Verneuil (1424)
Die Rückkehr der schweren Kavallerie.
Nach der vernichtenden Niederlage von Agincourt (1415) war es selbst für das mächtige Frankreich schwierig geworden, größere Armeen zu mobilisieren. Der Konflikt zwischen den Adelsfraktionen Burgund und Armagnac verschlechterte diese Situation weiter. Große Teile des französischen Adels waren dadurch in einem blutigen Bürgerkrieg gebunden. Um den englischen Angriffen zu begegnen, blieb deshalb keine andere Möglichkeit als die Werbungen im Ausland zu verstärken.Natürlich hatte man auf französischer Seite immer ausländische Söldner beschäftigt, vor allen Dingen Spezialisten, die im eigenen Land nicht ausreichend zur Verfügung standen wie die begehrten genuesischen Armbrustschützen oder Schiffe aus Kastilien. Doch nun benötigte man neben diesen Spezialisten auch viele der ritterlich gerüsteten "gens d'armes" und Infanteristen, die den Kern eines neuen Heeres bilden sollten.
Geworben wurde hauptsächlich in Norditalien, Kastilien und Schottland. Nach und nach trafen einzelne Kompanien ein, aber das waren bei weitem nicht die Zahlen, die man erhofft hatte. Am erfolgreichsten liefen die Verhandlungen in Schottland, wo man an das historische Bündnis, die sogenannte "Auld Alliance" appellierte. Der schottische König befand sich zwar in englischer Gefangenschaft und hatte einen Waffenstillstand geschlossen. Möglicherweise ermutigte dies jedoch gerade die unruhigeren Geister, in Frankreich nach Abenteuern zu suchen. Es scheint jedenfalls nicht untypisch, dass John Stewart Earl of Buchan der jüngere, nicht erbberechtigte Sohn des Regenten das schottische Korps führen sollte.
Doch all dies war sehr zeitaufwendig. Gesandte mussten hin- und herreisen, Geld beschafft und nach Schottland geschickt werden. Und schließlich musste noch mit Kastilien verhandelt werden, das die Flotte für den Transport nach Frankreich stellen sollte. Als schlagkräftiges Korps mit gut 6.000 Mann waren die Schotten deshalb erst Ende 1420 einsatzbereit. Bereits einige Monate später konnten sie den Engländern bei Baugé eine empfindliche Niederlage bereiten. Die Schotten galten nun fast als eine Art Heilmittel gegen die fast unbesiegbaren Engländer; der Papst soll sie sogar als "Gegengift" gepriesen haben. Der Earl of Buchan wurde anschließend mit Ehren überhäuft und zum "Connétable de France", zum Oberbefehlshaber aller französischen Truppen ernannt.
Als es jedoch 1423 bei Cravant zu einer großen Schlacht mit einem englisch-burgundischen Heer kam, hielten die Schotten zwar tapfer stand, als sich Franzosen und Italiener bereits zurückzogen, konnten die Niederlage aber nicht verhindern. Sie bezahlten ihr stures Durchhalten mit furchtbaren Verlusten und waren als selbständige Truppe anschließend nicht mehr zu verwenden.
Dennoch galten ihre Dienste als unverzichtbar, und es wurde sofort damit begonnen in Schottland neue Söldner anzuwerben. Der Earl of Buchan kehrte zu diesem Zweck nach Schottland zurück und konnte die Unterstützung eines der mächtigsten Adligen, des Earl of Douglas gewinnen. Gemeinsam kehrten sie mit der neuen Armee Anfang 1424 nach Frankreich zurück. Im April wurden 2.650 Schwerbewaffnete und 4.000 Bogenschützen gemustert.
Die Schotten sollten endlich die Wende des Krieges bringen. Sie kämpften wie die Engländer vorwiegend zu Fuß und hatten ein hohen Anteil an Bogenschützen. Auch die Franzosen kämpften inzwischen meistens zu Fuß, hatten aber auch damit keinen Erfolg gehabt. Man hatte deshalb die Idee nicht ganz aufgegeben, mit gut gepanzerter Kavallerie die gefürchteten Bogenschützen zumindest teilweise auszuschalten. Bei Agincourt (1415) war ein solcher Angriff zwar noch verhängnisvoll gescheitert, die verwundeten Pferde hatten lediglich das Chaos in den eigenen Reihen verstärkt. Aber im Herbst 1423 hatte der Graf von Aumale eine größere englische Truppe bei La Brossinière in der Normandie durch einen Kavallerieangriff vernichtend geschlagen. Kurz gab es im Süden einen weiteren Erfolg über ein starkes burgundisches Aufgebot bei La Bussière. Hier hatte sich der Einsatz schwer gepanzerter Reiter aus Italien als entscheidend erwiesen.
