In den Sudan
Die Eroberung des Songhai-Reiches.
Mit Hilfe von Feuerwaffen begannen die Europäer im 16. Jahrhundert
mit der Eroberung großer Kolonialreiche in Amerika und Asien. Doch
auch ein nordafrikanischer Staat nutzte die neue Technik für ein gewagtes
Unternehmen. Vor der Eroberung Mexikos kam das meiste Gold, aus dem die
Münzen des Mittelmeerraumes geprägt wurden, aus dem Westsudan.
Dort am Knie des Niger erstreckte sich das mächtige Königreich
der Songhai. Die Songhai hatten das Reich von Mali geplündert, die
Tuareg aus Timbuktu vertrieben und zeitweilig sogar die südmarokkanischen
Salzminen kontrolliert. Um 1500 waren sie nach langem Widerstand zum Islam
übergetreten und ihre Könige machten Timbuktu zu einer reichen
Handelsmetropole. Die Karawanen brachten vor allem Salz und Stoffe aus
Marokko, und transportierten dafür Sklaven, Gold und Elfenbein zurück.
Marokko verdiente gut an diesem Handel. Doch dieses einträgliche Geschäft
ging rapide zurück, nachdem die Portugiesen ihre ersten Forts an der
afrikanischen Westküste gegründet und den Handel an sich gerissen
hatten. Bald bezeichnete man die Landstriche um die Forts als Gold-, Elfenbein-
oder Sklavenküste.
In Marokko wollte man deshalb selbst die Quellen des Reichtums kontrollieren.
Doch der Weg durch die Sahara nach Timbuktu war zu weit für ein Heer,
das groß genug war, das Songhai-Reich zu erobern. Erst mit den neuen
Feuerwaffen konnte man den Versuch wagen, und am 16.Oktober 1590 verließ
eine kleine aber hervorragend ausgerüstete Armee Marrakesch nach Süden.
Sie bestand aus 1.000 Renegaten, 1.000 Andalusiern, 500 berittenen Renegaten
und 70 Christen aus den Gefängnissen des Königs; alle ausgerüstet
mit Arkebusen. Die Marokkaner selbst stellten nur 1.500 Lanzenreiter. Der
Tross aus tausenden von Kamelen und Pferden führte neben Wasser und
Proviant einige hundert Zentner Pulver und Blei und einige kleine Kanonen
mit. Der überwiegende Anteil des Heeres bestand also aus ehemals christlichen
Europäern. Man könnte nun vermuten, dass der Sultan bei diesem
Selbstmordunternehmen seine eigenen Truppen schonen wollte und deshalb
die Fremden schickte. Ein spanischer Augenzeuge berichtet aber, dass der
Anführer der Expedition 200 Christen vom König verlangt habe,
"da die Araber ohne Renegaten oder Christen keine Kriegszüge zu unternehmen
bereit waren". Doch der König habe nur diese kleine Anzahl zur Verfügung
gestellt, da ihm seine christlichen Gefangenen zu wertvoll gewesen seien.
Die im Umgang mit Arkebusen erfahrenen Europäer bildeten also die
Elite der marokkanischen Armee.
Woher kamen nun all die kriegsgewohnten Renegaten, die Spanier und die
anderen gefangenen Christen? Aus den mageren Quellen ist wenig über
sie zu erfahren, aber man kann durchaus einige Schlüsse ihre Herkunft
betreffend ziehen. Die Andalusier, waren zum Teil so genannte Morisken,
Abkömmlinge der spanischen Mauren, die vor den Verfolgungen der Inquisition
einige Jahre zuvor nach Marokko geflohen waren. Die Renegaten waren ehemalige
christliche Gefangene, die im Gegensatz zu denen noch in Haft befindlichen
zum Islam übergetreten waren. Da sie hier als Elitetruppe eingesetzt
wurden, kann man als sicher voraussetzen, dass es sich bei nicht wenigen
von ihnen um gefangene Söldner handelte. Bei den Kriegszügen
der Habsburger gegen Tripolis und Algier waren immer wieder zahlreiche
spanische, italienische und deutsche Söldner in Gefangenschaft geraten.
Einige wurden freigekauft, andere fristeten ein erbärmliches Leben
als Galeerensklaven aber viele nahmen den Turban. Dazu kamen Deserteure,
die immer wieder aus den spanischen Forts an der Küste flohen, wenn
der Sold zu lange ausblieb, oder wenn sie Disziplinarstrafen zu erwarten
hatten. Außerdem scheinen einzelne Andalusier auch gerne ihr Glück
in Marokko gesucht zu haben, wenn der Sultan gut bezahlte.
