Langbogen und Arkebuse
Die Feldzüge Heinrich VIII.
Immer wieder wird die Wirkung des englische Langbogens in populärwissenschaftlichen
Darstellungen mit geradezu haarsträubenden Beispielen übertrieben.
So ist z.B. in dem Osprey-Bändchen "English Longbowman" zu lesen:
"seine Pfeile hatten Durchschlagskraft einer modernen Gewehrkugel, und
seine Feuergeschwindigkeit wurde von englischen Truppen erst wieder mit
der Einführung des Lee Enfield Gewehrs am Anfang des 20. Jahrhunderts
erreicht". Nun möchten wir natürlich nicht bezweifeln, dass der
Langbogen eine hervorragende Waffe war, und die englischen Bogenschützen
des Hundertjährigen Krieges zu den besten Kriegern ihrer Zeit zählten.
Dennoch sollte man sich bei solchen Lobeshymnen doch die Frage stellen,
warum der Langbogen dann nicht bis zur Einführung des Lee Enfield
Gewehrs in Gebrauch blieb, sondern schon im 16. Jahrhundert durch langsam
und ungenau schießende Arkebusen ersetzt wurde.
Da es schon immer einfacher war die großen Highlights der Geschichte
weiter zu verklären, als etwas komplexere historische Prozesse zu
untersuchen, wird dieser Fragestellung nur selten nachgegangen. Und wenn,
sind die Erklärungen von erschreckender Banalität. Es habe kein
gutes Bogenholz mehr gegeben, das Bogenschießen sei irgendwie aus
der Mode gekommen und vergessen worden. Etwas ernster sollte man die Behauptung
des Historikers J. F. Guilmartin nehmen, dass die Ausbildung eines Arkebusiers
lediglich ein paar Tagen dauere die eines Bogenschützen dagegen ein
ganzes Leben. Nun ist dieses Argument das eines Sportschützen und
wird deshalb auch von diesen gerne aufgegriffen, mit Kriegern hat es dagegen
absolut nichts zu tun. Man könnte mit der gleichen Ignoranz behaupten,
die Ausbildung eines Spießers dauerte nur eine Stunde, und müsste
sich dann fragen, warum die Schweizer so begehrt und fast unersetzbar waren.
Jeder Feldherr wollte "beschossene" oder "versuchte" Knechte, und dabei
ging es nicht darum, dass diese eine Arkebuse laden konnten, sondern darum,
dass sie kaltblütig genug waren, bei angreifender Kavallerie stehen
zu bleiben und immer noch zielsicher zu schießen. So etwas lernte
man nicht in ein paar Tagen! Auf den Schlachtfeldern des amerikanischen
Sezessionskrieges hat man bei der Untersuchung der Gewehre gefallener Soldaten
festgestellt, dass viele in der Hektik doppelt oder dreifach geladen und
dadurch völlig unbrauchbar waren.
Der Langbogen als Standardwaffe englischer Truppen verschwand nicht
einfach, weil es keine Bogenschützen mehr gab. Er wurde aufgrund gemachter
Erfahrungen während des 16. Jahrhunderts langsam durch Feuerwaffen
ersetzt. Ein Problem bei dieser Umstellung war lange der Mangel an Waffen
und erfahrenen Arkebusieren - Bogen und Bogenschützen gab es genug.
Sehr gut nachvollziehen lässt sich dieser Prozess an den Kriegen Heinrichs
VIII. (1509-47), in denen Waffen und Taktiken des Spätmittelalters
und der Frühen Neuzeit noch uneingeschränkt nebeneinander existierten.
Wie so oft stößt man dabei auf eine Menge ideologischer Vorbehalte
auf Seiten der "Konservativen", die unbedingt an den bewährten Waffen
wie Langbogen und schwerer Kavallerie festhalten wollten. Heinrich VIII.
versuchte in diesen Kriegen noch einmal die englischen Besitzansprüche
in Frankreich durchzusetzen und musste auch gegen die Schotten kämpfen,
die als französische Bundesgenossen mobilisiert wurden, so dass man
das Szenario durchaus als verspätete Neuauflage des Hundertjährigen
Krieges betrachten kann.
