Bald wirst du dem Kalbfell folgen müssen.
Die Abenteuer Johann Friedrich Löfflers.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden die von den Fürsten vermieteten
Subsidienregimenter zu einem einträglichen Geschäft, für
das ständig neuer Nachschub an Menschen benötigt wurde. Aber
auch die Großabnehmer wie Holland, Frankreich und England warben
für ihre eigenen Regimenter gerne Ausländer. Nach Möglichkeit
sollte die eigene Bevölkerung geschont werden, da man diese ja zum
Arbeiten und Steuerzahlen brauchte. Zum Militär wurden wie üblich
Sträflinge, Arbeitslose und Vagabunden gepreßt. Ausländische
Handwerksburschen, fremde Deserteure und Seeleute waren dabei bevorzugte
Objekte der Menschenfänger. Zu ihnen steckte man Kriegsgefangene und
hungernde Emigranten. Kein Regiment in Europa zu dieser Zeit national homogen
zusammengesetzt, aber vor allem die Kolonialtruppen hatten immer einen
besonders hohen Ausländeranteil. Die Spuren dieser namenlosen Söldner
verlieren sich in britischen, niederländischen und französischen
Regimentsgeschichten. Lediglich von einigen Offizieren sind die biographische
Notizen bekannt, vom gemeinen Fußvolk, wenn es nicht mindestens in
Kompaniestärke auftrat, weiß man wie immer wenig. Eine der seltenen
und interessanten Ausnahmen ist die Autobiographie Johann Friedrich Löfflers.
Löffler war einer dieser zahllosen armen Teufel, die ohne eigenes
Zutun vom Schicksal durch die bewegte Zeit getrieben wurden. Seine Eltern
waren arm und nachdem sich der Vater davon gemacht hatte, blieb die Mutter
allein mit fünf Kindern im schlesischen Schweidnitz zurück. Da
war weder Zeit noch Geld für einen regelmäßigen Besuch
der Schule, und Löffler räumte später ein, daß er
nur notdürftig Lesen und Schreiben gelernt hatte. Bereits mit zwölf
Jahren kam er zu einem Tuchmacher in die Lehre; er sollte Geld verdienen.
Es gab Schläge und wenig zu Essen, und der junge Bursche träumte
vom Glück in der großen weiten Welt. Er konnte sich zwar nur
wenig darunter vorstellen, nur besser sollte es sein. Das armselige Leben
seiner Familie und der Tuchmachergesellen hatte er schließlich täglich
vor Augen. 1785 am Ende seiner Lehrzeit, gerade siebzehnjährig brach
er von zu Hause auf. Die Mutter tat ihr Bestes, um ihn von seinem Vorhaben
abzubringen. Als sie schließlich einsah, daß ihre Bemühungen
vergeblich waren, sagte sie prophetisch: "Geh mit Gott, bald wirst du anderen
Menschen gehorchen oder dem Kalbfell folgen müssen". Alles was sie
ihm zum Abschied mitgeben konnte war ein Siebzehnkreuzerstück, was
ungefähr einem Drittel Gulden entsprach.
Als Handwerksgeselle durchwanderte Löffler Schlesien, Teile von
Polen und kam dann nach Österreich, überall bettelnd und vergeblich
nach Arbeit suchend. In Wien faßte er den Entschluß nach Konstantinopel
zu ziehen. Dort in der fernen Türkei hoffte er sein Glück zu
machen. Doch er wurde krank und schleppte sich auf der Suche nach einer
Unterkunft durch die prächtige Hauptstadt. Da wurde er von einem Mann
in Uniform angesprochen. Dieser interessierte sich mitfühlend für
sein Schicksal und lud ihn in einer Herberge zum Essen ein. Bei so manchem
Becher Wein schilderte er ihm dann die Vorzüge des Soldatenlebens
in den buntesten Farben. Löffler war hungrig und krank, hatte weder
Geld noch Unterkunft. Also dauerte es nicht lange bis er sich für
ein Handgeld von 45 Gulden verpflichtete, dem Kaiser im Regiment Deutschmeister
für sechs Jahre zu dienen.
