Ungern-Sternberg
Der blutige Baron und sein Reich in der Mongolei.
Unter all den grausamen und perversen Gestalten, die der russische Bürgerkrieg
in nicht geringer Zahl hervorbrachte, nimmt Baron Ungern-Sternberg sicher
eine finstere Spitzenposition ein. In Europa erreichte er unter den Bezeichnungen
der "blutige" oder der "verrückte Baron" eine gewisse Berühmtheit,
in der Mongolei hielten ihn dagegen viele für den "Wiedergeborenen
Kriegsgott" oder den "Wiedergeborenen Dschingis Khan". Seiner eigenen Erzählung
nach, bei der die Fakten sicher stark von Legenden überwuchert wurden,
entstammte die Familie Ungern von Sternberg einer Mischung aus Deutschen,
Ungarn und Hunnen. Einige hatten an den Kreuzzügen teilgenommen; einer
war als fahrender Ritter durch ganz Europa gezogen und hatte in Spanien
ein ruhmvolles Ende gefunden; ein anderer war ein berüchtigter Raubritter
gewesen. Ein Teil der Familie war mit dem Deutschen Orden nach Preußen
gegangen, wo dann bei Tannenberg zwei Barone der Familie gefallen waren.
Da sich der Besitz der Ungern-Sternberg hauptsächlich in Lettland
und Estland befunden hatte, waren sie dann russische Untertanen geworden.
Ein Ungern-Sternberg hatte sich im indischen Ozean als Seeräuber betätigt,
war schließlich von den Briten gefangen und an die russische Regierung
ausgeliefert worden. Während seiner langen Zeit in Asien war er Buddhist
geworden, was dann auch die Religion seiner Nachkommen wurde.
Sein Enkel Roman Feodorovich diente dann in Sibirien als zaristischer
Offizier, wurde aber schließlich wegen mehrerer Duelle und wiederholter
Disziplinlosigkeit aus der Armee ausgeschlossen. 1912 hatte er die Mongolen
in ihrem Unabhängigkeitskampf gegen China unterstützt. Beim Ausbruch
des Ersten Weltkrieges war er dann wieder in die russische Armee aufgenommen
worden und hatte wegen seiner Tapferkeit schnell Karriere gemacht. Im Bürgerkrieg
schloss er sich dann den weißen Truppen unter Koltschak an. Allerdings
diente er dort in den Einheiten des Kosaken-Warlords Semjonov, die weitab
der Front im östlichen Sibirien auf unbeschreibliche Weise hausten.
Ihr Kampf gegen die Bolschewiken bestand vor allem darin, dass sie ungehemmt
die Bevölkerung beraubten, zahllose "Verdächtige" ermordeten,
Versorgungsgüter der Alliierten unterschlugen und die Flüchtlinge
in der transsibirischen Eisenbahn ausplünderten. Obwohl oder gerade
weil im Bürgerkrieg blutiger Terror auf beiden Seiten zum Tagesgeschäft
gehörte, spricht es Bände, dass Koltschak nach seinem Rückzug
nach Transbaikalien einige von Semjonovs Generälen vor ein Kriegsgericht
stellen ließ. Ungern-Sternberg entzog sich der Untersuchung indem
er sich mit seinen Kosaken in die Mongolei absetzte.
Nachdem Koltschak im Januar 1920 von der Tschechischen Legion, die sich
damit ihren freien Abzug erkaufte, an die Rote Armee ausgeliefert worden
war, versuchten sich viele der Überlebenden in die Mongolei durchzuschlagen.
Manchmal waren es Offiziere mit den Resten von ehemaligen Regimentern,
oft aber einzelne oder kleine Gruppen, die sich nun neu formatierten. In
Turkestan im Westen etablierte sich Ataman Annenkov mit seinen Orenburg-Kosaken,
bei Chiguchack General Bakich und im Altai Colonel Kaigarodov. Die stärkste
Gruppe stand jedoch unter dem Kommando Ungern-Sternbergs, der zudem auf
starke Unterstützung der Mongolen zählen konnte. Dabei machte
er sich die bestehenden Spannungen zwischen Chinesen und Mongolen zunutze.
