Kriegsreisende

 die Sozialgeschichte der Söldner

Wellenbrecher bei Waterloo

Die King's German Legion verteidigt La Haye Sainte.

Bei Waterloo war Wellington vor allem in der Qualität seiner Truppen und in der Artillerie unterlegen. Während Napoleons Armee weitgehend aus erprobten und treuen Veteranen bestand, hatte nur ein Teil der Alliierten unter Wellington in Spanien gekämpft; viele waren unerfahrene Rekruten oder hatten vorher unter französischer Fahne gedient.

Schlacht bei Waterloo

Wellington bezog deshalb eine gute Verteidigungsstellung auf einem Höhenzug südlich von Brüssel. Hier hoffte er lange genug standhalten zu können, bis die preußische Armee unter Blücher das Schlachtfeld erreichen würde. Etwas vor seiner Frontlinie befanden sich drei Gebäudekomplexe, die in die Verteidigung mit einbezogen wurden. Das kleine Schloss Hougoumont vor dem rechten Flügel eignete sich am besten dazu; es war relativ ausgedehnt und hatte starke Mauern. Wellington ließ es durch seine Pioniere zusätzlich befestigen und besetzte es mit einigen seiner besten Einheiten. Die Gehöfte Papelotte und La Haye vor dem linken Flügel wurden ebenfalls mit ein paar tausend Mann besetzt.

La Haye Sainte Plan Verglichen mit den beiden Flügelstellungen war die Besatzung des vor dem Zentrum liegenden Gutshofs La Hay Sainte eher bescheiden. Seine Verteidigung sollte das 2. leichte Bataillon der King's German Legion unter Major Georg Baring übernehmen. Der Gutshof lag direkt an der Westseite der Straße von Charleroi nach Brüssel. Mehrere Gebäude – Gutshaus, Stall, Scheune und Schweinestall - und eine hohe Mauer umgaben einen Innenhof. Auf der Südseite (in Richtung der anrückenden Franzosen) lag einer großer von einer Hecke umgebener Obstgarten. Auf der anderen Seite, zur englischen Linie hin war ein Küchengarten, der durch eine Tür im Gutshaus zu erreichen war.

Eigentlich handelte es sich bei La Hay Sainte um eine ideal positionierte, gut zu verteidigende Stellung und es wird manchmal die Frage aufgeworfen, warum sowohl Wellington wie auch Napoleon ihre Bedeutung so lange unterschätzten. Der erste ließ sie nur relativ schwach verteidigen, und der andere unternahm lange keine besonderen Anstrengungen zu ihrer Eroberung.

Wahrscheinlich liegt die Antwort einfach in der relativ geringen Größe – Hougoumont war um ein mehrfaches größer – und in der zentralen Lage. Beide Feldherren gingen möglicherweise davon aus, dass La Hay Sainte nach einigem Widerstand beim ersten großen Angriff einfach überrannt werden würde. Sie sahen in dem Gutshof mehr einen Stolperstein als einen Wellenbrecher.

Bei der Besatzung handelte es sich um leichte Infanterie, die normalerweise in aufgelöster Formation als Aufklärer und Plänkler vor der Linieninfanterie kämpften. Sie trugen deshalb Uniformen in gedeckten Farben (dunkelgrün und grau) und nicht das sonst bei den Briten so beliebte Rot. Statt mit den üblichen Musketen waren sie mit Baker Rifles bewaffnet, die einen gezogenen Lauf hatten. Diese Büchsen waren zwar viel treffsicherer als Musketen, dafür aber schwieriger zu laden, wodurch die Schussfolge auf etwa die Hälfte reduziert wurde. Auf freiem Feld und in fester Fromation waren leichte, mit Büchsen bewaffnete Infateristen deshalb der Linieninfanterie unterlegen. In unübersichtlichem Gelände jedoch oder aus einer festen Stellung heraus waren sie in eindeutig im Vorteil.

Leichte Infanterie der Kings German Legion Leichte Infanteristen hatte als deutsche Jäger, französische Voltigeurs oder englische Riflemen während der napoleonischen Kriege stark an Bedeutung gewonnen und galten in allen Armeen als Elitetruppen. Von ihnen wurden ungleich mehr Eigeninitiative, Zuverlässigkeit und nicht zuletzt Mut erwartet als von den Linientruppen, die ja immer Rückhalt in der Formation fanden und ständig unter der Kontrolle ihrer Offiziere waren.

