Glücksritter unter Napoleon
Im Fremdenregiment Isembourg.
Die Französische Revolution veränderte das Militär grundlegend und
bleibend. Söldner wurden durch Freiwillige und Wehrpflichtige ersetzt.
Begeisterung musste zumindest am Anfang viel von der mangelnden Ausbildung ersetzen.
Doch die aus der Not geborenen Neuerungen brachten auch viele Vorteile mit sich.
So versorgte die "Levée en Masse" die Nation mit bisher unbekannten
Truppenmassen. Das alles ist bekannt. Die Ablösung des gepreßten
Schlachtviehs im Fußvolk und der internationalen Abenteurer im Offizierskorps
durch Bürgersoldaten und Patrioten wird in jedem Handbuch der Militärgeschichte
ausführlich beschrieben, und jede moderne Armee basiert auf diesen Grundlagen.
Doch radikale historische Umbrüche sind selten; oft bestehen alte und neue Formen
noch einige Zeit nebeneinander.
Napoleons imperiale Politik führte zu einem immensen Bedarf an Soldaten, der bald
allein mit Patrioten nicht mehr gedeckt werden konnten. Also ließ man sich von
verbündeten Fürsten in großem Stil Truppen liefern. Damit nicht genug
begann man auch bald wieder mit der Aufstellung von Fremdenregimentern und -Legionen,
die man kurz nach der Revolution abgeschafft hatte. Für diese Regimenter warb man
die üblichen die Abenteurer, Deserteure und Glücksritter, die sich weder um
ihre Fürsten noch um die Revolution scherten, sondern auf eine gute Zeit, Sold und
reiche Beute hofften. Da das nur ganz selten reichte, füllte man die Ränge ganz
traditionell mit gepressten Kriegsgefangenen.
Eine dieser Einheiten war das Zweite Fremdenregiment "Isembourg". Die Offiziere
waren zum Großteil gescheiterte Existenzen und die Mannschaften bestanden aus
gepreßten Deutschen, Polen, Ungarn und Böhmen, die bei der Kapitulation Ulms in
Gefangenschaft geraten waren. Diese zusammengewürfelte Söldnertruppe erfreute sich
zwar in der französischen Armee eines besonders schlechten Rufs, aber angesichts der
zunehmenden Expansion war man nicht mehr so wählerisch.
In diesem Regiment landete 1805 mit gerade 15 Jahren Johann Konrad Friedrich der Sohn eines
Frankfurter Spezereienhändlers. Friedrich war ein Problemkind. Ständig war der Vater
bemüht, mit Geld und guten Worten die Streiche des Sohnes auszubügeln. Anstatt sich
für den ehrbaren Beruf des Vaters zu interessieren, schwärmte der unruhige
Sprössling fürs Theater und den berüchtigten Räuberhauptmann Schinderhannes.
Er lernte musizieren, singen und begeisterte sich für die Musik Mozarts und die Stücke
Schillers. Doch die Familie setzte seinen Theaterplänen vehementen Widerstand entgegen.
Da er sich jedoch standhaft weigerte Kaufmann zu werden, einigte man sich schließlich auf
einen Kompromiß. Um seine wilde Lust nach Abenteuern mit einem halbwegs ehrbaren Beruf zu
befriedigen, sollte er zum Militär gehen. Da die Eltern eher antifranzösisch eingestellt
waren, hätten sie ihn gern bei den Preußen gesehen. Doch dort war er als
Bürgerlicher von der Offizierslaufbahn ausgeschlossen, und in Hessen-Kassel schreckte ihn
der Anblick der steifen Wachsoldaten mit ihren Zöpfen ab. Also brachte ihn der Vater schweren
Herzens nach Mainz, wo gerade das Regiment Isembourg aufgestellt wurde.
Da Friedrich im Gegensatz zu den meisten Rekruten eine gute Schulbildung genossen hatte und
fließend Französisch sprach, wurde er als Unteroffizier eingestellt mit der Aussicht
auf baldige Beförderung. Vom Militär verstand er eigentlich überhaupt nichts.
