Sumru der Finstere
Ein Abenteurer aus dem Elsass als Fürst in Indien.
Nach dem Tod des letzten bedeutenden Großmoguls Aurangzeb 1707 war das
indische Mogulreich rasch in viele Teilfürstentümer zerfallen,
die sich zum Teil erbittert bekämpften. Dies bot nun den Kolonialmächten
endlich die langersehnte Gelegenheit ihren Besitz auszuweiten. Dabei boten sie
den einzelnen Fürsten Unterstützung bei ihren Thron- und Grenzstreitigkeiten
an. Da die Konkurrenz unter den Kolonialmächten in der Regel die Gegenseite
unterstützte, führten die indischen Fürsten oft Stellvertreterkriege
für England und Frankreich, und diese ließen sich ihre Unterstützung mit immer
neuen Landstrichen und Handelsprivilegien bezahlen. Aufgrund ihrer stärkeren Flotte und des
besseren Nachschubs bekamen die Engländer nach und nach die Überhand.
Schließlich kam es noch vor Ausbruch des Siebenjährigen Krieges
zum Konflikt um das reiche Bengalen.
Die Engländer hatten in den Mangrovesümpfen des Gangesdeltas
die Handelsniederlassung Kalkutta gegründet. Da der Nabob von Bengalen
misstrauisch ihren Machtzuwachs beobachtete, protegierte er eine französische
Niederlassung im nahe gelegenen Chandernagore. Als die Forderungen der
Engländer immer dreister wurden, belagerte der Nabob Kalkutta und
eroberte schließlich das Fort. Die Gefangenen, unter ihnen auch Frauen
und Kinder, wurden alle in ein enges Verlies gepfercht, wo die meisten
an Wassermangel und Hitze während der ersten Nacht starben. Ganz England
schrie nach Rache für das "schwarze Loch von Kalkutta" und schickte
Robert Clive als Gouverneur mit frischen Truppen nach Bengalen. Clive wandte
sich aber nicht gleich gegen den Nabob sondern gegen dessen potentiellen französischen
Bundesgenossen in Chandernagore. Nach zwölftägigem Beschuß
mußte sich die Franzosen der Übermacht ergeben. Danach begann
der Krieg gegen den Nabob von Bengalen und am 23.6.1757 kam es zur Schlacht
bei Plassey.
Plassey ist nicht eine der entscheidendsten Schlachten der Weltgeschichte
und eine englische Legende, in ihr manifestierte sich endgültig die
Überlegenheit der europäischen Kriegstechnik über die indischen
Massenheere. Clives 3.000 europäischen und indischen Söldnern
standen 50.000 Mann Infanterie, 18.000 Mann Kavallerie, Kriegselefanten,
50 schwere Geschütze und Feldartillerie unter französischer Leitung
gegenüber. Trotzdem war in einer Stunde alles vorüber, die Armee des Nabobs
zerstreut und Clive der Herr von Bengalen. Ihr triumphaler Sieg hatte die
Engländer lediglich zwei Dutzend Tote, darunter sieben Europäer
gekostet. Vieles war zusammengekommen. Durch einen kurzen Regen war das
Pulver der Inder nass geworden und große Kontingente hatten den Kampf
völlig verweigert. Eigentlich hatten nur die Franzosen an den Geschützen
wirklich gekämpft. Der Rest der Riesenarmee floh vor dem Salven- und
Geschützfeuer der Engländer.
Die Artillerie der indischen Armeen besaß oft noch den Standard
des 16. Jahrhunderts. Ihre Geschütze waren wie bei den Türken
meist riesig und benötigten bis zu 200 Zugochsen beim Transport. Einmal
aufgestellt waren sie in der Schlacht nicht mehr beweglich; zudem war ihre
Feuergeschwindigkeit lächerlich. Ganz anders die Feldartillerie der
europäischen Armeen. Sie waren die "Maschinengewehre" jedes Regiments.