Der Militärdienst ließ sich gut an. Um seine Genesung zu
fördern, erhielt Löffler anfangs doppelte Brotrationen und wurde
auch beim Exerzieren geschont. Unter diesen Umständen fügte er
sich schnell in die neuen Verhältnisse und kaufte sich für sein
Handgeld neue Uniformteile. Geschniegelt, mit einem hohen Federbusch am
Hut stolzierte er durch die Garnison. Da kam es wieder einmal zum Krieg
mit der Türkei. Diese war zwar mittlerweile militärisch völlig
rückständig, aber unter den Österreichern kursierten immer
noch zahlreiche Schauergeschichten über Grausamkeiten an Verwundeten
und Gefangenen. Mit einem deutlich unguten Gefühl zog Löffler
in seinen ersten Krieg. Trotz aller Befürchtungen eilten die österreichischen
Truppen von Sieg zu Sieg. Bei einem Gefecht erhielt Löffler einen
Steckschuß in der Brust, war aber nach seiner Genesung bei der Eroberung
von Dubicza und Belgrad dabei. Von der reichen Beute, die vorwiegend dem
Kaiser und den höheren Offizieren zugute kam, wurde auch den Mannschaften
mehrmals doppelte Löhnung bezahlt. Wein und Fleisch gab es reichlich
und in Belgrad erlaubte man ihnen sogar eine dreiviertelstündige Plünderung,
bei der Löffler einige silberne Uhren erbeutete.
Als nach gut drei Jahren Frieden geschlossen wurde, war er Unteroffizier
und fühlte sich als alter Hase. Im Garnisonsdienst schliff er nun
selbst Rekruten. An Wochenenden dagegen trug er stolz seine Uniform und
seinen Schnurrbart spazieren. Bei einer dieser Gelegenheiten lernte er
eine wohlhabende, ältere Witwe kennen und erhielt sogar eine Heiratserlaubnis
seines Regimentskommandeurs. Wahrscheinlich wäre er in Wien als Unteroffizier
alt geworden, wenn es nicht zum Krieg mit dem revolutionären Frankreich
gekommen wäre. So mußte er sich von seiner Braut verabschieden
und mit dem Heer in die österreichischen Niederlande marschieren.
Der Krieg zog sich mit kleineren Gefechten und Belagerungen in die Länge.
In den Winterlagern war es kalt und die Verpflegung mager. Weihnachten
1793 ließ sich Löffler schließlich recht widerwillig von
einigen Kameraden zur Desertion überreden.
Sie kamen nicht weit. Nach einem kurzen Fußmarsch im Schnee wurden
sie von Husaren eingefangen und vor ein Kriegsgericht gestellt. Zu ihrem
Glück begnügten sich die Richter damit, nur einen der Rädelsführer
zur Abschreckung zu hängen. Die anderen wurden zu zehnmaligem Spießrutenlaufen
verurteilt. Löffler wurde dabei schlimm zugerichtet, was ihn aber
noch härter traf, war, daß er zum Gemeinen degradiert wurde.
Im folgenden Frühjahr geriet er dann in französische Gefangenschaft.
Auf ihrem Weg ins Landesinnere litten die Gefangenen stark unter Krankheiten,
mangelnder Verpflegung und der feindlichen Bevölkerung. Ihre Lage
besserte sich erst, als sie bei Bauern in der Champagne als Landarbeiter
einquartiert wurden. Doch zumindest für Löffler währte die
Gefangenschaft nicht allzu lange. Nach dem Frieden zwischen Preußen
und Frankreich wurde er als preußisches Landeskind entlassen. Von
den Behörden mit einem "Laufpaß" und von den Bauern mit einem
dicken Freßpaket versorgt, machte er sich auf den Heimweg.
Er war jetzt 27 Jahre alt und fest entschlossen, den Soldatenberuf an
den Nagel zu hängen. Von seiner Reiselust kuriert, wollte er nach
Hause und dort friedlich als Tuchmacher sein Brot verdienen. Zu diesem
Zweck plante er einen Umweg über die Niederlande, um sich dort über
den neuesten Stand seines alten Berufs zu informieren. Seine alte österreichische
Uniform bestand nur noch aus dreckigen Fetzen und sein hohlwangiges Gesicht
wurde völlig von einem wilden Bart überwuchert. Trotzdem traf
er immer wieder genügend hilfreiche Menschen, so daß er sich
ohne Schwierigkeiten bettelnd bis Antwerpen durchschlagen konnte. Dort
traf er vier andere deutsche Handwerksburschen, denen er sich noch für
einen Abstecher nach Rotterdam anschloß. In Rotterdam wurden die
abgerissenen Gestalten freundlich von einem deutschstämmigen Holländer
in sein Haus eingeladen. Von seiner Familie wurden sie herzlich aufgenommen
und bestens bewirtet. Nach zwei Tagen wurde ihnen ihr Gastgeber aber doch
etwas unheimlich. Vor allem nachdem sie festgestellt hatten, dass er sie
mit vielen Ausreden davon abhielt, das Haus zu verlassen, und das Fenster
ihres Schlafzimmers vergittert war.
