieder
zugefroren, aber unter den vorstürmenden Dänen zerbrach das dünne
Eis. "Aber es ist ein alt Sprichwort: Große Eile gibt selten gute
Weile. So ging es den Dänen diesmal auch, denn sie fielen zu Haufen
in das Wasser, und der eine drängte dem anderen nach, so dass mehrere
den Tag ertranken. Zu diesem Schaden mussten sie noch Spott dazu haben,
denn die auf den Wismarschen Schiffen waren, riefen: Kaiz, Kaiz, Kaiz!
So pflegt man zu rufen, wenn man Katzen jagt."
Der Krieg zog sich hin und die Vitalier führten mit dem Segen der
einen oder der anderen Partei einen ertragreichen Kaperkrieg. Man kann
sich vorstellen, dass sich vorausschauende Kapitäne mit Kaperbriefen
beider Seiten versorgt haben, um je nach Lage der Dinge die richtige Flagge
zu hissen. Mit der Zeit wurden der Hanse die Verluste im Seehandel zu groß
und sie erhöhte den Druck auf Dänemark, um den Krieg zu beenden.
1395 willigte Margarete endlich in den Frieden von Falsterbo ein. Die Hanse
streckte das Lösegeld für Albrecht vor und erhielt dafür
das Streitobjekt Stockholm als Pfand. Den Vitaliern, die zu dieser Zeit
zum Großteil mit den Dänen vor Stockholm lagen, oder für
die Mecklenburger als Kaper und Blockadebrecher unterwegs waren, war mit
einem Schlag ihre Rechts- und Existenzgrundlage genommen. Gestern noch
die umworbenen Hilfstruppen, sollten sie jetzt bis zum Juni das Meer räumen.
Mit dem Ende des Krieges, zerfielen die großen Flotten. Die Söldner
trennten sich und bildeten kleine Gruppen, blieben aber in Verbindung und
warteten auf bessere Zeiten. Einige, die genug Beute gemacht hatten, zogen
sich ins zivile Leben zurück. Die ersten Gruppen segelten in die Nordsee,
wo es in den endlosen Fehden der Grafen von Holland und Oldenburg, den
friesischen Häuptlingen und den Hansestädten genug Arbeit für
erprobte Kaper gab. Ein Teil ließ sich an der finnische Südküste
bei Abo und Wiborg nieder und überfiel die Nowgorodfahrer. Von dort
unternahmen sie auch Plünderungszüge auf den Spuren der Waräger
bis weit nach Russland hinein. Andere gingen noch Norrland, wo sie von
der Feste Faxenholm - im heutigen Söderhamm - aus Nordschweden unsicher
machten. Nicht wenige aber ließen sich von Algot Magnusson einem
Feldherr Margaretes anwerben.
Die meisten Vitalier landeten aber auf Gotland, wo Mecklenburger und
Dänen noch immer in einem Kleinkrieg um die Insel verstrickt waren.
Schon im April 1395 war einer der Mecklenburger Herzöge von Rostock
aus mit einer Flotte von Gefolgsleuten und Piraten nach Gotland gesegelt
und hatte Wisby besetzt. Man wollte Tatsachen schaffen bevor der Besitz
von Gotland im Friedensvertrag geregelt werden konnte. Margarete schickte
also ihren Feldherren Sven Sture nach Gotland, um die Mecklenburger zurückzudrängen.
Unter seinen Truppen befanden sich viele der neugeworbenen Piraten. Beide
Parteien erhielten nach dem Friedensschluss bedeutenden Nachschub von den
arbeitslosen Vitaliern. über die Kämpfe auf der Insel ist nichts
bekannt, doch es ist unwahrscheinlich, dass sich die alten Kampfgefährten
allzu erbittert geschlagen haben. So hielten die Mecklenburger unter ihrem
bewährten Hauptmann Otto Peccatel Wisby und lagen den Bürgern
auf der Tasche. Stures Mannen hatten dagegen den Großteil der Insel
besetzt und plagten die Bauern. Wahrscheinlich verwendete man beiderseits
die Energien mehr auf die vorbeisegelnden Schiffe, als zum Kampf untereinander.