In den Händen von erfahrenen Kanonieren lag ihre Feuergeschwindigkeit
noch über der von Musketen. Im Nahkampf konnten sie mit gehacktem
Blei und Schrapnellen undiszipliniert angreifende Truppenmassen innerhalb
von Minuten massakrieren. Ähnlich verhielt es sich bei den anderen
Truppenteilen. Den Indern mangelte es nicht an Mut; die Kavallerie ritt
bravouröse Attacken und die fanatischen Ghosais und Bairagis, wandernde
Bettler, die Shiva den Gott der Zerstörung verehrten, warfen sich
in Selbstmordeinsätzen fast nackt, mit Asche beschmiert und wildem
Haar heulend auf den Feind. Doch die mit Äxten, Bogen, Speeren, Schwertern
und Flinten bewaffneten Völker wälzten sich in ungeordneten Massen
gegen den Feind, und oft genügten einige wenige Salven damit in den
ersten Gliedern Panik ausbrach, die dann auf das gesamte Heer übergriff.
Diese wilden Haufen waren gegen europäische Linieninfanterie und die
nach ihrem Muster ausgebildeten indischen Sepoys ohne Chance.
Mit Plassey hatte jeder indische Fürst diese Unterschiede begriffen.
Es begann die große Zeit der "Free Lances", der europäischen
Abenteurer, die jedem ihr Können zur Verfügung stellten, wenn
nur genug bezahlt wurde. Fremde Söldner hatten seit den Moguleroberern
in Indien eine große Rolle gespielt. Seit dem 17. Jahrhundert kamen
die Deserteure und Renegaten der Kolonialmächte hinzu. Als Geschützgießer
und Kanoniere fand man sie am Hof des Großmoguls und bei vielen anderen
Fürsten. Doch nach Plassey wollten die Fürsten keine einzelnen
Artillerieexperten mehr, sondern ganze nach europäischem Muster ausgebildete
Infanterieeinheiten. Die Engländer hatten vorgemacht, dass man mit europäischen
Drillmeistern aus Indern hervorragende Linieninfanteristen machen konnte.
Die von Europäern ausgebildeten und geführten Inder - die Sepoys - , stellten
die Hauptmacht der siegreichen britischen Streitkräfte. Der erste, der anfing nun
auch die indischen Fürsten mit Sepoys zu versorgen, war Walter
Reinhardt. Obwohl man in Europa so gut wie nichts von ihm wusste, wurde
er in Indien von den Engländern mit Hass verfolgt und von Maharadschas
und Sultanen umworben. Aufgrund seines düsteren Gemüts soll er
von französischen Kameraden den Beinamen "Sombre" - der Finstere -
erhalten haben; in Indien wurde daraus "Sumru", und unter diesem Namen
wurde er bereits zu Lebzeiten zu einer Legende.
Reinhardt war wahrscheinlich ein Zimmermann aus Straßburg und
als Seemann auf einem französischen Schiff um 1750 an die Koromandelküste
gekommen, wo er als Gemeiner zu den Landtruppen wechselte. Nach einigen
Jahren desertierte er. Seine Gründe sind unbekannt. Es können
Schulden, Streit mit einem Vorgesetzten oder einfach die Hoffnung auf ein
besseres Leben gewesen sein. Er schlug sich bis Bengalen durch und ließ
sich in Kalkutta für eine der schweizer Kompanien in englischem Dienst
anwerben. Doch seine Erwartungen scheinen enttäuscht worden zu sein,
denn bereits nach 18 Tagen desertierte er erneut, dieses mal zur französischen
Garnison in Chandernagore. Er diente dort unter dem Schotten Law, einem
Neffen des berüchtigten Börsenspekulanten, und wurde zum Sergeanten
befördert.
Als sich die Festung den Engländern ergeben musste schlug sich
Law mit einigen hundert Mann, unter ihnen auch Reinhardt, durch die feindlichen
Linien. Es ist zu vermuten, dass sie die Hilfstruppe stellten, die den
Nabob von Bengalen bei Plassey unterstützte. Nach dem Desaster setzten
sie sich, hartnäckig verfolgt von den Engländern, nach Norden
ab. Da der Nabob auf der Flucht ermordet wurde, waren sie fortan völlig
auf sich gestellt. Law versuchte allerdings nicht die französische
Garnison Pondicherry zu erreichen, sondern sah sich nach neuen Arbeitgebern
um. An europäische Truppen erinnerten an seinen Männern bald
nur noch ihre Musketen, die Uniformen waren schnell zerschlissen. Ihre
wenigen Geschütze wurden von Ochsen und Elefanten gezogen, einheimische
Söldner hatten sich ihnen angeschlossen; dazu kamen Frauen, Kinder,
Diener und die Beute auf Ochsenkarren und Packpferden. Indien war riesig
und vor ihnen lagen glühende Wüsten, steile Bergketten, undurchdringliche
Dschungel und reißende Flüsse. Wenn es nicht anders ging lebten
sie vom Raub, beteiligten sich an den Fehden der Fürsten oder wurden
mit Geschenken weitergeschickt. Schließlich landeten sie im Dienst
des Großmoguls.
