Kriegsreisende

 die Sozialgeschichte der Söldner

Hans Staden

bei den grimmigen Menschenfresser Leuthen

Hans Staden auf Reisen Das Bedürfnis fremde Länder und Menschen zu sehen trieb auch den hessischen Landsknecht Hans Staden nach Übersee. Er kam aus Homberg bei Kassel und ist nicht zu verwechseln mit dem Abenteurer Heinrich von Staden. Sein Handwerk hatte er wahrscheinlich im schmalkaldischen Krieg erlernt und hatte, nach der Gefangennahme seines Landesherrn arbeitslos geworden, im Alter von ungefähr 20 Jahren die Heimat verlassen. Er wollte nach Indien, wie er schrieb. Dass diese Idee dem jungen Hessen in den Kopf kam verrät viel von der Abenteuerlust aber auch von der Mobilität der Zeit. Indien war ein sagenhaftes und unbekanntes Land, das irgendwo weit hinter Afrika lag, und wo es Gewürze, Elefanten und seltsame Menschen gab. Natürlich sprach man in den Schänken und Feldlagern davon, und vielleicht fand sich auch ein alter Landsknecht, der schon einmal einen getroffen hatte, der dort gewesen war. Doch alles war vielfach Wiedergegebenes, ins legendenhafte Verzerrtes. Jedes Schulkind weiß heute mehr über die Oberflächen von Mond und Mars, als die Menschen damals über Indien.

Zielsicher machte sich Staden auf den Weg. Von Bremen kam er über Holland 1547 nach Portugal. Seine Aussichten dort eine Anstellung zu finden waren eigentlich sehr gut, den Portugal war dabei ein riesiges Kolonialreich in Afrika, Südamerika und vor allem Asien – dem legendären Indien – zu erobern. Da das kleine Land bei weitem nicht die Bevölkerung hatte, um all die Schiffe und fernen Forts zu bemannen, wurden ständig fremde Söldner und Seeleute geworben. Und Staden war weit mehr als ein einfacher Landsknecht: Er war ein Kanonier; konnte also mit Geschützen umgehen, möglicherweise sogar Pulver herstellen. Artilleristen waren in Portugal besonders gesucht; eine Studie geht davon aus, dass Deutsche und Flamen teilweise gut die Hälfte von ihnen stellten [Vogt 180].

Bei seiner Suche konnte Staden also auf bewährte Netzwerke und Verbindungen von Landsleuten hoffen. In Lissabon fand er auch bald einen Deutschen, der dort eine Herberge betrieb. Bei dem blieb er eine Zeit und erzählte ihm von seinen Plänen. Doch sein Wirt teilte ihm mit, dass die Schiffe nach Indien bereits abgefahren seien. Staden bat ihn daraufhin, ihn auf einem anderen Schiff unterzubringen. Er wollte die Welt sehen und war nicht mehr bereit, sich davon abbringen zu lassen; außerdem ist anzunehmen, dass er inzwischen relativ abgebrannt war. Der Wirt verschaffte ihm daraufhin einen Platz als Kanonier auf einen Schiff, das zum Kaperkrieg ausgerüstet war, aber hauptsächlich Sträflinge als Siedler nach Brasilien bringen sollte. Außer Staden befanden sich noch zwei andere Deutsche auf dem Schiff: Hans von Bruchhausen und Heinrich Brant aus Bremen.

Gefecht mit Kaper Vor Nordafrika kaperten sie ein maurisches Schiff und machten erste Beute. Dann überquerten sie den Atlantik nach Brasilien. Die portugiesischen Siedlungen, die Staden zu sehen bekam, bestanden lediglich aus einigen Hütten und Häusern, die durch einen Palisadenzaun geschützt wurden. Eine dieser Siedlungen wurde gerade von Indianern belagert. Es gelang jedoch mit den Schiffen Nahrungsmittel heranzuschaffen, woraufhin die Belagerung aufgegeben wurde. Als sie für die Heimfahrt Brasilholz laden wollten begegneten sie einem französischen Kaper, der ihnen aber nach einem kurzen Gefecht entkommen konnten. Die Franzosen "wilderten" zu dieser Zeit in portugiesischem Revier, da sie in Westindien keinen Handel betreiben durften. Auch sie waren hinter dem begehrten Brasilholz her, das in der Tuchindustrie als Farbstoff Verwendung fand. Beide Parteien bedienten sich verfeindeter Indianerstämme, um den Kleinkrieg an Land auszutragen.

Nach einer Fahrt von 16 Monaten kam Staden wieder nach Lissabon. Er blieb einige Zeit dort, verzehrte seinen Lohn und fuhr dann mit einem englischen Schiff nach Sevilla. Dort heuerte er auf einer kleinen spanischen Flotte an, die an den Rio de la Plata wollte. Dieses Unternehmen endete unglücklich. Ein Sturm zerstreute vor Brasilien die Flotte und Staden konnte sich mit der Besatzung eines Schiffes an Land retten. Zu Fuß schlugen sie sich zu einer portugiesischen Siedlung durch und wurden dort freundlich aufgenommen. Doch mußte sich jeder eine Beschäftigung suchen, um seinen Unterhalt zu verdienen. Da es immer wieder zu Kämpfen mit Indianern kam, fand Staden schnell eine Anstellung als Kanonier. Er erhielt die Aufsicht über ein steinernes Bollwerk - Fort wäre sicher übertrieben - und einige Geschütze. Die Gemeinde war mit seinen Diensten so zufrieden, dass sie ihn zu einer zweijährigen Dienstzeit überredeten.

