Der Sold des Sultans
Mehmed der Eroberer und seine Kanoniere.
Als der türkische Sultan Mehmed II. nach seinem Regierungsantritt
1451 damit begann Konstantinopel einzuschließen und sich seinen Beinamen
"der Eroberer" zu verdienen, meldete sich beim Kaiser der bedrohten Stadt
ein Mann mit großen Plänen und exorbitanten Forderungen. Er
nannte sich Urban und stammte aus Siebenbürgen. Riesige Geschütze
wollte er gießen und die Türken damit zu Grunde richten. Doch
in Konstantinopel kannte man genug dieser Abenteurer, die ohne Geld im
Hafen ankamen und versuchten mit großen Versprechungen ihr Glück
zu machen. Anscheinend machte auch Urban keinen besonders zuverlässigen
Eindruck. Wahrscheinlich war er ziemlich abgerissen, ein Versprengter der
ungarischen Armeen, ohne Mittel für die Heimreise. Geschützgießer
waren zwar gesuchte Spezialisten und Urban forderte einen entsprechend
hohen Preis für seine Dienste, aber die Berater des Kaisers hielten
ihn für einen Scharlatan. Da man an Söldnern knapp war, stellte
man ihn trotzdem ein, allerdings für eine wesentlich geringere Summe,
die dann auch noch von korrupten Beamten zum Großteil unterschlagen
wurde.
Urban war empört und schlich sich aus der Stadt ins Lager des Sultans.
Mehmed schätzte die neuen Waffen, war aber zu ihrer Herstellung immer
noch auf christliche Gefangene und Renegaten angewiesen. Also wurde Urban
gleich mit Geschenken überhäuft und festlich bewirtet. Dann fragte
ihn der Sultan, ob er Geschütze von einer ausreichenden Größe
für die Mauern von Konstantinopel herstellen könnte. Urban behauptete
Geschütze für Steinkugeln beliebiger Größe gießen
zu können, womit man nicht nur die Mauern Konstantinopels, sondern
auch die Babylons in Staub verwandeln könnte. Der Sultan war begeistert
und versorgte ihn reichlich mit Geld, Hilfskräften und großen
Mengen an Erz. Nach drei Monaten war das Monstrum fertig. Zwei Stunden
waren nötig, um einen Schuss abzufeuern, aber jede der Steinkugeln
wog zwölf Zentner.
Die erste Probe sollte bald erfolgen. Zur Sperrung des Bosporus hatte
Mehmed die Festung Rumeli Hissari bauen lassen. Dort wurde das Riesengeschütz
platziert. Als eine venezianische Galeere die türkischen Aufforderungen
zum Beidrehen wie üblich missachtete, wurde sie mit einem einzigen
Schuss zertrümmert. Als Mahnung ließ Mehmed die gefangenen Venezianer
hinrichten. Bald darauf begann die eigentliche Belagerung Konstantinopels.
Mit 40 Ochsengespannen wurde Urbans Geschütz in Stellung gebracht.
Wo es dann seine zerstörerische Arbeit an den Mauern und Türmen
begann. Der Pulverdampf verbreitete sich über die Stadt und das Donnergrollen
eines Schusses soll über Kilometer weit zu hören gewesen sein.
Der griechische Chronist Michael Dukas schrieb, dass Urban, wenn man ihm
nur ein Viertel des Lohns bezahlt hätte, den er vom Sultan empfing,
der Stadt eine äußerst wichtige Hilfe gewesen und den Türken
gleichzeitig der wichtigste Teil ihrer Rüstung entzogen worden wäre.
So aber leistete Urban nun einen wesentlichen Beitrag zur Zerstörung
Konstantinopels.
Aber Urbans Karriere war kurz. Nach kurzem Einsatz zerplatzte die Riesenkanone
und riss ihn dabei in Stücke. Der Sultan ließ daraufhin eine
neue gießen. Wahrscheinlich taten dies nicht die Türken. So
leicht war die schwierige Kunst nicht zu erlernen. Aber im Heer des Sultans
dienten tausende von beutelüsternen Renegaten: Griechen, Serben, Italiener,
Ungarn und Deutsche. Darunter waren auch einige erfahrene Geschützgießer.
