Apocalypse Now
Der Mann, der "Colonel Kurtz" war.
In Francis Ford Coppola's Film "Apocalypse Now" schickt die CIA Captain
Willard weit über die Grenze, um einen hochdekorierten Offizier der
Special Forces aus dem Verkehr zu ziehen. Dieser Offizier hatte dort in
der Wildnis von seinen Eingeborenensöldnern als Gott verehrt offenbar
den Verstand verloren. Er hielt über einen eigenen Radiosender reichlich
obskure Ansprachen und führte den Krieg auf derart atavistisch grausame
Weise, dass dies anscheinend sogar seinen Vorgesetzten im Pentagon zuviel
wurde. Die Rolle, die Joseph Conrads Roman "Heart of Darkness" für
die Figur des Colonel Kurtz gespielt hat, ist weitgehend bekannt. Doch
daneben gibt es noch andere, aktuellere Bezüge. Der konkrete Anlass
Kurtz aus dem Kongo in das Niemandsland jenseits von Vietnam zu verpflanzen,
lag in den verdeckten Operationen der CIA in Laos und Kambodscha.
Ende der Fünfziger Jahre bemerkte die CIA verstärkte Guerrilla-Aktivitäten
in Südvietnam. Die Nachschubroute verlief jenseits der Grenze durch
die unzugänglichen Bergregionen in Laos und Kambodscha und sollte
später den Namen Ho Chi Minh Pfad erhalten. Um dieses Problem in den
Griff zu bekommen, wurde beschlossen unter den einheimischen Meo-Stämmen
Söldner für den Krieg gegen den Kommunismus anzuwerben. Diese
sollten die Versorgung der Vietcong in Südvietnam unterbinden aber
auch die Infiltration von Laos und Nordthailand stoppen. Da die USA weder
in Laos noch in Kambodscha Krieg führten und ihr Engagement dort vor
der Öffentlichkeit geheimhalten mussten, liefen Organisation und Logistik
des Unternehmens hauptsächlich über die CIA-eigene Luftlinie
"Air America" oder eine derer zahllosen Tochterunternehmen. Die Arbeit
vor Ort erledigte eine Hand voll Green Berets, deren Existenz vom US-Militär
jederzeit bestritten wurde. Ihre Aufgabe war es, Söldner unter den
Bergstämmen der Meo zu rekrutieren, diese an den von der Air America
gelieferten Waffen auszubilden, ihnen taktische Ziele zuzuweisen und nach
Bedarf Luftunterstützung anzufordern.
Hmong bedeutet "wilde Krieger" und das war auch die Eigenschaft, die
die Interventionsmächte an dem Meo-Volk so besonders schätzten.
Bereits die Franzosen hatten in den letzten Jahren des Indochinakrieges
aus ihnen eine kleine Armee aufgestellt, die in der Ebene der Tonkrüge
gegen die Vietminh kämpften. Die Hmong waren abgehärtet, tapfer
und kannten die Pfade im Dschungel. Sie waren die idealen Söldner,
und einer von ihnen war Vang Pao. Er begann seine militärische Karriere
1945 im Alter von 13 als Übersetzer für französische Fallschirmjäger,
die versuchten in der Ebene der Tonkrüge den Widerstand gegen die
Japaner zu organisieren. Er wurde Leutnant in der neuen laotischen Armee
und führte 1954 vergeblich eine Kommandoeinheit zum Entsatz der eingeschlossenen
Franzosen nach Dien Bien Phu. Am Ende des Indochinakrieges war er Major
in der regulären Armee, kommandierte aber gleichzeitig noch die Selbstschutztruppen
der Meos in der Ebene der Tonkrüge.
Wie ganz Laos gerieten auch die Hmong in den Strudel der Auseinandersetzungen
zwischen den pro-amerikanischen Kräften, den Neutralisten und den
kommunistischen Pathet Lao. Vang Pao und die Hmong schlugen sich auf die
Seite der Amerikaner. Die CIA rekrutierte tausende dieser tapferen Dschungelkrieger.
Sie verteidigten den Norden von Laos, rettenten abgeschossene amerikanische
Piloten und überfielen vietnamesische Konvois auf dem Ho Chi Minh
Pfad. Einzelne Trupps stießen sogar über die Grenze nach China
vor, beobachteten dort militärische Bewegungen oder zapften Telefonleitungen an.
Doch der Krieg forderte von ihnen einen enormen Blutzoll. Zudem mussten
sie immer wieder ihre Dörfer vor überlegenen Feinden aufgeben
und sich weiter in den Dschungel zurückziehen. Air America warf jetzt
hauptsächlich Reis ab, und die Hmong wurden zu einem Volk von Flüchtlingen
dessen einzige Bestimmung es war für die Amerikaner zu kämpfen
und zu sterben. Wollte ein Dorf Reis haben, musste es Krieger stellen.