In Norditalien arbeiteten zu dieser Zeit die besten Waffenschmiede Europas. Sie machten Rüstungen aus leichterem und härterem Stahl, die von Pfeilen kaum noch durchschlagen werden konnten. Vor allen Dingen wurde es dadurch möglich, auch die Pferde weitgehend zu panzern. Unter den Condottieri, die mit ihren Berufsheeren seit langem das Geschäft in Italien dominierten, waren solche schwer gepanzerten Reiter längst zur entscheidenden Waffe geworden. Als man in Frankreich verstärkt mit Werbungen im Ausland begonnen hatte, standen solche Reiter von Anfang an ganz oben auf der Liste. Als Vermittler diente Francesco Visconti, der Herzog von Mailand, zu dem enge verwandtschaftliche Beziehungen bestanden.
Eine erste starke Kompanie so genannter "Lombarden" führte der Condottiere Le Borgne Caqueran (auch Borno dei Cacherani) 1421 nach Frankreich. Sie kämpften dort gegen die Burgunder im Raum von Lyon. Im folgenden Jahr kamen unter dem Piemontesen Teodoro di Valperga weitere 250 Mann über die Alpen. Nach dem Erfolg bei La Bussière wurde Caqueran einer der wichtigsten Hauptleute im Südosten nach Mailand geschickt, um eine wesentlich größere Anzahl seiner Landsleute zu werben. Mit Viscontis tatkräftiger Hilfe gelang es mehrere Condottieri mit ihren Truppen unter Vertrag zu nehmen. Man kann annehmen, dass Mailand dabei nicht nur als Sammelplatz diente, sondern Visconti auch bei der Vorfinanzierung behilflich war. Auf Dauer konnten solche Geschäfte sicher hohe Gewinne abwerfen; für "Kleinunternehmer" aber, die auf sichere Einkünfte angewiesen waren, um ihre Ausgaben zu decken, waren sie kaum finanzierbar.
Nachdem die Lombarden in Frankreich angekommen waren, wurden alle unter Caquerans Kommando zusammengefasst und wahrscheinlich mit denen, die bei Cravant gekämpft hatten, verstärkt. Bei Cravant hatten sich die Lombarden nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Allerdings hatten sie dort wie alle anderen zu Fuß gekämpft. Jetzt sollten sie erstmals als schwere Kavallerie gegen die englischen Bogenschützen eingesetzt werden. Insgesamt waren sie gut 2000 Mann stark. Davon dürfte aber bestenfalls die Hälfte über die neue Panzerung für die Pferde verfügt haben. Bei den anderen handelte es sich um leichter gerüstete "Sergeanten".
Die verschiedenen Kontingente sammelten sich im Mai 1424 im Loiretal bei Tours, wo seit kurzem der Dauphin residierte. Am stärksten waren die Schotten mit circa 6.500 Mann gefolgt von den etwa 2.000 Lombarden. Dazu kamen einige hundert Spanier - Aragonesen und Kastilier. Die Franzosen selbst stellten mit 3-4.000 nur ungefähr ein Viertel der gesamten Streitmacht. Darunter befanden sich die Feudalaufgebote des Adels und der Städte von teilweise recht fragwürdiger Qualität, aber auch die sehr erfahrenen Söldnerkompanien von La Hire und Poton de Xaintrailles.
Es war eine beeindruckende Armee und am Hof des Dauphin war man überzeugt, damit endlich das Kriegsglück wenden zu können. Allerdings war es ein großes Problem, die große Anzahl mit Lebensmitteln zu versorgen und zu besolden. Die durch Sondersteuern aufgebrachten Mittel gingen schnell zur Neige, und vor allem die Schotten wurden bereits zur Landplage. So schnell es ging wurde das Heer also Richtung Normandie in Marsch gesetzt, um dort eine Entscheidung zu erzwingen.