Da die Mongolei lange chinesische Provinz gewesen war, hatte die einheimische
Bevölkerung immer mehr Einfluss und Land an zugewanderte Chinesen
verloren. Beim Sturz der Mandschu-Dynastie 1911 hatte Russland die Gunst
der Stunde genutzt und die Unabhängigkeit der Mongolei unterstützt
und so seinen eigenen Einfluss erweitert. China hatte deshalb während
des russischen Bürgerkriegs nicht lange gezögert und 1919 das
Land erneut besetzt. Neben zahlreichen kleinen Militärposten stand
das größte Kontingent in der Hauptstadt Urga (dem heutigen Ulan-Bator).
Ungern-Sternberg hätte sich mit seinen Kosaken und seinen zusammen
geraubten Schätzen wie viele andere auch weiter nach Zentralasien
oder China durchschlagen können. Er plante jedoch größeres.
Zuerst wollte er mit den geflohenen Russen und den Mongolen, die chinesischen
Besatzungstruppen aus der Mongolei vertreiben, dann die Bolschewiken in
Sibirien vernichten und aus der Mongolei, Transbaikalien und der Mandschurei
ein asiatische Reich schaffen, von dem er wie Dschingis Khan gegen Europa
vorstoßen wollte. Man kann wohl davon ausgehen, dass der "verrückte
Baron" spätestens hier jeden Bezug zur Realität verloren hatte.
Um so erstaunlicher ist es, dass es ihm 1921 mit einer winzigen Armee aus
Russen, einigen freiwilligen und noch mehr gepressten Mongolen, Burjäten
und Tibetern tatsächlich gelang, sich für einige Monate zum Herrn
der Mongolei zu machen.
Man kann die groben Fakten in Lexika nachlesen. Ungern-Sternbergs Schicksal
wurde in zwei historischen Romanen und einem französischen Comic verarbeitet,
doch dabei verschwindet allzu viel von den Ereignissen hinter Hypothesen
und purer Fiktion. Etwas genauer, wenn auch deutlich beschönigend,
berichtet Ossendowski in seinem Buch "Tiere, Menschen und Götter" vom
Terrorregime des Barons in Urga. Uns interessiert aber viel mehr die Perspektive
der einfachen Soldaten, die dort in der Mongolei einen verzweifelten und
absurden Kampf im Dienst eines wahnsinnigen Tyrannen ausfochten und sich
dabei anscheinend von seinem kranken Geist infizieren ließen, so
dass sie in ihrer Verrohung die letzten Reste der Zivilisation abstreiften.
Von ihren Strapazen während der Flucht, der unglaublichen Härte
und der Grausamkeit der Kämpfe in der eisigen Steppe berichtet ein
gewisser Dimitri, der das meiste aus allernächster Nähe miterlebt
hatte.
Dimitri hatte am Weltkrieg als Artillerist teilgenommen und sich nach
der Revolution dann wie viele Offiziere den Truppen Koltschaks angeschlossen.
Nachdem seine Einheit bald nach Koltschaks Ende von der Roten Armee bei
Irkutsk zerschlagen worden war, gelang es ihm sich verkleidet als deutscher
Kriegsgefangener langsam zu Fuß in die Mongolei durchzuschlagen.
Auch in der Mongolei herrschte Bandenkrieg übelster Sorte, in dem
sich Chinesische Soldaten, Nomaden, Kosaken, Weiße und Rote erbittert
bekämpften. Da jede Gruppe panische Angst vor Spionen hatte, suchte
man ständig nach Verrätern, die dann ein grausamer Tod erwartete.
Natürlich wurden dabei weit mehr Unschuldige als echte Spione hingerichtet.
Ein einzelner Flüchtling hatte in diesem Chaos keine Chance, und so
schloss sich Dimitri einer Gruppe weißer Kosaken an. Einige neue
Freiwillige beschreibt er folgendermaßen: "Sie waren unterernährt
und mangelhaft gekleidet, ohne Munition. Sie waren gefährliche Männer,
bereit zu beißen und zu töten. Töten bereitete ihnen großes
Vergnügen, nicht nur weil es ihren eigenen Tod hinausschob, sondern
auch weil es sie stärkte, sie mit Munition, Essen und Kleidung versorgte."
Gemeinsam begannen sie ein wildes Räuberleben. Sie schlugen sich
mit anderen Gruppen und überfielen kleinere Chinesische Außenposten,
deren Besatzung sie gnadenlos massakrierten. Gefangene wurden nie gemacht.
Als sie einmal in einem Gefecht eine andere Bande zerschlagen hatten, gab
es für die Überlebenden keine Gnade. "Wie hungrige Wölfe
mit bösen Blicken saßen sie auf dem Boden in der Ecke des Hofs.