Wenn es versuchte, sich diesem Kreislauf zu entziehen, wurde es bei den
Pathet Lao denunziert oder gleich als Feind behandelt. Als dennoch nicht
mehr genug Söldner rekrutiert werden konnten, begann Vang Pao unter
anderen Bergstämmen zu werben. 1971 auf dem Höhepunkt der Kämpfe
machten sie etwa 40% seiner Truppen aus, und viele der Überlebenden
Hmong waren Kindersoldaten. Bereits 1968 hatte ein CIA-Berater einem Journalisten
gegenüber eingeräumt: "Vor kurzem musterten wir 300 neue Rekruten.
30% von ihnen war 14 Jahre alt oder jünger, zehn waren sogar gerade
zehn Jahre alt. Weitere 30% waren zwischen 15 und 16. Die übrigen
40% waren 45 oder älter. Wo waren die fehlenden Jahrgänge? Ich
will es Ihnen sagen: Sie waren alle tot."
Da die CIA nie genügend Leute vor Ort hatte, um sich um alle Details
zu kümmern, suchte sie sich in jedem Stamm einen Verantwortlichen.
Dieser übernahm dann die Rekrutierung neuer Söldner, führte
sie ins Gefecht und bezahlte sie mit amerikanischem Geld. Manche von ihnen
entwickelten sich unter diesen Verhältnissen mit der Zeit zu mächtigen
Warlords, die vor allem ihre eigenen Interessen verfolgten. Natürlich
unterschlugen sie Teile des Soldes und des gelieferten Materials, wie es
Söldnerführer zu allen Zeiten getan hatten. Das richtig große
Geld machten sie aber beim Heroinhandel. Traditionell hatten die Meos seit
langem Opium angebaut, unter der Regie der Warlords und mit der Infrastruktur
und der Protektion der CIA erreichte das Geschäft völlig neue
Dimensionen. Vang Pao und andere laotische Generäle verfügten
jetzt über eigene Flugzeuge, oder ließen den Stoff direkt von
Air America zu den Absatzmärkten in Saigon, Bangkok oder Manila fliegen.
Dass das Heroin beträchtlich zur Zersetzung der Wehrkraft amerikanischer
Soldaten in Südvietnam beitrug, wurde von der CIA billigend in Kauf
genommen. Einer der amerikanischen Berater - ein gewisser Edgar Buell -
war als ehemaliger Farmer und guter Christ freiwillig nach Laos gegangen,
um den Meo-Flüchtligen dort humanitäre Hilfe zu leisten. Unter
seiner fachmännischen Anleitungen konnten die Meo ihre Opiumernte
gewaltig steigern. Er sagte zu ihnen: "Wenn ihr es pflanzt, pflanzt es
gut, aber lasst es niemanden rauchen."
Die Moral bleibt sicher in jedem Krieg zuerst auf der Strecke, doch
auch in dieser Beziehung wurden in Laos einige Rekorde gebrochen, und man
fragt sich was für Kreuzritter hier für Amerika in den Krieg
gezogen waren, die den Drogenhandel unterstützten, mit korrupten Generälen
paktierten, Massaker befahlen und Kinder auf die Schlachtbank führten.
Der bekannteste von ihnen, den einige sachkundige Leute für den
"echten" Colonel Kurtz halten, war Anthony Poshepny, kurz Tony Poe aber
auch bekannt als Agent Upin oder Pat Gibbs. Poe hatte als Marineinfanterist bereits
am II.Weltkrieg teilgenommen und anschließend an mehreren unerklärten
Kriegen der CIA. So hatte er nach 1956 geholfen, im Nordosten Indiens Angehörige
der Khamba zu rekrutieren, die in "Fort Hate" in Colorado ausgebildet
und dann nach Tibet geschickt wurden, um dort für den Dalai Lama und
gegen die Chinesen zu kämpfen. Poe war sicher einer der wenigen, die
diese Mission überlebten. Danach arbeitete er auf Sumatra an einer
Revolte gegen die indonesische Regierung. Anschließend trainierte
er einheimische Söldner, die gegen die Regierung des Prinzen Sihanouk
von Kambodscha kämpften. 1963 wurde er dann als Chefberater des Hmong-Generals
Vang Pao nach Laos geschickt, um dort die Sachen ins Rollen zu bringen.