Im Gegensatz zu den unkritischen Verehrern der Bogenschützen, die
diese Epoche am liebsten ignorieren, herrscht unter den Militärhistorikern,
die sich mit der Tudorzeit beschäftigen, große Übereinstimmung,
dass die Engländer die großen Veränderungen einfach verschlafen
hatten. Sie sonnten sich weiter in den spektakulären Siegen des
Hundertjährigen Krieges und waren der festen Überzeugung, dass
ein Engländer mindestens 10 Franzosen wert sei. Die Heeresaufgebote
bestanden hauptsächlich aus den traditionellen "bows and bills", einer
Masse von Hellebardenträgern (so genannter Billmen), die von großen
Abteilungen aus Bogenschützen flankiert wurden. Schwere Kavallerie
oder Feuerwaffen hielt man für ziemlich überflüssig. "Der
Bogen galt immer noch als König der Schlacht". Mit diesen Truppen
konnten zwar Iren und Schotten bekämpft werden, da diese noch rückständiger
waren, gegen Frankreich waren sie jedoch ohne Chance.
Denn während sich England mit seiner glorreichen Vergangenheit
und in den Rosenkriegen mit sich selbst beschäftigt hatte, war die
Entwicklung auf dem Kontinent in großen Schritten weiter gegangen.
Die Hussiten hatten als erste in größerem Maßstab Feuerwaffen
eingesetzt und die Schweizer Gewalthaufen hatten in den Burgunderkriegen
nicht nur die schwere Reiterei Karls des Kühnen sondern auch seine
Bogenschützen überrannt. Das große Labor aber, in dem alle
Neuerungen in den verschiedensten Kombinationen ausprobiert und verbessert
wurden, war Italien, wo Frankreich und Spanien um die Vorherrschaft kämpften.
Die Elite der französischen Armeen waren die schwer gepanzerten
Reiter der Ordonanzkompanien, die Gens d’Armes. Doch auch hier hatte sich
noch einiges getan. Die Panzer waren noch weiter verbessert worden, so
dass seit einiger Zeit auf Kettenhemd und andere Unterpanzer verzichtet
werden konnte und die Reiter dennoch fast unverletzlich waren. Auch die
Pferde waren zum größten Teil gepanzert und Rüsthaken erlaubten
schwerere und längere Lanzen. Damit konnten die Reiter auch mit einem
gewissen Erfolg gegen Infanterie eingesetzt werden. Als wirklich Schlacht
entscheidend erwiesen sich jedoch die Gewalthaufen aus Schweizern Söldnern,
von denen Karl VIII. mindestens 8.000 nach Neapel führte. Dazu kam
eine starke Artillerie, die nicht nur bei Belagerungen, sondern auch zunehmend
im Gefecht eingesetzt wurde. Die Spanier verwendeten als erste eine große
Anzahl Handfeuerwaffen und leichte Reiterei, mit denen sie im langen Krieg
um Granada reichlich Erfahrungen gewonnen hatten. Später kamen auf
beiden Seiten auch immer mehr Landsknechte zum Einsatz, die als eine Art
Ersatz für die Schweizer verwendet wurden, wenn diese gar nicht oder
nur in geringer Zahl zur Verfügung standen. Vor allen Dingen wurde
alles mögliche ausprobiert. Die Spanier versuchten z.B. mit Schwertkämpfern
die Langspieße zu unterlaufen und die Franzosen verwendeten noch
Armbrustschützen in großer Zahl. Letzten Endes setzte sich
jedoch immer mehr eine Kombination aus Spießern und Arkebusieren
durch.
Das fundamental Entscheidende war jedoch, dass der Großteil dieser
Armeen aus Profis bestand. In den französischen Ordonanzkompanien
und den spanischen Tercios dienten Berufssoldaten, die jahrelang - oft
ihr ganzes Leben - bei der Fahne blieben und nicht, wie z.B. in England,
nach jedem Feldzug wieder nach Hause geschickt wurden. Bei Bedarf wurden
sie mit fremden Söldnern verstärkt, die trotz Macchiavellis Polemik
den traditionellen Aufgeboten weit überlegen waren. Da die Franzosen
schnell bemerkt hatten, dass ihr eigenes Fußvolk nicht besonders
schlagkräftig war, warben sie bevorzugt Schweizer und, wenn sie diese
nicht in ausreichender Zahl bekommen konnten, Landsknechte. Erst durch
die Professionalisierung der Armeen wurde es möglich, die verschiedenen
Waffengattungen taktisch optimal einzusetzen. Es reichte nicht mehr, mit
möglichst viel Elan das feindliche Zentrum anzugreifen, oder in einer
guten Stellung diesen Angriff einfach abzuwarten.
