Die Merseburger Legion
Ein mittelalterliches "Strafbataillon".
Bis weit ins 11. Jahrhundert waren Sklaven der mit Abstand wichtigste
Exportartikel, den das rückständige Abendland zu bieten hatte,
um damit die vom Adel so geschätzten Luxuswaren des Orients - hochwertige
Textilien, Gewürze, Schmuck - zu bezahlen. Die Hauptabnehmer waren
die moslemischen Staaten im Orient, Nordafrika und Spanien, wo bereits
in großem Umfang Gold- und Silbermünzen geprägt wurden,
als der Handel in Europa noch weitgehend in Naturalien abgewickelt wurde.
Krieg wurde zwar fast konstant geführt, aber außer Vieh und
Menschen gab es selbst in den wenigen Klöstern und Adelssitzen wenig
zu holen. Allerdings waren Menschen dabei ungleich wertvoller. So kosteten
Sklaven um 800 in Lyon 240-360 Deniers; ein Schaf 12 und eine Kuh 14 Deniers.
D.h. der Wert eines einzelnen Sklaven entsprach etwa dem einer kleinen
Vieherde.
In den moslemischen Ländern stieg die Nachfrage konstant. Vor allem
Spanien hatte einen geradezu unersättlichen Bedarf. Der Kalif von Cordoba
Abd ar-Rahman III. (912-961) unterhielt eine Sklavengarde von über
13.000 Mann, die so genannten Saqaliba. Dazu kamen die Palasteunuchen,
unzählige Arbeitssklaven und die blonden Frauen für die Harems.
Ein Mönch berichtet, dass er 870 im Hafen von Tarent 6 Schiffe mit
9.000 Sklaven auf dem Weg nach Ägypten gesehen habe. Während
so die Preise stiegen, wurde es im Abendland zunehmend schwieriger die
benötigte Ware zu besorgen, so galt es schon seit langem als falsch
Angehörige des eigenen Volkes zu verkaufen, und unter dem Karolinger
Pippin (741-68) wurde dann erstmals generell verboten Christen zu versklaven.
Allerdings deuten die wiederholten Verbote darauf hin, dass sie häufig
genug missachtet wurden.
Die Beschaffung der Sklaven verlagerte sich deshalb zunehmend an die
Randgebiete des Abendlandes. Die heidnischen Wikinger raubten Menschen
in ganz Nordeuropa. Die christlichen Angelsachsen verkauften wiederum besiegte
Dänen aber auch christliche Kelten aus Cornwall und Wales. Den Handel
organisierten meistens friesische Händler. Von Kiev aus versorgten
die Waräger über Byzanz den ganzen Orient mit Sklaven und wurden
reich und mächtig dabei. Auch Karl der Große konnte bei der
Unterwerfung der Sachsen (772-785) durch den Sklavenhandel sicher einen
Großteil seiner Kriegskosten decken.
Nachdem die Sachsen mit äußerst drastischen Methoden schließlich
zum christlichen Glauben bekehrt und dem fränkischen Reich einverleibt
worden waren, wurden automatisch die weiter östlich lebenden Slawen
zum primären Ziel der Sklavenhändler. Die Slawen hielten nicht
nur hartnäckig an ihren heidnischen Göttern fest, wodurch ihre
Versklavung völlig legal war, sie waren außerdem staatlich kaum
organisiert, und ihre Bewaffnung war den fränkischen Panzerhemden
und Schwertern weit unterlegen.
Bei diesem äußerst grausamen Kleinkrieg, der nun für
viele Generationen das Leben der Menschen zwischen Elbe und Oder bestimmen
sollte, handelte es sich allerdings nicht um irgendeine Art von "Germanisierungspolitik",
wie dies gerne von der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts behauptet
wird. Der Adel - egal ob "deutsch", "polnisch" oder "böhmisch" - benötigte
Geld zum Ausbau seiner Herrschaft, und das war am leichtesten durch Sklavenjagden
zu beschaffen. Es ist dabei sicher symptomatisch, dass es sich bei Samo
(623-658) dem ersten legendären König der Slawen, wahrscheinlich
um einen fränkischen Waffen- und Sklavenhändler handelte. Prag
entwickelte sich unter diesen Umständen zum Hauptumschlagplatz für
die menschliche Ware mit festen Handelsbeziehungen von Kiev bis nach Cordoba
und verhalf seinen Fürsten zu Reichtum und Macht. Auch für Mieszko
I. (935-993) den Stammvater der polnischen Könige war der Sklavenhandel
eine der wichtigsten Einnahmequellen; die Elbslawen bekämpfte er mit
der gleichen Grausamkeit wie die Ottonen oft auch im Bündnis mit diesen.