Poe hatte den Befehl, sich um Organisation und Logistik zu kümmern,
sich aber aus Kampfhandlungen herauszuhalten. Doch nach und nach sickerten
zu seinen Vorgesetzten Nachrichten von blutigen Vergeltungsmaßnahmen
und anderen Grausamkeiten durch. So wurde bekannt, dass Poe seinen Männern
500 Kip (1$) für ein feindliches Ohr bezahlte. Als diese dann anscheinend
zu viele Ohren unklarer Herkunft anbrachten, erhöhte er den Preis
auf 5.000 Kip für einen Kopf mit einer Pathet Lao Mütze. Die Ohren
hingen wie Girlanden am Vordach seiner Veranda und einige der Köpfe
soll er in Spiritus in Einmachgläsern aufbewahrt haben; die anderen
ließ er hinter den feindlichen Linien abwerfen. Sozusagen als Krönung
heiratete er dann noch eine Hmong-Prinzessin. Das war gegen alle Vorschriften
und den CIA-Residenten in der Botschaft in Vientiane endgültig zuviel.
Man schickte Leute los, um Poe wieder unter Kontrolle zu bringen. Aber
Poe saß in einem Dorf nahe der chinesischen Grenze und lebte nach
seinen eigenen Regeln. Schon morgens schüttete er mindestens einen
Liter Whisky in sich hinein, um mit dieser Art von Leben fertig zu werden.
Manchmal zog er dann mit seinen Meo-Kriegern los und führte seinen
ganz persönlichen Krieg. Wenn es notwendig erschien, auch jenseits
der Grenze in China. Für seine Krieger war er eine Art Gott; auf seinen
Befehl fielen Reis und Waffen vom Himmel, und wenn stärkere feindliche
Stellungen ausgemacht wurden, ließ er Napalm regnen.
Was diese Schreibtischtäter in der Botschaft meinten, interessierte
ihn recht wenig. Einen Abgesandten der Botschaft nahm er zu einem Flug
über die Grenze mit und bedrohte ihn damit, ihn aus dem Hubschrauber
zu werfen. Wenn er wieder einmal total besoffen war, beschimpfte er auf
seinem Radiosender die CIA und den Botschafter. Um diesen Leuten klarzumachen,
welche Art von Krieg er führte, schickte er seine Berichte zusammen
mit abgeschnittenen Ohren an seine Vorgesetzten. Danach versuchte die CIA
ihn wirklich aus dem Verkehr zu ziehen. Sie schickte ihm zwei Killer, zuerst
einen Laoten, dann einen Amerikaner. Poe überlebte beide Anschläge.
Er verlor lediglich beim Entschärfen der Sprengfalle des Amerikaners
zwei Finger. Als der Krieg in Vietnam immer mehr eskalierte, und die
Amerikaner auch noch direkt in Kambodscha intervenierten, geriet Poe
in Vergessenheit. Er hielt sich bis zum März 1973, dann musste er
vor der Übermacht der Pathet-Lao flüchten. Von seinem Stützpunkt
ist nichts geblieben. Er ließ ihn am nächsten Tag mit Napalm
bombardieren. Nachdem die USA ihre Unterstützung für Laos völlig
einstellten und damit begannen ihre Truppen aus Südostasien abzuziehen,
mussten auch die Hmong vor der Übermacht des Feindes fliehen.
Viele von ihnen kamen in die USA. Vang Pao ließ sich als reicher
Geschäftsmann in Fresno nieder. Die Gerüchte über weitere
Drogengeschäfte wollten zwar nicht ganz verstummen, aber der General
widmete sich offiziel ganz dem politischen Kampf für die Freiheit
seines Volkes. Einige Hmong blieben allerdings in Flüchtlingslagern
im Nordosten Thailands. Poe scheint zuerst ihre Gesellschaft einer Heimkehr
vorgezogen zu haben. Offenbar hatte er aber Schwierigkeiten, sich an ein
ziviles Leben im Frieden zu gewöhnen, denn er hatte immer wieder wegen
Gewalttätigkeiten Ärger mit der Polizei. Zuerst waren die thailändischen
Behörden wegen seiner Verdienste im Kampf gegen den Kommunismus sehr
geduldig. Als sich sein Benehmen aber nicht besserte, setzte ihn die Polizei
in Bangkok in ein Flugzeug und schickte ihn nach Hause. Dort setzte er
sich dann in San Francisco zur Ruhe. Journalisten, die dort allerdings
"den echten Colonel Kurtz" suchten erlebten eine Enttäuschung. Sie fanden einen
alten Mann, der seine Orden zeigte, von abgeschnittenen Ohren und Köpfen
schwafelte und darüber klagte, dass er nie zu Veteranentreffen eingeladen
worden sei.