Lästig war der Konflikt trotzdem und so traf man sich irgendwann waffenklirrend
zu den ersten Gesprächen. Beim Bier und den Erzählungen über
gemeinsame vergangene Raubzüge, Bekannte und Verwandte wird man sich
schnell näher gekommen sein. Man kennt die Argumente. Die alten Krieger
schimpften über den "Schandfrieden", den die Pfeffersäcke der
Hanse, den Mecklenburgern und Dänen aufgezwungen hatten. Krämerseelen
regierten die Welt und es gab keine Ehre mehr zu gewinnen. Kurz und gut,
man wurde sich schnell einig. Es ist unbekannt wann genau Sture zu den
Mecklenburgern überging; er und sein Gegner Otto Peccatel waren jedenfalls
bald unzertrennliche Gefährten.
Um nicht ganz die Verbindung mit der dadurch entstandenen Seeräuberrepublik
zu verlieren schickte Albrecht 1396 seinen Sohn Erik nach Gotland. Erik
ließ sich von den Piraten, unter denen die Mecklenburger als alte
Schutzherren der Kaper einen guten Ruf hatten, zum König von Gotland
ausrufen. Mit dieser festen Basis mitten in der Ostsee entwickelte sich
unter Eriks Schirmherrschaft schnell ein reger Kaperkrieg. Mit dem Erfolg
wuchs der Zustrom an Schiffen und Mannschaft. Da wollten auch die unternehmungslustigen
Herzöge von Pommern Barnim und Wartislaw nicht mehr länger abseits
stehen und öffneten ihre Häfen für die Vitalier.
Die scheinbar von selbst wachsende Macht verleitete die Mecklenburger
zu neuen außenpolitischen Abenteuern. Schließlich mussten sie
noch das Lösegeld für Albrecht zusammenrauben, denn ohne es sollte
Stockholm an Dänemark fallen. Sie griffen nach dem Baltikum. Ein Vetter
König Albrechts setzte sich mit einer großen Schar Vitalier
im Stift Dorpat fest und begann von dort aus Verhandlungen mit Litauen.
Dadurch rief er allerdings den Deutschen Ritterorden auf den Plan, der
diese Macht nicht vor seiner Haustür haben wollte. Ein Ordensheer
fiel in das Stift ein und verwüstete es. Die Vitalier unternahmen
Vergeltungszüge ins Ordensgebiet. Doch der Militärmacht des Ordens
waren sie nicht gewachsen. Nach der Belagerung Dorpats mussten sie Frieden
machen und abziehen.
Davon wenig beeindruckt rüsteten die neuen Freunde Sven Sture und
Otto Peccatel zu einem Großangriff auf das hansisch besetzte Stockholm.
1397 legten sie mit 47 Schiffen und über 1000 Mann ab. Mit dieser
Macht hätten sie wahrscheinlich Stockholm erobert und zu einer ihrer
Basen gemacht. Aber dann starb Erik in Wisby, und der Angriff wurde abgebrochen,
da zuerst auf Gotland die Machtverhältnisse neu geregelt werden mussten.
Da Albrecht dabei auch nicht übergangen werden wollte, schickt er
seinen Neffen Johann auf die Insel. Beim Teilen der Beute wurde er dort
allerdings nicht gerade sehnsüchtig erwartet. Aber das einfache Vitaliervolk
liebte die Mecklenburger, also nahm man ihn in die Runde auf. Fortan herrschten
Johann, Sture und Eriks Witwe. Alle wurden an der Beute beteiligt und hatten
eine gute Zeit.
Die Hanse rüstete zwar immer wieder sogenannte Friedensschiffe
aus, brachte damit einzelne Kaper auf und steckte deren frisch abgeschlagene
Köpfe auf Pfähle, doch der Erfolg war gleich Null. Der raublustige
Adel von den Ufern der Ostsee und die Seeleute in den Häfen füllten
die Lücken schneller als sie durch Schwert und Beil geschlagen wurden.