Die griechischen Chronisten erwähnten sie aber nur als namenlose Masse,
als "Franken". Bekannt wurde nur Urban, durch seinen Aufenthalt in Konstantinopel
und sein Riesengeschütz. Für die anderen Geschützgießer
war es relativ einfach nach Urbans Vorgaben Ersatz zu schaffen. Damit nicht
genug, gossen sie zahlreiche kleinere Geschütze und Steinbüchsen.
Michael Dukas schrieb, dass ein Schuss aus diesen Steinbüchsen zwei
gepanzerte Männer samt Schild durchschlagen habe. Sie waren zwar unhandlich
und hatten eine äußerst geringe Feuergeschwindigkeit, waren
in ihrer Wirkung aber trotzdem um vieles verheerender als Pfeile und Speere.
Der Kampf um Konstantinopel wurde dennoch weitgehend mit den Waffen
des Mittelalters ausgetragen. Die Angreifer stürmten mit Leitern und
setzten Katapulte und Belagerungstürme ein. Wo es der Untergrund erlaubte
trieben sie Stollen unter die Türme, um sie zum Einsturz zu bringen.
Man kann annehmen, dass auch hier fränkische Ingenieure im Einsatz
waren - Bergbauspezialisten aus dem Harz, Tirol, Böhmen und Ungarn.
Namentlich erwähnt wurde nur einer: der deutsche Ingenieur Johannes
Grande, der auf griechischer Seite kämpfte. Über seine genaue
Herkunft und seine Person ist nichts bekannt. Er muss allerdings eine wichtige
Position - eventuell als Festungsbaumeister - in Konstantinopel gehabt
haben. Denn während der Belagerung vertraute man ihm die Verteidigung
der Nordmauer an, die ohne den Schutz von Vorwerken besonders durch Minen
bedroht war.
Der Minenkrieg war heimtückisch und nervenaufreibend. Wenn der
Stollen groß genug war, wurden die Stützpfeiler verbrannt und
die einstürzenden Mauern begruben die Verteidiger unter sich. Diese
achteten deshalb mit größter Wachsamkeit auf das Geräusch
der Spitzhacken und Meißel und stellten Wasserschüsseln auf,
um an einem leichten Kräuseln der Oberfläche rechtzeitig Erschütterungen
zu erkennen. Wurde auf diese Weise eine Mine entdeckt, grub man einen Gegenstollen
und versuchte die Belagerer auszuräuchern. Grande war ein Spezialist
in diesem unterirdischen Krieg. Dukas berichtet: "Ein gewisser Johannes
aber, ein Deutscher, der in Kriegskünsten sehr erfahren war, und auch
die Bereitung des flüssigen Feuers verstand, bemerkte dieses Vorhaben,
und grub eine Gegenmine, füllte sie mit flüssigem Feuer, ganz
kunstgerecht, und als die Türken voller Freude kamen, um durch ihren
Gang in die Stadt einzudringen, da legte er selbst die Lunte an das Feuer,
das in der Gegenmine bereit lag, die er gegraben hatte, und verbrannte
die meisten von ihnen, und machte ihre Anschläge zunichte."
Aber der Fall von Konstantinopel war nicht aufzuhalten. Als der Sultan
seinen Kriegern alle Beute und Menschen in der Stadt versprach und für
sich selbst nur die leeren Häuser forderte, stürmten die Türken
und ihre christlichen Hilfstruppen die zerschossenen Wälle. Über
den Kampf, den Tod des Kaisers und die anschließende Plünderung
gibt es ausreichend Literatur. Über das weitere Schicksal von Johannes
Grande ist dagegen nichts bekannt. Wenn er in den harten Straßenkämpfen
nicht erschlagen worden ist, kann man wohl annehmen, dass er ihm Dienst
des Sultans sein Auskommen gefunden hat.