Wir gaben ihnen Picken und Schaufeln, und sie gruben ihre eigenen Gräber.
Taub gegenüber ihren Protesten, Bitten und Seufzern, erstachen wir
die zwei Mongolen, und der Chinese begrub sie. Wir hängten den dritten
Banditen an seinem Zopf, da es eine unverdiente Gnade gewesen wäre,
einen Chinesen schnell zu töten. Er starb später nach langen
Todesqualen und unsere Hunde fraßen ihn in den nächsten Tagen.
Ich beobachtete all das und beteiligte mich an einigem. Wenn ein Mann durch
all das gegangen ist, was ich seit der Revolution erlebt hatte, verliert
er viele seiner zivilisierten Eigenschaften."
Fast erstaunt registriert Dimitri den Verrohungsprozess an sich und
seinen Kameraden. Das hielt sie dennoch nicht davon ab, manchmal wehmütige
russische Lieder zu singen. Besonders sentimental feierten sie Weihnachten,
wobei der Baum mangels anderer Dinge mit Patronenhülsen und bunten
Stofffetzen behängt wurde. In dieser Zeit hörten sie auch immer
mehr vom verrückten Baron, der Ende Oktober 1920 vergeblich versucht
hatte Urga zu stürmen. Von der weit überlegenen chinesischen
Garnison abgeschlagen, hatte er am Kerulen ein Winterlager bezogen und
sammelte nun neue Kräfte. Aber auch unter Dimitris abgebrühten
Kameraden galt Ungern-Sternberg als perverser Sadist. So hatte er bei seinem
überstürzten Rückzug von Urga die Schwerverwundeten einfach
vergiften lassen, da sie seinen Marsch behinderten. Geradezu besessen suchte
er ständig unter seinen eigenen Truppen nach "Verrätern", die
er oft zu seinem persönlichen Vergnügen zu Tode foltern ließ.
Einige wurden langsam über Feuern gegrillt, andere ließ er von
seinen Wölfen zerreißen, die meisten wurden aber in guter alter
Kosakentradition totgepeitscht. Um die Disziplin unter seinen aufrecht
zu erhalten, wurden auch Offiziere bei den geringsten Anlässen gepeitscht.
Eine andere äußerst beliebte Strafe war es, die Delinquenten
mehrere Tage auf dem Eis eines Flusses oder einem Dach ausharren zu lassen.
Unter diesen Umständen hielt es Dimitris Gruppe für besser,
ihren eigenen Krieg zu führen. Als sie sich stark genug fühlten,
unternahmen sie Einfälle nach Russland. Dort gelang es ihnen sogar
einige bolschewistische Außenposten zu überraschen und niederzumachen.
Danach zogen sie sich wieder in die Mongolei zurück und versuchten
ihr Glück an anderer Stelle. Damit hatten sie sogar einen gewissen
Erfolg, bis die Rote Armee eine Abteilung sibirischer Scharfschützen
auf sie ansetzte. Nur unter schweren Verlusten konnten sie sich jetzt den
Weg zurück freikämpfen. Als sie endlich ihre hartnäckigen
Verfolger abgeschüttelt hatten und noch dabei waren ihre Wunden zu
lecken, wurden sie vom Regiment eines mongolischen Prinzen im Dienst Ungern-Sternbergs
gestellt. Nun blieb ihnen keine Wahl mehr, sie mussten sich den Truppen
des Barons anschließen.
Sie landeten zuerst in der Abteilung von Oberst Kazagrandi, der mit
500 Mann in Bangai Kure herrschte. Ossendowski, der ihm auch kurz begegnet
war, nennt ihn zwar "einen Mann aus guter Familie, einen erfahrenen Ingenieur
und trefflichen Offizier." Allerdings scheint Kazagrandi fast genauso mordlustig
wie der Baron gewesen zu sein. Der wesentliche Unterschied war nur, dass
Kazagrandi hauptsächlich aus Geldgier töten ließ. Reiche
Händler, auch wohlhabende russische Kolonisten verschwanden in seinem
Machtbereich meistens spurlos und ihr Besitz wanderte in Kazagrandis Taschen.
Auf unliebsame Zeugen oder Offiziere, die sich Kritik anmaßten, wartete
ein ähnliches Schicksal.