Aber auch die Elbslawen selbst waren alles andere als unschuldige Opfer.
Sie hatten bereits im Bündnis mit Karl dem Großen das östliche
Sachsen verheert und nutzten auch später jede Gelegenheit für
Raubzüge in die benachbarten Gebiete Sachsens oder Polens. Es waren
Grenzkriege, bei denen jede Partei versuchte das seit Generationen erlittene
Unglück mit Zinsen heimzuzahlen und dabei noch möglichst guten
Gewinn zu machen. Erwachsene Männer wurden meistens gnadenlos erschlagen,
Frauen und Knaben mitgenommen und später als Sklaven verkauft.
Für die benachbarten Sachsen waren jedoch die sporadischen slawischen
Überfälle eher ein kleineres Problem. Gefährlicher waren
die dänischen Wikinger, die mit wesentlich stärkeren Aufgeboten
ins Land einfielen, mit der Zeit jedoch ihre Aktivitäten mehr ins
westfränkische Reich und nach England verlegten, da dort mehr Beute
zu erwarten war. Am verheerendsten waren jedoch die Raubzüge der Ungarn.
Mit ihren sehr schlagkräftigen und äußerst mobilen Heeren
konnten sie in einem Sommerfeldzug große Landstriche durchziehen
und praktisch vollkommen entvölkern.
Ungarn gegen fränkische Panzerreiter
Die traditionellen germanischen Stammesaufgebote hatten diesen beweglichen
Berufskriegern kaum etwas entgegen zu setzen. Meistens kamen sie zu spät,
wenn die Feinde längst mit ihrer Beute weg waren, oder sie wurden
vernichtend geschlagen. Das stärkte die Position des Adels, der mit
seinem Gefolge nicht nur gut gerüstet und beritten in die Schlacht
zog, sondern mit Pferden und Waffen auch umgehen konnte. Das Hauptproblem
dabei war, dass diese Panzerreiter eine sehr kostspielige Angelegenheit
waren. Ein gutes Pferd kostete 240-360 Deniers, ein Schwert 60, ein Helm
72 und ein Kettenhemd 144. Da die Bauern ihre Abgaben hauptsächlich
in Naturalien entrichteten, konnten die notwendigen Mittel zu Ausrüstung
einer Truppe zumindest in Sachsen praktisch nur durch den Sklavenhandel
beschafft werden.
Am erfolgreichsten waren dabei anscheinend die Luidolfinger - so benannt
nach Graf Luidolf dem Stammvater des Geschlechts, später gingen sie
als "Ottonen" in die Geschichte ein. Die Sklavenjagden jenseits der Elbe
versorgten schon Luidolf mit genug Geld um seine Macht zielstrebig auszubauen. Er
stieg zum Herzog von Ostsachsen auf und verheiratete eine seiner
Töchter mit einem Sohn des Kaisers. Sein ältester Sohn fiel zwar
im Kampf gegen dänische Wikinger, aber Otto der zweitgeborene führte
das Werk des Vaters erfolgreich weiter. Er wurde Herzog von ganz Sachsen
und fügte seinem Herrschaftsbereich sogar Thüringen hinzu. Unter
seiner Führung entwickelte sich Sachsen zum mächtigsten der ostfränkischen
Stammesherzogtümer, so dass sein Sohn Heinrich nach offener Rebellion
schließlich 919 die deutsche Königskrone erlangte.