Das 2. leichte Bataillon der King's German Legion war in der Schlacht bei Quatre-Bras nicht zum Einsatz gekommen, hatte dann aber in strömendem Regen den Rückzug der alliierten Armee gedeckt. Am nächsten Abend waren die Männer dann völlig durchnässt, ausgehungert und erschöpft in Wellingtons Stellung vor Waterloo angekommen, wo sie dann sofort nach La Haye Sainte geschickt wurden.

Diejenigen, die etwas Glück hatten, konnten in einem der Gebäude schlafen, die anderen mussten nass und frierend im Freien die Nacht verbringen. Zur großen Erleichterung hörte es am Morgen auf zu regnen und einige versuchten Feuer zu entfachen um abzukochen und etwas zu essen. Bald waren jedoch alle unter der Anleitung ihrer Offiziere damit beschäftigt den Gutshof zu befestigen. Leider waren alle Pioniereinheiten auch die der King's German Legion zur Befestigung von Hougoumont abkommandiert worden. Die Männer mussten also, so gut es ging, improvisieren.

Hinter den Mauern wurden Plattformen errichtetet, um darüber schießen zu können. Zusätzlich wurden Schießscharten in die Mauern gebrochen. Die Straße wurde mit einer Barrikade aus Wagenteilen, Baumstämmen und Buschwerk versperrt. Das größte Problem war aber, dass das Tor, das von der Scheune auf die dahinter liegenden Felder führte, von früher durchziehenden Truppen als Brennholz verfeuert worden war. Ohne die Materialien der Pioniere konnte diese Schwachstelle nur mit einer provisorischen Barrikade blockiert werden.

Das 2. leichte Bataillon bestand aus sechs Kompanien mit zusammen knapp 400 Mann. Major Georg Baring positionierte drei Kompanien im Obstgarten, zwei im Gutshof und eine im Küchengarten. Die alliierte Hauptstellung entlang des Hohlwegs auf dem Höhenrücken lag ca. 200 Meter hinter dem Küchengarten. Die Verbindung wurde von zwei Kompanien Scharfschützen vom 95th Rifle Regiment gehalten, die etwas weiter nach hinten auf der anderen Straßenseite in einer Sandgrube Position bezogen hatten.

Der Anfang der Schlacht verzögerte sich, da der aufgeweichte Boden den Aufmarsch der französischen Artillerie behinderte. Gegen 11.30 war die Artillerie dann in Position und begann mit ihrem vernichtenden Feuer auf den Höhenzug. Gleichzeitig erfolgte ein starker Infanterieangriff auf Schloss Hougoumont, durch den Wellington dazu veranlasst werden sollte, Reserven vom Zentrum abzuziehen.

Der Großangriff im Zentrum begann kurz nach 13.00. Unter dem Befehl von Marschall d'Erlon setzten sich vier Divisionen mit fast 18.000 Mann in Bewegung und marschierten in dichten Kolonnen auf die alliierten Stellungen zu. Während die Masse östlich an La Haye Sainte vorbeizog, hatte die Hälfte der ersten Division den Auftrag den Gutshof einzunehmen.

Eine Zeit lang konnten die Legionäre unter Baring den Obstgarten gegen die anstürmende Masse von Plänklern hatten, während die Besatzung des Gutshofs in die vorbei marschierenden Kolonnen feuerte. Nachdem aber immer mehr Franzosen die Hecke erreicht hatten, führte die höhere Feuergeschwindigkeit ihrer Musketen zu empfindlichen Verlusten und Baring musste sich mit den Überlebenden langsam in den Gutshof zurückziehen.

Dieser war kurz darauf völlig eingeschlossen. Die Franzosen versuchten die Tore aufzubrechen und über die Mauern zu klettern. Doch alle Versuche wurden abgeschlagen. Besonders blutig wurde in der Scheune gekämpft. Immer wieder stürmten die Franzosen durch das offene Tor und wurden vom konzentrierten Feuer der Verteidiger und manchmal auch mit Bajonetten zurückgetrieben.

Sturm auf La Haye Sainte Der Küchengarten war bald gefallen und auch die englischen Scharfschützen wurden aus der Sandgrube vertrieben. Ein Bataillon Lüneburger, das zur Unterstützung geschickt worden war, wurde beim Anmarsch von franzöischer Kavallerie zersprengt, und nur einige wenige konnten sich in den Gutshof retten. Dort wurde der Kampf immer verzweifelter. Die Verteidiger hatten starke Verluste und bemerkten langsam, das die Munition knapp wurde.