Urban war anscheinend mehr Gießer als Kanonier, denn er hatte
dem Sultan gesagt, dass er seinen riesigen Mörser nicht selbst ausrichten
könne. Die Mörser stellten als Wurfgeschütze die höchsten
Anforderungen an die Kanoniere: Abschusswinkel, Ladung und Windrichtung
mussten genau beachtet werden. Dennoch sollte man Urbans Leistung nicht
unterschätzen. Der Guss eines Riesengeschützes war eine technische
Höchstleistung. Das Eisen musste in mehreren Öfen gleichzeitig
geschmolzen werden und die Form einem immensen Druck standhalten. Außerdem
war Eisen nicht gleich Eisen. Die Türken versorgten ihn zwar mit dem
Rohstoff, doch Urban musste entscheiden, ob es zu viel Kohlenstoff enthielt
und damit zu hart und zu spröde war, oder ob es zu weich war. Zu hartem
Eisen konnte man einen Teil des Kohlenstoffs in Hochöfen entziehen.
Je größer die geschmolzene Metallmasse war, desto mehr bestand
die Gefahr, dass sich beim Guss Blasen bildeten und das Geschütz unbrauchbar
machten. War das Werk geglückt benötigte man riesige Kräne,
Flaschenzüge und Wägen mit Ochsengespannen, um die gewaltige
Masse zu bewegen.
Bei diesen Arbeiten muss man sich Urban den Abenteurer und skrupellosen
Söldner vorstellen. Gekleidet in prächtige türkische Gewänder,
Leibwachen und Dolmetscher an seiner Seite, kommandierte er ein zahlreiches
Heer von Sklaven und Arbeitern, überwachte den Bau der Öfen,
prüfte das Metall, trieb Zimmerleute an, schimpfte, schrie und machte
immer wieder beim Sultan Eindruck. Er saß in keiner fertig eingerichteten
Werkstatt mit gut ausgebildeten Hilfskräften. Alles, was er mitgebracht
hatte, befand sich in seinem Kopf. Die Türken gaben ihm Arbeitskräfte,
Erz, Lehm, Steine und Holz. Daraus ein funktionsfähiges Riesengeschütz
zu formen, grenzte wirklich an Zauberei.
Der auf griechischer Seite kämpfende Johannes Grande beherrschte
sicher auch nur einzelne Teilbereiche des Gewerbes. Da er nicht im Zusammenhang
mit Geschützen erwähnt wird und die Griechen jeden erfahrenen
Gießer eingesetzt hätten, kann man annehmen, dass er davon nichts
verstanden hat. Eventuell war er ein ehemaliger Bergmann, wofür seine
Erfahrung im Minenbau spricht. Wahrscheinlich war er aber auch Feuerwerker,
also ein Spezialist für die Zubereitung von Pulver und Sprengstoffen.
Man könnte einwenden, dass es keine große Kunst sei, aus Schwefel,
Salpeter und Holzkohle Pulver zu mischen und dieses zur Explosion zu bringen.
Aber Feuerwerker konnten viel mehr. Sie verstanden sich auf die Mischung
zahlreicher sehr modern anmutender Mittel. Ein um 1420 entstandenes Feuerwerksbuch
gibt einen schönen Überblick davon. Neben der Herstellung von
Salpeter und Knollenpulver werden Brandgeschosse, Rauchbomben, Feuerpfeile
und sich bei Nässe selbst entzündende Sprengsätze aus ungelöschtem
Kalk beschrieben. Es ist nicht bekannt über welches Wissen Johannes
Grande verfügte. Da ihm die Griechen aber den Einsatz des, als Staatsgeheimnis
gehüteten griechischen Feuers, kann man annehmen, dass er ihren Technikern
um einiges überlegen war.
Feuerwerker, Gießer und Kanoniere waren gesuchte Spezialisten,
die an den Fürstenhöfen Europas hohen Sold erwarten konnten.
Aber die festen Stellen waren schnell besetzt, und wenn gerade ein Feldzug
zu Ende war, musste sich mancher nach einer neuen Pfründe umsehen.
Dabei mussten sie sich natürlich zuerst einmal selbst anpreisen, und
man nimmt an, dass die ersten Feuerwerksbücher hauptsächlich
als Empfehlungsschreiben in eigener Sache geschrieben wurden. Deshalb ergab
es sich praktisch von selbst, dass auch immer wieder einige ihr Glück
im Dienst des Sultans versuchten. Das zog zwar die ewige Verdammnis nach
sich, bei der zu erwartenden fürstlichen Entlohnung hat das aber wie
so oft die richtigen Söldnernaturen kaum abgeschreckt. "Den Turban
nehmen" war eine gängige Redewendung, für den Übertritt
zum Islam. Einige kamen auf venezianischen Galeeren nach Konstantinopel,
Alexandria, Beirut oder in die Häfen am schwarzen Meer. In all diesen
Häfen lebten Christen, Moslems, Juden, Armenier und Kopten nebeneinander.
