Der Kampf der Dreißig
Ritterliche Taten in einem kleinen schmutzigen Krieg.
Viele Leute, die sich für den Krieg im Mittelalter interessieren,
erliegen der Versuchung, diesen mit dem glänzenden Spektakel einer
Ritterschlacht zu verwechseln. Natürlich kam es vor, dass Kriege durch
eine solche schnell entschieden wurden, zogen sie sich aber in die Länge,
wurden Schlachten und selbst Belagerungen zu seltenen Ausnahmeerscheinung.
Die Kämpfe reduzierten sich statt dessen auf Überfälle,
Hinterhalte, Verwüstungen und Plünderungen. Dadurch schädigte
man zwar die Wirtschaftskraft des Gegners und konnte zumindest teilweise
die eigenen Truppen finanzieren, diese entwickelten sich dabei jedoch sehr
schnell zu besseren Räuberbanden. "Ritterlichkeit" - zumindest das,
was man sich heute oft darunter vorstellt - wird man dabei meistens vergeblich
suchen. Denn die "Ritter" waren allzu oft damit beschäftigt, Lösegelder
einzutreiben, Beute zu machen, Gefangene zu foltern und den Bauern das
letzte Stück Brot abzupressen.
Aus der ersten Phase des Hundertjährigen Krieges ragen wie leuchtende
Fanale die spektakulären englischen Siege von Crecy (1346) und Maupertius
(1356). Was passierte jedoch dazwischen? Der Krieg machte keine Pause.
Man hat jedoch den Eindruck, dass er hinter dem Leuchten dieser Schlachten
im Dunkel verschwindet. Sucht man nun nach etwas genaueren Informationen,
stößt man sozusagen in einem besonders abgelegenem Winkel auf
den Krieg in der Bretagne. Dort war es 1341 nach dem Tod des alten Herzogs
zwischen zwei Adelsfraktionen zum Kampf um die Nachfolge gekommen. Die
eine Gruppe hatte sich um Charles von Blois, den Mann der Nichte des Herzogs
gruppiert. Da Charles von Blois auch vom französischen König
anerkannt wurde, war es selbstverständlich, dass die Engländer
seinen Konkurrenten Johann von Montfort, den Stiefbruder des Herzogs unterstützten.
Der Krieg endete erst 1364 nach über zwanzig Jahren mit dem Tod
von Charles von Blois in der Schlacht von Auray. Da die Engländer
ihre Kräfte meistens in Flandern im Norden oder in der Gascogne im
Süden konzentrierten, war die Bretagne eigentlich fast immer ein vernachlässigter
Nebenkriegsschauplatz, der nicht allzu viel Geld kosten durfte. Die Truppen
waren sich deshalb weitgehend selbst überlassen. Sehr oft bildeten
sich Gruppen aus einigen wenigen Dutzend Kriegern, diese bemächtigten
sich dann - bevorzugt in einem nächtlichen Überfall - einer Burg,
oder eines anderen befestigten Platzes. Von dort aus trieben sie in dem kontrollierten
Gebiet Schutzgelder ein, die "Patis" genannt wurden, und unternahmen Raubzüge
in die feindlichen Besitzungen. Beide Seiten beschäftigten ständig
eine gute Anzahl fremder Söldner (Deutsche, Flamen, Savoyarden, Genuesen),
aber auch die beteiligten Engländer und Bretonen, entwickelten im
Laufe der Zeit eine immer stärkere Söldnermentalität. Denn
diese Art des Krieges zog vor allem Abenteurer an, die als selbständige
Subunternehmer der Krone ihr Glück machen wollten. Die Engländer
benutzten die Garnisonen zudem als eine Art Strafkolonien, in die Gesetzlose
und verurteilte Vergewaltiger und Mörder zum Militärdienst abgeschoben
wurden. Ein Fachmann auf diesem Gebiet bezeichnet die englischen Truppen
deshalb als "Männer ohne Loyalitäten und Prinzipien, die
keinen Moment länger dienten, als sie ihre 12 Pence täglich oder
40 Mark jährlich erhielten."
Während der Alltag dieses kleinen schmutzigen Krieges von Männern
bestimmt wurde, die man aus heutiger Sicht als blutrünstige Banditen
unter der Führung skrupelloser Warlords bezeichnen würde, erreichte
auf der anderen Seite die Verherrlichung ritterlicher Tugenden neue Höchststände.