Als deutscher König musste Heinrich I. in erster Linie etwas gegen
die alljährlichen Raubzüge der Ungarn unternehmen, die 924 sogar
in sein Stammland eingefallen waren und dort vor allem den Merseburger
Raum furchtbar verheert hatten. 926 gelang es ihm gegen einen hohen Tribut
einen zehnjährigen Waffenstillstand zu erkaufen. In dieser Zeit widmete
sich Heinrich energisch der Aufgabe, das Land auf den Krieg vorzubereiten.
Er ließ zahlreiche Fluchtburgen bauen, in die sich die Bevölkerung
mit ihrem Vieh zurückziehen konnte. Im Grenzgebiet schuf er mit den
"agrarii milites" eine Art Wehrbauern, von denen jeder neunte von der bäuerlichen
Arbeit entbunden war und dafür in der Fluchtburg die Vorräte
bewachen sollte. Doch dabei handelte es sich lediglich um einen bäuerlichen
Grenzschutz. Um voll gerüstete Kämpfer kann es sich allein schon
deshalb nicht gehandelt haben, da acht Bauern niemals den notwendigen Mehrwert
hätten erwirtschaften können.
Die dringend benötigten Panzerreiter konnte nur der wohlhabende
Adel mit seinem Gefolge stellen. Trotzdem war es anscheinend schwierig
ausreichend waffengewohnte Krieger zu finden, und so verfiel Heinrich auf
die Idee aus verurteilten Kriminellen einen eigenen Verband aufzustellen.
Der Chronist Widukind von Corvey schreibt dazu: "Jene Schar nämlich
war aus Räubern gesammelt. Denn König Heinrich war gegen die
Fremden sehr streng, gegen seine Landsleute aber in allen Dingen sehr milde;
so oft er deshalb sah, dass ein Dieb oder Räuber ein tapferer Mann
und tüchtig zum Kriege sei, verschonte er ihn mit der gebührenden
Strafe; aber er versetzte ihn in die Vorstadt von Merseburg, gab ihm Äcker
und Waffen, und befahl ihnen nun die Landsleute zu verschonen, gegen die
Barbaren aber, so viel sie sich getrauten, Räubereien auszuüben."
Wegen ihres Standortes erhielt die Truppe den Namen "legione Mesaburiorum"
- "Merseburger Legion". Das Gebiet um Merseburg war wie gesagt kurz zuvor
von den Ungarn heimgesucht worden und entsprechend entvölkert; Land
gab es also genug. Vor allen Dingen lag es aber direkt an der Grenze zu
den slawischen Gebieten. Dort sollten die Legionäre nun durch Sklavenjagd
selbst für ihren Unterhalt sorgen. Bei Widukind ist zwar auch von
Äckern die Rede, man sollte aber nicht glauben, dass zu dieser Zeit
eine gut ausgerüstete Schar ehemaliger Räuber mit einem Freibrief
des Königs in der Tasche im Schweiße ihres Angesichts ihre Felder
bearbeitet hätte. Raub war damals ein hartes Geschäft, zudem nimmt die
neuere Forschung an, dass sich in der Legion sicher auch nicht wenige geächtete
Adlige befanden, die bei einer der zahlreichen Fehden etwas zu weit gegangen
waren. Sogar im Dienst der elbslawischen Fürsten
oder in Polen waren meistens einige zu finden, die dann auch kein Problem
damit hatten, Raubzüge in ihre alte Heimat zu führen. Die Führung
der Legion hatte ein gewisser Asik (oder Asig), der wahrscheinlich aus
dem Geschlecht der Merseburger Grafen stammte. Möglicherweise also
auch ein schwarzes Schaf, dem man hier eine zweite Chance gab.
Man weiß weder wie groß die Legion war noch etwas über
ihre Ausrüstung. Trotzdem kann man einige Schlüsse ziehen. 936
beim Kriegszug gegen Böhmen stellte sie eine "vollständige Heerschar"
von zweien; die andere kam aus Thüringen. Auch wenn mittelalterliche
Heere recht klein waren, wird man hier mindestens von an die tausend Bewaffneten
ausgehen müssen. Es ist allerdings kaum anzunehmen, dass bei ihrer
Aufstellung so viele verurteilte Verbrecher zur Verfügung standen,
da es ja keine Haftstrafen gab. Man wird also mit einigen Dutzend begonnen
und dann auf weiteren Zulauf gesetzt haben.
