Die 700 Schwaben
Die erste deutsche Söldnertruppe.
Am Anfang des 11. Jahrhunderts stand es nicht gut um die Kirche in Italien. Das Zölibat wurde kaum beachtet,
Ämterkauf war an der Tagesordnung und die Sarazenen verwüsteten den Süden. Am schlimmsten stand es aber um
das Papsttum selbst. Päpste wurden wegen ihrer ausschweifenden Leben aus der Stadt gejagt, erlagen im Sommer
dem ungesunden Klima oder wurden von Konkurrenten vergiftet. Schließlich ließ Kaiser Heinrich III., der ein
starkes Interesse an stabilen Verhältnissen im Kirchenstaat hatte, auf einem großen Konzil in Worms 1048
Bruno von Egisheim den Bischof von Toul als Leo IX. zum Papst wählen.
Kaum in Rom angekommen machte sich der neue Papst mit Feuereifer an die notwendigen Reformen. Während er in Rom
und der inneren Struktur einige Erfolge erzielte, erhielt er die schlimmsten Nachrichten aus dem Süden. Dort
waren die Normannen in den letzten Jahren zum entscheidenden Machtfaktor geworden. Sie hatten den Byzantinern
die meisten Garnisonen entrissen und auch den langobardischen Adel weitgehend aus seinen alten Machtpositionen
verdrängt. Bei diesen permanenten Kleinkriegen plünderten die Normannen nicht nur rücksichtslos Kirchen und
Klöster, um ihre Truppen zu besolden, sie pflegten auch ihren Besitz auf Kosten der kirchlichen Latifundien
zu arrondierten.
Bei ihrer Raubzügen von Apulien drangen sie dabei immer tiefer in das Gebiet des Fürstentums Benevent ein,
beraubten Reisende und Pilger, schändeten Kirchen, verwüsteten das Land und ermordeten auch Frauen und Kinder.
Der Bevölkerung erschienen sie schlimmer als die Sarazenen, gegen die man sie ja einst ins Land gerufen hatte.
In ihrer verzweifelten Lage unterstellten sich die Einwohner von Benevent schließlich dem Papst. Leo konnte
dieses Angebot kaum ablehnen und musste nun für den Schutz von Benevent sorgen. Er verhandelte deshalb mit den
beiden mächtigsten Männern des Südens, mit Drogo von Hauteville, dem Grafen von Apulien und anerkanntem Führer
der Normannen, und mit dem Langobardenfürsten Gaimar von Salerno. Beide versprachen mäßigend auf ihre Männer
einzuwirken. Drogo wurde jedoch kurz darauf ermordet, wobei wahrscheinlich Byzanz seine Hand im Spiel hatte,
und Gaimar fiel etwa ein Jahr später intriganten Verwandten zum Opfer.
Im Süden fielen nun Normannen, Byzantiner und Langobarden erneut übereinander her und wie immer hielten sich
ihre Truppen an der Bevölkerung und am Kirchenbesitz schadlos. Schließlich behaupteten die Normannen das Feld.
Sie hatten nun Humphrey von Hauteville einen Bruder Drogos zu ihrem Anführer gewählt. Der Druck auf Benevent nahm
wieder zu und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann dieses reiche Fürstentum eine Beute der Normannen
werden sollte.
Doch die Normannen hatten sich viele Feinde gemacht und so war es für Leo nicht allzu schwer ein Bündnis gegen
die Emporkömmlinge zu schmieden. Fast der gesamte langobardische Adel Süditaliens war bereits sich gegen seine
Unterdrücker zu erheben. Wichtiger war jedoch, dass der Papst und Byzanz nun bereit waren ihre Konflikte beizulegen,
da beide eingesehen hatten, dass in Süditalien die größte Gefahr von den Normannen ausging.
