Für Abd el Krim
Die Deserteure der Fremdenlegion in Marokko.
Die Geschichte der Fremdenlegion als Söldnereinheit ist zugleich
auch eine Geschichte ihrer Deseurteure. Gerade in ihnen erkennt man viel
mehr von der traditionellen Söldnermentalität als in den romantisierten
Beau-Geste-Typen. Fast jeder der Veteranen, der "Anciens", hatte mehrere
Fluchtversuche hinter sich. Obwohl sie sich ihrer Geschichte nicht bewußt
waren, und man sie mit drakonischen Strafen und Heldenkult zu Opfermut und
bedingungsloser Loyalität zu erziehen versucht hatte, so hielten einige
Unbelehrbare immer noch an dem uralten gottgegebenen Recht aller Söldner
fest, sich ihren eigenen Herren zu suchen.
Seit die Fremdenlegion im 19.Jahrhundert in Marokko zum Einsatz gekommen
waren, waren immer wieder Legionäre ins Rifgebirge geflohen; manche
hatten bei den Stämmen sogar den Ersten Weltkrieg überstanden.
Als die Berber schließlich darauf verzichteten, die meisten Deserteure
sofort zu ermorden, und statt dessen vor allem die Deutschen zum Überlaufen
aufforderten, steigerte das die Anzahl der Deserteure gewaltig. So wechselten
von einem an der Grenze stationierten Bataillon 1920 über 100 Mann
die Fronten. Sogar von den Eliteeinheiten, den berittenen Kompanien, flohen
einige zu den Berbern. Die meisten erreichten mit Hilfe der Einheimischen
Tanger, wo sie vom deutschen Konsulat mit Papieren und Schiffspassagen
ausgestattet wurden. Einige blieben jedoch in Marokko und verfaßten
dort Flugblätter, in denen Deserteuren Essen, Frauen und Beute versprochen
wurde. Aber sie beteiligten sich auch an den Raubzügen der Stämme,
und plötzlich wurden die französischen Außenposten auf
europäische Art mit Handgranaten und Maschinengewehren angegriffen.
Dabei sollen sich erfahrene Weltkriegsveteranen hervorgetan haben, darunter
ein ehemaliger Feldwebel namens Fischer. Schließlich wurden die Desertionsraten
wieder einmal untragbar, und die Fremdenlegion mußte von der Grenze
abgezogen werden, was zu einem guten Teil zu Abd el Krims Anfangserfolgen
beitrug.
Als es zum offenen Krieg mit Frankreich kam, schrieben die französischen
Zeitungen, daß einige Tausend Deutsche auf Seiten der Kabylen kämpfen
würden, denn anders konnten sie deren überragende Erfolge nicht
erklären. Das war maßlos übertrieben. In seiner Rolle als
Freiheitskämpfer versuchte Abd el Krim die Situation propagandistisch
auszuschlachten, indem er verbreiten ließ, daß den kolonialistischen
Unterdrückern bald nur noch Neger und Juden blieben. Der überwiegende
Anteil der Deserteure, der den Härten des Gebirgskrieges auf Seiten
der Kabylen ohnehin nur schwer gewachsen gewesen wäre, wurde nach
Tanger in die Freiheit entlassen. Auch das genügte, um die feindlichen
Kampfkraft zu schwächen. Nur diejenigen, die über besondere technische
Fähigkeiten verfügten, mußten zumindest für einige
Monate bleiben. Sie dienten als Ausbilder an den erbeuteten Geschützen,
sollten Waffen reparieren und ihre Landsleute zum Überlaufen auffordern.
Mit die wertvollsten Dienste leistete der deutsche Telephonist Walter Noah,
der sein Handwerk im Weltkrieg gelernt hatte und dann aus dem Tercio desertiert
war. Ohne besondere Hilfsmittel reparierte er erbeutete Feldtelephone und
schuf ein Fernmeldenetz mit eigenen Telephonzentralen, das viele Erfolge
der Kabylen erst ermöglichte.
Der bekannteste unter den Renegaten war Joseph Klems, der durch ein
Interview, das er dem Amerikaner Vincent Sheean gab, schnell zu einer Legende
wurde. Sheean war einer der wenigen Journalisten, denen es gelang sich
während der schweren Kämpfe in das Lager Abd el Krims durchzuschlagen.
Dort wurde er von einem braungebrannten Berberoffizier in Deutsch angesprochen.