Als sie sich dennoch von der Weiterreise nicht mehr abbringen lassen
wollten, schlug ihnen der freundliche Herr vor, ihnen noch Rotterdams weltberühmten
Hafen mit seinen Schiffen zu zeigen. Im Hafen gab es für die Landratten
viel zu bestaunen, und ihr Gastgeber erbot sich sogar, ihnen die Besichtigung
eines Schiffes zu ermöglichen, mit dessen Kapitän er bekannt
war. Auch der Kapitän war die Freundlichkeit in Person und bewirtete
seine Gäste mit Brot, Schinken und Käse und einem ganzen Korb
voller Flaschen. Doch, wie sich jeder denken kann, währte die Eintracht
nicht lange. Nachdem sich ihr Gastgeber aus dem Staube gemacht hatte, erklärte
ihnen der Kapitän, daß sie ab sofort Angehörige der holländischen
Marine seien. Ihr Gastgeber hatte für sie 500 Gulden kassiert, wodurch
das sonst übliche Handgeld und der Sold für die ersten drei Monate
entfielen. Angesichts der herbeigerufenen Seeleute half weder Toben noch
Bitten; sie mußten sich grollend in ihr Schicksal fügen. Anders
als seine Kameraden akzeptierte Löffler die neue Situation ohne Protest.
Schon als Unteroffizier war er Vorgesetzten gegenüber immer eher servil
als renitent gewesen. Mit den alten unruhigen, wilden Gesellen hatte er
nichts mehr gemein; er gehorchte und biederte sich an.
Seine erste Fahrt führte ihn bis vor die Küste Grönlands.
Das Kriegsschiff fuhr als Geleitschutz für holländischen Walfänger.
Bis auf Öl und Rum waren alle Vorräte an Bord eingefroren; die
Takelage mit Eis überzogen, und auch unter Deck herrschte bittere
Kälte. Doch bald ging es in tropische Gefilde. Nachdem das Schiff
überholt worden war, segelte es im Verband mit einer größeren
Flotte nach Südafrika, um die Garnison dort gegen englische Angriffe
zu verstärken. Aber nicht alle an Bord waren so anpassungsfähig
wie Löffler. Während eines Zwischenstopps vor den Kanaren unternahmen
drei Matrosen trotz der hohen Brandung einen verzweifelten Fluchtversuch.
Zwei ertranken in den Wellen, und der dritte wurde von einem Beiboot wieder
eingefangen. Als er sich halbwegs erholt hatte, wurde er zur Strafe drei
Mal gefesselt unter dem mit scharfen Muscheln bewachsenen Kiel durchgezogen.
Dabei erlitt er so schwere Verletzungen, daß er am nächsten
Tag starb. Ein weiterer Matrose, der kurz darauf ebenfalls bei einem Fluchtversuch
erwischt wurde, wurde kurzerhand zur Warnung an die Rah gehängt. Vor
St. Helena kaperten sie einen englischen Kauffahrer und die Mannschaft
erhielt den erbeuteten Rum. Die englische Mannschaft, darunter auch einige
Hannoveraner, trat zum Großteil in holländische Dienste.
In Südafrika wurde zwar mit Befestigungsarbeiten begonnen, doch
als kurz darauf die englische Flotte erschien, kapitulierten die Holländer,
ohne einen Schuß abzufeuern. Löffler war jetzt wieder Kriegsgefangener
und wurde mit den anderen in einem Kastell bei Kapstadt untergebracht.