Die Rettung kam mit dem alliierten Kavallerieangriff gegen 14.00. D'Erlons Kolonnen, die bereits zum Teil den Höhenzug überschritten hatten, wurden von diesem Gegenangriff völlig überrascht und unter schweren Verlusten zurückgeworfen. Die Franzosen vor La Haye Sainte wurden von der großen Rückwärtsbewegung mitgerissen.

Nachdem das Gros der Franzosen abgezogen war , kamen dringend benötigte Verstärkungen. Zwei Kompanien vom 1. leichten Bataillon besetzten den Küchengarten und eine weitere leichte Kompanie der King's German Legion verstärkte die Besatzung im Gutshof. Da auch die Scharfschützen der 95th Rifles in die Sandgrube zurückgekehrt waren, war die Verbindung nach hinten wieder hergestellt. Doch trotz dieser neuen Truppen fühlte sich Baring nicht stark genug, die verbleibenden Franzosen aus dem Obstgarten zu vertreiben.

Das größte Problem war jedoch die fehlende Munition, und davon war nichts angekommen. Da die Baker Rifles der leichten Kompanien ein anderes Kaliber als die Musketen hatten, konnte die normale Munition nicht verwendet werden. Zudem war ein Munitionswagen der King's German Legion beim hastigen Rückzug von Quatre-Bras verloren gegangen. Die Legionäre waren mit 60 Schuss pro Mann ins Gefecht gezogen und hatten nichts dazu erhalten, obwohl Baring bereits mehrfach Munition angefordert hatte.

Obwohl nach dem Rückzug der französischen Sturmkolonnen die größte Gefahr gebannt war, konnte von Ruhe keine Rede sein. Im Obstgarten und in den Feldern lagen feindliche Scharfschützen, mit denen ständig Schüsse gewechselt wurden. Verwundete mussten versorgt und nach Möglichkeit zurückgebracht werden. Ab und zu schlugen Kanonenkugeln ein, die aber dank der dicken Mauern relativ wenig Schaden anrichteten. Um den Gutshof, vor allem auf der Straße lagen Massen toter und verwundeter Franzosen. Das Geschrei muss unerträglich gewesen sein. Einige besonders verwegene Legionäre nutzten die Gelegenheit, um draußen gefallene Offiziere zu plündern.

Am frühen Nachmittag kam es im Osten zu ersten Gefechten mit preußischen Truppen, und Marschall Ney wollte nun endlich den Gutshof aus dem Weg räumen, der jeden Angriff auf das feindliche Zentrum behinderte. Gegen 15.00 befahl er er neuen Angriff von fast 3.000 Mann auf La Haye Sainte.

Da sich dieser Angriff allein gegen den Gutshof richtete, erhielten die Verteidiger nun die Unterstützung der Scharfschützen in der Sandgrube. Immer wieder versuchten die Franzosen , die Tore aufzubrechen, über die Mauern zu klettern und durch die offene Scheune in den Hof vorzudringen, wurden aber jedes mal unter schweren Verlusten zurückgeschlagen. Aber auch bei den Verteidigern häuften sich Tote und Verwundete. Besonders empfindlich machte sich der Munitionsmangel bemerkbar. So war es längst nicht mehr möglich alle Schießscharten zu besetzen, so dass durch einige die Angreifer in den Hof feuern konnten.

Eine gewisse Atempause verschaffte der große Kavallerieangriff der Franzosen. Eine riesige Woge von Kavalleristen stürmte gegen 16.00 zwischen Hougoumont und La Haye Sainte gegen die alliierten Stellungen auf dem Höhenrücken. Die Legionäre feuerten in diese Masse und vor allem die Scharfschützen auf den Dächern versuchten Offiziere zu treffen.

Während auf dem Höhenrücken den Kampf zwischen französischen Kürassieren und alliierten Karrees tobte, erneuerten die französische Infanterie ihre Angriffe auf den Gutshof. Erst als die französische Kavallerie nach fast einer Stunde langsam zurückflutete, ließen auch die erschöpften Angreifer von La Haye Sainte ab.

Baring ließ nun Verwundete zurückbringen und bat erneut um die dringend benötigte Munition. Doch wieder trafen nur einige Verstärkungen ein aber keine Munition. Die Verstärkungen wurden vorwiegend dazu eingesetzt, den von den Franzosen entfachten Brand in der Scheune zu löschen. Anschließend wurden wieder einmal alle Toten und Verwundeten nach Munition durchsucht. Nach einer Bestandsaufnahme verblieben ganze 4 Schuss pro Mann!

