Operation Paperclip
Die Jagd auf die Gehirne.
Als 1957 der russische Sputnik als erster Satellit die Erde umkreiste,
tröstete der amerikanische Komiker Bob Hope seine in ihrem Selbstbewußtsein
tief erschütterten Landsleute in einer Fernsehsendung mit dem Witz:
"Das ist ganz einfach, ihre Deutschen sind eben besser als unsere Deutschen."
Wie in jeder guten Pointe, hatte Hope hier lediglich eine allgemein bekannte
Tatsache überspitzt formuliert. Richtiger wäre allerdings gewesen,
wenn er gesagt hätte: "Die Russen haben eben viel mehr Deutsche als
wir."
Begonnen hatte es mehr als zwölf Jahre zuvor. Bereits während
der Entwicklung der amerikanischen Atombombe, war die deutsche Konkurrenz
ins Visier des Geheimdienstes geraten. Das Auftauchen deutscher Düsenjäger
und Raketen verstärkten dieses Interesse. Als die alliierten Armeen
dann siegreich in Europa vorstießen, folgten ihnen Männer, die
gezielt nach den Entwicklern der gefürchteten deutschen Geheimwaffen
fahndeten. Von den Büroklammern, mit denen die Karteikarten der wichtigsten
Ingenieure gekennzeichnet waren, erhielt das Unternehmen seinen Namen:
"Operation Paperclip". Wirklich fündig wurden die Jäger allerdings
erst, nach dem deutschen Zusammenbruch. Am 2. Mai, fünf Tage vor der
Kapitulation, stellte sich Wernher von Braun mit den führenden Mitarbeitern
des Raketenzentrums Peenemünde den Amerikanern. Eine Tat, für
die nicht wenige einfache Soldaten noch zur selben Zeit gehängt wurden.
Andere folgten, und die Amerikaner kamen bald kaum noch damit nach, ihre
Beute zu sichten. Zu den Atomphysikern, Raketenbauern, Flugzeugingenieuren,
Elektronik- und Fernlenkspezialisten, kamen Uranvorräte, Raketen,
Düsenjäger und tonnenweise Akten und Konstruktionszeichnungen.
Bei der Auswertung und Teilung der Beute arbeiteten Amerikaner und Engländer
eng zusammen. Schlechter sah es für den dritten im Bunde aus: Die
Franzosen fanden ihre Besatzungszone bereits regelrecht ausgeplündert
vor, da die angelsächsischen Jagdkommandos bereits alles abgeräumt
hatten. Am schlimmsten traf es aber die Russen. Vor ihnen hatten sich nicht
nur die meisten Wissenschaftler in Sicherheit gebracht, sondern die Amerikaner
hatten auch die unterirdischen Raketenwerke in Thüringen gründlich
gesäubert, bevor sie diese an ihre Verbündeten übergeben
hatten.
Bald nachdem die Gefangenen gründlich vernommen worden waren, wurde
deutlich, daß man zumindest einige von ihnen für eine etwas
dauerhaftere Zusammenarbeit benötigen würde. Die Amerikaner hatten
die erste Wahl, wollten aber zunächst nur hundert Wissenschaftler
zeitlich befristet in ihre Dienste nehmen. Kurz darauf wurde die Zahl jedoch
auf 350 erweitert. Samt ihren Raketen landeten die führenden Köpfe
aus Peenemünde nun in New-Mexiko, um dort unter strenger Überwachung
ihre Arbeit fortzuführen. Wegen der V-Waffen-Angriffe auf London,
war an eine Verwendung deutscher Raketenbauer in England nicht zu denken.