Durch den Angriff auf Urga hatte sich die Lage der Russen, von denen
einige tausend Kaufleute, Kolonisten und Flüchtlinge im Land waren,
dramatisch verschlechtert. Die Chinesen hatten alle Russen in Urga verhaftet
und in engen Käfigen zusammengepfercht, dort vegetierten sie nun unter
unmenschlichen Verhältnissen. Diejenigen, die sich an anderer Stelle
im Land aufhielten, versuchten sich teilweise nach China oder Mandschuko
durchzuschlagen, den meisten blieb jedoch keine andere Wahl als sich Ungern-Sternbergs
Truppen anzuschließen. Im Gegensatz zu den Kosaken handelte es sich
bei ihnen jedoch hauptsächlich um Zivilisten die keine oder nur wenig
Kriegserfahrung hatten.
In der Armee, die der Baron am Kerulen sammelte galt folgende Rangordnung:
An erster Stelle stand das mongolische Regiment, das seine Leibwache bildete
und sich bei Unterkunft und Verpflegung zahlreicher Privilegien erfreute.
Danach kamen die Burjäten und die Tartaren. Diesen folgte ein japanisches
Korps. Erst dann folgten die Regimenter aus gepressten Mongolen und die
aus russischen Zivilisten, die allgemein sehr verachtet wurden. Aber ganz
am anderen Ende rangierten die Weißrussen und Kosaken. Sie waren
"dreckig, zynisch und grausam" und das eigentliche Rückgrat der ganzen
Armee. Dennoch richtete sich der Hass des Barons vorwiegend gegen sie.
Fast alle waren ehemalige Offiziere der zaristischen Armee, die ihn einst
ausgestoßen hatte, und das ließ er sie bei jeder Gelegenheit
spüren. Immer wieder ließ er einzelne als Verräter hinrichten,
oder verteilte großzügige Prügelstrafen. Wie wenig ihm
das Schicksal seiner Soldaten bedeutete, wird besonders durch einen Vorfall
unterstrichen. Als sich aufgrund der schlechten Versorgung die Krankheitsfälle
wegen Skorbut häuften, befahl er dem leitenden Arzt einfach alle Kranken
im Lazarett zu vergiften, was dieser auch ohne Zögern tat. Danach
gab es keine Krankmeldungen mehr. Die Soldaten zogen es vor, in ihren Jurten
zu sterben.
Ende Januar 1921 begann der Baron einen neuen Angriff auf Urga vorzubereiten.
Von militärischen Planungen oder Strategie hielt er allerdings absolut.
Statt dessen befragte er die zahlreichen mongolischen Schamanen und Lamas
in seinem Gefolge, die mit Hilfe verkohlter Schulterknochen von Schafen
die Zukunft voraussagten. Als diese nun einen günstigen Termin gefunden
hatten, befahl er vor dem Abmarsch eine abschließende Musterung.
Erkennbar Kranke und Juden wurden dabei sofort erschossen. Verdächtige
"Rote" entlarvte der Baron selbst. Da er von seine höheren Fähigkeiten
überzeugt war, hielt er es für ausreichend, jedem Soldaten ins
Gesicht zu blicken, um Verräter sofort zu erkennen. Nach diesen Säuberungen,
denen Hunderte zum Opfer fielen, blieben ihm nach Schätzungen um die
2.000 Mann; die Chinesen hatten ungefähr 12.000 in Urga.
Mehrere Tage zog diese Truppe verzweifelter Männer durch Schneestürme
und grausame Kälte über das Hochplateau nach Urga. Trotz der
feindlichen Übermacht wollten sie kämpfen, allerdings nicht für
hohe Ziele, sondern für Essen, Kleidung, warme Unterkünfte und
Beute. Zudem hatte ihnen der Baron versprochen, dass sie nach einem Sieg
drei Tage ungestört plündern dürften. Nachdem kurz vor der
Stadt die Lamas noch einmal ausgiebig ihre Orakel befragt hatten, begann
der Angriff. Die Schlacht um Urga dauerte mehrere Tage. Gleich am Anfang
flohen viele Mongolen vor der chinesischen Artillerie und auch mit den
russischen Zivilisten war nicht viel zu erreichen. Doch die Veteranen des
Bürgerkrieges eroberten zuerst die Vorstädte. Sie wussten, dass
sie keine andere Chance hatten. Die Verwundeten wurden auf zweirädrigen
von Yaks gezogenen Karren zurück transportiert. Das dauerte Tage,
und bis dahin waren die meisten erfroren. Schließlich drangen die
Kosaken in die Innenstadt vor und es begann ein blutiger Nahkampf, mit
Bajonetten Säbeln und Handgranaten. Schließlich waren die gepressten
chinesischen Bauern diesen Wilden nicht mehr gewachsen und versuchten zu
fliehen, was allerdings nur wenigen gelang. Diejenigen, die ihren Verfolgern
entkamen, verdursteten oder erfroren zu tausenden bei ihrer Flucht nach
Süden durch die Gobi. Noch Jahre später war die Straße
mit Knochen übersät.