Jeder, der sich die ritterliche Bewaffnung und die teuren Pferde leisten
konnte, wollte als Mann von Stand und Ehre behandelt werden und war ständig
bereit seinen Ruf im Zweikampf zu verteidigen. Niemand sah etwas ehrenrühriges
darin, Bauern zu verstümmeln, friedliche Reisende zu überfallen
oder Kirchen zu plündern. Wichtig waren allein die Umgangsformen innerhalb
der Kriegerkaste. Und hier bot der Krieg vielen, die lediglich als Knecht
im Gefolge eines Ritters in die Bretagne gekommen waren, die Möglichkeit
aufzusteigen. Besonders geschätzt wurden Turniere, und manchmal stellte
man Rittern der gegnerischen Partei sogar Geleitbriefe aus, damit sie ebenfalls
daran teilnehmen konnten. Aber auch vor Schlachten und während Belagerungen,
forderte man die Gegner zum Zweikampf. Obwohl diese Kämpfe militärisch
keinerlei Auswirkungen hatten, konnten die Sieger dadurch manchmal mehr
Ruhm erlangen als durch die Teilnahme an einer Schlacht.
Die Geschichte des Hundertjährigen Krieges ist voll solcher ritualisierter
Kämpfe, denen Dichter und Chronisten oft mehr Raum als dem eigentlichen
Kriegsgeschehen widmeten. Zum berühmtesten Ereignis dieser Art kam
es im März 1351 in der Bretagne. Es war der legendäre "Combat
des Trentes", der Kampf der Dreißig. In der Burg Ploërmel lag
eine englische Besatzung und in ihrer Nähe in der Burg Josselin eine
bretonisch-französische. Der Chronist Froissart, der das Ereignis
zu den herausragendsten Waffentaten seiner Zeit rechnet, berichtet nun,
dass Jean de Beaumanoir der Befehlshaber der "Franzosen" zur Ehre und Unterhaltung
der Damen die "Engländer" zu einem Zweikampf herausgefordert habe.
Der Kastellan von Ploërmel "ein deutscher Söldner namens Brandebourch"
habe daraufhin geantwortet, dass den Damen ein Zweikampf wohl kaum gefallen
würde, da er so schnell vorbei sei, und man statt dessen lieber mit
zwanzig oder dreißig ausgewählten Männern gegeneinander
antreten solle. Da Beaumanoir mit diesem Vorschlag einverstanden gewesen
sei, habe man einen Waffenstillstand geschlossen und vereinbart sich am
folgenden Mittwoch an einem Platz zwischen den Burgen zu treffen.
Historiker gehen nun davon aus, dass der eigentliche Grund mehr in der
grausamen Behandlung der Bauern durch die Garnisong von Ploërmel lag,
die mit Haft und Folter das letzte aus der Bevölkerung herauspresste.
Dennoch wurde das Ereignis von mehreren Chronisten überliefert. Froissart
bereiste einige Jahre später selbst die Bretagne und sprach noch mit Zeitzeugen
vor Ort und mit einem Teilnehmer am französischen Hof. Deshalb sind
der Ablauf des Kampfes und auch die Namen der Beteiligten relativ wenig
umstritten, auch wenn der Anlass ein wenig geschönt wurde.