Es war Joseph Klems, der berühmte "Hadj Alemán", der bei zahllosen
Raubzügen im Grenzgebiet ein Stück Papier mit seinem arabischen
Namen als Visitenkarte zurückgelassen hatte. Klems war der Sohn eines
Geschäftsmanns aus Düsseldorf. Statt von wilden Abenteuern in
Marokko träumte er von einer beschaulichen Weinhandlung in Köln.
Doch es kam anders. 1907, als er zwanzig Jahre alt war, lernte er eine
ungarische Sängerin kennen. Da diese Liaison von der gutbürgerlichen
Familie nicht geduldet wurde, setzte er sich mit seiner Geliebten nach
Paris ab. Dort lebten sie in einem kleinen Hotel in Montmartre. Aber das
Geld war schnell ausgegeben und die Sängerin suchte sich einen neuen
vermögenden Liebhaber. Klems, der sich durch seine Flucht vor dem
Militärdienst gedrückt hatte, konnte nicht mehr nach Deutschland
zurück. Wahrscheinlich hatte er sich auch des Scheckbetrugs schuldig
gemacht, obwohl er sich dazu nicht genauer äußert. In den nächsten
Jahren vagabundierte er mit falschen Papieren zwischen Konstantinopel,
Paris, Monte Carlo und Tanger. Er schlug sich mit kleinen Geschäften,
Betrügereien und vielleicht auch als Gigolo durch. Schließlich
landete er in Marokko. Da er kurz darauf in die Fremdenlegion eintrat,
kann man annehmen, daß ihm die Polizei auf den Fersen war. Er blieb
acht Jahre in der Legion und brachte es bis zum Leutnant. Doch nach dem
Weltkrieg wurde es zunehmend schwieriger für deutsche Offiziere. Klems
wurde angefeindet und als Boche beschimpft. Als er dann im Streit einen
Vorgesetzten niederschlug, mußte er flüchten. Damit begann 1920
seine Laufbahn in den Reihen der Berber.
Klems floh zu den Beni Warenne, einem Stamm jenseits der Grenze. Nach
einigen Anfangsschwierigkeiten, bewährte er sich bald bei ihren Raubzügen
nach Französisch-Marokko. Er kannte die Routinen und Schwächen
der Fremdenlegion und unternahm auch Kundschafterdienste in seiner Offiziersuniform.
Dabei wurde er selbst immer mehr zum Berberkrieger, denn er beschrieb dieses
Leben nicht ohne ein gewisses Wohlgefallen: "Manchmal überfielen wir
die Dörfer der Araber in der französischen Zone, töteten
viele Männer und nahmen ihre Frauen mit, wenn sie gute hatten, oder
ihre Maultiere wenn sie keine hatten." Die Beni Warenne, nannten Klems
"el Hadj" (der Pilger), da er in ihren Augen ein weitgereister Mann war.
Klems wurde Moslem, heiratete die Tochter des Sherifs und begann damit
seine Visitenkarte in zerstörten französischen Außenposten
zurückzulassen. Doch mit der Zeit fühlte er sich von dem Kleinkrieg
etwas unterfordert. Als aus dem Norden Gerüchte kamen, daß Abd
el Krim glorreiche Siege erfochten und tausende Spanier erschlagen hätte,
verließ Klems heimlich die Beni Warenne und machte sich auf den
Weg. Ein wenig bedauerte er zwar, auch seine Frau und seinen Sohn zurücklassen
zu müssen, tröstete sich dann aber wie viele Söldner: "aber
sie war genau genommen nur eine Frau, und ich war sicher, daß es
im Rif schönere Frauen geben würde."
Er hatte sich nicht getäuscht. Abd el Krim nahm ihn mit offenen
Armen auf, und bald hatte er drei Frauen in seinem Harem und wieder einen
Sohn. Für Abd el Krim arbeitete er vorwiegend als Kartograph und wird
zum Teil für die schweren spanischen Verluste mitverantwortlich gemacht.
Er schrieb aber auch Flugblätter, in denen die Deutschen im Tercio
zum Überlaufen aufgefordert wurden. Klems gleicht in manchem den
Renegaten des 15. Jahrhunderts, die für den Sultan Geschütze
gegossen hatten. Wie diese war er ein heimatloser Spezialist und Glaubensabtrünniger.
Auch seine Erklärungen könnten von einem dieser alten Renegaten
stammen: "Es gibt für einen Mann nur noch wenig in der christlichen
Zivilisation, wenn er Lebenslust, Glück oder Freude sucht. Die einzige
Welt, die zu einem Mann paßt, der auf diese Weise leben möchte,
ist die moslemische. Deutschland? Herr Gott! Ich bin ein Riffi, und meine
Kinder werden Riffis sein, und Deutschland ist nur noch eine Lektion, die
ich in meiner Kindheit gelernt habe. Ich bin darüber hinausgewachsen,
und über all die anderen Lektionen der Christen - gelobt sei Allah."