Während jedoch die Byzantiner nach den langen Kämpfen immer noch über ein Heer in Apulien verfügten, das sie
lediglich verstärken mussten, fehlte dem Papst eine eigene Truppe. Die vielen Gegner der Normannen waren nur bereit
sich einem Heer anzuschließen, das reelle Siegeschancen hatte. Auf der Suche nach einer Kerntruppe, um die sich
dann die Unzufriedenen scharen könnten reiste der Papst Ende 1052 über die Alpen und bat Kaiser Heinrich bei der
Weihnachtsfeier in Worms um Unterstützung. Doch der Kaiser hatte genug eigene Probleme und ein kleines Heer, das
er schließlich in Marsch setzte, wurde schnell wieder zurückgerufen.
Leo war also auf sich selbst gestellt, aber im Gegensatz zu den meisten europäischen Adligen verfügte die Kirche
ja über gewisse finanzielle Ressourcen. Zudem konnte der Papst potentiellen Verbündeten reiche Ländereien versprechen,
die nach einem Sieg über die Normannen unter seine Kontrolle fallen würden. Er warb also Söldner und die Chroniken
berichten, dass er mit 700 kriegserprobten Schwaben nach Italien zurückkehrte. Allerdings umfasste das alte
Stammesherzogtum Schwaben das südliche Baden-Württemberg, das Elsass und den Nordteil der heutigen Schweiz.
Nach heutigem Verständnis dürfte es sich also zum guten Teil um Schweizer gehandelt haben.
Die Werbung von erfahrenen Kriegern - und um solche handelte es sich ausdrücklich - konnte nur über die Netzwerke
des Adels organisiert werden. In der Kirche konnte man sicher auch zum Krieg aufrufen, doch dann lief wahrscheinlich
nur undiszipliniertes, raublustiges Volk zusammen. Leo selbst stammte aus einer alten adligen Familie im Elsass,
den Grafen von Egisheim, und man kann annehmen, dass sich ihm von dort einige Adlige mit ihrem Gefolge anschlossen.
Eine wichtige Rolle bei der Werbung spielte auch Leos Sekretär Friedrich, ein Bruder des Herzogs von Lothringen.
Das Kommando der Truppe hatten Adalbert II. Graf von Winterthur und dessen jüngerer Bruder Werner Graf von Maden
(in Nordhessen) und vom Neckargau. Adalberts Tochter heiratete den späteren Grafen von Kyburg, der seinen Besitz
bei Zürich hatte.
Diese mächtigen Adligen werden also unter ihren Lehnsleuten, ihren Verwandten und Freunden
geworben haben. Da niemand aus lehnsrechtlichen Gründen zum Zug nach Italien verpflichtet war, werden sich
hauptsächlich zweite und dritte Söhne von Ministerialen der Truppe angeschlossen haben. Jeder, der es sich leisten
konnte, brachte sicher noch einige Bewaffnete mit. Der Sold diente bei den meisten Kriegern sicher mehr dazu die
Ausrüstung zu bezahlen und dann die Reisekosten zu decken. Für die Anführer war der Feldzug wahrscheinlich sogar
ein Unternehmen, in das sie eigenes Kapital investierten. Daneben bestand der eigentliche "Sold" sicher mehr
in der Hoffung auf Beute oder auf Landbesitz in Apulien. Einige Jahre später brachte übrigens Wilhelm der Eroberer
einen großen Teil seines Heeres auf ähnliche Weise zusammen.
Die für dieses Ereignis reichlich vorhandenen Quellen beschreiben die "Schwaben" durchgehend als ungewöhnlich
groß gewachsen - auch oder gerade im Vergleich mit den Normannen -, und langhaarige tapfere Krieger, die zu Fuß
mit langen Schwertern kämpften. So schreibt der normannische Chronist Wilhelm von Apulien: "Sie waren stolze Männer
mit großem Mut, allerdings keine guten Reiter. Sie kämpften lieber mit dem Schwert als mit der Lanze. [...] Diese
Schwerter waren sehr lang und scharf und es konnte leicht vorkommen, dass jemand damit in zwei Teile gespalten wurde.