Als sich nun Heinrich VIII. entgegen jeder politischen Vernunft, lediglich
getrieben von dem Wunsch ritterliche Schlachten zu schlagen und Ruhm zu
gewinnen dazu entschloss, die alte englische Expansionspolitik in Frankreich
wieder aufzunehmen, war selbst ihm klar, dass allein mit Bogenschützen
und Billmen wohl nicht viel auszurichten war. Heinrich war alles andere
als ein überzeugter Modernisierer, sondern schätzte den Langbogen
über alles und war auch selbst ein begeisterter Bogenschütze.
Dennoch wussten er und seine Offiziere, dass allein damit ein gut geführter
Angriff der französischen Gens d’Armes nicht aufzuhalten sein würde.
Als Gegengewicht wurden eigene schwere Reiter gebraucht. Das Problem dabei
war nur, dass diese in England kaum noch zu finden waren. Der Adel hatte
sich über sehr lange Zeit daran gewöhnt, zu Fuß zu kämpfen,
und so hatten sich viele die teure Reiterrüstung und die noch teureren
Pferde gespart. Es gab zwar leichte Reiter aus den nördlichen Provinzen,
berittene Bogenschützen und Adlige, die nur halb gerüstet als
so genannte "Demilances" erschien. Voll gerüstete Reiter konnten in
ganz England jedoch maximal ein paar hundert gemustert werden.
Zum Glück war Heinrich zu dieser Zeit (Mexiko und Peru waren noch
nicht erobert) der reichste König Europas und wollte als Verbündeter
der Habsburger in den Krieg ziehen, so dass ihm deren Ländern zur
Werbung offen standen. Seit Hauptinteresse galt den schweren Reitern, die
vor allem in den Niederlanden geworben wurden. Es handelte sich dabei um
die Reste der burgundischen Ordonanzkompanien, die den französischen
vergleichbar waren. Um der eigenen Infanterie Rückhalt zu geben und
feindliche Reiterangriffe abzuschlagen wurde eine große Anzahl "Almaynes"
(Landsknechte) geworben, da dazu Langspieße und keine Bills gebraucht
wurden. Man hätte diese Spieße sicher auch importieren können,
doch offensichtlich war niemand der Ansicht, dass man gute Spießer,
die Kavallerie aufhalten sollten, in ein paar Tagen ausbilden könne.
Im Juni 1513 zog Heinrich dann seine Truppen in Calais zusammen und
begann mit der Belagerung des relativ gut befestigten Thérouanne.
Er verfügte dabei über etwa 24.000 Mann englisches Fußvolk
- fast alles "bow and bill" -, 3.000 englische Reiter - zum Großteil
Demilances und berittene Bogenschützen, knapp 1.000 burgundische Reiter
und 6.000 Landsknechte. Der starke Anteil fremder Söldner zeigt deutlich,
wo man glaubte, Defizite zu haben. Da die meisten und besten französischen
Truppen zu diesem Zeitpunkt in Italien kämpften, waren sie den Engländern
an Zahl weit unterlegen und konnten die Belagerer nur belästigen.
Während größerer taktischer Manöver stießen
dann doch aber beide Heere unerwartet aufeinander und es kam zur so genannten
Sporenschlacht -"battle of the spurs" - wenige Kilometer südlich von
Thérouanne. Dabei stießen zuerst die Reiter beider Parteien
aufeinander. Die berittenen englischen Bogenschützen begannen dabei
die Franzosen aus der Flanke zu beschießen. Bevor dies jedoch größere
Wirkung zeigen konnte, befahl der französische Kommandeur den Rückzug,
da er bemerkte hatte, dass hinter der englischen Reiterei, die ganze Armee
im Anmarsch war. Zu diesem Zeitpunkt griffen die burgundischen Reiter in
der Flanke an und der Rückzug verwandelte sich in eine wilde Flucht,
die anscheinend noch dadurch verstärkt wurde, dass einige Pferde von
Pfeilen verwundet worden waren. Obwohl die Engländer die Fliehenden
weit verfolgten, waren deren Verluste dennoch äußerst bescheiden.
