Ulrich Schmidel
ein Landsknecht im Dienst der Conquistadoren.
Im Auftrag der Welsern kamen auch einige deutsche Conquistadoren nach Venezuela
und bezahlten ihre Goldgier meistens mit einem vorzeitigen Ende. Mit ihrem
Schicksal hat sich die deutsche Kolonialgeschichte schon mehrfach befasst.
Interessanter sind deshalb jene, die in den portugiesischen und spanischen
Häfen herumlungerten und auf eigene Faust dem Lockruf des Goldes folgten.
In Spanien hielten sich ständig entlassene Landsknechte auf. Als erprobte
Veteranen und oft völlig abgebrannt wurden sie von den Werbern der
Conquistadoren gerne genommen. Andere, die im Dienst der Fugger und Welser
in die neue Welt gekommen waren, verließen dort deren Handelskontore,
um mit dem Schwert zu Reichtum zu kommen. Man kennt oft nur einige Namen
und doch findet man sie bei fast jedem Unternehmen.
Schon an der Eroberung Mexikos durch Cortez sollen sich mindestens fünf
Deutsche beteiligt haben, unter ihnen ein Hannes Berger aus Hotzenplotz
und ein Waffenmeister Johann. Wahrscheinlich ebenfalls ein Veteran des
Mexikozuges war der Ritter Georg von Nürnberg, der Pedro de Alvarado
nach Guatemala begleitete. Ein Kasimir Nürnberger ließ sich
1526 von dem Venezianer Caboto in Sevilla als Söldnerführer anwerben
und machte dessen La Plata- und Venezuela-Expeditionen mit. Als Pizarro
Peru eroberte befanden sich in seinem Heer die Landsknechte Jost Hammer
und Barthel Blümlein aus Nürnberg. Über das Leben und die
Kämpfe der großen Conquistadoren ist man ziemlich gut unterrichtet.
Beim einfachen Fußvolk steht es darum natürlich wieder wesentlich
schlechter. Vor allem die fremden Söldner sind relativ schwer auszumachen,
da sie oft spanische Namen annahmen. Aus Hannes Berger wurde Juan Aleman,
aus Barthel Blümlein Bartolomé Flores und aus Hammer Martillo.
Einen der wenigen ausführlichen Berichte hinterließ der Landsknecht
Ulrich Schmidel. Er nahm an zahlreichen Expeditionen der Conquistadoren
teil. Wie bei den meisten dieser Raubzüge - was manchmal vergessen
wird - sah er dabei nur wenig Silber dafür aber um so mehr Krieg,
Mord, Krankheiten, Hunger und Entbehrungen. Schmidel war ein Patriziersohn
aus Straubing und kam 1534 über Antwerpen nach Cadiz, wo er sich mit
180 Deutschen und Niederländern einer großen spanischen Expedition
unter Pedro de Mendoza nach Südamerika anschloß. Mit 2.500 Mann
erreichten sie das endlose schmutziggelbe Delta des Rio de la Plata, wo
sie eine kleine Ansiedlung namens Buenos Aires gründeten. Gleich dort
lernte Schmidel den grausamsten Feind der Conquistadoren kennen - den Hunger.
Die in der Nähe wohnenden Indianer waren nicht lange bereit ihre Lebensmittel
mit den Neuankömmlingen zu teilen. Bald flohen sie vor deren Grausamkeiten
und lauerten ihnen im Hinterland auf.
Da Schiffe aus Spanien ausblieben und auch bei Streifzügen nur
wenig erbeutet werden konnte, wurde die Situation in Buenos Aires schnell
dramatisch. Schmidel überlieferte ein anschauliches Bild davon: "denn
das Volk hatte nichts zu essen, litt sehr große Armut und starb vor
Hunger. So wollten auch die Pferd nicht klecken (ausreichen) und langen.