Wegelagerer, Räuber und Geächtete gab es genug und Sachsen
war groß. Aber trotz einer versprochenen Amnestie werden sich die
nur eingefunden haben, wenn sie vom Erfolg der Legion hörten. Und
Erfolg bedeutete nicht glorreiche Siege, sondern Geld und Beute. Merseburg
und vor allem Magdeburg entwickelten sich damals schnell zu bedeutenden
Sklavenmärkten, auf denen jüdische Händler sehr gut für
slawische Knaben und Frauen bezahlten. Die Bischöfe und Grafen vor
Ort und nicht zuletzt König Heinrich werden ebenfalls ihren Teil erhalten
haben.
Doch Heinrich brauchte viel mehr Geld, er musste alljährlich den
Tribut an die Ungarn bezahlen, teure Waffen und noch teurere Pferde beschaffen,
Befestigungen anlegen und sein Gefolge vergrößern. Außerdem
musste er die neu aufgestellten Truppen im Kampf üben, Kommandostrukturen
erproben und den angeschlagen Sachsen wieder Selbstvertrauen geben. Unter
diesen Gesichtspunkten erschienen die Elbslawen als ideale Gegner, sie
waren nicht nur militärisch unterlegen, sondern konnten auch als Heiden
problemlos als Sklaven verkauft werden.
Von früheren Feldzügen wusste man jedoch, dass sie sich von
einem überlegenen Gegner nur schwer zur Schlacht stellen ließen.
Sie zogen sich in ihre auf sumpfigen Inseln angelegten Burgen zurück
oder versteckten sich im Wald. Aber Heinrich war ein kühler Planer,
er verstärkte erst in Ruhe sein Heer und fiel dann im Winter 928/29
als Flüsse und Seen zugefroren und passierbar waren ins Land der Heveller
ein. Nach schweren Kämpfen gelang die Eroberung der Bandenburg (oder
Brennaborg). Anschließend zog das Heer weiter nach Süden gegen
die Daleminzier und deren Bug Gana. Nach einer schweren Belagerung von
zwanzig Tagen gelang dann die Einnahme. Widukind von Corvey berichtet deutlich:
"Die Beute aus der Burg überließ er den Kriegern, alle Männer
wurden niedergemacht, die Knaben und Mädchen für die Gefangenschaft
aufbewahrt." Zur Sicherung des unterworfenen Landes ließ er die Festung
Meissen errichten und das Heer marschierte mit seiner menschlichen Beute
erst einmal zurück.
Trotz der Härten eines Winterfeldzuges hatten die schnellen Siege
die Moral der Truppen sicher gewaltig gehoben. Heinrich hielt es deshalb
für angebracht sie in einem größerem Verband gegen einen
mächtigeren Gegner zu erproben. Im Frühsommer 929 vereinigte
er ein sächsisches Kontingent mit anderen aus Franken und Bayern in
der Oberpfalz und zog gegen Prag, das sich seit einiger Zeit aus dem Reichsverbund
gelöst hatte. Angesichts der erdrückenden Übermacht und
wahrscheinlich auch aufgeschreckt von den Nachrichten vom Krieg gegen die
benachbarten Daleminzier unterwarf sich Herzog Wenzel und versprach wieder
regelmäßig seinen Tribut zu entrichten.
Die Elbslawen nutzten die Abwesenheit eines guten Teils der Truppen
zu einem Aufstand. Sie stürmten und vernichteten die meisten der sächsischen
Garnisonen. Die Redarier überschritten sogar die Elbe und eroberten
die Burg Walsleben, wobei sie nun ihrerseits alle männlichen Bewohnen
töteten und den Rest als Sklaven wegführten. Zur Vergeltung schickte
Heinrich nun Graf Thietmar von Thüringen mit einem Heer, zu dem auch
ein starkes Kontingent Panzerreiter gehörte. Thietmar belagerte damit
die wichtige Slawenburg Lenzen und schlug dann ein großes Entsatzheer,
wobei die Panzerreiter die Entscheidung gebracht haben sollen. Die Burg
Lenzen kapitulierte dann gegen freien Abzug der Besatzung, Frauen und Kinder
wurden aber zu Sklaven gemacht.