Für Sheean war Klems eine wilde romantische Figur, ein "Robin
Hood". Ähnlich dunkel ist dann auch sein weiteres Schicksal. Nach
manchen Gerüchten soll ihm nach Abd el Krims Kapitulation die Flucht
gelungen sein; nach anderen soll ihn ein Arabermädchen an die Franzosen
verraten haben. Diese sollen ihn zum Tode verurteilt dann aber auf deutsche
Intervention hin zu langjährigem Dienst im Strafbataillon der Legion
in Colomb-Béchar begnadigt haben. Klems blieb verschwunden, aber
er war nicht der einzige Renegat, der in Gefangenschaft gekommen war.
Von verzweifelten Kampf und Leidensweg der Renegaten berichtet ausführlich
ein gewisser Alois. Er war Ende 1921 auf Arbeitssuche nach Landau gekommen
und dort einem Werber der Fremdenlegion in die Hände gefallen, der
ihm eine gute Stellung bei der Polizeitruppe in Nordafrika versprach. In
Metz wurde er dann mit einigen anderen "Freiwilligen" so lange in Haft
gehalten, bis sie den Dienstvertrag unterzeichneten. Es folgte die übliche
Legionärsroutine: Transport ins Depot Fort St. Jean in Marseille und
von dort weiter zur Ausbildung nach Sidi bel Abbès in Algerien.
Anschließend wurden die Rekruten nach Marokko verlegt, zum Einsatz
in Frankreichs neuestem Krisenherd. Alois und seine Kameraden litten furchtbar
unter den Schikanen und der Arroganz ihrer Vorgesetzten, den Strapazen
der Gewaltmärsche, dem miserablen Essen und der entwürdigenden
Sträflingsarbeit. In Marokko wurde alles noch schlimmer. Immer wieder
überfielen die Berber kleine Stützpunkte und marterten ihre Gefangenen
grausam zu Tode. Oft bestanden diese abgelegenen Posten nur aus einigen
mit Drahtverhauen gesicherten Blockhäusern und einer Besatzung von
zwei, drei Dutzend Mann. Da die Offiziere ständig mit Überfällen
rechnen mußten, aber auch ihren eigenen Leuten nicht trauten, sorgten
sie mit eiserner Hand für Disziplin. Die geringsten Nachlässigkeiten
bei den erschöpfenden Befestigungsarbeiten und dem nächtlichen
Wachdienst wurden erbarmungslos bestraft. Alois berichtet von seinem Vorgesetzten,
daß er "seine Leute fast zu Tode gequält" habe.
Schließlich war der Haß der Legionäre so groß,
daß Alois und elf seiner Kameraden verabredeten, den Stützpunkt
den Marokkanern zu übergeben und mit ihnen gegen die Franzosen zu
kämpfen. Als jedoch einige vor den zu erwartenden Konsequenzen zurückschreckten
und der Plan aufgegeben werden mußte, entschlossen sich Alois und
drei andere Deutsche zur Flucht. Während einer gemeinsamen Nachtwache
zerstörten sie die Telephone und desertierten mit ihren Waffen und
einigen Handgranaten. Bald darauf wurden sie von einer Schar Berber umstellt
und überwältigt. Vielleicht wäre das schon ihr Ende gewesen,
aber mit Hilfe eines Berbers, der früher in der französischen
Armee gedient hatte, konnten sie die anderen davon überzeugen, daß
sie Überläufer waren. Damit begann ihr Leben als Renegaten. Sie
erhielten einheimische Kleidung, mußten sich einen Bart wachsen lassen
und zum Islam übertreten; das heißt, sie wurden beschnitten
und mußten die notwendigen Gebete lernen. Anfangs begegnete man ihnen
mit Mißtrauen, da die Berber hinter jedem Deserteur einen Spion vermuteten.