Deshalb beschränkte man sich dort auf einige Spezialisten für
U-Boote und Düsenjäger. Das waren relativ wenige. Vor allem wenn
man bedenkt, daß allein in Peenemünde 5.000 Wissenschaftler
und Techniker gearbeitet hatten; ganz zu schweigen von denen, die bei Focke-Wulf,
Heinkel, Junkers oder Messerschmitt neue Triebwerke und Fernlenkraketen
gebaut hatten. Zwar kamen nicht wenige bei der privaten amerikanischen
Luftfahrtindustrie unter, dennoch blieben mehr als genug übrig, denen
das zerstörte Deutschland nicht viel zu bieten hatte. Unter ihnen
konnten nun auch die Zukurzgekommenen rekrutieren. Zuerst warben die Franzosen
mit Forschungseinrichtungen im grenznahen Elsaß und guten Verträgen
in Paris. Mit Eugen Sänger und Rolf Engel, zwei Pionieren im Bereich
der Raketentriebwerke, Wolfgang Pilz aus Peenemünde und anderen konnten
sie jetzt ebenfalls einige hochrangige Spezialisten verpflichten.
Aber auch die Russen bemühten sich eifrig um Mitarbeiter. Da sie
jedoch die ersten Wissenschaftler, die in ihre Hände gefallen waren,
sofort in die Sowjetunion deportiert hatten, hatten sie damit anfangs nur
geringen Erfolg. Doch dann änderten sie ihre Taktik und warben mit
gut bezahlten Stellen in Berlin, Leipzig und Dessau. Vielen der hungrigen,
arbeitslosen Ingenieure war es gleich, für wen sie Flugzeuge oder
Raketen konstruieren sollten, und die Forschungseinrichtungen lagen immerhin
in Deutschland. Im Herbst 1946 arbeiteten gut 5.000 von ihnen in der sowjetischen
Besatzungszone. Am 22. Oktober schlugen die Russen zu. Im Morgengrauen
wurden die Wohnungen umstellt und alle zum Dienst in der Sowjetunion "eingezogen".
Zusammen mit Frauen und Kindern wurden über 15.000 Menschen, nach
Russland transportiert, wo sie nördlich von Moskau ganze Siedlungen
bevölkerten. Es war der größte Fang der Siegermächte.
Abgesehen von dieser Zwangsmaßnahme unterschied sich der "Dienst"
in Russland von dem in Amerika im Wesentlichen in zwei Dingen: Die Russen
beauftragten die Deportierten nie mit ganzen Projekten, sondern immer nur
mit Detailfragen. Sie versuchten die Gehirne möglichst schnell und
effektiv auszupressen, um sie anschließend wieder los zu werden.
Das war sicher eine Behinderung, die aber durch die große Zahl mehr
als wett gemacht wurde. Während in Amerika die kleine auserwählte
Schar auf viele ihrer vertrauten Mitarbeiter verzichten mußte, hatten
die Russen ganze Forschungseinrichtungen verpflanzt, von den führenden
Köpfen bis zu den einfachen Technikern. Ende 1947 starteten die ersten
Raketen in Kasachstan, und als im Koreakrieg der amerikanische Jäger
F84 auf die russische Mig15 traf, sahen sich beide zum Verwechseln ähnlich.
Doch die Deutschen erfuhren nur wenig von den Ergebnissen ihrer Arbeit.
Sie sollten nur immer neue Probleme lösen, wofür ihnen dann die
baldige Heimkehr versprochen wurde. Lange wurde nichts daraus. Erst 1953
wurde dem Großteil die Rückreise gestattet; zwei Jahre später
folgten dann die letzten. Zur Zeit des Sputnikstarts war ihre Arbeit also
längst beendet.
Es blieb jedoch nicht beim Dienst für die Siegermächte. Das
Reservoir an Wissenschaftler war groß genug, um auch andere zu versorgen,
die an der neuen Technik teilhaben wollten und bezahlen konnten. Willy
Messerschmitt ging mit einigen Mitarbeitern nach Spanien und entwickelte
dort für Franco einen Düsenjäger. Der Chefingenieur von
Focke-Wulf, Kurt Tank, kam mit einem Koffer voller Blaupausen nach Argentinien
und zog andere aus seinem alten Team nach. Die Alliierten hatten zwar eine
Auswanderungssperre für Südamerika verhängt. Da sie sich
aber selbst am wenigsten an ihre Vorschriften hielten, war es nicht besonders
schwierig, diese zu umgehen. Manche kamen wie Tank über Dänemark
andere entlang der alten Rattenlinie der CIC über Italien. Beim Transport
halfen bestochene Amerikaner, und Mitarbeiter des Roten Kreuzes besorgten
Pässe für Displaced Persons.