Es waren ideale Plätze, um die Fronten zu wechseln. Manch einer wird
sich gezielt auf den Weg gemacht haben, um für gutes Gold in die Dienste
des Sultans zu treten. Andere blieben zurück, brauchten ihr Geld auf
und suchten ein neues Auskommen. Die ersten türkischen Geschütze
wurden von Italienern gegossen, die immer zahlreich im türkischen
Sold zu finden waren. Doch bald folgten ihnen Franzosen, Böhmen und
Deutsche.
Für die meisten führte der Weg über den Balkan und die
Gefangenschaft. Die Herstellung von Salpeter, Pulver, Steinkugeln und Geschützen
lag auf dem Balkan fest in den Händen von Ausländern. Vor allem
die Ungarn stützten sich bei ihren Abwehrkämpfen gegen die überlegenen
Türken stark auf Kanoniere aus Böhmen und dem Reich. Als der
ungarische Reichsverweser Johann Hunyadi 1448 auf dem Amselfeld in einer
zweitägigen blutigen Schlacht von der türkischen Übermacht
geschlagen wurde, hielten seine deutschen und böhmischen Kanoniere
die Wagenburg im Zentrum bis zum bitteren Ende. Wer dem Gemetzel der Janitscharen
entging kam in Gefangenschaft. Da die Türken stark an Sklaven interessiert
waren, machten sie immer weit mehr Gefangene als ihre christlichen Gegner.
Von den überlebenden Kanoniere wird allerdings kaum einer auf den
Galeeren geendet sein, denn sie waren zu wertvoll für den Sultan.
Auch Hunyadis Sohn Mathias Corvinus kämpfte weiter gegen die Türken,
aber auch er musste Niederlagen einstecken und verlor tausende von Gefangenen.
Die Türken lernten von ihren Gegnern und versuchten immer mehr
dieser abendländischen Spezialisten in ihre Dienste zu ziehen. Gegen
gute Bezahlung lieferten die Venezianer gerne Kanonen und Fachkräfte,
und auch einzelne Abenteurer wechselten dafür den Glauben und die
Fronten. Aber damit war der riesige Bedarf an Gießern, Ausbildern
und auch einfachen Hakenschützen nicht zu decken. Der Großteil
wurde deshalb unter den Kriegsgefangenen rekrutiert, die anscheinend regelrecht
nach Fachleuten durchsucht wurden. Von einem solchen Schicksal berichtet
in recht dürftigen Worten der Büchsenmeister Jörg von Nürnberg.
Er war wahrscheinlich 1456 von Ulrich von Cilly Herzog Stephan Kosoco von
Bosnien zur Unterstützung geschickt worden. Neben ihm arbeitete dort
noch ein Bosnier, der vorher schon in türkischen Diensten gestanden
hatte. Auf dem Balkan waren die Grenzen schwimmend. Auch die christlichen
Kleinfürsten kämpften manchmal gegen die Türken und dann
wieder mit ihnen. So verbündete sich auch der rebellische Sohn des
Herzogs mit dem Sultan und fiel mit türkischen Truppen in seine Heimat
ein. Wie üblich wurde das Land verwüstet und die Bevölkerung
in die Sklaverei verschleppt. Auch Jörg erlitt mit seiner gesamten
Familie dieses Schicksal. Doch als Büchsenmeister wurde er schnell
aus der Gefangenschaft erlöst. Er schreibt: da wurde "ich maister
jörg mit weib und kindern gefangen vn gefurt fur den türcken
(Sultan) vnd da er erhört dz ich ein büchsenmaister was liess
er mich leben vn macht mir guten solt."