Angesichts dieser Bedrohung mobilisierte der Duke of Bedford, der englische Regent in Frankreich, alles, was an anderen Stellen nur irgendwie entbehrt werden konnte. Zu seinem starken persönlichen Gefolge kamen Verstärkungen aus England, dazu das Feudalaufgebot des normannischen Adels, und schließlich mussten alle englischen Garnisonen ihr möglichstes beitragen. Man schätzt, dass er schließlich etwa 8.000 Mann ins Feld führen konnte. Während die Gegenseite über mindestens 14.000 verfügt haben soll. Im August 1424 steißen beide Armeen bei der kleinen Stadt Verneuil an der Grenze zur Normandie aufeinander.
Über keine bedeutende Schlacht des Hundertjährigen Krieges ist so viel Widersprüchliches geschrieben worden wie über die von Verneuil. Liest man drei Texte, hat man drei zum Teil äußerst unterschiedliche Variationen. So besteht absolut keine Übereinstimmung, ob sich die Schotten oder Lombarden nun rechts oder links befanden, oder ob die englischen Bogenschützen an den Flügeln oder vor der Front standen. Ich halte mich hier vorwiegend an die Darstellung von Jones, der auf diese Problematik eingeht und deshalb mehr von Wahrscheinlichkeiten ausgeht ohne eine detaillierte (heißt oft "erfundene") Schlachtbeschreibung zu liefern.
Die Masse der Franzosen bildete mit den Spaniern einem gewaltigen Block von an die 6.000 Mann zu Fuß. Rechts davon standen etwa genau so stark die Schotten. Die 2.000 Lombarden zu Pferd unter dem Kommando von Caqueran, von denen man sich die Entscheidung erhoffte, standen vor dem französischen Flügel. Eine zweite Gruppe schwerer Kavallerie, die aus den Söldnern von La Hire, Poton de Xaintrailles und einigen Kastiliern gebildet war, stand wahrscheinlich rechts von den Schotten. Da sie deutlich schwächer als die Lombarden waren, erwartete man von ihnen weniger die feindliche Linie zu durchbrechen, sondern diese zu überflügeln.
Die Engländer kämpften wie üblich zu Fuß. Die Bogenschützen standen höchstwahrscheinlich auf der gesamten Breite der Formation vor den Schwerbewaffneten. Möglicherweise waren sie aber an den Flügeln etwas stärker. Vor sich hatten die Bogenschützen angespitzte Pfähle in den Boden gerammt als Hindernis für die feindliche Kavallerie. Um zu verhindern, dass seine Aufstellung überflügelt und dann von hinten angegriffen werden konnte, ließ der Duke of Bedford an den Flanken dahinter die Pferde des Heeres anleinen, zwischen denen er eine starke Reserve aus Bogenschützen positionierte.
Der Plan bewährte sich zumindest teilweise. Denn als die Franzosen die Schlacht mit dem Angriff der schweren Kavallerie eröffneten, ritt ihr rechter Flügel an der englischen Aufstellung vorbei und schwenkte dann dahinter ein. Dort wurden er aber von den tausenden angeleinter Pferde aufgehalten und schließlich von den Bogenschützen der Reserve vertrieben.
Ganz anders verlief die Sache allerdings auf dem linken Flügel. Dort pflügte der Keil der gepanzerten Lombarden auf ihren schweren Pferden durch die englische Schlachtlinie. Weder die Salven der Bogenschützen, die angespitzten Pfähle oder die englischen Schwerbewaffneten konnten sie aufhalten. Viele wurden niedergeritten, andere warfen sich auf den Boden, um die Reiter durchzulassen. Panik brach aus, zuerst begannen einzelne zu fliehen, schließlich sogar eine größere Gruppe von mehreren hundert Mann. Die Lombarden jagten hinter den Flüchtenden her und stießen dann auf das englische Lager ein gutes Stück hinter der Front. Dort vertrieben sie die zum Schutz eingeteilten Truppen und begannen zu plündern. Für sie war die Schlacht offensichtlich gewonnen und nun es galt bei der Verteilung der Beute an erster Stelle zu sein.
Doch die Schlacht war noch längst nicht entschieden. Das grundlegende Problem auf französischer Seite war die heterogene Zusammensetzung des Heeres. Da waren Kastilier und Aragonesen, Lombarden, aber sicher auch Genuesen; die Schotten bestanden aus den Überlebenden von Cravant unter Buchan und der neuen Armee unter Douglas. Selbst die Franzosen bildeten kein einheitliches Kontingent, sondern setzten sich aus teilweise rivalisierenden Fraktionen zusammen.