Es dauerte nicht lange bis die englischen Werber erschienen, um die Gefangenen
für den Dienst der Ostindischen Kompanie zu gewinnen. Die meisten
zögerten nicht lange und nahmen das Handgeld. Einige weigerten sich
allerdings hartnäckig; sie wurden nach einiger Zeit im Gefängnis
bei halben Rationen nach England eingeschifft. Unter ihnen befand sich
auch Löffler. Man kann nur rätseln, warum er plötzlich soviel
Standfestigkeit besaß. In seinen Memoiren berief er sich groß
auf seinen Eid. Das ist allerdings in Anbetracht der Art und Weise, wie
er zur holländischen Marine gekommen war, eher lächerlich. Wahrscheinlich
hatte er einfach vom Krieg die Nase voll und hoffte in die Heimat entlassen
zu werden. Doch diese Möglichkeit stand Leuten wie ihm nicht offen.
In England wurde er mitten im Winter in ein finsteres Verlies geworfen.
Er schrieb: "Meine tägliche Kost waren Brot und Wasser, das mir, wenn
ich es nicht schnell verzehrte, bei der grimmigen Januarkälte unter
der Hand gefror. Selten erhielt ich eine warme Suppe und auch die nur von
dem geringen Erlös aus dem Verkauf meiner holländischen Montierung.
Bald war ich von allem entblößt und halb nackt. Auf dem mit
Lumpen bedeckten Strohlager suchte mich Ungeziefer aller Art heim". Als
seine Not ihren Höhepunkt erreicht hatte, besuchte ihn ein französischer
Emigrantenoffizier und hatte keine Schwierigkeiten mehr, ihn mit einer
warmen Suppe für die englische Armee zu gewinnen. Er erhielt jetzt
"eine neue, schöne rote Uniform" und leistete seinen Eid auf König
Georg.
Als Veteran wurde er Sergeant also wieder Unteroffizier und mit seiner
Einheit zur Sicherung der Kolonien nach Jamaika verlegt. Schon bei der
Ankunft in der Hauptstadt Kingston faszinierte ihn das Völkergemisch
aus Schwarzen, Indianern, Mischlingen und Weißen aus allen Nationen.
Das bunte Treiben kam ihm vor wie ein "großer Maskenball". Aber auch
die Landschaft hatte es ihm bald angetan; er schwärmte von dem fruchtbaren
Land, den anmutigen Zimt- und Kokoswäldern und den blühenden
Fluren. Doch bevor er so richtig heimisch werden konnte wurde sein Regiment
nach England zurückgerufen, da Napoleon in Ägypten gelandet war.
Löffler diente auf der Flotte und lernte in der Seeschlacht bei Abukir
die Schrecken des Seekriegs kennen. Als einfacher Seesoldat sah Löffler
nichts von und Nelsons Manövern. Er steckte bei den Geschützen
im Zwischendeck, wo der Pulverqualm Sicht und Atem nahm, Splitter und Leichenteile
herumflogen.
Die Feuerkraft der Linienschiffe hatte sich in den letzten hundert Jahren
gewaltig gesteigert. Sie glichen schwimmenden Festungen mit bis zu hundert
schweren Geschützen und an die 1000 Mann Besatzung. Nur ganz selten
wurde eines dieser Ungetüme versenkt; meistens lagen sie nebeneinander
und spien sich so lange den Eisenhagel ihrer Breitseiten in die Rümpfe,
bis einer der qualmenden und bluttriefenden Trümmerhaufen die Flagge
strich. Abukir war einer von Nelsons großartigen Siegen, aber auch
die englischen Schiffe hatten einen furchtbaren Blutzoll entrichtet. Auf
Löfflers Schiff war ein Drittel der Mannschaft gefallen oder zum Krüppel
geschossen. Er selbst war zwar unverwundet, hatte aber für immer das
Gehör im linken Ohr verloren. Selbst ihn als alten Krieger packte
am Morgen nach der Schlacht das Grauen. Die Decks glichen einer Schlachtbank
und die See wälzte Wrackteile und Leichenhaufen um. "Tausende von
Leichen schwammen unter den brennenden Schiffstrümmern umher; stolze,
prachtvolle Schiffe waren erbärmlich zerrissen."