Damit begann das allgemeine Gemetzel. Es folgte ein dreitägiger
Alptraum aus Vergewaltigung, Raub und Mord. "Betrunkene Reiter galoppierten
durch die Straßen, schossen und töteten aus purem Spaß".
Gesteigert wurde diese Gewaltorgie noch, als die russischen Gefangenen
aus den Gefängnissen befreit wurden. Halb wahnsinnig vor Hunger und
voller Rachegelüste ergossen sie sich in die Straßen. Die Juden
wurden durch die Straßen gejagt und zu Tode gequält; auch die
chinesischen Händler teilten dieses Schicksal. Viele Frauen wurden
brutal vergewaltigt; andere boten sich im Tausch gegen das Leben ihrer
Männer oder Söhne freiwillig an und wurden dennoch oft betrogen.
Der Baron ließ seine Männer gewähren, wahrscheinlich fühlte
er sich nun wirklich wie Dschingis Khan. Erst nach den zugesagten drei
Tagen sorgte er mit eiserner Faust wieder für Ruhe.
Kurz darauf wurde eine chinesische Entsatzarmee, die noch nichts vom
Fall von Urga erfahren hatte, vernichtend geschlagen. Anscheinend rechnete
Ungern-Sternberg nun mit einem größeren Bedarf an Soldaten,
denn er ließ nun nur die Offiziere erschießen, während
die Mannschaften in seine Armee eingereiht wurden. Einige wenige Monate,
nur so lange wie sein sprunghafter kranker Geist es zuließ, kümmerte
er sich um den Aufbau seines Reiches. Er ernannte ein Kabinett, ließ
Geld drucken, Steuern erheben, und natürlich mongolische Soldaten
ausbilden. Dabei schmiedete er Pläne mit anderen weißrussischen
Warlords unter General Semenov, die sich ganz im Osten im Amurgebiet unterstützt
von den Japanern noch hielten. Zusammen planten sie einen großer
Schlag gegen die Bolschewisten.
Am 27. Mai wurde die letzte Musterung abgehalten, dann begann der Marsch
nach Norden. Dieses Mal verzichtete der Baron zwar auf größere
Säuberungen innerhalb der Truppe, dafür ließ er aber die
in Urga bleibenden russischen Zivilisten ermorden, da er keine Zeugen zurücklassen
wollte. Wieder gab es keine genaueren Pläne, dafür hatte Ungern-Sternberg
ja seine buddhistischen Lamas mit ihren Gebetsmühlen und Orakeln aus
Tierknochen, die sie immer häufiger befragen mussten. Auch Truppenstärke
hielt er für sekundär, da er der festen Überzeugung war,
dass sich die russische Bevölkerung bei seinem Erscheinen sofort gegen
die Bolschewisten erheben und zu seinen Fahnen eilen würde. Um so
erboster war er, als die Russischen Bauern dann voller Panik in die Berge
flohen. Im ersten "befreiten" Dorf ließ er deshalb die wenigen Zurückgebliebenen
in einer Scheune verbrennen. Nachdem noch einige andere Dörfer erobert
worden waren, wurden einige Tage mit der Befragung von Orakeln vertan.
Dann rückten die ersten Abteilungen der Roten Armee an. Bald waren
Ungern-Sternbergs Truppen umzingelt und gerieten in mörderisches MG-Feuer.
Nur durch Erfahrung der alten Veteranen, die auch in verzweifelten Situationen
stoisch die Ruhe bewahrten, gelang es auszubrechen und in die Mongolei
zu entkommen. Dabei ging jedoch die gesamte schwere Ausrüstung samt
der Artillerie verloren. Dimitri kommentiert die Ereignisse so: "Er wurde
von einem viel schwächeren Gegner, der nur halb so viel Artillerie
und Männer hatte, geschlagen. So wurden die Mysterien der Schafschultern
vom gesunden Menschenverstand der Kommunisten besiegt."