Es verursachte auch solch große Armut und Hungersnot, daß weder
Ratzen noch Mäus, weder Schlangen noch ander Ungeziefer genug vorhanden
waren zur Ersättigung dieses großen jämmerlichen Hungers
und dieser unaussprechlichen Armut. So kunnten auch die Schuhe und ander
Leder nicht bleiben, es mußte alles gessen sein. Es begab sich, daß
drei Spanier ein Roß entführten und dasselbige heimlich aßen;
und als man solches inne ward, wurden sie gefangen und mit schwerer Pein
derwegen gefragt. Als sie nun solches bekannten, wurden sie zum Galgen
verurteilt und gehenkt. In derselben Nacht gesellten sich drei andere Spanier
zusammen, die sind zu diesen dreien Gehenkten zum Galgen kummen, haben
ihnen die Schenkel vom Leib abgehaut und große Stücker Fleisch
aus ihnen geschnitten, und trugen dieselben zur Ersättigung ihres
großen Hungers in ihr Losament."
Einzelne Trupps wurden losgeschickt um Lebensmittel zu suchen, aber
auch von ihnen starben die meisten am Hunger. Im Gegensatz zu Mexiko oder
Peru konnten die Conquistadoren am La Plata kein großes, gut organisiertes
Reich erobern und sich damit aus dessen Quellen ernähren. Das Land
war relativ dünn besiedelt und arm, und nachdem die Indianer geflohen
waren und ihre wenigen Felder und Dörfer verbrannt hatten, gab es
nur wenig zu erbobern. Trotzdem konnte ein großer Angriff der Indianer
von der geschwächten Besatzung zurückgeschlagen werden, aber
der Hunger fand kein Ende. Als Mendoza nach dem Angriff eine Musterung
abhielt, lebten noch 560 Mann. Die anderen waren fast alle verhungert.
Da die geschlagenen Indianer keine Bedrohung mehr darstellten, fuhr
Mendoza mit den meisten seiner Leute den Paraná hoch. Wieder starben
viele am Hunger bis sie auf freundliche Indianer trafen, wo sie sich mit
Lebensmitteln versorgen konnten. Im Gebiet des heutigen Paraguay wurde
die Stadt Asunción gegründet. Als Schiffe aus Spanien endlich
Verstärkungen und Proviant brachten, war Mendoza krank und starb bei
der Heimreise. Unter seinem Nachfolger beteiligte sich Schmidel an zahlreichen
Streifzügen und Expeditionen ins Landesinnere. Immer wieder wurden
Indianerstämme besiegt und Aufstände niedergeschlagen. Aber meistens
waren die Verluste der Conquistadoren dank ihrer überlegenen Waffen
äußerst gering, während tausende von Indianern erschlagen
wurden. Schmidel äußerte sich nicht gerade ausführlich
über diese Grausamkeiten, er schrieb nur mehrmals beiläufig:
Wir "schlugen viel Volk zu tot, und ward weder Mann, Weib noch Kinder verschont."
Auf der Suche nach Gold stießen die Conquistadoren immer tiefer
in das unbekannte Land vor. Mit einigen tausend Indianern als Träger
und Hilfstruppen fuhren sie in Kanus und selbstgezimmerten Brigantinen
den Paraguay hoch. Zu Fuß wurden endlose Überschwemmungsgebiete
im Gran Chaco durchwandert. Fast einen ganzen Monat ging der Marsch durch
hüfttiefes Wasser, Wolken von Moskitos umschwärmten die Erschöpften.
Gekocht wurde auf Flößen und geschlafen auf Bäumen. Wieder
wurden die Lebensmittel zum größten Problem. Als sie dann doch
vom Hunger zur Umkehr gezwungen wurden, war über die Hälfte der
Männer gestorben und der Rest krank. Schmidel selbst litt noch lange
danach an der Wassersucht. Obwohl Schmidel nichts darüber schreibt,
kann man sich bei der Brutalität seines Berichts leicht vorstellen,
dass bei dieser Expedition zahlreiche Sklaven einfach geschlachtet wurden
und als Proviant dienten.