Sie sollen ungefähr 40 Tote und 120 Gefangene verloren haben. Da nun an Entsatz
nicht mehr zu denken war kapitulierte die Garnison von Thérouanne
bald darauf. Da eine dauerhafte Besetzung zu teuer gewesen wäre, wurde
die Stadt zerstört. Damit war der Feldzug so gut wie beendet. Heinrich
hatte zwar keine Eroberungen gemacht und dennoch Unsummen ausgegeben, dafür
hatte er aber eine richtige Schlacht gewonnen und konnte so gesehen beruhigt
nach England zurückkehren.
Da die Franzosen in der keine große Armee ins Feld schicken konnten,
griffen sie auf ihre altbewährte Methode zurück und animierten
die Schotten zu einem Angriff auf Englands Norden. Die Schotten hatten
zu diesem Zweck große Menge Langspieße in den Niederlanden
gekauft und auch mit der Eigenproduktion begonnen. Zusätzlich hatten
die Franzosen 40 Offiziere geschickt, die als eine Art Militärberater,
die Schotten im Umgang mit den neuen Waffen einüben sollten. Während
Heinrich noch in Frankreich weilte, kam es dann bei Flodden zur Schlacht.
Die Schotten, ungefähr 30.000 Mann stark, griffen in mehreren Gewalthaufen
an. Die etwas schwächeren Engländer hatten auf ganz traditionelle
Weise mit Blöcken von Billmen und Bogenschützen an den Flanken
Position bezogen. Der große Unterschied zu vergleichbaren Treffen
früherer Zeiten wie bei Dupplin Moor, Halidon Hill oder Nevilles Cross,
in denen die Bogenschützen regelrechte Gemetzel unter den Schotten
anrichteten, war, dass sie hier fast keine Wirkung hatten. Wie auf dem
Kontinent kämpften die Gepanzerten auch bei den Schotten in den ersten
Gliedern, und offenbar reichte dies aus, um dem Pfeilhagel seine verheerende
Wirkung zu nehmen. Ein Zeitzeuge schreibt: "Sie waren so gut gepanzert,
dass ihnen die Pfeile keinen Schaden zufügten." Ein anderer: "and
abode the most dangerous shot of arrows, which sore them annoyed, but yet
expect it hit them in some bare place, did them no hurt." Die Engländer
mussten sich ihren Sieg in hartem Nahkampf teuer erkaufen, in dem die kurzen
Bills den unhandlichen Langspießen weit überlegen waren.
Nach diesem Sieg war die Welt wieder in Ordnung und viele waren der
Meinung, dass alles so bleiben könne wie es in der guten alten Zeit
schon war. Als dann 1523 ein neues Heer nach Frankreich geschickt wurde,
war unter den über 10.000 Mann kein einziger mit Arkebuse oder Langspieß
bewaffnet. Die gesamte Infanterie bestand ausschließlich aus den
üblichen "bows and bills". Auch unter der Kavallerie gab es kaum einen
voll gerüsteten schweren Reiter, lediglich Demilances und berittene
Bogenschützen. Das Defizit sollte wieder durch umfangreiche Söldnerwerbungen
ausgeglichen werden. Da es aber hier unerwartete Probleme gab, brachte
schließlich nur der niederländische Graf von Egmont-Buren 500
schwere Reiter und 3.000 Landsknechte nach Calais. Der Feldzug wurde dann
viel zu spät im Jahr begonnen und verlief ohne größere
Ereignisse. Nach längerem Beschuss kapitulierte zwar die kleine Stadt
Montdidier, doch dann begannen die Engländer unter dem Herbstwetter
zu leiden. Es gab Erfrierungen und immer mehr Deserteure, bis sich die
Armee demoralisiert nach England zurückzog.