Der Großmogul führte gerade Krieg gegen Kasim Ali, den von
England eingesetzten Nabob von Bengalen. Da die Engländer ihren Schützling
tatkräftig unterstützten, wurde die Armee des Großmoguls
geschlagen und Law kam mit den meisten seiner Offiziere in Gefangenschaft.
Der Rest seiner Schar war damit ein desolater, führerloser Haufen.
Als kurz darauf Pondicherry nach langer Belagerung kapitulieren musste,
waren die Franzosen wie schon zuvor die Portugiesen und Holländer
aus dem Spiel um Indien ausgeschieden. Nun gab es nur noch die Wahl zwischen
englischer Gefangenschaft und Indien. Die Söldner beschlossen, weiterhin
auf eigene Faust ihr Glück zu versuchen und wählten Reinhardt
zu ihrem Befehlshaber. Er muss sich also in den Jahren des Herumziehens
bewährt haben, nicht nur im Kampf, sondern viel mehr beim Überqueren
von Flüssen, der Organisation von Verpflegung und bei Verhandlungen
mit indischen Fürsten, wozu die Kenntnis mehrerer Sprachen notwendig
war.
Kasim Ali, der Nabob von Englands Gnaden hatte für seine Herrschaft
einen hohen Preis bezahlt. Die englischen Händler zahlten keine Steuern
und wurden zu einer immer unerträglicheren Konkurrenz für die
einheimische Wirtschaft. Also begann Kasim Ali heimlich zu rüsten.
Den Kern seiner Streitmacht sollte eine europäisch ausgebildete Brigade
unter Sumrus Kommando stellen. Mit dem Geld des Nabobs warb Sumru jeden
herumziehenden Europäer, der schon einmal Waffen getragen hatte, und
entlassene oder desertierte Sepoys. Musketen und Kanonen wurden beschafft,
Uniformen geschneidert und einheimische Söldner ausgebildet. Aber
die Engländer warteten nicht, bis der Nabob und Sumru ihr Reformwerk
abgeschlossen hatten. Ohne Kriegserklärung erschienen sie überraschend
vor Patna und stürmten die Mauern. Aber noch während die Engländer
dabei waren, die reiche Stadt mit aller Gründlichkeit auszuplündern,
erschien Kasim Ali mit seinem Heer. Viele der zerstreuten englischen Soldaten
wurden niedergehauen. Doch auch die, denen der Rückzug gelungen war,
wurden nach einigen Tagen eingeholt und vernichtend geschlagen. Von dem
2.000 Mann starken Heer waren nur 200 Gefangene übrig geblieben, darunter
der Kommandeur und 60 Offiziere. Aber noch schwerer als dieser Verlust
wog, dass die englische Armee den Nimbus ihrer Unbesiegbarkeit eingebüßt
hatten. Zum ersten Mal war sie von indischen Truppen geschlagen worden.
Sumru hatte daran einen wesentlichen Anteil.
Durch Patna wurde Sumru berüchtigt. Denn es war nicht der Glanz
des Feldherren, sondern der finstere Makel des Schlächters, der an
ihm haften blieb. Kasim Ali tobte wegen des heimtückischen Überfalls
auf Patna und wollte ein Exempel statuieren. Alle Gefangenen sollten getötet
werden. So etwas war bei Kriegen in Indien nichts ungewöhnliches,
auch die Kolonialtruppen machten nur selten Gefangene; sie massakrierten
bei der Niederschlagung von Aufständen ohne viel Skrupel Adlige, Frauen
und Kinder. Außerdem hatten die Gefangenen zuvor in Patna wie die
Wilden gehaust. Allerdings waren Europäer von diesen Gepflogenheiten
bislang immer verschont geblieben. Aber Kasim Ali hatte schon viel zu lange
die Privilegien der Fremden dulden müssen, um weiterhin Ausnahmen
zu machen. Die Engländer behaupteten später, dass sich Kasim
Alis Truppen geweigert hätten, die Henkersarbeit auszuführen,
und dass deshalb Sumru das blutige Geschäft übertragen wurde.