Argentiniens Diktator Juan Péron hatte bereits im Krieg eng mit
den Nazis zusammengearbeitet und ihnen nur gezwungenermaßen formal
den Krieg erklärt. Die Nürnberger Prozesse hielt er für
eine "Entehrung der Soldatenehre". So erstaunt es nicht, dass Argentinien
bald zu einem sicheren Refugium für Nazis aller Couleur wurde. Neben
so bekannten Namen wie Adolf Eichmann, Josef Mengele und Erich Priebke
fanden sich auch zahlreiche italienische Faschisten, belgische Rexisten
und kroatische Ustascha-Leute ein. Der von Hitler hoch dekorierte Stukapilot
Hans-Ulrich Rudel – ein guter Freund von Mengele - Piloten und Techniker
für den Aufbau der argentinischen Luftwaffe und verdiente nebenbei
gut als Waffenhändler. Der ehemalige Fliegergeneral Adolf Galland
arbeitete als Berater im Luftfahrtministerium. Unter ihm sollen ca. 70
deutsche Fliegeroffiziere tätig gewesen sein. Der Andrang war so groß,
dass die Piloten bald als Wartungspersonal verwendet oder an zivile Projekte
verwiesen wurden.
Das wichtigste Projekt war aber der Bau des ersten Düsenjäger
Südamerikas, des "Pulqui" (Araukanisch Blitz oder Pfeil), der unter
Tanks Leitung entstand. Wesentlich an der Entwicklung beteiligt war auch
der französische Ingenieur und Flugzeugdesigner Emile Dewoitine, den
seine Landsleute wegen Kollaboration vor Gericht stellen wollten. Auf der
Suche nach erfahrenen Flugzeugtechnikern hatte der argentinische Oberst
Hennekens sogar in England eine Gruppe polnischer Ingenieure rekrutiert.
Die hatten dort im Exil in der Luftfahrtindustrie gearbeitet und wollten
nun nicht mehr in ihre kommunistische Heimat zurück. Also gingen sie
nach Argentinien und arbeiten hier gemeinsam mit ihren ehemaligen
Gegnern. Der erste Prototyp des Pulqui startete im August 1947 und galt
durchaus als genau so gut wie die sowjetischen oder amerikanischen Modelle
dieser Zeit. Bald musste das Projekt jedoch wegen zu hoher Entwicklungskosten
aufgegeben werden. Nach Peróns Sturz kehrte Tank nach Deutschland
zurück und versuchte die Bundesregierung für seine Projekte zu
gewinnen. Da man aber in seinem Vaterland keine Verwendung für ihn
hatte, ging er nach Indien und baute dort den Jäger "Hindustan HF24".
Natürlich war auch Ägypten, der andere Sammelpunkt alter Nationalsozialisten
wieder mit von der Partie. Zu den Veteranen des Afrikakorps und der SS
gesellten sich bald einige Ingenieure. Doch diese bunt gemischte Gemeinde
war in vielen militärischen Bereichen tätig, oder widmete sich
irgendwelchen dunklen Geschäften. Erst als 1951 General Wilhelm Fahrmbacher,
ein Artillerieexperte der Wehrmacht, mit 67 Beratern nach Ägypten
kam, konzentrierte man die Anstrengungen auf den Bau von Flugzeugen und
taktischen Raketen. Bald begannen jedoch die Großmächte, Ägypten
freizügig mit Waffen zu beliefern, und es erschien wesentlich einfacher,
Flugzeuge und Raketen zu kaufen, als sie im eigenen Land zu entwickeln.