Diese beiden erfolglosen Feldzüge hatten Heinrich offenbar vorerst
die Lust an großen Eroberungen auf in Frankreich verdorben. Zudem
war er in den nächsten Jahren mit starken inneren Problemen - seinen
div. Ehen und der Trennung von der katholischen Kirche - beschäftigt.
Dennoch bot gerade die lange Phase ohne außenpolitische Abenteuer
eine gute Gelegenheit zu militärischen Reformen. Heinrich begann nun
auch langsam und widerstrebend mit größeren Käufen von
Spießen, Harnischen und Arkebusen im Reich. Der Militärhistoriker
Charles Oman schreibt, dass Heinrich dies jedoch entgegen seiner inneren
Überzeugung tat, da ihm die schmerzhaften Erfahrungen fehlten, die
Franz I. bei Bicocca und Pavia gemacht hatte.
Obwohl den Engländern eine richtige Niederlage erspart geblieben
war, wurde auch für sie die eigene militärische Schwäche
immer deutlicher. Während der Feldzüge in Frankreich war es immer
wieder zu Scharmützeln gekommen und kein englischer Feldherr wagte
es, ohne fremde Söldner etwas zu unternehmen. Und so diskutierten
die Zeitgenossen eifrig über die Ursachen. Wie so oft wurde es der
allgemeinen Dekadenz zugeschrieben. Angeblich gab es nicht mehr genug pflügende
Bauern, da nur der Pflug dem Bogenschützen die notwendige Kraft verlieh,
und "Schäfer schlechte Bogenschützen abgaben". Andere schrieben
den Niedergang der weit verbreiteten Lust am Kartenspiel zu, und ein Bischof
klagte, dass "eine ungläubige Generation lieber in den Städten
huren als sich auf dem Feld im Schießen zu üben." Kurz und gut,
es waren die üblichen Klagen, die ein Problem zwar erkennen, in seiner
Analyse aber nicht weiter gehen als bis zu der Auffassung, dass früher
eben alles besser und größer war.
Das Hauptproblem lag in den längst überholten feudalistischen
Rekrutierungsmethoden - kräftige Männer gab es nach wie vor genug.
Theoretisch sollten die großen Adligen mit ihrem persönlichen
Gefolge und einem Teil ihrer Pächter zur Musterung erscheinen. Nun
befand sich der Adel aber wie überall in Europa in einer wirtschaftlichen
Krise, viele alte Familien waren sogar völlig verschwunden. Oft überforderte
es die finanziellen Möglichkeiten der Adligen, ein entsprechendes
Gefolge zu unterhalten, oder diese richtig auszurüsten. Der oft beklagte
Mangel an schweren Reitern hat hier seine Ursache. Außerdem verweigerten
viele Pächter den Militärdienst, da sie ihn als eine lästige
Verpflichtung ansahen, die in keinem geschriebenen Gesetz festgeschrieben
war.
Vor allem aber verlangte die moderne Kriegsführung eine gewisse
Ausbildung für die taktischen Manöver und bei der Infanterie
eine Standfestigkeit, die man nur bei Veteranen finden konnte. Bereits
Talbot hatte deshalb in der Endphase des Hundertjährigen Krieges kaum
die viel gepriesenen Yeomen, sondern überwiegend englische Kolonisten
in der Normandie oder gleich Franzosen (bis zu 50%) rekrutiert, die waren
den Krieg seit Generationen gewöhnt. Die erforderliche Professionalität
war von Feudalaufgeboten zu dieser Zeit einfach nicht mehr zu leisten,
selbst wenn sie gut genährt waren und sich am Wochenende fleißig
im Bogenschießen übten. Wenn sich ein Herrscher weiterhin auf
Feudalaufgebote stützte, waren Söldner in größeren
Zahlen beim Angriff und als Rückhalt unverzichtbar.
Dieser Einsicht konnte sich auch Heinrich VIII. nicht entziehen. Denn
als er 1543 zu seinem letzten und größten Feldzug gegen Frankreich
aufbrach, wurden mehr Söldner geworben als jemals zuvor. Zu den 32.000
Engländern, unter denen sich inzwischen sogar ein paar hundert schwere
Reiter und einige Arkebusiere befanden, kamen über 10.000 fremde Söldner.