In der Mongolei sammelte Baron Verstärkungen von anderen Detachements
und neue mongolische Regimenter, und stieß noch einmal nach Russland
vor. Wieder wurden ein paar verlassene Dörfer erobert. Schließlich
gelang es sogar eine rote Kavallerieabteilung zu schlagen. Die Gefangenen
wurden alle erschossen, die Krankenschwestern dagegen der Soldateska übergeben
- nicht eine überlebte die Vergewaltigungen. Bald waren jedoch neue
Abteilungen der Roten Armee zur Stelle, darunter die gefürchteten
sibirischen Scharfschützen. Ungern-Sternbergs Truppen hielten kämpften
zwei Tage verzweifelt, dann begann der überstürzte Rückzug
in die Mongolei.. Allerdings hatte sich die Lage nun gewaltig verschlechtert,
denn die Rote Armee hatte inzwischen Urga und die meisten größeren
Orte im Norden erobert. So zog sich der Ring der Verfolger immer enger.
Burjäten und Kosaken desertierten in Massen, und die Verbleibenden
waren nicht mehr bereit, den wahnsinnigen Befehlen des Barons zu folgen.
Allerdings hatten sie immer noch panische Angst vor ihm. Deshalb beschossen
sie in einer Nacht sein Zelt mit einem Maschinengewehr. Aber der Baron
entkam unverletzt, und floh zu Pferd zu seinem treuen Burjätenregiment.
Als ihn die aber mit einer Salve empfingen, ritt er weiter zu den Mongolen.
Doch die ergriffen vor ihm die Flucht. Schließlich überwältigten
ihn einige der Tapfersten. Da sie aber nicht wagten ihren wiedergeborenen
Kriegsgott zu töten, ließen sie ihn gebunden in Steppe zurück.
So fand ihn eine rote Patrouille. Als wichtiger Gefangener wurde er gut
behandelt und nach Sibirien gebracht. Dort wurde ihm dann im September
1921 der Prozess gemacht. Kurz darauf wurde er in Nowosibirsk hingerichtet
Nach Ungern-Sternbergs Flucht wurden im Lager zuerst seine treuen Diener
und Spitzel massakriert. Die gepressten Nomaden ritten zu ihren Stämmen
zurück oder nahmen in kleinen Gruppen ihr altes Räuberleben wieder
auf. Auch die überlebenden Kosaken teilten sich. Dem Gros gelang es,
nach Südosten auf chinesisches Gebiet zu entkommen. Zu ihrem Glück
zeigten sich die Chinesen wenig rachsüchtig. Nach Abgabe der Waffen
transportierten die Truppe mit der Bahn nach Wladiwostok, wo sie sich Semenovs
Kosaken anschließen konnten. Andere versuchten sich nach Mandschuko
durchzuschlagen. Dimitri wollte dagegen mit einer relativ kleinen Gruppe
über Tibet nach Indien in englisches Gebiet. Im Altai verweigerten
ihnen allerdings die kriegerischen Stämme den Durchzug, da sie in
ihnen nichts als räuberische Banditen sahen. "Tatsächlich haben
Wilde und Kinder ihre eigene Logik, eine furchtlose Logik, die die Sachen
bei ihrem richtigen Namen nennt," musste Dimitri zugeben.
Also wandten sie sich wieder nach Süden, wo es ihnen schließlich
gelang mit der Hilfe Einheimischer in zwei Monate die Gobi zu durchqueren.
Als sie endlich chinesisches Gebiet erreichten, machten auch sie keine
schlechten Erfahrungen. Der in dieser Region herrschende Warlord war ein
strenger Antikommunist und wollte sie sofort als Ausbilder engagieren.
Aber auch nachdem sie abgelehnt hatten, erhielten sie Verpflegung und freien
Bahntransport von Baotou nach Peking. Dort löste sich die Gruppe dann
auf. Einige fuhren nach Wladiwostok, um sich einem anderem weißen
General anzuschließen, zwei Kosaken gingen nach Indochina in die
Fremdenlegion, andere blieben in China. Damit waren sie nicht untypisch
für die zahlreichen Reste der zerschlagenen Weißen Armeen, die
um diese Zeit in China eintrafen. Viele dienten anschließend als
Söldner chinesischen Warlords, endeten in der Fremdenlegion oder als
Türsteher in Pariser Nachtclubs. Unter den chinesischen Gangstern
in Shanghai gehörte es jedenfalls bald zum guten Ton, sich einige
Kosaken als Leibwächter zu halten.