Die französische Partei verfügte anscheinend über die
größere Auswahl, den ihr bereitete es keine Schwierigkeiten
neun Ritter und 21 Knappen ins Feld zu schicken, bei denen es sich ausschließlich
um Bretonen zum guten Teil aus bekannten Familien handelte. Ganz anders
war es bei den Männern von Ploërmel. Unter ihnen sind fast keine
namhaften Adligen zu erkennen. Bei ihnen handelte es sich ganz offensichtlich
um die typische Mischung fremder Söldner und englischer Aufsteiger
dunkler Herkunft, die in der Bretagne ihr Glück suchten. Englische
Historiker haben zwar keine Mühe gescheut nachzuweisen, dass ihr Anführer,
der manchmal auch "Richard Brambro" oder "Brembo" genannt wird Engländer
war. Da jedoch der Wittelsbacher Ludwig von Brandenburg Edward III. in
der Anfangsphase des Hundertjährigen Krieges mehrmals Söldner
lieferte, ist nicht unwahrscheinlich, dass es sich bei ihm um ein Überbleibsel
dieser Truppen handelte. Sein Name "von Brandenburg" ist allerdings ein
deutliches Indiz dafür, dass er nicht von Adel war. Ein anderer Deutscher
wird einfach "Gaultier l’Alemant" genannt, was ebenfalls auf eine niedrige
Herkunft schließen lässt. Bei dem "Deutschen" (heute würde
man Niederländer sagen) "Croquart" oder "Cokart" wird ausdrücklich
betont, dass er als Knecht nach Frankreich gekommen sei. Trotzdem soll
es sich bei ihm um den besten Kämpfer gehandelt haben. Insgesamt sollen
sechs deutsche Söldner an dem Kampf teilgenommen haben, dazu noch
vier Bretonen, die aber je nach Schreibweise manchmal auch als "Brabanter"
interpretiert werden.
Die Namen der zwanzig Engländer sind meist ebenfalls so unbedeutend,
dass auch sie nur selten zuzuordnen sind. Allerdings stößt man
bei ihnen auf zwei der später berühmtesten Söldnerführer,
die hier aber noch am Anfang ihrer Karriere standen: Hugh Calveley (oder
Calverley) und Robert Knolles. Calveley war wahrscheinlich ein kleiner
Landbesitzer, der aus Nachbarn und Bekannten eine kleine Kompanie von 15
Men at Arms gebildet hatte, um in der Bretagne zu Reichtum zu kommen.
Urkundlich erwähnt wird er bezeichnenderweise erstmals 1354 als ihm
und seinen Männern für ihre Dienste neben dem Sold ein
Generalpardon "für all ihre Gesetzesbrüche und Verbrechen" gewährt wird.
Knolles hatte wahrscheinlich als einfacher Bogenschütze angefangen
und sich dann langsam nach oben gearbeitet.
Am vereinbarten Tag trafen sich dann beide Gruppen begleitet von ihren
Damen, Dienern und zahlreichen Zuschauern zum Kampf. Nachdem sie die Messe
gehört, gebeichtet und die Absolution empfangen hatten, stellten sie
sich zu Fuß in zwei Linien auf und griffen an. Nach dem ersten starken
Schock kam es in einem wilden Gemenge zum Kampf Mann gegen Mann. Die
Franzosen hatten dabei zwei Tote und drei Verwundete, die gefangen genommen
wurden. Schließlich vereinbarten alle erschöpft eine Waffenruhe.
Jede Gruppe zog sich zurück. Alle ließen sich von ihren Dienern
Getränke bringen, verbanden ihre Wunden und ersetzten die zerschlagenen
Rüstungsteile und Waffen.
Der Kampf der Dreißig - romantisierende Darstellung aus dem 19.Jahrhundert
Danach formierten sie sich neu und begannen wieder mit dem Kampf. Ein
bretonischer Knappe warf sich auf Brandebourch und verletzte ihn schwer
mit seiner Lanze im Gesicht. Als dieser wieder auf die Beine kommen wollte,
wurde er von einem anderen Bretonen mit der Streitaxt erschlagen. Durch
den Tod des englischen Kastellans waren alle so verblüfft, dass die
Waffen wieder für einige Zeit ruhten. Danach übernahm Croquart
auf englischer Seite das Kommando. Er änderte die Taktik und befahl,
in einer fest zusammengeschlossenen Linie zu kämpfen. Bei dem Versuch
diese Mauer aus Stahl zu durchbrechen wurden einige Bretonen verwundet.
Bis sie schließlich gleichzeitig von vorne und an beiden Flügeln
angriffen und vier ihrer Gegner töteten. Als in dieser Phase auch
Jean de Beaumanoir verwundet wurde und blutüberströmt über
seinen Durst klagte, soll ihm ein anderer zugerufen haben: "Trink dein
Blut Beaumanoir und dein Durst wird dir vergehen!"