Auf französischer Seite machten sich zunehmend die Preußen an der östlichen Flanke bemerkbar und Napoleon erteilte Ney den Befehl endlich dieses lästige Hindernis vor dem alliierten Zentrum zu stürmen. Ney setzte daraufhin gegen 18.00 ein neues, unverbrauchtes Regiment in Bewegung, das außerdem von einer Kompanie Pioniere unterstützt wurde.

Verteidigung von La Haye Sainte

Den Angreifern gelang es zwar das Tor an der Rückseite aufzubrechen, doch dann wurden sie mit einer provisorischen Barrikade und einem vernichtenden Salvenfeuer gestoppt. Auch ihre Angriffe durch die Scheune wurden zunächst abgewiesen. Doch bald machte sich der Munitionsmangel bei den Verteidigern bemerkbar. Einzelne Franzosen waren auf das Scheunendach geklettert und feuerten von da aus in den Hof, ohne dass dort jemand das Feuer erwidern konnte. Schließlich war auch die Scheune allein mit Bajonetten nicht zu halten, und die Angreifer konnten durch sie endlich in den Hof vordringen. Fast gleichzeitig gelang es den Pionieren, das Haupttor aufzubrechen.

In dieser verzweifelten Situation sammelte Baring seine verbliebenen Truppen und zog sich mit ihnen durch das Hauptgebäude und den Küchengarten zu den alliierten Stellungen auf dem Höhenrücken zurück.

La Haye Sainte war gefallen und das bereits angeschlagene alliierte Zentrum kam kurz darauf durch vorgezogene Scharfschützen und Artillerie gewaltig unter Druck. Aber für Wellington war es in allererster Linie darum gegangen, in einer starken Verteidigungsstellung lange genug auszuhalten bis die Preußen die Schlacht entscheiden konnten, und man kann davon ausgehen, dass das zähe Aushalten der Verteidiger von La Haye Sainte viel zu diesem Erfolg beigetragen hat.

Bei der wichtigen Rolle, die die King's German Legion insgesamt und speziell bei Waterloo gespielt hatte, konnte es natürlich nicht ausbleiben, dass ihre 'Heldentaten' bald von deutsch-nationaler Seite proklamiert wurden. Man erklärte die Legionäre zu echten Patrioten, die nichts andres wollten als ihr geliebtes Vaterland vom Napoleonischen Joch zu befreien.

Das ist wie so viele nationale Mythen ein an den Haaren herbeigezogenes Konstrukt. Bei der King's German Legion handelte es sich um eine typische Söldnerformation politischer Emigranten. Man kann hier Parallelen ziehen von den Athenern, die für Dareios gegen Alexander den Großen kämpften, über die irischen Wildgänse bis hin zu Exil-Kubanern und Katanga-Gendarmen.

Natürlich herrschte in der Legion eine antinapoleonische oder antifranzösische Stimmung, aber das machte aus den Legionären noch lange keine Patrioten. Soweit sie patriotische Gefühle hatten bezogen sich diese ohnehin mehr auf Hannover. Während des Krieges in Spanien hatte man ihre Reihen dann immer wieder mit zwangsrekrutierten Kriegsgefangenen und Deserteuren aufgefüllt.

Allerdings waren sie auch kein zusammengewürfelter Söldnerhaufen wie viele der französischen Fremdenregimenter. Bei Waterloo bestand die Einheit seit 12 Jahren und hatte während zahlloser Gefechte Erfahrungen gesammelt und Korpsgeist entwickelt. Die meisten Legionäre kannten sich seit Jahren, vertrauten einander und ihren Offizieren. Wie einst die Schweizer oder Gustav Adolfs Schotten waren sie eine Truppe erprobter Veteranen.



Literatur:

Simms, Brendan
The Longest Afternoon: The 400 Men Who Decided the Battle of Waterloo
2015

Pfannkuche, Adolf
Die Königlich Deutsche Legion 1805-1816
Hannover 1926

Lindau, Friedrich
Erinnerungen eines Soldaten aus den Feldzügen der Königlich-deutschen Legion
Hameln 1846

Gareth Glover
Waterloo. Myth and Reality
2014

© Frank Westenfelder  


 
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