Es ist sicher anzuzweifeln, dass indische Truppen die Ausführung eines
Befehl ihres Fürsten verweigerten. Weit wahrscheinlicher ist, dass
Kasim Ali die unsicheren Europäer in seinem Heer durch die Bluttat
fest an sich binden wollte. Denn dadurch wurde ihnen jeder Weg zurück
versperrt.
Sumru hätte also bestenfalls flüchten können. Viele seiner
Männer wären ihm ohne den Sold des Nabobs nicht gefolgt. Trotzdem
hätte er nach einem Ausweg suchen können; schließlich war
er sonst um Listen und Ausreden nicht verlegen. Vielleicht hielt er seine
Position noch nicht für fest genug, oder die in Aussicht gestellte
Belohnung spülte alle Bedenken beiseite. Es ist aber auch gut möglich,
dass ihn der Sonderstatus von Europäern und besonders der von Offizieren
genauso wenig interessierte wie Kasim Ali. Als Gemeiner und mehrmaliger
Deserteur hatte er sicher ausreichend Gelegenheit gehabt, Hass gegen die
arroganten und bestechlichen Offiziere anzuhäufen, die die Mannschaften
bei Ausrüstung, Essen, Sold und Beute betrogen. Offiziere wurden in
Gefangenschaft oft von ihren alten Gegnern zur Tafel geladen, wo man sich
dann mit gegenseitigen Komplimenten hofierte. Einfache Söldner dagegen
landeten in einem Fieber verseuchten Hungerlager, bis sie erneut kapitulierten.
Die gefangene französische Besatzung von Pondicherry wurde zum Beispiel
so lange in Madras schikaniert bis sie bereit war, den Engländern
bei der Eroberung Bengalens zu helfen. Auf diesen Hass deutet auch die
Art der Hinrichtung. Sumru lud die Offiziere zum Essen und ließ sie
dann beim Festmahl von seinen Sepoys niederhauen. Die Gemeinen wurden anschließend
erschossen. Nach diesem Gemetzel wurde Sumru von den Engländern mit
unversöhnlichem Hass gejagt. Mit Gewalt und Intrigen versuchten sie
seiner habhaft zu werden, um ihn nach einem Schauprozess hinzurichten.
Vorsicht wurde deshalb in Zukunft zu Sumrus herausragendster Eigenschaft.
Englische Berichterstatter werfen ihm oft Feigheit vor, da er seine Brigade
nie in riskanten Situationen zum Angriff führte, sondern meistens
defensiv einsetzte und selbst immer mit Reserven zurückblieb. Andererseits
wurde Sumru nie geschlagen und auch ein geordneter Rückzug war im
Chaos einer Niederlage keine einfache Sache. Sumru war weder ein Held noch
ein genialer Feldherr, er war ein Überlebenskünstler und Organisationstalent.
In vielem glich er darin den Condottieri der italienischen Renaissance,
die auch nur ungern ihre kostbaren Söldner und damit ihre Existenzgrundlage
riskiert hatten. Wie sie musste Sumru ständig mit Betrug, Verrat,
Meuchelmord oder der Auslieferung an den Feind rechnen. Nur inmitten seiner
Brigade war er sicher und mächtig, ohne sie ein toter Mann.
Trotzdem wurde seine Brigade zu einem Faktor, der die Expansionsgelüste
der Kompanie aufs schwerste behinderte. Deren Regimenter stießen
zwar weiter siegreich vor, doch die Tage der geringen Verluste von Plassey
waren vorbei. Die Inder flohen nicht mehr nach den ersten Salven in wilder
Panik, sondern bildeten Karrees, erwiderten das Feuer und gingen auch zum
Gegenangriff über. Als den Truppen der Kompanie endlich die Einnahme
von Patna gelang, stellte das Annual Register erstaunt fest: "So endete
dieser Feldzug gegen Kasim Ali. Er wurde von seiner Seite mit einer Tapferkeit,
Energie und Disziplin geführt, dergleichen man bisher in Indien noch
nicht gesehen hatte". Sumru hatte Patna mit Umsicht verteidigt, sich aber
vor dem Fall der Stadt mit seiner Brigade durchgeschlagen. Nach dem Fall
von Patna mußten sich Kasim Ali und Sumru in das benachbarte Gebiet
des Nabobs von Oudh zurückziehen, der sich nun als nächster gegen
das Vordringen der Kompanie zur Wehr setzen mußte. Da Kasim Alis
Stern im sinken war, wollte Sumru noch rechtzeitig seinen rückständigen
Sold eintreiben, was bei Fürsten im Exil noch nie besonders leicht
gewesen war. Eines Tages umzingelte er deshalb mit seiner Brigade überraschend
das Lager seines Herrn und forderte sein Geld.