Eigentlich hätte Buchan als "Connétable de France" der Oberbefehlshaber sein müssen. Doch seine Befehlsgewalt noch nicht einmal von den meisten Schotten anerkannt, da Douglas inzwischen das weitaus größere Kontingent führte. Außerdem war es für den französischen Adel völlig undenkbar, sich einem Ausländer unterzuordnen. Als Angehöriger der königlichen Familie forderte der Herzog von Alençon das Kommando. Er war allerdings erst 15 Jahre alt und bar jeder Erfahrung. Also hatte man sich schließlich auf den Grafen von Aumale geeinigt, aber auch dessen Autorität war alles andere als unumstritten.
Während also auf französischer Seite noch darüber gestritten wurde, wie der Erfolg der Lombarden zu nutzen sei, gelang es dem Duke of Bedford und seinen erfahrenen Unterführern, die eigenen Truppen neu zu ordnen und die Reihen zu schließen. Als die Franzosen schließlich den Nahkampf eröffneten, stießen sie auf einen geschlossene Front. Kurz darauf griffen auch die anderen Truppenteile in den Kampf ein, und es kam zu einem grausamen Gemetzel auf der gesamten Front. Der blutige Kampf wogte lange in und her und es kam auf beiden Seiten zu heroischen Taten. Letzten Endes entschied aber die bessere Disziplin, das bessere Teamwork, und hier waren die Engländer im Vorteil.
Möglicherweise griff auch eine größere Gruppe von Bogenschützen, die vorher von den Lombarden zerstreut worden war, überraschend in den Kampf ein. Jedenfalls begann nach einiger Zeit der französische Flügel zu wanken, und die ersten suchten ihr Heil in der Flucht. Sicherheit versprach das kurz hinter der Front liegenden Verneuil und bald flüchtenden immer mehr Richtung des Stadttores. Dicht verfolgt von den Engländern ertranken allerdings viele im Wassergraben.
Die Schotten hatten stur standgehalten. Doch nach dem Zusammenbruch des anderen Flügels hatten sie keine Chance mehr. Sie wurden in die Zange genommen und gnadenlos niedergemacht. Daran änderte auch nichts, dass nun Teile der lombardischen Kavallerie noch versuchten in das Geschehen einzugreifen. Als kleinere Gruppen konnten sie von den Engländern leicht abgewehrt und vertrieben werden.
Die Verluste auf französischer Seite waren mit über 7.000 Mann enorm. Den weitaus größten Blutzoll hatten die Schotten entrichtet. Ihre Armee war fast vollständig vernichtet und die beiden Anführer Buchan und Douglas gefallen. Aber auch die Engländern hatten mit 1.600 Toten ungewöhnlich hohe Verluste, was die Härte der Schlacht unterstreicht.
Später hat man hauptsächlich den Lombarden die Schuld an der Niederlage gegeben. Dabei hatten sie ihre Aufgabe hervorragend gemeistert. Dass sie nach dem Durchbrechen der feindlichen Linie nicht in Formation schwenkten und erneut angriffen, konnte man ihnen kaum vorwerfen. Solche Manöver waren mit mittelalterlicher Kavallerie praktisch nicht möglich. Mir ist kein positives Beispiel dafür bekannt; dafür gibt es eine ganze Liste von Schlachten, die durch unbeherrscht vorpreschende Kavallerie verloren wurden.
Langfristig ließ man sich jedoch auf französischer Seite vom Erfolg der schweren Kavallerie überzeugen und begann wieder verstärkt darauf zu setzen. Die Schlachten bei Patay (1429) und Gerberoy (1435) wurden dann durch Angriffe schwerer Kavallerie unter der Führung von La Hire und Jean Poton de Xaintrailles, die beide bei Verneuil gekämpft hatten, entschieden. Die legendären Bogenschützen, die so lange die Schlachtfelder dominiert hatten, verloren schnell an Bedeutung. Dagegen wurden die schwer gepanzerten Reiter, die französischen Gendarmes, die dann den Kern der neuen Ordonanzkompanien bildeten, immer wichtiger. Ihr Ende kam erst mit dem verstärkten Einsatz der Feuerwaffen.
Literatur:
Ditcham, Brian C.H.
The employment of foreign mercenary troops in the French royal armies, 1415-1470
Diss. Edinburgh 1979
Jones, Michael K.
The Battle of Verneuil (17 August 1424): Towards a History of Courage
in: War in History. 9 (4): 375–411
Sumption, Jonathan
Triumph and Illusion: The Hundred Years War. Vol. V
2023
Wadge, Richard
Verneuil 1424: The Second Agincourt
2015
© Frank Westenfelder