Als Croquart nun die Flügel etwas zurücknahm war es für
die Bretonen wieder unmöglich etwas gegen die Engländer auszurichten.
Die Entscheidung brachte schließlich ein Bretone, der ein Pferd bestieg
und es gegen diese fest geschlossene Linie trieb. Dem konnten die erschöpften
Männer nicht mehr standhalten. Ihre Schlachtordnung wurde zersprengt
und sie selbst von den nun siegessicheren Bretonen überwältigt.
Dabei hatten sie die meisten Verluste. Die Überlebenden wurden als
Gefangene nach Josselin gebracht, wo sie nach einiger Zeit gegen entsprechendes
Lösegeld wieder freigelassen wurden. Letzten Endes sollen die Engländer
ungefähr 10 Tote verloren haben gegenüber vier Bretonen.
Der Kampf der Dreißig hob fünf Jahre nach dem Desaster von
Crecy natürlich gewaltig die französische Moral, ansonsten hatte
er keinerlei Auswirkungen auf das Kriegsgeschehen. Dennoch demonstriert
er anders als die üblichen Zweikämpfe einiges vom Kampf zu Fuß
zwischen Schwerbewaffneten. Wenn man bedenkt, dass 60 Mann mehrere Stunden
mit Schwertern, Streitäxten, Kampfhämmern, Lanzen und Dolchen
gegeneinander wüteten, ist die Zahl der Toten erstaunlich gering,
von denen die meisten ohnehin in der Endphase getötet wurden, als
die englische Linie zersprengt war und sich die Männer wahrscheinlich
kaum noch auf den Beinen halten konnten. Oft wird auch die körperliche
Erschöpfung der Kämpfer nicht ausreichend beachtet. Was wäre
denn passiert, wenn statt der von beiden Seiten gewünschten Kampfpause
frische Truppen eingegriffen hätten, was ja in vielen Schlachten die
Entscheidung brachte? Normalerweise kann man mit einem Pferd gegen eine
geschlossene Gruppe von Rittern sicher wenig ausrichten. Sind diese aber
völlig erschöpft, können sie dem Druck eines schweren Pferdes
offensichtlich wenig entgegen setzen. Man muss sich einen Nahkampf zwischen
Rittern - abgesehen vielleicht von der ersten Stunde - weniger als Gemetzel
à la Hollywood vorstellen, sondern mehr wie einen Boxkampf in der
zwanzigsten Runde, bei dem die Kombattanten schieben und klammern, sich
wieder aufrappeln und aufeinander zutaumeln. Prellungen und Knochenbrüche
scheinen dabei eher die Regel gewesen zu sein als schwere Wunden.
Relativiert werden auch die Vorstellungen vom Rittertum als abgeschlossenem
Stand. Die adlige Abkunft mag an den europäischen Höfen durchaus
von großer Bedeutung gewesen sein, der Krieg eröffnete jedoch
vielen die Möglichkeit aufzusteigen. Calveley war bestenfalls ein
kleiner Landadliger. Als er später als großer Söldnerführer
nach Spanien zog, hatte er Schlösser und Burgen, verhandelte mit Königen
und heiratete eine aragonesische Prinzessin. Knolles, der später in
Friedenszeiten ebenfalls Krieg auf eigene Rechnung führte, wurde erst
1359 von einem seiner Untergebenen zum Ritter geschlagen. Am deutlichsten
wird die Problematik an dem ehemaligen Knecht Croquart. Nachdem er im Krieg
nicht nur zu viel Ruhm sondern auch zu großen Reichtümern gekommen
war, kehrte er in seine niederländische Heimat zurück und hielt
dort groß Hof, wurde aber als typischer Neureicher vom alteingesessenen
Adel geschnitten. Daraufhin kehrte er in den Krieg nach Frankreich zurück.
Dort soll ihm der französische König dann die Erhebung in den
Adelstand und die Ehe mit einer reichen Französin angeboten haben.
Croquart hielt jedoch dem englischen König die Treue, denn auch dort
liefen seine Geschäfte glänzend. Als er schließlich bei
einem Reitunfall starb, hinterließ er laut Froissart ein Vermögen
von 40.000 Goldecus und 30 bis 40 hervorragenden Kriegspferden.