Nachdem er Kasim Ali um seine Schätze erleichtert hatte, übergab
er ihn dem Nabob von Oudh als Gefangenen. Aber er verstand sich auch auf
andere Schliche. Bei jeder Gelegenheit schürten seine Agenten die
Unzufriedenheit unter den Söldnern der Kompanie und versuchten diese
zum Überlaufen zu bewegen. Einmal machte sich fast das ganze Expeditionskorps
auf den Weg, um sich Sumrus Brigade anzuschließen. Nur durch Versprechungen
der englischen Offiziere und großzügige Spenden von Branntwein
konnte diese Massendesertion verhindert werden. 150 Europäer und 100
Sepoys hatten den Dienst bei der Kompanie allerdings endgültig satt
und verstärkten Sumrus Brigade. Bei einer anderen Gelegenheit machte
sich ein Bataillon Sepoys geschlossen davon und konnte nur durch schnell
herbeigeführte Verstärkungen zur Umkehr bewegt werden.
Aber auch der Nabob von Oudh konnte dem Druck der Kompanie auf Dauer
nicht standhalten. 1764 kam es zur Entscheidungsschlacht bei Baksar. Sumrus
Brigade und die von seinen Männern ausgebildeten Bataillone lieferten
den englischen Truppen einen harten Kampf. Als alles auf der Kippe stand,
verweigerte Sumru einen Befehl zum Gegenangriff und zog sich mit seiner
Brigade geschlossen zurück. Da die Kompanie schwerste Verluste hatte,
war sie trotz ihres Sieges zu Friedensverhandlungen mit dem Nabob bereit.
Allerdings bestand sie auf der Auslieferung Sumrus. Der Nabob weigerte
sich anfangs, da er dessen Macht fürchtete, wollte ihn dann aber in
Gegenwart eines englischen Zeugen ermorden lassen. Sumru war unterdessen
mit der Bewachung der Familie und des Harems des Nabobs betraut. Es mag
sein, dass er von den geplanten Anschlag erfahren hat. Von den Verhandlungen
wusste er, und mit Verrat rechnete er ohnehin ständig. Also plünderte
er die Frauen, unter ihnen Mutter und Großmutter des Nabobs, aufs
gründlichste aus. Die Begums von Oudh reisten nicht gerade mit leichtem
Gepäck. Geld, Schmuck und kostbare Kleider wurden in einer eigenen
Karawane mitgeführt. Mit dieser gewaltigen Beute erkaufte sich Sumru
erst einmal die Loyalität seiner Truppen. Dann setzte er sich mit
ihnen nach Westen ab, um einen gewissen Sicherheitsabstand zwischen sich
und die Häscher der Kompanie zu bringen.
Mit seinem Aufbruch in das Innere der riesigen indischen Landmasse wurde
er völlig zum Free Lancer, zum verspäteten Condottieri, der sein
Schwert und seine Truppen an den Meistbietenden vermietete. Gelegenheiten
gab es genug. Marathen, Sikhs, Dschatten, Rohillas und Radschputs stritten
sich um die Brocken des zerfallenden Mogulreichs. Aber auch innerhalb dieser
Völker gab es Fehden zwischen konkurrierenden Stämmen und Herrscherfamilien,
und in weiten Gebieten konnten Steuern nur von einer starken Armee eingetrieben
werden. Es gab also genug Arbeit für Sumrus Brigade, Geschenke, Bestechungsgelder
und Frontwechsel. Da vor allem das Eintreiben von Steuern ein ständiges
Problem war, belehnten die Fürsten in der Regel ihre Kommandeure mit
einer eigenen Provinz, einem so genannten Jaghir, aus deren Steueraufkommen
der Sold bestritten wurde. Damit ließ sich zwar wesentlich mehr Geld
machen, doch Sumru wollte seine Brigade nicht im Land verteilen, sondern
ständig um sich haben. Nur auf diese Weise war er vor Verrat relativ
sicher und konnte außerdem je nach Interessenlage den Auftraggeber
wechseln.