Dafür konnte er Klavier spielen, Tanzen und Singen, verstand etwas vom Theater und war
ziemlich belesen. Da er außerdem noch von seiner Familie 100 Franken im Monat geschickt
bekam, führte er ein recht gutes Leben. Auf dem Marsch nach Italien fand der Kommandeur
schnell Gefallen an dem gebildeten jungen Burschen und beschäftigte ihn als Vorleser. Dabei
konnte natürlich auch eine Beförderung nicht ausbleiben, und Friedrich erreichte Genua
als frischgebackener Leutnant.
In Italien entfaltete er nun sein Talent als Don Juan. Theaterinszenierungen, in den von Langeweile
geplagten Garnisonen, sicherten ihm die Gunst seiner Vorgesetzten und öffneten ihm die
Türen des einheimischen Adels. Bei der Ankunft in einer fremden Stadt ließ er sich
meistens zuerst den Barbier holen, um sich über die wissenswerten Neuigkeiten zu informieren.
Italien wurde für ihn zu einer endlosen Aneinanderreihung von Festen, Bällen, Streichen und
Liebesabenteuern. Dadurch war er aber keine Ausnahmeerscheinung. In den riesigen Imperium, das die
französischen Truppen besetzt hielten, wurde insgesamt besehen nur selten gekämpft, und
wenn junge, tatendurstige Offiziere etwas erleben wollten, bezog sich das nur selten auf das
Schlachtfeld. Für die Offiziere in den Garnisonen waren die Proben des Balletts das Ereignis
des Tages. "Man frühstückte mit Gebackenem und dem hier sehr wohlfeinen Zypernwein,
sang und sprang oft mit," beschrieb Friedrich diese alltäglichen Vergnügungen.
Natürlich blieben auch die Kämpfe nicht aus. Friedrich erhielt seine Feuertaufe bei einer
verlustreichen Niederlage gegen die Engländer in Süditalien, beteiligte sich in Kalabrien
am Kleinkrieg gegen italienische Freischärler unter dem berühmten Fra Diavolo und an der
Eroberung Capris. Jung, leichtsinnig und tapfer erhielt er sogar das Ritterkreuz der Ehrenlegion.
Aber im Gegensatz zu vielen Memoirenschreibern liebte er den Kampf zu wenig, um ihm breiten Raum zu
widmen. Wie für viele war der Krieg für ihn in erster Linie eine gute Gelegenheit herumzukommen,
Abenteuer zu erleben und vielleicht sogar Karriere zu machen. Anstatt von großen Heldentaten
berichtet er lieber von den Intrigen, die ihm zu einer neuen Liebschaft verhalfen, oder davon wie er
einem Freund dabei half, mit großem Aufwand eine Nonne aus einem römischen Kloster, sozusagen
unter den Augen des Papstes zu entführen.
Das lockere Leben fand ein vorläufiges Ende, als sein Regiment nach Südfrankreich verlegt
wurde und dann mit dem französischen Heer in Spanien einfiel. Schon in Italien hatte ihn der Krieg
gegen die Briganten in den Bergen besonders angewidert. Als sich aber in Spanien das Volk gegen die
Franzosen erhob, wurde alles noch viel schlimmer. In Madrid erschlug die Bevölkerung mit
Spießen, alten Schwertern und Knüppeln die verhassten Besatzer. Doch auf Dauer hatten sie
gegen die regulären Truppen keine Chance. Die Straßen wurden mit Kartätschen frei
gemacht, die Häuser gestürmt und die Spanier abgeschlachtet. Im Chaos der
Straßenkämpfe bemühte sich Friedrich, einzelne Frauen und Kinder vor der Wut der
Soldaten zu retten, musste aber dennoch zahlreiche Vergewaltigungen und Greuel hilflos mit ansehen.
Er wurde sogar verwundet, als er den Hieb eines Dragoners auf einen alten Bauern abwehrte. Entsetzt
über das Massaker an der weitgehend wehrlosen Bevölkerung schrieb er: "Bis nach drei
Uhr nachmittags währten dieses schreckliche Gemetzel und der Kampf. Ich habe nie ähnliche
Blut- und Mordszenen, weder vor noch nach diesem Tage, mehr gesehen, und lange verfolgte mich die
Erinnerung an dieselben."