Heinrich verstärkte in den folgenden Jahren weiterhin sein Heer
und unternahm zum Training und zur Finanzierung ständig neue Feldzüge,
so gegen die Abodriten (931) und die Lusitzen (932). Als er sich schließlich
stark genug fühlte, kündigte er den Waffenstillstand mit den
Ungarn und besiegte sie 933 bei Riade. Bei all diesen Kämpfen wird
die Merseburger Legion nie ausdrücklich erwähnt, was sicher daran
liegt, dass sich die wenigen Chronisten wie Widukind oder Thietmar von
Merseburg ganz auf die Heldentaten der Könige und der sächsischen
Großen konzentrieren. Dennoch kann man davon ausgehen, dass sie höchst
wahrscheinlich immer an vorderster Front mit dabei war.
Außerdem erhält man von diesen Kriegen und ihrer Grausamkeit
sicher ein falsches Bild, wenn man sich zu sehr auf die wenigen bekannten
Großereignisse konzentriert. Man muss sich viel mehr fragen, was
dieses Heer sonst noch tat, wenn es ein paar Monate östlich der Elbe
herumzog oder eine Burg belagerte. Bei den Ungarneinfällen hat man
da bessere Vorstellungen. Jeder weiß, dass hier schnelle Überfälle,
Plünderungen, Menschenraub, Totschlag und Vergewaltigungen wesentlich
mehr das Kriegsgeschehen bestimmten als die äußerst seltenen
Schlachten. Um die Slawen zur Unterwerfung zu zwingen und um die notwendigen
Gefangenen zu machen, genügte es nicht einige Burgen zu erobern. Viel
mehr durchstreiften zahlreiche Trupps das Land, brannten Höfe nieder
und stöberten die geflüchteten Einwohner in ihren Schlupfwinkeln
auf. Es handelte sich um groß angelegte Sklavenjagden. Wahrscheinlich
hat man Hunde dabei benutzt - die Jagd war ja ohnehin die Lieblingsbeschäftigung
des Adels -, außerdem schätzte man die Dienste slawischer Überläufer;
sicher hat man auch einzelne Gefangene ausgiebig gefoltert bis sie die
Verstecke preisgaben.
Das war genau die Art von Krieg, für die sich die Legionäre
hervorragend eigneten. Ehemalige Wegelagerer und Räuber wussten, wo
man sich im Wald am besten versteckte, konnten sich an ihre Beute anschleichen
und waren sicher zu Grausamkeiten bereit, bei denen ein sächsischer
Bauer noch zögerte. Sie werden auch auf Raub ausgezogen sein, wenn
kein großer Kriegszug stattfand; in kleineren Gruppen, um unbemerkt
ins Hinterland eindringen zu können, aber stark genug, um mit den
Männern einer Siedlung fertig zu werden. Dann wieder schnell mit der
Beute über die Elbe zurück. Auf diese Art führten sie ihren
Krieg, und so lautete ja auch der Auftrag den sie vom König erhalten
hatten.
Die Slawen wehrten sich erbittert, zum Teil gegen die fremde Herrschaft,
mehr gegen das aufgezwungene Christentum aber am vehementesten sicher gegen
die Sklaverei. Obwohl Widukind von Corvey als Mönch wenig für
die Heiden übrig hatte, wird er bei der Beschreibung der Kämpfe
unter Otto dem Großen doch sehr deutlich: "so führte der König
selbst mehrere Male ein Heer gegen sie, fügte ihnen vielen Schaden
zu und brachte sie fast in das äußerste Verderben. Trotzdem
zogen sie den Krieg dem Frieden vor, indem sie alles Elend der teueren
Freiheit gegenüber gering achten. Es ist nämlich dieser Menschenschlag
hart und scheut keine Anstrengung; gewöhnt an die dürftigste
Nahrung, halten die Slawen für eine Lust, was den Unseren als eine
schwere Last erscheint. Wahrlich, viele Tage gingen darüber hin, während
auf beiden Seiten verschieden gekämpft wurde, hier für Kriegsruhm
und Ausbreitung der Herrschaft, dort für Freiheit oder schlimmste
Versklavung."