Zu einer Großaktion konnte sich die Hanse nicht aufraffen, da einige
Städte offen mit den Mecklenburgern sympathisierten und auch gut als
Hehler profitierten. Außerdem war auf den Hansetagen Geld immer nur
äußerst schwierig aufzutreiben. Aber von ein paar einzelnen
Friedensschiffen war dieses Heer von Abenteurern, das sich inzwischen auf
Gotland zusammengefunden hatte, nicht zu beeindrucken.
Doch da entstand den Vitaliern ein neuer mächtiger Feind: Der Deutsche
Orden. Es ging dabei nicht nur um die Schiffe des Ordens, die immer wieder
gekapert worden waren, und den Konflikt um Dorpat. Der Orden suchte geradezu
verzweifelt nach einer neuen Aufgabe. Mit der Annahme des Christentums
in Litauen, war seine eigentlichen Aufgabe - die Heidenmission im Osten
- entfallen. Am Kaiserhof in Prag schmiedete man sogar schon Pläne
den Orden als Ganzes an die Türkengrenze in Ungarn umzusiedeln. Das
bereitete den Herren im weißen Mantel schlaflose Nächte. Da
entdeckten sie plötzlich als neuen Grund, um auf ihren fetten Pfründen
sitzen zu bleiben, das räuberische und gottlose Treiben der Vitalier.
Die Diplomaten des Ordens konnten sogar erreichen, dass die Vitalier vom
Papst mit dem Bann belegt wurden. Der Orden plante nun einen Kreuzzug gegen
Gotland. Zuerst wurden die pommerschen Herzöge durch den Aufmarsch
einer Ordensflotte davon überzeugt, in Stettin und auf Rügen
keine Seeräuber mehr zu dulden.
Nachdem der Orden eine der größten Kriegsflotten der Ostsee
zusammengezogen hatte, erfolgte der Angriff überraschend im März
1398. Man hatte diesen Termin mit Bedacht so früh gewählt, um
die Vitalier noch in den Häfen anzutreffen. Diese wurden auch vollständig
überrumpelt. Der Orden landete ein starkes Ritterheer mit zahlreichem
Fußvolk und Kanonen. Unter den wesentlich schwächeren Vitaliern
kam es zur Panik. Das stark befestigte Wisby war mit den feindseligen Bürgern
im Rücken nicht zu halten. Sonst blieben ihnen auf der Insel nur einzelne
Fluchttürme, die Festung Landeskrone und einige mit Erdwällen
und Palisaden befestigte Stützpunkte. Der Orden forderte Herzog Johann
auf, Wisby zu übergeben und beendete zügig den schwachen Widerstand
auf der Insel. Im Mai kam es, wahrscheinlich unter Mithilfe der Bevölkerung,
zur Einnahme von Wisby. Johann, Eriks Witwe und Sture kapitulierten. 400
Vitaliern wurde der freie Abzug erlaubt, der Rest soll niedergemacht worden
sein.
Nach dem Fall von Gotland zerfielen die Vitalier wieder in einzelne
Gruppen. Johann kehrte zu Onkel Albrecht zurück, Sture und Peccatel
zogen mit ihren Männern in den letzten sicheren Ort, der ihnen geblieben
war: die Feste Faxenholm in Norrland. Dort erhielten sie neuen Zulauf und
kontrollierten bald große Teile Nordschwedens. Aber Margarete war
nicht mehr gewillt dies zu dulden und schickte ein Heer unter ihrem Feldherren
Algot Magnusson, das Faxenholm im Herbst belagerte. Faxenholm war wie die
meisten Burgen im Norden keine große Anlage. ähnlich wie Landeskrone
auf Gotland bestand sie aus einem einzigen massiven Gebäudeblock mit
einem Turm an einer Ecke. Es war zwar ein ideales Räubernest aber
für die belagerten Vitalier wurde es eng. über 100 Mann drängten
sich in den wenigen, kalten Räumen. Die Lebensmittel wurden knapp.