Da die Conquistadoren kein Gold gefunden hatten, zogen sie bei der nächsten
Expedition Richtung Peru, wo es Silber geben sollte. Wieder war der Hunger
ein ständiger Begleiter und neue Indianerstämme mußten
unterworfen werden. Dieses Mal versperrten Wüsten den Weg und viele
verdursteten. Peru war zwar schon von Pizarro erobert worden, aber der
Bürgerkrieg dort bot die Gelegenheit sich als Bündnispartner
ins Spiel zu bringen. Leider hatte Schmidels Hauptmann auf die falsche
Partei gesetzt und seine Abgesandten wurden in Cuzco von den Siegern zurückgeschickt.
Nach Asunción zurückgekehrt bestimmten Langeweile und Gewalttätigkeiten
den Alltag der Söldner. Beim geringsten Grund, vor allem bei der Verteilung
der mageren Beute kam es zu wüsten Schlägereien. Als ihnen ihr
Hauptmann den wenigen Silberschmuck, den sie unterwegs erbeutet oder eingetauscht
hatten, abnehmen wollte, kam es zur offenen Meuterei. Der Hauptmann wurde
so lange gefangen gesetzt, bis er seinen Befehl zurücknahm. Nachdem
er jedoch abgereist war, fielen die unbeschäftigten Söldner zuerst
in Suff und Spiel und dann im offenen Kampf übereinander her. Schmidel
faßte diese Zeit so zusammen: "Schlugen demnach Tag und Nacht einander,
und fing der Teufel gar unter uns zu regieren an, daß keiner vor
dem andern sicher war." Ein ganzes Jahr ermordeten sich die Söldner
gegenseitig, bis sie ein neuer Indianeraufstand wieder zur Einheit zwang.
Aber auch unter den Anführern kam es zu Machtkämpfen, die in
regelrechten Krieg übergingen. Einmal belagerte Schmidels Partei Asunción,
wurde aber nach ihrem Sieg noch so lange von Überfällen geplagt,
bis die Hauptleute mit einer Heirat ihrer Verwandten einen Frieden besiegelten.
Gerade die Offiziere sahen sich offensichtlich schon als kommende Vizekönige
neuer reicher Kolonien, und diese Ansprüche galt es bereits in der
Gründungsphase abzusichern. Wer rechtzeitig seine Konkurrenten beseitigte,
konnte dann die entsprechenden Nachrichten an den Hof in Madrid schicken
und auf die Bestätigung seiner Position hoffen. Als umworbene Werkzeuge
schlossen sich die Söldner natürlich demjenigen an, der ihnen
die meisten Versprechungen machte: Beute, Sklaven, Land oder zukünftige
Titel. Oft hatte allerdings ihr direkter Vorgesetzter schon ein Bündnis
geschlossen, von dessen Hintergründen sie wenig verstanden. Schmidel
übergeht deshalb auch meistens die vorgeschobenen Anlässe und
überliefert das Bild einer Mafiafehde, an der er als unbedeutender
Schlagetot beteiligt war.
Außer von Mord und Totschlag berichtete Schmidel wenig vom Leben
der Conquistadoren, obwohl er sich fast 20 Jahre unter ihnen aufgehalten
hat. Mit Interesse beobachtete er dagegen die unbekannten, exotischen Tiere,
die Riesenschlangen, Raubkatzen, Krokodile und Lamas, und die "barbarischen"
Sitten der Indianer, z. B. wie Menschen gefressen und Schrumpfköpfe
präpariert wurden. Mit einer für die Zeit ungewöhnlichen
Offenheit schreibt er auch über die einheimischen Frauen und die Beziehungen
der Söldner zu ihnen. "Diese Frauen seind sehr schön und große
Buhlerinnen, auch gar freundlich und gar hitzig am Leib, als mich dünkt",
schreibt er über die Frauen eines bestimmten Stammes, andere fand
er "willig und dienstbar." Als drei junge Frauen, die ein Stamm seinem
Hauptmann geschenkt hatte, kurz darauf flüchteten, bemerkte er trocken:
"vielleicht darum, weil er sie nit alle drei zufrieden stellen konnte,
dann er war ein Mann bei sechzig Jahren; sie möchten vielleicht ,
wann er sie uns Knechten gelassen hätte, nicht darvon gelaufen sein."