Nach drei Monaten wurden sie jedoch zu Abd el Krim geschickt, wo eine größere
Gruppe deutscher Renegaten, die bereits vor Jahren desertiert waren, sie
freudig begrüßte. Abd el Krim beschäftigte sie als Unteroffiziere
und Ausbilder. Als einige Monate später die große Offensive
gegen Französisch-Marokko begann, waren die Renegaten an vorderster
Front mit dabei. Mit Handgranaten und Maschinengewehren leisteten sie den
Berbern wertvolle Hilfe beim Kampf um die Blockhäuser. Doch dann lief
sich der Angriff fest, und während sich auf Seiten der Berber die
Verluste häuften, warf Frankreich immer mehr Truppen und Material
an die Front. Die Berber und die Renegaten wehrten sich verzweifelt aber
der Ring um ihre Gebirgsstellung schloß sich immer enger. Wie vielleicht
schon viele Renegaten vor ihm sagte sich Alois: "Allah, der mohammedanische
Gott, konnte uns nicht helfen und der Christengott auch nicht." Von Hunger,
Durst und Fieber geschwächt versuchten die Berber ihre letzten Stellungen
zu halten. Doch dann stürmten die Franzosen nach achttägigen
Kämpfen und schwerer Artillerievorbe-reitung mit frischen Truppen
die Linien. Die ehemaligen Legionäre kämpften mit dem Mut der
Verzweiflung und verreckten elend. "Tote lagen in Haufen umher, Verwundete
wälzten sich in ihrem Blut. [...] Grausige Bilder des Leids und des
Elends und Grauens mußten wir sehen. Zerfetzte Kleider, Blut und
Fleischklumpen lagen umher." Nur wenigen gelang die Flucht, aber auch sie
mußten sich kurz darauf der Übermacht ergeben. Die Gefangenen
wurden in ein Drahtverhau getrieben und tagelang ohne Nahrung und Pflege
für die Verwundeten gelassen.
Bald begannen die Franzosen nach Deserteuren zu forschen. Doch die waren
nicht so leicht zu finden. Sie sprachen leidlich arabisch, Sonne und Olivenöl
hatten ihre Haut gebräunt und beschnitten waren sie auch. Erst bei
einem Verhör durch marokkanische Offiziere wurden sie entdeckt. Alois
und 14 andere Deserteure kamen vor ein Militärgericht. Die Anklage
lautete: Übergang zum Feind, Mitnahme von Waffen, Erstürmung
eines französischen Postens mit Handgranaten. Zwei wurden zum Tod
verurteilt, die übrigen zu Arbeitslager, Alois zu 20 Jahren in der
Strafkolonie Cayenne. Zuerst kamen sie jedoch in das Gefängnis von
Oran. Dort mußten sie Halfaschnüre drehen oder bis zur Erschöpfung
in den Weinbergen arbeiten. Wer sein Pensum dabei nicht erledigte, dem
wurden das ohnehin schon äußerst magere Essen entzogen. Die
Wachen mißhandelten und schlugen die Gefangenen bei jeder Gelegenheit.
Viele Aufseher waren homosexuell und suchten sich deshalb spezielle Opfer.
Diejenigen, die sich wehrten, waren neuen sadistischen Quälereien
ausgesetzt. Aber auch unter den Sträflingen war Gewalt an der Tagesordnung.
Oft kam es zu schweren Kämpfen, was die Wachen gerne mit ansahen.
So empfanden es die meisten als eine Erlösung, als endlich wieder
ein Transport nach Cayenne zusammengestellt wurde.
Doch als sie dort ankamen, merkten sie schnell, daß die Erzählungen
von der "Hölle Cayenne" keine Übertreibungen gewesen waren. Vieles
an Alois’ weiteren Erlebnissen erinnert an den Henri Charrières
Roman "Papillon". Obwohl dem einfachen Ex-Legionär die Fähigkeit
fehlt, die Leiden und Strapazen ähnlich eindrucksvoll literarisch
umzusetzen, entstehen auch bei ihm Bilder des Grauens. Bei seiner Ankunft
wunderte er sich über die vielen Deutschen, die er im Lager traf:
"Ich glaube, die ganze Legion ist da!" Aber Cayenne war die letzte Station
der Meuterer und wiederholten Deserteure, für die Colomb-Béchar
zu schade war. In Cayenne sollten sie wie die deportierten Schwerverbrecher
langsam im Dschungel zu Grunde gehen. Die Sträflinge arbeiteten als
Holzfäller im Urwald oder beim Straßenbau um Kourou - dem heutigen
Raumfahrtzentrum. Kourou wurde als "letzte Etappe zum Verrecken" gefürchtet.
Die Straße wurde mit primitivsten Werkzeugen durch den Urwald geschlagen.