Nach diesem Gemetzel war er froh, als sein Regiment wieder nach Jamaika
zurückkehren durfte. Dort lernte er fleißig Englisch, um seinen
Pflichten als Ausbilder nachkommen zu können. Die notwendige Lautstärke
hatte er sich bereits als österreichischer Unteroffizier angeeignet,
und so erfüllte er bald den Kasernenhof mit seinen Gebrüll, wie
er stolz berichtet. Da die meisten Offiziere ihre Stellen gekauft hatten
und deshalb nur wenig vom Militär verstanden, erfreute er sich relativ
großer Freiheiten. Mit kleinen Schnitzarbeiten besserte er seinen
Sold auf, um ihn dann in den Kneipen zu vertrinken. Im Garten des "Duke
of York" saßen die Unteroffiziere oft angenehm im Schatten der Palmen
und ließen die mit Rum gefüllten Bambusbecher kreisen. Dabei
wurde kräftig schwadroniert, und der weitgereiste Löffler mit
seinem prächtigen Schnurrbart gab immer wieder gern seine Abenteuer
aus dem Türkenkrieg zum besten. Zwischen Suff und Angeberei kam es
dabei manchmal zu Streitigkeiten. Löffler mußte einmal sogar
ein Duell mit einem befreundeten englischen Feldwebel bestehen. Nachdem
sie sich einige leichte Fleischwunden beigebracht hatten, fielen sie sich
gerührt um den Hals, verbanden sich gegenseitig ihre Verletzungen
und begossen im Duke of York ihre Versöhnung. Es waren die üblichen
Lappalien, die in den Kolonien oft mehr Söldner das Leben kosteten,
als Kämpfe mit den Eingeborenen.
Auf Dauer erschien ihm das Leben als Ausbilder trotzdem etwas anstrengend.
Außerdem machte ihm noch die Kugel aus dem Türkenkrieg zu schaffen.
Mit Hilfe eines Offiziers, erreichte er schließlich seine Beurlaubung
als Halbinvalide. Wie viele entlassene Söldner fand er eine Stellung
als Buchhalter und Aufseher auf einer Plantage. Er war anscheinend ein
milder Aufseher. Die Sklaven dauerten ihn und er hielt es für seine
erste Pflicht, ihr "trauriges Los auf alle Weise erträglicher zu machen".
Im Gegensatz zu den Pflanzern hatte er während seines aktiven Dienstes
selbst genug Prügel bekommen und deshalb wenig Verständnis dafür,
daß man Menschen wie Vieh hielt und wegen der geringsten Vergehen
auspeitschen ließ. Aber auch das angenehme Leben und die Schönheit
der Landschaft stimmten Löffler versöhnlich. Manchmal klingen
seine Erinnerungen geradezu begeistert: "An einem jener unvergleichlich
schönen Spätmorgen, wie ich sie nur auf Jamaika durchlebte, wo
alles flammt und prangt, blüht und duftet, wo der klare Spiegel des
Meeres in der Glut der Sonne ruht, an einem solchen Morgen arbeitete ich
mit den Negern in einer weitläufigen Kaffeepflanzung". Dazu genoß
er in Maßen den auf der Plantage produzierten Rum und die Welt war
für ihn in Ordnung.
Nach einiger Zeit wurde er Exerziermeister der Stadtmiliz von Kingston,
in der alle freien Bürger Jamaikas, Schwarze und Weiße, zusammengefaßt
waren. Da er durch die wenigen Übungen der Miliz nicht viel zu tun
hatte, mußte er außerdem noch kleinere Polizeiaufgaben übernehmen.
Als Hilfspolizist mußte er einmal eine junge Sklavin zur Bestrafung
ins Besserungshaus bringen. Von den Tränen und der Schönheit
des Mädchens gerührt, bestach er den Aufseher, damit ihr die
Strafe erlassen wurde. Aus dieser Begegnung wurde eine Liebesbeziehung,
und bald war Löffler von dem Gedanken besessen, einen eigenen Hausstand
zu gründen. Das Problem dabei waren die Besitzverhältnisse, denn
er hätte nie das Geld für ihren Freikauf aufbringen können.
Durch die Vermittlung eines befreundeten Offiziers erhielt er schließlich
die Erlaubnis, das Mädchen gegen eine monatliche Zahlung von drei
Talern zu mieten. Seinem Glück stand nun nichts mehr im Wege. Nachdem
das Mädchen auf den christlichen Namen Nancy getauft worden war, wurde
Hochzeit gehalten.