Die Projekte wurden eingestellt, und die Deutschen kehrten in ihre Heimat
zurück. Während der Suezkrise wurde Nasser dann aber von seinen
Lieferanten im Stich gelassen und musste seine unter Ersatzteilmangel leidende
Luftwaffe ins Ausland in Sicherheit bringen. Ägypten ging zwar gestärkt
aus der Suezkrise hervor, aber Nasser hatte gelernt, was es bedeutete,
von der Gunst der Großmächte abhängig zu sein. Er war fest
entschlossen, nun in Ägypten eigene Waffen herzustellen.
Die ersten Kontakte vermittelte Alois Brunner. Brunner hatte als SS-Sturmbannführer
für Eichmann, der ihn für einen seiner "besten Männer" gehalten
hatte, die Judendeportation aus dem Reich organisiert. Danach hatte er
kurz für die CIA gearbeitet und dann die Org (Organisation Gehlen)
in Damaskus vertreten, bevor er sich animiert von Gehlen – natürlich
auf Drängen der Amerikaner, die dezent im Hintergrund bleiben wollten
– dem Aufbau eines ägyptischen Sicherheitsdienstes widmete. Im Gegensatz
zu vielen seiner deutschen Kollegen, die nach einiger Zeit heimgekehrt
waren, zog es Brunner vor in Ägypten zu bleiben, da er inzwischen
als Kriegsverbrecher gesucht wurde. Er beschaffte der ägyptischen
Regierung die begehrtesten deutschen Söldner dieser Zeit: die Flugzeug-
und Raketenbauer.
Die Zeit war günstig. Schon vor einigen Jahren hatten die Russen
ihre deutschen Wissenschaftler entlassen; etwas später folgten die
Franzosen. In der Heimat konnten diese einst international gesuchten Spitzenkräfte
nun froh sein, wenn sie Kabinenroller oder Nähmaschinen bauen durften.
Es waren banale, unheroische Tätigkeiten, die zudem auch noch recht
mittelmäßig entlohnt wurden. Ein typisches Beispiel war der
österreichische ehemalige SS-Standartenführer Ferdinand Brandner.
Er war ein Technikfanatiker und einer der führenden Konstrukteure
für Düsentriebwerke bei Junkers gewesen. Nach dem Krieg hatten
ihn die Russen aus einem Gefangenenlager im Ural geholt und ihm die Leitung
von 800 deportierten Technikern übertragen, um eines der stärksten
Triebwerke zu entwickeln. Als Brandner endlich 1954 aus Rußland zurückkehrte,
fiel es ihm schwer, wieder Fuß zu fassen. Eine erste Stelle mußte
er verlassen, als das Werk verkauft wurde, und in einer anderen wurde er
von ehemaligen Deportierten als Kameradenschinder angegriffen, bis er seinen
Hut nahm. Er, der im Dritten Reich und in der Sowjetunion unter schwierigsten
Bedingungen großartiges geleistet hatte, war nun nicht nur kaltgestellt,
sondern auch in finanziellen Schwierigkeiten.
Wahrscheinlich wurde der Kontakt zwischen ihm und der ägyptischen
Regierung über Brunner und die alten SS-Verbindungen hergestellt.
vielleicht reagierte Brandner aber auch auf eine der Anzeigen, die damals
für "Flugzeugwerke in Nordafrika Fachkräfte jeder Art" suchten.
Jedenfalls zögerte er nicht lange und unterschrieb einen Fünfjahresvertrag.