Der Führer des Heeres war ein kleiner blauäugiger andalusischer
Renegat, der "Djuder Pascha" genannt wurde nach seinem Lieblingsausdruck
"joder" (entspricht im spanischem dem englischen "fuck"). Auch seine Offiziere
waren entweder aus Andalusien geflohene Morisken oder spanische Renegaten,
die im marokkanischen Heer Karriere gemacht hatten. Djuder Pascha hatte
das Kommando aber nicht nur aufgrund seiner militärischen Fähigkeiten
erhalten. Der Sultan soll auch seinen starken Einfluss auf die aus Spanien
stammenden Söldner gefürchtet haben, und fand deshalb vielleicht
Gefallen an der Idee ihn "in die Wüste zu schicken".
Einige der Söldner waren sicher auch Überlebende der Armee,
die der König von Portugal nach Marokko ins Verderben geführt
hatte. König Sebastian hatte 1578 Thronstreitigkeiten in Marokko zum
Anlass genommen, in alter Kreuzrittertradition eine Invasion des Landes
zu versuchen. Zur Unterstützung seiner portugiesischen Adelsaufgebote
hatte er tausende italienische und spanische Arkebusiere und sogar 3.000
deutsche Landsknechte angeworben, an deren Stelle ihm jedoch hauptsächlich
Flamen geliefert worden sein sollen. Die so genannte "Schlacht der drei
Könige" bei Kasr el Kebir wurde ein Desaster. Sebastian und viele
seines Heeres wurden erschlagen, aber der Großteil kam in Gefangenschaft.
Ein Landsknecht schrieb später darüber:
Die Portugaleser er mit sich nam,
Der maisste thail nicht wider kham,
Darzue ein Teutsches Regiment
Wurden gefürt ans selbig Endt.
Portugal stürzte ins Chaos und ruinierte seine Finanzen durch
die Lösegelder, die für die gefangenen Adligen bezahlt werden
mussten. Kurz darauf eroberte Spanien das zerrüttete Land - auch nicht
ohne die tatkräftige Unterstützung eines Regiments Landsknechte.
An die fremden Söldner in der Sklaverei verschwendete man in dieser
Situation keine Gedanken. Sie blieben auf sich selbst gestellt, und es
ist sicher nicht zu weit hergeholt, wenn man annimmt, dass ein guter Teil
der Renegaten und christlichen Sklaven, die 1590 zur Eroberung des Songhai-Reichs
aufbrachen bei Kasr el Kebir in Gefangenschaft geraten waren. Es ist so
gesehen sogar möglich, dass der eine oder andere Landsknecht dabei
war.
Über 2.000 Kilometer trennten Marrakesch von Timbuktu. Endlos dehnte
sich die glühende Sand- und Geröllwüste der Sahara. Oft
lagen mehrere Tagesreisen zwischen den einzelnen Oasen. Einer der Marokkaner
schrieb später an den Sultan: "Der Sand hüllte sie ein und schien
das Gehirn zu kochen und den Körper zu schmelzen, die Sonne brannte
so auf die Köpfe, dass man glaubte, sie mit der Hand anfassen zu können.
Der Führer verlor das Gefühl für die Zeit und verwechselte
Heute mit Morgen. Es war ein Land ohne Bäume und Wasser, mit einem
Horizont, der die Augen verschleierte und das Bild eines kommenden Todes
spiegelte; das brackige und knappe Wasser, brannte kochend im Magen, und
die Hitze war in der Mitte des Tages so, dass man glaubte in der Hölle
zu sein."
Pferde verendeten und Menschen blieben erschöpft zurück. Mit
der Zeit wurden auch die Vorräte knapp. Als das Heer nach fünf
Monaten endlich den Niger erreichte war es bereits schwer dezimiert und
die Überlebenden halb verdurstet und verhungert. Zum Glück hatte
sich der einheimische Adel aus Timbuktu zurückgezogen und die Eroberer
konnten sich ausruhen und mit neuen Pferde versorgen. Dann ging der Marsch
400 Kilometer entlang des Niger zur feindlichen Hauptstadt Gao. Bei ersten
Scharmützeln untersagte Djuder Pascha seinen Truppen, ihre Arkebusen
zu benutzen. Er wollte sich das Überraschungsmoment für die Entscheidungsschlacht
aufsparen. Zu der kam es am 12.4.1591 bei Tondibi etwa 60 Km nördlich
von Gao. Die feindliche Armee soll aus 30.000 Infanteristen und 12.000
Reitern bestanden haben, die allerdings nur mit Speeren und Pfeil und Bogen
bewaffnet waren. Die Songhai hatten außerdem 20.000 Zebu-Rinder requiriert,
die sie vor sich her trieben. Für die Söldner gab es keinen Weg
zurück, nur Sieg oder Untergang. Djuder wartete bis die Zebus dicht
herangekommen waren, dann ließ er alle Arkebusiere und die Kanonen
feuern. Die Tiere machten daraufhin kehrt und durchbrachen die Reihen der
Songhai. Ihnen folgten in guter Ordnung die Arkebusiere und gaben eine
Salve nach der anderen ab. Dem hielten die Krieger der Songhai nicht lange
stand, und bald befand sich ihr Heer in völliger Auflösung. Das
Schicksal des Sudan war entschieden.