Die Verwaltung, die an jedem neuen Kolonisten interessiert war, schenkte
ihm ein kleines Grundstück und Löffler begann mit dem Bau seines
Hauses. Liebevoll verzierte er die Veranda mit Schnitzereien, zimmerte
Teakholzmöbel und besorgte Schildkrötenpanzer als Geschirr. Bald
nach dem Bezug des neuen Heims stellten sich die ersten kleinen Löffler
ein, im ersten Jahr ein Sohn und im zweiten eine Tochter. Löffler
freute sich an den Kindern, exerzierte ab und zu mit seinen Feierabendsoldaten
und war rundum ein guter Bürger Jamaikas geworden. Auch darin glich
sein Schicksal dem von tausenden, die in Batavia, Ceylon, Kapstadt oder
einer anderen Kolonie hängengeblieben waren. Sicher wäre alles
dabei geblieben, wenn ihm der Krieg nicht wieder einen Strich durch die
Rechnung gemacht hätte.
Mit Napoleons Einfall in Spanien hatte sich der Krieg in Europa ausgeweitet
und Löfflers Bataillon wurde wieder mobilisiert. Trotz seiner vierzig
Jahre und seiner Proteste mußte er wie viele seiner Kameraden von
Frau und Kindern Abschied nehmen. Sein alter Freund der englische Feldwebel
versprach, sich während seiner Abwesenheit um seine Familie zu kümmern.
Auf der Überfahrt ertränkte Löffler seinen Kummer in Rum
und träumte davon, noch ein letztes Mal seine Geschwister in Schweidnitz
zu besuchen, bevor er endgültig nach Jamaika zurückkehren würde.
Im englischen Kriegshafen Portsmouth wimmelte es von Truppen, aber Löfflers
Bataillon aus müden, alten Kolonialkriegern war nicht für den
Einsatz auf dem Kontinent eingeplant. Es sollte die englischen Eroberungen
in Südafrika sichern. So kehrte er dann nach zwölf Jahren als
englischer Söldner ans Kap zurück. Dort wurde seine Einheit zum
Kampf gegen die Eingeborenen an die nördliche Grenze verlegt. In der
Einöde verging die Zeit mit Befestigungsarbeiten, Patrouillen und
kleineren Scharmützeln. Es passierte nicht viel, trotzdem forderten
die langen Märsche durch Wüsten und Savannen, Krankheiten und
die Speere der Hottentotten ihre Opfer, so daß nach fünf Jahren
nur noch knapp die Hälfte der Truppe nach Kapstadt zurückkehrte.
Auch nachdem Napoleon endgültig geschlagen war, blieb Löffler
noch einige Zeit im Dienst. Bis im Zuge der allgemeinen Demobilisierung
alle Ausländer entlassen werden sollten. 1818 wurde er dann tatsächlich
in Hannover verabschiedet und nach der Begleichung seiner Schulden verblieben
ihm noch 16 Goldstücke, das Ergebnis von 31 Jahren Kriegsdienst. Damit
machte er sich dann auf den Heimweg nach Schlesien. In einer Herberge in
Leipzig wurde ihm nachts sein ganzes Geld gestohlen, und er mußte
sich wieder wie in jungen Jahren bettelnd durchs Land schlagen. Bei Schweidnitz
fand er schließlich seinen Bruder, der ihn zwar zuerst nicht erkannte,
dann aber herzlich bei sich aufnahm. Der "englische Korporal" wurde schnell
zu einer Attraktion im Dorf, und bei großen Krügen mit Bier
und einer Pfeife Tabak widmete sich Löffler der Lieblingsbeschäftigung
vieler alter Krieger - dem Geschichten-erzählen. "Es waren schöne
Tage und Stunden, die ich jetzt verlebte. Gehoben und getragen von der
allgemeinen Achtung der biederen Dorfbewohner, vergaß ich das Ungemach
vergangener Zeiten und fühlte mich dabei so glücklich wie ein
kleiner König," schrieb er über diese Zeit. Später schlug
er sich mehr schlecht als recht durchs Leben, wahrscheinlich immer bereit
ein Bier oder eine warme Mahlzeit mit seinen Geschichten zu bezahlen. Schließlich
schrieb er wie schon so mancher vor ihm seine Erlebnisse auf und erhielt
dafür von einem Verleger eine kleine lebenslange Pension.