Sie zogen es vor abzusitzen und zu Fuß zu kämpfen, und sie waren eher bereit zu sterben als die Flucht zu ergreifen."
Es mag nun erstaunen von Infanteristen mit Langschwertern im 11. Jahrhundert zu lesen. Doch die Quellen sind hier
eindeutig. Die langen Haare und ihre Arroganz lassen auf eine adlige Herkunft schließen. Sie waren sicher auch beritten;
nur zogen sie es eben vor, zum Kampf abzusitzen. Auch dies ist nicht völlig ungewöhnlich, da zu Fuß manchmal eine stärkere
Verteidigungsposition eingenommen werden kann. So ließ z.B. König Henry I. in der Schlacht von Tinchebray (1106) seine
Truppen ebenfalls absitzen und siegte.
Diese "Schwaben" oder auch "Teutonen", wie sie ebenfalls genannt werden, bildeten nun das Rückgrat der neuen päpstlichen
Armee. Kaum hatten sie Italien erreicht, erhielten sie immer neuen Zuzug. Abenteurer, kriegerische Geistliche, Gesetzlose,
Diebe, Räuber und Landstreicher schlossen sich ihnen an. Die Kirche rief nun ganz offen zum Krieg gegen die gottlosen
Normannen auf, was neue Freiwillige zu den Fahnen eilen ließ. Vor allen Dingen aber schien der Sieg inzwischen sicher
und so war reiche Beute zu erwarten. So wälzte sich der Heerhaufe immer größer werdend langsam nach Benevent, wo sich
ihm fast der gesamte nichtnormannische Adel Süditaliens anschloss. Wenn es sich bei einem Großteil dieses Heeres auch
um völlig undisziplinierte Truppen handelte, so war es doch viel stärker als das Aufgebot der Normannen. Dennoch hielten
es die Strategen des Papstes für besser, sich mit der byzantinischen Armee an der Adriaküste zu vereinigen.
Da die Normannen die Pässe nach Süden kontrollierten, musste die Armee etwas nach Norden ausweichen und plante am Monte
Gargano die Adria zu erreichen. Die Normannen, für die es um die nackte Existenz ging, hatten jeden Mann mobilisiert,
den sie irgendwie entbehren konnten, und versuchten die Vereinigung ihrer Gegner zu verhindern. Im Juni 1053 trafen sie
auf die päpstliche Armee bei der kleinen Stadt Civitate im nördlichen Apulien. Beide Parteien zögerten. Der Papst und
seine Berater wollten das Eintreffen der Byzantiner abwarten. Die Normannen sahen sich einem überlegenen Gegner gegenüber
und hatten möglicherweise auch Skrupel sozusagen gegen den Papst in Person zur Waffe zu greifen. Sie boten deshalb
Frieden an und versprachen für die Zukunft Treue und Gehorsam.
Natürlich hatte die Vergangenheit gezeigt, dass den Zusagen der Normannen nur sehr bedingt zu trauen war. Das größte
Problem waren jedoch die schwäbischen Söldner des Papstes. Sie hatten auf einen erfolgreichen Feldzug im Süden gesetzt,
und man kann sich leicht vorstellen, dass ihnen die Aussicht, nach einer friedlichen Einigung in die Heimat zurückzukehren,
nicht behagte. Der Sold war eben nur der weit geringere Teil des erwarteten Lohns. Viel mehr Gewinn versprach ein Sieg.
Die zusammen geraubten Schätze der Normannen lockten, und außerdem waren nach deren Vertreibung sicher viele Lehen
in Apulien neu zu vergeben.
"Die großen, langhaarigen und gut aussehenden Teutonen verspotteten die Normannen, die ihnen soviel kleiner erschienen.