Die Rache der Besatzer verschlimmerte die Situation nur noch weiter. "Pfaffen und Mönche"
hatten jetzt leichtes Spiel, die Bevölkerung gegen die ketzerischen Invasoren aufzuhetzen. Jedem
Spanier, der einen Franzosen tötete, wurde vollständiger Sündenerlass versprochen. Bald
wollte jeder Spanier einen Franzosenmord auf dem Gewissen haben, stellte Friedrich fest. Nach Madrid
erhoben sich andere spanische Städte, und Friedrich zog mit seinem Regiment zur Belagerung von
Zaragoza. Die unbefestigte Stadt wurde von ihren Einwohnern heldenhaft verteidigt. Männer, Frauen
und Kinder kämpften um jedes Haus und jede Barrikade. Aus Fenstern und Kellerlöchern wurde
auf die Angreifer gefeuert, und von den Dächern wurden Balken und Steine auf sie geworfen.
Friedrich bewunderte mehrfach den Heldenmut der Spanier. Vor allem aber entzündeten sich seine
romantischen Neigungen an einem Mädchen, das an einer Kanone einen französischen Angriff
abwehrte. Trotz dieser Schwärmereien beteiligte er sich eifrig an den Angriffen und wurde
verwundet.
Diese Verwundung erwies sich als ausgesprochener Glücksfall. Während der Partisanenkrieg in
Spanien immer grausamer wurde, kurierte Friedrich seine Wunden in Südfrankreich aus. Da nach
seiner Genesung seine alte Einheit praktisch aufgerieben war, wurde er wieder ins geliebte Italien
versetzt. Er wurde zum Hauptmann befördert und bei einigen diplomatischen Missionen als Kurier
eingesetzt. Schließlich landete er am Hof Murats in Neapel. Wieder verbrachte er eine
glückliche Zeit mit Frauen und beim Ballett. Als er schließlich sogar Ordonanzoffizier bei
Murat wurde, "sah ich mich auf dem Gipfel des Glücks, hoffte, bald ein Oberstpatent in meiner
Brieftasche zu haben, sah mich als Murats Adjudant, ein Generalspatent konnte dann auch nicht mehr
ausbleiben, dem der Marschallsstab folgen musste, mit dem jetzt immer ein Duc (Herzog) und vielleicht
auch ein Herzogtum verbunden war. - Wenn mir das Glück in einem Feldzug günstig sein
würde, vielleicht gar einmal das Großherzogtum Frankfurt".
Friedrich war kein überzeugter Bonapartist, den Einfall in Spanien bezeichnete er als "eine
ebenso dumme wie unpolitische Büberei" und sich selbst als einen "ebenso verblendeter
Narren wie die anderen". Aber er beobachtete die Karrieren der anderen, die auch aus dem Nichts
gekommen waren, und fragte sich, warum nicht er bei all seinem Glück nicht ebenso hoch steigen
sollte.
Doch eine neue Liebesaffäre, durch die er Murat ins Gehege kam, machte seinen hochfliegenden
Plänen schnell ein Ende. Er wurde nach Korfu strafversetzt. Verglichen mit dem Hof in Neapel war
es zwar das Ende der Welt, aber wieder einmal hatte er Glück im Unglück. Während Murat
mit seinen Truppen nach Deutschland aufbrach, um sich der Grande Armée gegen Russland
anzuschließen, wo die meisten ein elendes Ende finden sollten, saß Friedrich auf Korfu,
wo sich das Ende des Krieges in recht angenehmen Verhältnissen abwarten ließ. Die Insel
war abgelegen und verschlafen, Sold gab es nur selten und geeignete Objekte für neue
Affären fehlten völlig. Dennoch hatte sich die aus allen möglichen Nationalitäten
zusammengewürfelte Garnison ganz gut eingerichtet. Mannschaften, Unteroffiziere und auch viele
Offiziere betrieben kleine Geschäfte als Nebenerwerb. Nur zu Truppenbesichtigungen versammelten
sich alle in Waffen und Uniform, ansonsten gingen sie als Krämer, Bäcker, Wasserhändler
oder Handwerker in Ruhe ihren Geschäften nach.