Neben den üblichen Landsknechten, die das Hauptkontingent stellten,
und burgundischen Reitern hatte man erstmals auch ganze Arkebusierkompanien
unter spanischen und italienischen Hauptleuten geworben. Sogar eine größere
Abteilung leichter albanischer Reiter hatte sich eingefunden. In ihrer
Not scheinen Heinrichs Werber nicht wählerisch gewesen zu sein, denn
ein Teilnehmer schreibt: "da waren so viele verdorbene Soldaten von allen
Ländern unter der Sonne: Waliser, Engländer, aus Cornwall und
von der Isle of Man, Iren, Schotten, Spanier, Gaskogner, Portugiesen, Italiener,
Albaner, Griechen, Türken, Tartaren, Hochdeutsche, Niederdeutsche,
Burgunder, Flamen, die alle hierher gekommen waren, um eine gute Zeit unter
dem König von England zu haben."
Heinrich hatte mit Karl V. große Pläne geschmiedet. Sie wollten
von verschiedenen Seiten in Frankreich eindringen und dann ihre Kräfte
zu einer gigantischen Armee bei Paris vereinigen. Während Karl Luxemburg
einnahm und dann mit der langwierigen Belagerung von St. Dizier begann,
wandte sich Heinrich mit seiner Hauptmacht kam gegen Boulogne. Ein Teil
seiner Truppen schloss gleichzeitig Montreuil ein. Die Unterstadt von Boulogne
war leicht zu nehmen, doch die Festung verfügte über starke Wälle,
und so zog sich die Belagerung hin. Unaufhörlich wurde die Festung
mit der schweren Artillerie beschossen und Laufgräben vorgetrieben.
Nachdem durch mehrere Minen schließlich ein paar Breschen gesprengt
und mehrere Sturmangriffe versucht worden waren, kapitulierte die Garnison
nach sieben Wochen harten Widerstandes zu Anfang September, gegen freien
Abzug mit allem Besitz.
Inzwischen war jedoch zu viel Zeit vergangen. Karl V. hatte einen für
sich günstigen Frieden geschlossen, wodurch die Franzosen ein starkes
Heer in die Picardie werfen konnten. Erschwerend kam hinzu, dass durch
den Frieden ein Teil der Söldner, die Karl zur Verfügung gestellt
hatte, abgezogen wurde. Obwohl die anderen Söldner bleiben wollten,
so lange man sie bezahlte, war Heinrich nun nicht mehr bereit, eine Schlacht
zu wagen. Überstürzt wurde das Lager vor Boulogne abgebrochen
und lediglich eine Garnison zurückgelassen. So schnell wie möglich
zog sich Heinrich mit dem Gros seines Heeres nach Calais zurück und
schiffte sich von dort nach England ein. Es gelang der englischen Garnison
zwar Boulogne gegen einige kleinere Angriffe zu halten, besonders beeindruckt
waren die Franzosen aber nicht davon. So berichtet der französische
Offizier Blaise de Montluc von einem Scharmützel, bei dem er vor den
Mauern mit etwa 120 Mann auf 2-300 englische Bogenschützen traf: "Alle
trugen Waffen mit geringer Reichweite und mussten deshalb nahe herankommen,
um ihre Pfeile abzuschießen, die sonst keine Wirkung gehabt hätten.
Wir dagegen waren es gewohnt unsere Arkebusen auf große Distanz abzufeuern.
[...] Wir marschierten direkt auf sie zu, und sobald sie auf Bogenschussweite
waren, gaben unsere Arkebusiere alle zusammen eine Salve ab und griffen
dann zu ihren Schwertern. So wie ich es befohlen hatte, rannten wir auf
sie zu, um zum Nahkampf zu kommen. Aber als wir bis auf zwei bis drei Pikenlängen
heran waren, flüchteten sie."
Nach diesem erneuten Fehlschlag verstärkte Heinrich seine Bemühungen
zur Ausrüstung mit Feuerwaffen. Dennoch verlief die Umstellung schleppend.
Nur bei der Feldartillerie gab es schnellere Fortschritte. Den Erfolg sollte
er nicht mehr erleben. Er stellte sich ein, als es kurz nach Heinrichs
Tod zu einem neuen Krieg mit Schottland kam. Die Schotten hatten dieses
mal ungefähr 23.000 Mann Infanterie, die wieder hauptsächlich
mit Langspießen bewaffnet waren, und 1.500 Reiter zusammen gebracht.