Sie verachteten das Angebot von Leuten, die sie für schwächer an Zahl und Stärke hielten. Sie umringten den Papst und
verlangten hochtrabend: Befiehl den Normannen, Italien zu verlassen, ihre Waffen niederzulegen und in ihre Heimat
zurückzukehren. [...] Sie haben noch keine teutonischen Schwerter kennen gelernt, und wenn sie nicht freiwillig gehen,
soll man sie dazu zwingen, oder sie werden durch das Schwert umkommen." Das waren harte Worte, die den Stolz der Normannen
tief verletzen mussten. Und man spürt in dem Bericht Wilhelms von Apuliens auch heute noch etwas von der Wut über diese
arroganten Teutonen. Sie zielten jedoch darauf ab, den Gegner zum Angriff zu verleiten.
Den Normannen blieb nun tatsächlich keine Wahl. Die feindliche Bevölkerung lieferte ihnen keine Nahrungsmittel und die
Byzantiner waren im Anmarsch. Gleich am nächsten Tag stellten sie ihr Heer in drei Abteilungen auf. Den rechten Flügel
kommandierte Richard von Aversa, im gegenüber standen die Italiener und die Langobarden. Das normannische Zentrum unter
Humphrey von Hauteville musste es mit den 700 Schwaben aufnehmen. Die dritte Gruppe unter dem Befehl von Humphreys Bruder
Robert Guiscard blieb in Reserve.
Angeblich griffen die Normannen überraschend an, als noch Verhandlungen liefen. Ihr rechter Flügel brach sofort tief in
die ungeordnete Masse des langobardischen Adels und der städtischen Milizen ein. Nach nur ganz kurzem Widerstand befand
sich dieser Flügel, der ja das Gros der päpstlichen Armee stellte, in wilder Flucht. Die Normannen unter Richard von Aversa
jagten hinterher und hieben viele der Flüchtenden nieder oder machten reiche Gefangene. Im Zentrum aber trafen Humphreys
Normannen auf die Schwaben und die erschlugen mit ihren langen Schwertern Pferde und Reiter. Humphrey kam in arge Bedrängnis
und erst das Eingreifen des als Reserve zurückgehaltenen Flügels unter Robert Guiscard stabilisierte seine Reihen. Doch
noch immer standen die langhaarigen Schwaben und lieferten den Normannen eine blutige Schlacht. Angeblich verlor allein
Robert drei Pferde, doch jedes mal führte er sein Truppen mit neuem Eifer zum Angriff. Wilhelm von Apulien berichtet voller
Genugtuung: "Indem er diesen großen Männern die Köpfe abhieb, reduzierte er sie auf die gleiche Größe wie die kleinerer
Männer und bewies damit, dass die größte Tapferkeit nicht immer bei den hoch Gewachsenen ist sondern oft bei solchen
von mittlerem Wuchs."
Doch auch jetzt hielten die Schwaben ihre Reihen geschlossen und teilten mit ihren gefürchteten Langschwerter furchtbare
Hiebe aus. Die Entscheidung brachte erst die Rückkehr der Truppe unter Richard von Aversa, die die Italiener und Langobarden
verfolgt hatte. Nun von allen Seiten angegriffen und an Zahl weit unterlegen wurden die Teutonen nach und nach überwältigt.
Trotzdem musste ihnen Wilhelm von Apulien zugestehen, dass sie auch jetzt noch tapfer weiterkämpften. Gnade hatten sie keine
zu erwarten und so fielen sie angeblich bis auf den letzten Mann. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass man 1820 bei
Ausgrabungen in der Nähe der Stadtmauer des ehemaligen Civitate zahlreiche männliche Skelette fand, viele über 1,80 groß,
die alle furchtbare Verwundungen aufwiesen. Es ist nicht sicher, ob es sich hierbei um die von Wilhelm von Apulien
beschriebenen langhaarigen, teutonischen Riesen handelt, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass es sich um die Reste der
ältesten bekannten deutschen Söldnertruppe handelt - der 700 Schwaben.