Jetzt konnte er nicht nur wieder seiner alten Leidenschaft nachgehen, sondern
erhielt auch als Leiter der ägyptischen Flugzeugproduktion ein fürstliches
Monatsgehalt von 10.000 Schweizer Franken. Brandner folgten andere deutsche
und österreichische Spezialisten, darunter Willy Messerschmitt, der
zwar inzwischen in Deutschland ein eigenes Unternehmen besaß aber
auf die lukrativen Exportaufträge nicht verzichten wollte. Unter Brandners
und Messerschmitts Leitung arbeiteten bald rund 200 deutsche Ingenieure
und einige tausend Ägypter an einem neuen Flugzeug. Schließlich
traf sogar Kurt Tank aus Indien ein, und man kombinierte für erste
Testflüge den indischen Jäger Hindustan mit dem ägyptischen
Triebwerk. Man könnte hier deshalb auch von einer frühen Verbindung
der "Blockfreien" sprechen.
Zur Raketenproduktion hatten sich mit Sänger, Engel und Pilz vor
allem die Veteranen aus französischen Diensten zusammengefunden. Auch
sie zogen alte Bekannte nach sich, zum Teil aber auch ihre Assistenten
von deutschen Universitäten. Es lebte sich gut in Ägypten. Viele
hatten ihre Familien mitgebracht und leisteten sich die neuesten Modelle
von Mercedes und Opel. Die Gehälter waren hervorragend, und die fremden
Fachleute bevölkerten die alten britischen Kolonialclubs und deutschen
Bierkneipen. Das Horst-Wessel-Lied wurde jetzt nicht mehr gesungen - zumindest
nicht in Anwesenheit unerwünschter Zeugen -; man beschränkte
sich bei der Brauchtumspflege auf Karnevalsfeiern in Hilton-Hotel. Die
meisten waren wegen des Geldes gekommen oder um endlich an großen
Projekten mitarbeiten zu können. Einige waren jedoch der Überzeugung,
in Nassers Diensten den "Kampf gegen das Weltjudentum" fortsetzen zu können.
Ein Heimkehrer meinte, dass gerade die Gruppe um Brandner am "tiefsten
in der Vergangenheit" stecken würde. Für eine angemessene medizinische
Betreuung der Gruppe sorgte der ehemalige KZ-Arzt Dr. Hanns Eichele, der sich
ebenfalls im sicheren Kairo niedergelassen hatte.
Trotz einiger interner Intrigen und Machtkämpfe entwickelte die
Gruppe innerhalb eines Jahres für Nasser zwei taktische Raketen, von
denen die größere, "El-Kahir" (Der Eroberer), 560 Kilometer
Reichweite hatte. Anlässlich der jährlichen Revolutionsfeiern
im Juli 1962 konnte Nasser der Weltpresse seine neuen Waffen vorführen
und großspurig verkünden, dass diese bis südlich von Beirut
reichen würden; dort lag Israel, wie jeder wusste. Diese Nachrichten
lösten überall Empörung und wilde Spekulationen aus. Zeitungen
berichteten, dass alte Naziwissenschaftler für Nasser Raketen, Giftgas,
Atombomben, Todesstrahlen und vieles andere mehr entwickeln würden.
Dass in Kairo ein ehemaliger KZ-Arzt praktizierte, der auch viele der deutschen
Wissenschaftler und deren Familien behandelte, sorgte für weitere
Gerüchte von finsteren Naziverschwörungen. Wesentlich besser
informiert war der israelische Geheimdienst, durch seinen Spitzenagenten
Johann Wolfgang Lotz, der getarnt als ehemaliger Offizier des Afrikakorps
bei Kairo ein Gestüt betrieb. Unterstützt von seiner blonden
deutschen Frau Waltraudt repräsentierte Lotz, der erst als Zwölfjähriger
mit seiner jüdischen Mutter nach Israel emigriert war, genau den Typus
des Deutschen, dem in Ägypten alle Türen geöffnet wurden.
Er erfreute sich der Gunst hoher ägyptischer Offiziere, befreundete
sich mit deutschen Technikern und erfuhr auf diese Weise vieles über
den Stand und die Schwierigkeiten des Raketenprogramms.
Israel fühlte sich so stark bedroht, dass es mit einem heimlichen
Krieg gegen die Berater begann. 1962 explodierten Bomben in deutschen Niederlassungen
ägyptischer Im- und Exportfirmen und forderten mehrere Tote. Bei Lörrach
lieferte sich ein Wissenschaftler ein Feuergefecht mit einem Killerkommando.