Dass die Merseburger Legion aber nicht nur im Kleinkrieg verwendet wurde,
sondern auch den Kern eines richtigen Heeres stellen konnte zeigt ihr Ende
in dem unglücklichen Feldzug gegen Böhmen 936. Dort hatte Herzog
Boleslav seinen Bruder Wenzel ermordet und dann selbst die Herrschaft übernommen.
Er wandte sich wieder vom Christentum ab und stellte auch die Tributzahlungen
an den deutschen König ein. Heinrichs Sohn Otto, der im selben Jahr
seinem Vater auf den Thron gefolgt war, schickte deshalb zwei Heere gegen
Prag: eines aus Thüringen und das andere unter dem Befehl von Asik
aus Sachsen, von dem die Merseburger Legion einen guten Teil stellte.
Widukind schreibt über diese Ereignisse: "Da aber Boleslav von
dem Heere der Sachsen hörte, und dass die Sachsen getrennt von den
Thüringern gegen ihn zögen, teilte er auch seine Genossen, und
klugen Rates, wie er war, beschloss er beiden Heeren zu begegnen. Als aber
die Thüringer die Feinde unvermutet sich gegenüber sahen, vermieden
sie durch die Flucht die Gefahr. Asik hingegen mit den Sachsen und der
übrigen Mannschaft stürzte ohne alles Zögern auf die Feinde,
schlug den größten Teil von ihnen mit den Waffen nieder, trieb
die übrigen in die Flucht, und kehrte siegreich zum Lager zurück.
Und da er von dem Heere, welches die Thüringer verfolgt hatte, nichts
wusste, erfreute er sich zu sorglos des errungenen Sieges. Als aber Boleslav
unser Heer zerstreut und die Einen beschäftigt sah, den Getöteten
die Rüstungen abzuziehen, andere ihren Körper zu pflegen, andere
Futter für die Pferde zu sammeln, vereinigte er das geschlagene und
das zurückgekehrte Heer, fiel über die nichts ahnenden und durch
den eben errungenen Sieg sicher gemachten plötzlich her, und erschlug
den Feldherrn samt unserem ganzen Heere."
Das war zwar das Ende der Merseburger Legion, die Sklavenjagden jenseits
der Elbe gingen jedoch weiter. Unter Otto dem Großen wurden fast
jährlich Gesandtschaften mit dem Kalifenhof in Cordoba ausgetauscht,
der ja eigentlich für die Reichspolitik keine besondere Bedeutung
hätte haben dürfen. Wenn man die Ottonen jedoch als Großlieferanten
für Sklaven sieht, machen diese engen Kontakte mit dem Hauptabnehmer
im Westen durchaus Sinn. Wahrscheinlich diskutierte man Lieferumfang, spezielle
Kundenwünsche und die Umgehung des Zwischenhandels.
Die Merseburger Legion war nur eine kurze Randepisode in der langen
blutigen Geschichte der Unterwerfung der Elbslawen. Dennoch hatte sie ein
übles Nachspiel, auf das man zumindest kurz verweisen sollte. Als
die Nationalsozialisten nach der Eroberung Polens und mehr noch nach den
ersten Erfolgen gegen die Sowjetunion damit begannen, große Pläne
für eine neue deutsche Ostsiedlung zu entwerfen, wurden auch die alten
Berichte von Widukind von Corvey wieder entdeckt. Während Hitler sich
seine historischen Vorbilder mehr unter den deutschen Kaisern suchte, entdeckte
der Rassenfanatiker Himmler Heinrich I. als sein großes Idol. Wie
dieser wollte er "agrarii milites" im Osten ansiedeln - dazu sollten SS-Veteranen
verwendet werden -, und von der Merseburger Legion ließ er sich zur Aufstellung
der "SS-Sondereinheit Dirlewanger" anregen, die dann aus Kriminellen gebildet
und bevorzugt bei der Partisanenbekämpfung eingesetzt wurde.