Das Leben auf der armen Insel war unglaublich billig und fast alle "vom den Generalen bis zum Tambour"
hatten sich schöne Griechinnen als Mätressen zugelegt, die von ihren Eltern für wenige
Piaster verkauft wurden. Friedrich fand die Mädchen zwar naiv und faul, dafür aber schön
und im Unterhalt ausgesprochen billig und anspruchslos und schreibt: "War nun einer seiner Geliebten
überdrüssig oder konnte sie nicht länger unterhalten, so verhandelte er sie an einen
anderen. Öfters unterhielten auch zwei bis drei Kameraden ein solches Mädchen, andere
tauschten ihre Mätressen gegenseitig aus, worauf der eine oder andere noch einige Pokale Wein zum
besten geben mußte". Viele derjenigen, die sich auch das nicht leisten konnten, hatten
homosexuelle Beziehungen, was sowohl unter den Söldnern wie auch den Einwohnern sehr häufig
vorkam. Friedrichs Beschreibungen der Prostitution der notleidenden einheimischen Frauen und der
Homosexualität unter den mittellosen Söldnern erinnert so stark an die Berichte über
das belagerte Candia, dass man auf ähnliche Verhältnisse in allen in eingeschlossenen
Garnisonen oder Gefangenenlagern schließen kann, obwohl nur in seltenen Ausnahmen davon
berichtet wird.
Friedrich fand dieses Leben zwar sehr behaglich, aber leider etwas langweilig. Erst als eine
Theatergruppe aus Italien ankam, konnte er sich endlich in neue Aktivitäten stürzen. Er
inszenierte wieder Theaterstücke und konkurrierte mit dem Gouverneur um die Gunst der
Primaballerina. So verging die Zeit, bis die Nachricht von der französischen Kapitulation kam.
Korfu wurde den Engländern übergeben und die Garnison auf Schiffen nach Marseille gebracht.
Für Friedrich waren damit alle Träume von einer glanzvollen Karriere zu Ende, wie er
bedauernd feststellt. Nach seiner Entlassung kehrte er nach Frankfurt zurück und versuchte dann
kurz sein Glück als preußischer Offizier. Doch nachdem er mehrmals wegen seiner
üblichen Streiche und Liebesintrigen zu Festungshaft verurteilt worden war, nahm er auch dort
seinen Abschied. Obwohl Friedrich für Napoleon nicht viel übrig hatte, beteiligte er sich
an einem Komplott zu seiner Befreiung, dem allerdings durch Napoleons Tod ein vorzeitiges Ende bereitet
wurde. Die glücklichen Zeiten im siegreichen Heer und der Traum vom eigenen Herzogtum waren
damit endgültig vorbei, und Friedrich mußte sich mehr schlecht als recht als Schriftsteller
durchschlagen.
Friedrich war einer der zahlreichen Glücksritter, die sich den französischen Armeen aus Lust
am Abenteurer und in der Hoffnung auf eine rasche Karriere angeschlossen hatten. Vor allem Napoleon
beflügelte die Phantasie dieser Männer. Die Revolution hatte Adelsprivilegien und
Ständeschranken in Frankreich hinweggefegt und im übrigen Europa schwer erschüttert.
Napoleon begann mit der Ernte. Sich selbst krönte er zum Kaiser, seine Familie beschenkte er mit
Königreichen, Söhne von Handwerkern und gewöhnliche Unteroffiziere wurden zu
Marschällen. Im Mittelalter hatten zwar noch Kreuzfahrer und Normannen eigene Dynastien mit dem
Schwert gegründet, später war dies aber nur noch den Sforza gelungen; Wallenstein, der
mächtigste und letzte der großen Condottieri, war auf seinem Weg zu einem eigenen Reich
gescheitert. Auch im Ancien Régime war Abenteurern wie Neuhoff trotz aller Bemühungen der
Erfolg versagt geblieben. Jetzt beobachteten sie wie sich dieser kleine Korse zum Kaiser machte, Kronen,
Fürstentümer und Marschallstäbe verteilte. Jean-Baptiste Bernadotte ein ehemaliger
Feldwebel wurde sogar König von Schweden. Viele folgten Napoleon weil er ein Eroberer war und
Erfolg hatte. Sie folgten ihm wie früher Alexander dem Großen, den Hauteville und Karl XII.
und hofften im Windschatten des Siegers ihr eigenes Glück zu machen.