Pilz erhielt in Kairo eine Briefbombe, die seine Sekretärin schwer
verletzte. Brunner hatte weniger Glück; er wurde beim Öffnen
eines Briefes fast getötet und verlor mehrere Finger. Nach seiner
Genesung hielt er es für besser, sich nach Syrien zurückzuziehen.
Doch die meisten Wissenschaftler ließen sich von den Attentaten nicht
beeindrucken. Sie trugen jetzt Waffen und wurden ständig von ägyptischen
Leibwächtern begleitet. Aber das Problem wurde schließlich nicht
mit Gewalt, sondern auf diplomatischer Ebene geregelt.
Die deutsche Regierung hatte die Aktivitäten der Wissenschaftler
lange stillschweigend geduldet, denn davon hingen einige lukrative Exportaufträge
ab. Mit der Zeit wurde der politische Druck, vor allem aus Israel, immer
stärker. Die Wissenschaftler selbst verharmlosten ihre Arbeit als
reine Forschung. "Wir haben mit diesen militärischen Dingen nicht
das geringste zu tun", sagte Pilz. Auf die Angriffe der Presse reagierten
sie mit Unverständnis. So wunderte sich einer der führenden Mitarbeiter
des Raketenprogramms, "dass wir nun Verbrecher sein sollten, weil wir in
Ägypten weiterarbeiteten und die Ägypter gerade Krach hatten
mit den Israelis". Doch diese Statements nützten nichts. Die Bundesregierung
drohte mit Paßentzug und der Streichung von Stellen, die einige der
Wissenschaftler an deutschen Forschungsinstituten noch bekleideten. Das
brachte die meisten zurück in die Heimat. Einige Unentwegte wären
sicher trotzdem geblieben, aber sie konnten nicht mehr, wie einst noch
die Büchsenmeister, ihre schrecklichen Waffen im Alleingang produzieren.
Da Ägypten über keine feinmechanische Industrie verfügte,
mußten zahlreiche Kleinteile aus Deutschland importiert werden. Unter
anderem waren Messerschmitt, Kugelfischer und Siemens mit im Geschäft.
Nachdem sich die Bundesregierung dazu aufgerafft hatte, die Exporte dieser
Firmen etwas genauer zu kontrollieren, war die Zeit der deutschen Spezialisten
am Nil vorbei. Sehr zum Leidwesen der Amerikaner wurden sie nun dort von
den Russen ersetzt.
Obwohl in keinem Buch zur Söldnergeschichte von Wissenschaftlern
die Rede ist, muss man sie dennoch dazu rechnen. In gewisser Weise repräsentieren
sie sogar den einzig effektiven Söldnertypus, den Europa im 20. Jahrhundert
noch auf dem internationalen Markt anzubieten hat. Am Beispiel der deutschen
Raketenkonstrukteure in Ägypten wird dies sicher am deutlichsten.
Werner von Braun, der schon dem "Führer" treu und ohne allzu viele
Fragen zu stellen gedient hatte und der dann für die Amerikaner eine
Art Nationalheld wurde, äußerte sich abfällig über
die "bedauerliche Geisteshaltung" seiner Kollegen im ägyptischen Sold.
Doch er hatte vielleicht einfach nur mehr Glück gehabt. Zu seinen
eigenen Motiven sagte er dagegen einmal: "Mein Land hat zwei Weltkriege
verloren. Das nächste Mal möchte ich auf der Seite der Sieger
stehen." Auf viele deutsche Wissenschaftler, egal ob sie in Rußland,
Ägypten oder Amerika weiterarbeiteten, trifft die Aussage des Büchsenmeisters
Jörg von Nürnberg über seinen neuen Herrn den Sultan zu:
"vnd da er erhört dz ich ein büchsenmaister was liess er mich
leben vn macht mir guten solt."