Ihnen konnten die Engländer insgesamt nur an die 16.000 Mann entgegen
stellen, die nun aber wesentlich besser ausgerüstet waren. Die Masse
der Infanterie bestand zwar immer noch aus Billmen und Bogenschützen,
unter befanden sie aber auch 600 englische Arkebusiere und zwei Kompanien
Söldner ebenfalls mit Arkebusen. Dazu kam eine relativ starke Kavallerie
von 4.000 Mann, die ebenfalls zum Teil aus Söldnern bestand. Als besonders
effektiv sollten sich die berittenen Arkebusiere erweisen, die der Spanier
Pedro de Gamboa ins Land gebracht hatten.
Als die beiden Armeen im September 1547 bei Pinkie aufeinander trafen,
griffen die Schotten die noch anmarschierenden Engländer unvermutet
in der Flanke an. Die Sache wäre eventuell böse ausgegangen,
denn die Engländer, mussten sich umgruppieren und ihre überlegene
Feldartillerie nach vorne schaffen. Die dringend benötigte Zeit verschaffte
ihnen die Kavallerie, die trotz schwerer Verluste die schottischen Gewalthaufen
attackierte. Während diese anhielten und die Reiter zurückschlugen,
kamen sie unter immer schwereren Beschuss durch die Artillerie und etwas
später noch durch Arkebusiere und Bogenschützen. Besonders lästig
waren auch die berittenen Arkebusiere, die bis kurz vor die Front herankamen
und dann in die dicht gedrängten Reihen feuerten. Als die Schotten
versuchten, sich etwas aus dem mörderischen Feuer zurückzuziehen,
verwandelte sich die Bewegung in eine allgemeine Flucht, auf der viele
von den nachsetzenden Reitern niedergemacht wurden.
Für Charles Oman ist die Schlacht bei Pinkie ein Wendepunkt der
britischen Militärgeschichte. Sie kennzeichnet für ihn die "die
Rückkehr der Kavallerie als Hauptwaffe in der Schlacht," und demonstriert
deutlich das gelungene Zusammenwirken verschiedener Waffenarten: "Sie wurde
- wie Marignano - durch den kombinierten Einsatz von Kavallerie und Artillerie
gewonnen; nicht durch die Verbindung von Bogenschützen und abgesessenen
men-at-arms." Der Erfolg wird auch durch die Verluste unterstrichen.
Hatten die Engländer ihren Sieg bei Flodden mit 1.500 Gefallenen
gegen 5.000 Schotten noch relativ teuer bezahlt, so standen jetzt 10.000
toten Schotten nur 250 Gefallene auf englischer Seite gegenüber. Beim
Großteil handelte es sich um Reiter, denen die härteste Aufgabe
zugefallen war.
Die Diskussion um den Langbogen ging danach trotzdem weiter. Er war
aber wie gesagt nur ein Teil des Problems. Grundlegend war die Bildung
professioneller stehender Truppen, worauf auch Elisabeth I. aus Sparsamkeitsgründen
verzichtete. Die einzige Ausnahme bildete das Hilfskontingent, das
sie in die Niederlande geschickt hatte. Es entwickelte sich dort im Laufe
der Jahre von den Oraniern geschult zu einer hervorragenden Truppe. Einer
seiner Offiziere sagte dann einmal, er hätte lieber 500 Musketiere
als 1.500 Bogenschützen.
Weiterführende Literatur:
Oman, Charles
A History of the Art of War in the sixteenth Century
New York 1937
Cruickshank, C.
Army Royal: Henry VIII’s Invasion of France 1513
Oxford 1969
Millar, Gilbert John
Tudor Mercenaries and Auxiliaries 1485-1547
Charlottesville 1980
Goring, Jeremy
Social Change and Military Decline in Mid-Tudor England
in: History 60 (1975); S.185-197
Potter, David
The International Mercenary Market in the Sixteenth Century:
Anglo-French Competition in Germany, 1543-50
in: EHR 111 (1996); S. 24ff