Abgemagert, fast nackt und vom Fieber geschüttelt wühlten die
Sträflinge im Schlamm. Oft versank die Arbeit von Monaten im bodenlosen
Morast, und pro Jahr wurde kaum ein Kilometer fertig gestellt, den hunderte
mit ihrem Leben bezahlen mußten. Wenn die Malariaanfälle zu
schlimm wurden, kamen die Kranken in ein Lazarett. Doch auch das war eher
ein Ort um zu sterben. Die Ärzte kümmerten sich nicht, und die
Pfleger waren nur hinter dem letzten Geld der Kranken her.
Auch Alois landete mehrmals im Lazarett, aber er überlebte und
schmiedete gemeinsam mit anderen Deutschen Fluchtpläne. Bei einem
ersten Versuch erreichten sie in einem gestohlenen Boot das offene Meer,
mußten sich dann aber nach einem Schiffbruch zu Fuß weiter
durchschlagen. Dabei wurden sie dann von Menschenjägern gefaßt.
Das waren meist ehemalige Sträflinge, die in der Kolonie von der Jagd
auf Flüchtlinge lebten. Die 30 Tage Haft für den Fluchtversuch
empfanden sie nicht als besonders schwere Strafe. Um so schlimmer war dagegen,
daß sie in ein Holzfällerlager im Landesinneren verlegt wurden.
Jetzt blieb nur noch der Weg durch den Dschungel nach Niederländisch
Guyana, hunderte von Kilometern durch fast undurchdringlichen Urwald. Aber
es war der einzige Ausweg. Denn kaum einer konnte damit rechnen, die Haft
lebend zu überstehen. Im Oktober 1927 wagte Alois deshalb mit acht
Kameraden wieder die Flucht. Sie besaßen ihre Haumesser, drei Flaschen
Kochsalzlösung und ein paar Zündhölzer. Als Nahrung fanden
sie nur selten einige wilde Bananen. Dennoch erreichten sie halb verhungert
nach 21 Tagen den Grenzfluß Maroni. Hier starb Walther aus Harburg
als erster an Entkräftung. Die anderen bauten ein Floß. Bei
der Überquerung des Flusses bedeckten sie wegen der Menschenjäger
fünf Mann mit Bananenblättern, so daß nur drei zu erkennen
waren. Als sie dann tatsächlich von zwei Menschenjägern, die
in einem Kanu den Fluß kontrollierten, gestoppt wurden, wurden diese
von den Verborgenen überwältigt und erschlagen. Mit den beiden
erbeuteten Gewehren konnten sie nun einige Affen und einmal ein kleines
Schwein schießen. Aber inzwischen hatten alle mehr oder weniger schwer
Malaria. Zuerst starb Willi Kaufmann aus Düsseldorf, kurz darauf Schüßler
aus Schwerin. Die Überlebenden schlugen sich verzweifelt und völlig
apathisch weiter durch den Urwald. Endlich trafen sie auf eine Siedlung
von Nachkommen, ehemals entlaufener Sklaven. Von ihnen wurden sie freundlich
aufgenommen, mit Nahrung versorgt und dann mit Kanus zu einer holländischen
Plantage gebracht. Auch von dem Pflanzer wurden sie voll Mitgefühl
empfangen und nach einigen Tagen auf einem Dampfer nach Paramaribo weitergeschickt.
Dort landeten sie zuerst einmal im Lazarett, während sich der deutsche
Konsul um die notwendigen Papiere kümmerte. Bis alles geregelt war,
vergingen zwar noch einige Monate; aber im April 1928 konnten die ehemaligen
Legionäre ihre Heimreise antreten.
Alois und seine Kameraden waren seltene Ausnahmen. Relativ gute Chancen
hatten noch die Deserteure, denen die Flucht über Tanger gelang. Für
diejenigen aber, die sich den Berbern angeschlossen hatten, gab es keinen
Ausweg. Wie einst die römischen Überläufer in Syrakus kämpften
sie am härtesten, da sie keine Gnade zu erwarten hatten. Sie wurden
zwar nicht mehr gekreuzigt, aber das langsame Sterben in Colomb-Béchar
oder Cayenne war nicht viel besser. Aber selbst diese barbarischen Strafen
hielten die Legionäre nicht vom Desertieren ab. Wie der Campaner Spendius
zu den Karthagern geflohen war, so wechselten fremde Legionäre nach
über 2.000 Jahren noch immer die Fronten. Manche überstanden
sogar die Kapitulation Abd el Krims und führten mit den versprengten
Kabylen weiter einen verlorenen Krieg im Atlasgebirge. Selbst bei den letzten
Kämpfen 1933 sollen noch zahlreiche bei den Kabylen gewesen sein,
und es wird berichtet, daß sie den angreifenden Legionären deutsche
Beschimpfungen zugerufen haben.