Hans wird gefangen genommen Es war kein schlechtes Leben. Staden saß zwischen seinen Kanonen unter Palmen und vertrieb sich wahrscheinlich die Zeit im Spiel mit den anderen Söldnern. Manchmal ging er mit seinem indianischen Diener auf die Jagd. Bei einem solchen Ausflug wurde er von feindlichen Indianern überfallen und gefangen genommen. Die Indianer waren Kannibalen und pflegten ihre Kriegsgefangenen zu verspeisen. In seiner monatelangen Gefangenschaft stand auch Staden mehrmals kurz davor, auf dem Grill zu landen. Er versuchte sie zu überzeugen, dass er ein Deutscher und damit ein Freund der mit ihnen verbündeten Franzosen sei. Vielleicht kamen ihm auch die von ihm beschriebenen Glücksfälle zu Hilfe, mit denen er sie angeblich von der Macht seines Gottes überzeugen konnte. Sicher ist jedenfalls, dass er lange in ihren Lagern lebte. Seine Beschreibungen ihrer Sitten, Sprache und Jagdmethoden gelten noch heute mit als eine der besten Quellen über die längst ausgerotteten Indianer dieses Landstrichs.

Nach vielen Leiden und Abenteuern wurde er endlich von einem französischen Kapitän gegen Messer, Äxte und Spiegel freigekauft. Auf dessen Schiff erreichte er 1555 das französische Hafenstädtchen Honfleur in der Normandie. Der Kapitän besorgte ihm einen Pass und gab ihm auch Geld für die Heimreise. In der Heimat verfasste er seinen Reisebericht und betrieb eine Pulvermühle im hessischen Wolfshagen, wo er 1576 an der Pest starb.

1557 bereits zwei Jahre nach seiner Heimkehr wurde sein Reisebreicht "Wahrhaftige Historia und beschreibung eyner Landschafft der Wilden / Nacketen / Grimmigen Menschenfresser Leuthe in der Newenwelt America gelegen" publiziert. Man kann dort einiges über das Leben der Söldner im 16. Jahrhundert erfahren. Vor allen Dingen gilt Stadens Buch heute als der erste Bericht über die frühe Kolonialzeit Brasiliens und über die dort lebenden Indianer. Diese Bedeutung wird durch den 1999 in Brasilien erschienenen Film "Hans Staden" unterstrichen, der sich völlig auf sein Zusammenleben mit den Indianern konzentriert.

Film: Hans Staden (1999) Staden war ein einfacher Kanonier und nahm weder an berühmten Schlachten oder großen Eroberungen teil. Aber er ist ein gutes Beispiel für die vielen jungen Abenteurer, die etwas von der neuen Welt gehört hatten und dort ihr Glück versuchen wollten. Die legendären Häfen Lissabon und Sevilla zogen ihn magisch an, wenn schon nicht nach Indien, so fuhr man eben nach Amerika. Dass ihm ein deutscher Wirt zu seiner ersten Stelle verhalf ist sicher nicht untypisch und ein Indiz für die Funktion, die die viel zitierten "Kaschemmen" als Anlauf- und Vermittlungsstellen einnahmen. Anschließend konnte er sich selbst weiter helfen. Und plötzlich war der Hesse Befehlshaber eines Bollwerks und einer Handvoll Söldner in einem der gottverlassensten Winkel der Erde geworden. Was ihn unter seinen Zeitgenossen hervorhebt, sind seine wachen Augen, mit denen er die Welt sah. Staden beobachtete und beschrieb nicht nur das Leben der Indianer, sondern auch recht exakt Gürteltiere, verschiedene Fische, Beutelratten, Tiger und exotische Vögel.

Nur wenige kehrten wie Staden oder Schmidel zurück und berichteten von ihren Erlebnissen. Die meisten bezahlten ihre Gier nach Gold mit einem vorzeitigen Ende. Aber einige blieben. Viele von ihnen fielen dann der spanischen Inquisition zum Opfer, da sie als Deutsche besonders der Ketzerei verdächtig waren. Die Spuren der wenigen Überlebenden verloren sich meist vollständig.





Literatur:

Staden, Hans
Wahrhaftige Historia und beschreibung eyner Landschafft der Wilden / Nacketen / Grimmigen Menschenfresser Leuthe in der Newenwelt America gelegen ... - Zwei Reisen nach Brasilien 1548-1555.
Faksimile-Nachdruck Marburg 1963

Leandra A. Pohlai, Jürgen Schulz Grober (Hrg.)
Hans Staden. Sein Werk, seine Zeit und seine Wirkung: Beiträge der Homberger Stadentagung 2017
Göttingen 2019

Duffy, Eve M. and Alida C. Metcalf
The Return of Hans Staden: A Go-between in the Atlantic World
2012

© Frank Westenfelder  


 
Kriegsreisende

Artikel
- Archetypen
- Völker
- Antike
- Mittelalter
- Renaissance
Neuzeit
- Absolutismus
- Imperialismus
- 20.Jahrhundert
- Gegenwart

Biographien

Medien
- Bücher
- Filme

Links

Disclaimer
Archetypen Völker Antike Mittelalter Renaissance Neuzeit Absolutismus Imperialismus 20. Jahrhundert Gegenwart