Über Jahre beteiligte sich nun Jörg im guten Sold des Sultans
an den Kämpfen auf dem Balkan zwischen Bosniern, Ungarn, Türken,
Albanern und Venedig. Er sah zahllose brennende Dörfer und Städte,
das Hinschlachten und Pfählen von Tausenden zur Vergeltung, Siege
und Niederlagen. Von seinen eigenen Verdiensten schweigt er verständlicherweise.
Dennoch scheinen sie nicht unbeträchtlich gewesen zu sein, denn nach
einigen Jahren nahm er an Kriegszügen nach Armenien, an den Euphrat
und auf der Krim teil. Die Osmanen expandierten an allen Fronten und gaben
nun ihrerseits die neue Technologie weiter, zum Teil im friedlichen Austausch
mit befreundeten Mächten, aber auch wie im Westen durch Schmuggler
und Renegaten. Bald fanden sich türkische Gießer und Kanoniere
von Marokko über Ägypten bis nach Sumatra und sogar im feindlichen
Persien. Vor allem die Mogul-Eroberer Indiens verdankten ihnen viel. Unter
ihnen haben sich vielleicht auch einige von Jörgs gelehrigen Schülern
befunden. Es ist auch gut möglich, dass damals schon der eine oder
andere deutsche Büchsenmeister als Gefangener, Überläufer
oder als Gastgeschenk bis nach Delhi gelangte.
Jörg selbst begleitete den Sultan einmal zu einem Treffen mit einem
verbündeten indischen Fürsten. Die Türken erhielten Elefanten
und Kamele als Geschenke, die Inder dagegen Kanonen, die ihnen bisher unbekannt
waren wie Jörg feststellt. Wenn Jörg nicht so eine Koryphäe
auf seinem Gebiet gewesen wäre, hätte er bei dieser Gelegenheit
vielleicht auch den Herrn gewechselt. Aber der Sultan hielt offensichtlich
große Stücke auf ihn. Denn als 1480 eine neue Großoffensive
gleichzeitig gegen Rhodos, Nauplia und Alexandria geplant wurde, schickte
er Jörg in geheimer Mission nach Alexandria. Als Fachmann und offensichtlich
auch Vertrauter des Sultans sollte er sich das Land und seine Befestigungen
ansehen, um festzustellen, was er benötigen würde, um es zu erobern.
Doch in Alexandria suchte Jörg Kontakt zu Franziskanermönchen,
die ihn auf eine venezianische Galeere schmuggelten, mit der er nach Italien
entkam. Was ihn zu diesem Schritt veranlasste ist unklar. Vielleicht waren
es Intrigen am Hof in Konstantinopel, oder er fürchtete nach über
20 Dienstjahren in der Türkei tatsächlich um sein Seelenheil;
an der Bezahlung kann es jedenfalls nicht gelegen haben. Dass er seine
Familie in der Türkei zurücklassen musste, scheint ihn nicht
bekümmert zu haben, denn er verliert kein Wort darüber. Möglicherweise
war seine Frau verstorben, die Töchter mit Janitscharenoffizieren
verheiratet und die Söhne zu braven türkischen Büchsenmeistern
geworden. Jörg selbst fand schnell wieder eine Stellung und trat in
die Dienste des Papstes, wo er sein "Tractat von den türcken" verfaßte.
Dass er bei diesem neuen Herrn seine früheren Leistungen stillschweigend
überging und statt dessen mehr über die Grausamkeiten und heidnischen
Bräuche der Türken schrieb versteht sich von selbst.
Während Jörg wieder ins christliche Abendland zurückgekehrt
war, begann 1480 der Großangriff auf die Johanniterfestung Rhodos.
Auch hier stößt man auf einen deutschen Renegaten in einer bedeutenden
Stellung. Die türkische Artillerie stand unter der Leitung von Meister
Georg aus Meißen, der damit ungefähr die Aufgabe erfüllte,
für die Jörg in Alexandria vorgesehen war. Doch anders als dieser
zeigte sich Georg als äußerst dankbarer Diener seines neuen
Herrn. In Konstantinopel stand er beim Sultan in höchstem Ansehen.
Er soll sich damit gebrüstet haben, viele tausend Christen umgebracht
zu haben und dass keine Mauer seinen Geschützen widerstehen konnte.