Nach acht Jahren, in denen er mindestens einem Dutzend verschiedener
Herren gedient hatte, scheint er des unsteten Wanderns dann doch müde
geworden zu sein; denn er trat in den Dienst des Großmoguls. Auch
dort weigerte er sich lange ein Jaghir anzunehmen, da er ständig fürchtete,
überrumpelt und als Verhandlungsmasse an die Engländer ausgeliefert
zu werden. Doch diese Unabhängigkeit brachte Probleme mit sich. Der
Großmogul war oft Monate mit dem Sold im Rückstand und Sumru
musste ständig seine aufrührerischen Mannschaften beruhigen und
sogar des manchmal vor offenen Meutereien fliehen. Natürlich hütete
und mehrte er seine eigenen Schätze. Denn sie hielten seine Brigade
zusammen, und nur in höchster Not war er bereit den Sold vorzustrecken.
Schließlich war er bereit, das Fürstentum Sardhana 90 Kilometer
nordöstlich von Delhi als Jaghir anzunehmen.
Als Fürst von Sardhana widmete er sich nur noch wenig dem Krieg.
Er zählte sein Geld und stritt mit seinen rebellischen Söldnern
um die rückständige Bezahlung. Seine Angst vor den Engländern
scheint sich in dieser Zeit zu einer regelrechten Paranoia ausgewachsen
zu haben. Sumru war ständig auf der Hut, mied die Öffentlichkeit
und ließ seinen Palast von Leibwächtern abriegeln. Seit Jahren
hatte er sich völlig der indischen Lebensweise angepasst und lebte
wie ein Nabob, mit prächtigen Kleidern, einer Heerschar von Dienern
und einem Harem, den er auch auf seinen Feldzügen mit sich führte.
Nur wenige Glücksritter waren so hoch gestiegen wie der einfache Zimmermann
aus Straßburg. Ein schweizer Offizier im Dienst der Ostindischen
Kompanie berichtete über ihn, dass er zwar fließend die persische
Hofsprache und das im Land übliche Hindustani sprach, aber weder lesen
noch schreiben konnte und aus seiner niederen Herkunft nie ein Hehl machte.
Am meisten beeindruckte diesen Offizier allerdings Sumrus Klugheit: "Sein
Hauptverdienst liegt in seiner klugen Handlungsweise. Vermöge dieser
Eigenschaft hat er bisher seine Brigade ganz und unbesiegt bewahrt, obgleich
er in den vielen Schlachten, die er mitgefochten hat, die Angriffe des
Feindes beinahe ganz allein auszuhalten hatte. Aller Wahrscheinlichkeit
nach wird ihn seine Klugheit auch in Zukunft retten. Er besitzt diese Eigenschaft
in einem hohen Grade und niemand kann ihm ein gewisses militärisches
Genie absprechen".
Dank dieser Klugheit überlebte er weiter und mehrte seinen Reichtum.
Nach einem letzten Sieg über den Radscha von Bharatpur, krönte
er seine Karriere als Gouverneur von Agra. Dort stiftete er wie viele große
Kriegsherren, die im Alter das Gewissen plagt, ein Kloster. Am 4. Mai 1778
starb er im Alter von 58 Jahren in seinem Palast an einer Erkältung.
Sein Grabmal ist noch heute in Agra zu sehen. Wahrscheinlich hatten die
Strapazen der zahlreichen Feldzüge, das extreme Klima, Alkohol- und
Opiumgenuß und die ständige Furcht vor Anschlägen schließlich
seine Gesundheit zerstört. Viele Europäer überlebten das
Klima nur wenige Jahre, Sumru hatte dagegen fast dreißig durchgehalten
und lange Zeit davon unter außergewöhnlichen Bedingungen. Obwohl
seine Brigade als eine der unzuverlässigsten und aufrührerischsten
in Indien galt, hatte doch allein ihre bloße Existenz die Ostindische
Kompanie jahrelang von einer weiteren Expansion nach Westen abgehalten.