Verzweifelt versuchten die Vitalier die schwedischen Schanzen zu stürmen,
wurden aber blutig abgeschlagen. Vom Hunger zermürbt nahm Sture Verhandlungen
auf und übergab die Burg schließlich im Oktober 1398 gegen eine
Abfindung. Die Vitalier waren glimpflich davon gekommen. Aber Margarete
wollte den Kontakt zu den billigen und erfahrenen Hilfstruppen nicht abreißen
lassen. Die Hanse kungelte, ihrer Ansicht nach, viel zu sehr mit den Mecklenburgern.
Außerdem betrachtete sie Gotland immer noch als einen Teil ihres
Reiches. Nachdem sie 1399 eine Amnestie erlassen hatte, kamen viele ehemalige
Vitalier nach Schweden und traten in ihre Dienste. Sie hatte Verwendung
für sie, denn der Orden war nicht bereit Gotland herauszugeben. Im
November 1403 erfolgte dann unter Algot Magnusson überraschend der
dänische Angriff auf Gotland. Das maximal 2.000 Mann starke Heer bestand
aus einer Mischung von Schweden, Dänen und Mecklenburgern; unter ihnen
auch viele Vitalier unter Sven Sture und Otto Peccatel.
Die Dänen errichteten auf der Insel befestigte Lager, das mächtigste
davon war Slite an der Ostküste. Am Weihnachtsabend unternahmen sie
einen überraschungsangriff auf Wisby, der aber abgeschlagen wurde.
Die Vitalier rächten sich für ihre letzte Niederlage an der Landbevölkerung,
die sie gnadenlos ausplünderten und ermordeten. Ab Februar landeten
dann die ersten Schiffe des Ordens. Sie brachten ein starkes Entsatzheer
mit 1.500 Mann und 500 Pferden. Doch dieses Mal ließen sich die Vitalier
nicht überrumpeln. Sie leisteten den Ordensrittern hartnäckigen
Widerstand, wobei allein hunderte von Pferden erschlagen wurden. Man lieferte
sich blutige Kämpfe um kleine Feldbefestigungen und Verhaue. Die Wende
brachten erst die Verstärkungen, mit denen der Hochmeister Ulrich
von Jungingen im Mai landete. Die Ordensflotte blockierte Gotland, um den
Zuzug weiterer Vitalier zu verhindern. Schließlich mussten sich die
Vitalier in ihre Festung Slite und die Burg Landeskrone zurückziehen.
Nach einer Woche Beschuß durch die schweren Geschützen des Ordens
musste sich die Besatzung von Slite ergeben. Die Härte der Kämpfe
bestätigen neuere Funde von Massengräbern mit Resten von Panzerhemden
und Waffen, und die Tatsache, dass man den Verteidigern freien Abzug gewährte.
Im Juni gab dann auch die Besatzung von Landeskrone auf, die ebenfalls
freien Abzug erhielt. Der Orden hatte sein Ziel erreicht und wollte die
Kämpfe nicht in Länge ziehen.
Damit hatten die Vitalienbrüder ihre wichtigste Basis verloren
und da ihnen unter dem politischen Druck des Ordens die Hansestädte
als Werft- und Absatzplätze auch weiterhin verschlossen blieben, mussten
sich die überlebenden nach neuen Fanggründen umsehen. Viele zogen
in die Nordsee, andere nahmen auf verschiedenen Seiten weiter an den Kämpfen
in der Ostsee teil, und nach Frieden von Wordingborg traten sogar größere
Gruppen in den Dienst des Deutschen Ordens, der nun im Krieg mit Polen
großzügig Pardon an erfahrene Krieger erteilte. Die Geschichte
der Kaper endete nicht mit dem Fall von Gotland, aber die der Vitalier
als Freie Kompanie.