Aber wie so oft war die Natur der härtere Gegner. In dem feucht-heißen
Klima verbreitete sich bald ein mörderisches Fieber und verschlang
Pferde, Kamele und Menschen. Die Songhai hatten sich nach Süden zurückgezogen
und führten nun einen Guerillakrieg gegen die Eroberer. Zum Glück
waren sie jedoch in verschiedene Fraktionen zerfallen, von denen manche
den Ausgleich mit Marokko suchten, während andere den Kampf fortsetzten.
Das schlimmste war jedoch, dass die legendären Goldminen des Sudan
nicht existierten. Das Gold war von Stämmen viel weiter südlich
geliefert worden, und nachdem der Krieg den Handelsverkehr unterbrochen
hatte, blieb auch das Gold aus. Der Sultan tobte und schickte als Gouverneur
Mahmud Pascha mit einem neuen Heer aus Andalusiern und Renegaten und dem
Befehl, Djuder abzusetzen und zurückzuschicken. Doch Djuder dachte
gar nicht daran, sein neues Reich so einfach aufzugeben. Er zog sich mit
seiner Schar nach Gao zurück und regierte dort von eigenen Gnaden.
Nachdem Mahmud im Kampf mit den Songhai gefallen war, blieb Djuder die
einzige marokkanische Autorität im Sudan. Erst 1599 gelang es einer
neuen Armee ihn zur Rückkehr zu bewegen. Er kehrte mit einer Karawane
von hunderten mit Beute beladenen Pferden und Kamelen nach Marokko zurück,
um den Zorn des Sultans zu besänftigen, was ihm anscheinend auch gelang.
Dennoch waren ihm nicht mehr viele Jahre vergönnt, denn bei Thronstreitigkeiten
1603 hatte er auf das falsche Pferd gesetzt und wurde zusammen mit anderen
Anhängern der unterlegenen Partei hingerichtet.
Der Sudan blieb für die Sultane jedoch weiter ein Minusgeschäft.
Ständig mussten neue Truppen nach Süden geschickt werden, um
die durch Fieber und Kleinkrieg gerissenen Lücken auszugleichen. Ein
arabischer Chronist schrieb einige Jahre später: "Zwischen 1590 und
1600 hat man 23.000 Mann der besten Truppen in den Sudan geschickt... all
dies führte zu Verlusten und alle Soldaten verschwanden im Sudan,
bis auf 500, die nach Marrakesch zurückkamen, um zu sterben." Ganz
so dramatisch war die Lage allerdings nicht, denn viele Söldner scheinen
einfach gerne im Sudan geblieben zu sein. Sie heirateten dort einheimische
Frauen und bildeten fern vom Sultan eine neue Oberschicht.
Bald wurden von Marokko keine Verstärkungen mehr geschickt und
die Söldner weitgehend sich selbst überlassen. Der Sultan ernannte
noch einige Jahre den Pascha von Timbuktu, worauf er dann 1620 auch verzichtete.
Die "Marokkaner", wie die Söldner und ihre Nachkommen von der Bevölkerung
genannt wurden, blieben allerdings noch lange an der Macht. Sie verteidigten
sich gegen schwarzafrikanische Stämme und die Tuareg und wählten
ihre eigenen Paschas. Zumindest am Anfang scheinen sie unter sich eine
Mischung aus Arabisch und andalusischem Spanisch gesprochen zu haben, denn
in einigen Chroniken der Zeit, in denen ihre Sprache phonetisch transkribiert
wurde, kann man dann lesen: "kor lî kabissa", womit "cortadle
la cabeza" (macht ihn einen Kopf kürzer) gemeint war. Mit der Zeit
vermischten sie sich jedoch immer stärker mit der Bevölkerung
und nahmen auch deren Sprache an. Ihre Nachkommen die hellhäutigen
Arma mussten erst um 1770 den Tuareg die Macht überlassen.