Vor den Wällen der belagerten Stadt goss er Geschütze und leitete
das Bombardement. Neben ihm hatten noch andere Renegaten das türkische
Ingenieurwesen und die Artillerie auf den neuesten Stand gebracht. Laufgräben
und Minenstollen wurden fachmännisch gegen die Mauern vorgetrieben,
die gleichzeitig einem furchtbaren Bombardement ausgesetzt waren. Bereits
in den ersten Tagen wurden allein neun Türme zerstört. Der Großmeister
D’Aubusson berichtete, dass täglich bis zu tausend Kugeln abgefeuert
wurden.
Am 28.Mai sah die Wache in der Dämmerung einen Mann am Graben stehen
und rufen. Ein Ritter, der in Konstantinopel als Gefangener gewesen war,
erkannte Meister Georg. Er wurde eingelassen und von einem deutschen Ritter
befragt. Dabei sagte er aus, dass er heimlich Christ geblieben sei und
nun den Rittern beistehen wolle. Einige der Johanniter waren dafür,
ihn sofort hinzurichten. Aber D’Aubusson war jede Verstärkung willkommen.
Georg sollte jetzt das Feuer auf die türkischen Batterien lenken,
die ihm ja bestens bekannt waren. Zur Kontrolle ließ ihn D’Aubusson
jedoch ständig von sechs Rittern bewachen. Mit der Zeit fiel auf,
dass er die Geschütze des Ordens immer an den Stellen des Walls platzierte,
die er als Fachmann für besonders schwach hielt. Die Türken nahmen
diese daraufhin gezielt unter Feuer. Aber auch die Ordensritter unterhielten
Spione im türkischen Lager. Pfeile mit Botschaften, die vor Georg
warnten, wurden über die Mauer geschossen. Als sich der Verdacht immer
mehr erhärtete wurde Georg verhaftet. Auf der Folter gestand er, stets
ein treuer Anhänger des Sultans gewesen zu sein. D’Aubusson ließ
ihn hängen. Ein deutscher Pilger, der kurz darauf nach Rhodos kam
schreibt darüber: "Sie sprechen, das der büchsenmaister gar ein
gnedigen Herrn an dem türckischen keyser gehabt hab vnd gar reilich
von Im begabt worden sey, er hab auch weyb vnd kynd zu Constantinopell
gehabt".
Rhodos konnte noch einmal gehalten werden, aber der Balkan wurde Ende
des 15. Jahrhunderts von den Türken überrannt. In den Türkenkriegen
der Habsburger kamen wieder zahllose Deutsche in türkische Gefangenschaft.
Aber viele kamen auch freiwillig. Sie flohen vor Schulden, dem Gesetz oder
wollten den engen Zunftbeschränkungen entkommen. Die Türkei erschien
oft als ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Den Tüchtigen
standen Tür und Tor offen. Vor allem Gießer, Uhrmacher und Goldschmiede
waren in Konstantinopel gesuchte Leute. Unter den türkischen Feldherren
befanden sich Griechen, Albaner, Polen, Rumänen, Russen, Italiener,
Kroaten, Bosnier und Deutsche. Ein Grazer, der den Namen Ahmed angenommen
hatte, befehligte die Janitscharen beim Sturm auf Stuhlenweißburg
und brachte es schließlich bis zum Großvesir. In der Schlacht
bei Mohacs 1526 sollen die Artilleristen in Soleimans Armee zu guten Teilen
italienische und deutsche Überläufer gewesen sein.
Die Gießer und Kanoniere, die freiwillig oder als Gefangene in
türkische Dienste traten, lebten in einem für europäische
Verhältnisse unvorstellbaren Luxus. Hier waren sie wirkliche Herren.
Sie kleideten sich in kostbare Stoffe, besaßen komfortable Wohnungen,
Sklaven, Diener und Frauen. Für sie gab es nur wenige Gründe
in die finsteren und schmutzigen mitteleuropäischen Städte zurückzukehren.
Man kennt weder ihre Namen noch ihr Schicksal, nur spärliche Nachrichten
verraten ihre Bedeutung und ihre Existenz. So berichtete zum Beispiel ein
französischer Reisender, dass er 1550 in der Gießerei von Konstantinopel
40 bis 50 deutsche Gießer beobachtet habe.