Das wäre eigentlich mehr als zynisch, wenn nicht die unbedarfte, brutale
Einstellung des Landsknechts daraus sprechen würde. Schmidel wußte,
worauf es ihm bei der Beute ankam: "Denn ich hab allzeit mehr Achtung auf
die Jungen als auf die Alten gehabt, sonderlich auf die indianischen Maidlein."
Sklaven waren neben Lebensmitteln die wichtigste Beute. Auch Schmidel
erhielt immer wieder seinen Anteil. Nach einem besonders erfolgreichen
Zug sogar 50 Personen auf einmal. Die meisten Söldner werden also
einen recht großen Haushalt besessen haben mit Arbeitern, Dienern,
Trägern, Köchen und Frauen. Da die Hauptleute sicher auch nicht
mit Landverschreibungen geizten, wurden mit der Zeit sicher ansehnliche
Landsitze daraus. In seiner sittenstrengen Heimat hielt es Schmidel wohl
für besser, sich auf Andeutungen zu beschränken; das "epikuräische"
Leben war eine Sache der Wilden. Aber bei seiner Vorliebe für die
jungen Maidlein wird er kräftig für Nachwuchs gesorgt haben.
Die neuen Herren ließen von ihren Sklaven Häuser bauen und
Felder beackern. Europäische Kleidung war genauso selten, wie Geld.
Also gingen sie halb nackt, gewöhnten sich an indianische Speisen,
betranken sich mit Maniok-Bier und verspielten ihre Sklaven. Dazwischen
unternahmen sie neue Raubzüge und holten sich neue Sklaven. An Roheit
und Brutalität übertrafen sie ihre Kollegen in Europa noch um
ein Vielfaches. Jeder hatte zahllose Indianer erschlagen, darunter Frauen
und Kinder. Nur wenige werden kurz vor dem Hungertod davor zurückgeschreckt
sein, den einen oder anderen Träger zu schlachten. Oft genug bekämpften
sie sich gegenseitig und kannten auch hier keinerlei Erbarmen. Schmidel
hatte das alles gesehen und überlebt und war damit sicher einer der
abgebrühtesten Veteranen.
Mit etwas Glück wäre er zum Großgrundbesitzer und Stammvater
einiger der ältesten argentinischen Familien geworden. Doch 1552 erhielt
er über die Handelsvertretung der Fugger ein Schreiben seines Bruders,
der ihn bat nach Hause zu kommen. Aufgrund seiner langjährigen treuen
Dienste konnte er seine Entlassung erreichen. Mit seiner Beute, allerlei
"Plunderwerk", einigen Papageien und 20 Indianern als Träger schlug
er sich mit drei Spaniern auf dem Landweg nach Sao Vincente in Brasilien
durch. Es gab weder Wege noch Landkarten, dafür reißende Flüsse,
Urwald und feindliche Stämme. Trotzdem schafften sie die gut 1.200
Kilometer in sechs Monaten.
Einen Großteil seines Besitzes verlor Schmidel dann bei einem
Schiffbruch vor Lissabon, dennoch muß er etwas übrig behalten
haben, denn er hinterließ bei seinem Tod einige Raritäten. 1554
kam er wieder nach Straubing und beerbte seinen inzwischen verstorbenen
Bruder. Da er jedoch zum protestantischen Glauben überwechselte, konnte
er dort nicht bleiben und zog nach Regensburg wo er 1579 in hohem Alter
starb.