Kriegsreisende

 die Sozialgeschichte der Söldner

Der Abschaum der Menschheit

Die Rekrutierung von Kriminellen.

In Europa wie in den meisten anderen Kulturen bildeten Krieger ursprünglich die privilegierte, herrschende Schicht. Nur wenn es wirklich notwendig war, wurde auch auf das einfache Volk zurückgegriffen. Allerdings ließen sich Volksaufgebote für längere Konflikte oder gar fern der Heimat kaum verwenden, weshalb dann oft Söldner geworben wurden. Doch Söldner waren teuer und standen nicht immer in ausreichender Zahl zur Verfügung. Vor allen Dingen gab es aber immer wieder Einsätze, die so elend, riskant und miserabel bezahlt waren, dass kaum Freiwillige dafür zu finden waren.

Es überrascht deshalb nicht, dass man hier und da auf die Idee kam, verurteilte Verbrecher für solche Aufgaben heranzuziehen. Das erste besser belegte Beispiel ist die so genannte "Merseburger Legion", die um 830 von Heinrich I. aus verurteilten Gesetzlosen gebildet worden war. Sie wurde hauptsächlich für den schmutzigen Kleinkrieg gegen die Elbslawen verwendet und erwirtschaftete durch die profitablen Sklavenjagden wahrscheinlich sogar Gewinn.

Bernard von Clairvaux Allerdings war Heinrich wohl kaum der erste, der Verbrecher für Kriegsdienste begnadigte. Leider haben Chronisten und Historiker diese banale oft auch peinliche Geschichte gerne übergangen oder unter den Tisch gekehrt. So ist in Steven Runcimans dreibändigem Standardwerk zu den Kreuzzügen nur einmal kurz von Kriminellen zu lesen, die sich dem Volkskreuzzug anschlossen. Dabei hatte die Kirche von Anfang an großzügig mit Sündenerlass geworben. Der Kreuzzugsprediger Bernard von Clairvaux hatte ausdrücklich "Mörder, Räuber, Ehebrecher, Meineidige und alle anderen Kriminellen" zum Kreuzzug aufgerufen.

Aber auch von weltlichen Institutionen wurden Verbrecher oft zum Kreuzzug verurteilt, und alle großen Ritterorden rekrutierten auf diese Weise einen Teil ihres Personals. Der Kreuzzugspredigrer Bernard von Clairvaux schreibt geradezu enthusiastisch: "Unter der großen Menge, die nach Osten zieht, gibt es nur wenige außer Schurken, Vagabunden, Dieben, Mördern, Meineidigen und Ehebrechern, durch deren Ausreise ein doppeltes Gut entsteht, ein Grund für zweifache Freude. Denn sie geben denen, die sie verlassen, genauso viel Anlass zur Freude wie denen, denen sie zu Hilfe kommen." Die Methode Kriminelle, sozial Unerwünschte und sogar ehemalige Ketzer via Kreuzzug zu "entsorgen" war in ganz Europa so populär, dass eine Historikern das Heilige Land als Endlagerstätte ("dumping ground") bezeichnete.

Man hat sicher immer mal wieder begnadigte Verbrecher in besonders verzweifelten Situationen zum Kriegsdienst herangezogen. In der Antike hat wurden in solchen Situationen - wie nach Cannae - auch Sklaven bewaffnet. Der Kleinkrieg in Palästina - nicht die einzelnen Kreuzzüge selbst - war dagegen die Idealsituation: Es gab einen ständigen Bedarf an Kämpfern, Palästina war weit weg und der Krieg zog sich lange hin. Die zeitliche Dauer war besonders wichtig, da man ja kaum Gefängnisse hatte, deren Insassen man bei Bedarf an die Front schicken konnte. Man konnte also nur die Verurteilten direkt vom Gericht übernehmen oder Geflüchteten einen Pardon anbieten.

Die relativ kurzen, fehdeartigen Kriege in Europa boten also normalerweise dafür wenig Gelegenheit. Das änderte sich aber sobald sich die Kriege in die Länge zogen. So begnadigte der englische König Edward I (1239-1307) zahlreiche Kriminelle um ihm bei seinem Kriegen in Schottland und Frankreich zu dienen. Als sein Enkel Edward III. aber mit dem so genannten Hundertjährigen Krieg begann (1337-1453), kam die Sache nach und nach richtig in Schwung. In der fast einjährigen Belagerung von Calais hatten die Engländer vor allem im Winter schwere Verluste durch Krankheiten. Außerdem zogen viele Lehnsleute ab, da ihre Dienstzeit abgelaufen war. Um zumindest die schlimmsten Verluste auszugleichen, begnadigte Edward allein für die Belagerung 1.800 Kriminelle.

Normalerweise wurden die Begnadigten dazu verpflichtet für ein Jahr auf eigene Kosten zu dienen, dafür wurden ihnen dann alle vor dem Ausstellungsdatum liegenden Verbrechen vergeben. Dabei konnte es sich um Raub, Viehdiebstahl, Vergewaltigung, Körperverletzung, Wilderei und vieles mehr handeln. Tötungsdelikte waren allerdings der absolute Spitzenreiten. So nimmt der Historiker Andrew Villalon als Beispiel eine Sammelbegnadigung von 1360. Die darin aufgeführten 411 Männer, waren in England für den Tod von 369 Personen verantwortlich. Villalon kommt zu dem Schluss, dass sie bestenfalls in einer monumentalen Schlacht ein ähnliches Massaker hätten anrichten können.

Söldner im Hundertjährigen Krieg Die relativ große Zahl von Begnadigten in den englischen Armeen erklärt sich vor allem damit, dass es in England immer schwierig war besonders für das schlecht bezahlte Fußvolk ausreichend Ersatz zu finden. In Frankreich dagegen war man auf solche Maßnahmen nie angewiesen; obwohl sie sicher vereinzelt auch vorgekommen sind. Da das Land als Hauptkriegsschauplatz meistens unter einem Überangebot an unbeschäftigten Söldnern litt, bestand das Problem mehr darin diese irgendwie wegzuschaffen. Neben Kriegszügen ins Reichsgebiet, nach Spanien und Italien versuchte man sie auch immer wieder zum Kreuzzug zu überreden und bot ihnen dafür kompletten Sünden- und Straferlass an. Doch Jean Froissart der große Chronist des Hundertjährigen Krieges bemerkte dazu treffend: "Reisige können weder von Ablässen leben noch schenken sie ihnen viel Beachtung außer im Moment ihres Todes."

Neben England war Kastilien das einzige Land in Europa, in dem man im Spätmittelalter in größerem Umfang Kriminelle für den Kriegsdienst rekrutierte. Dort hatte man durch die Reconquista an der Kreuzzugstradition festgehalten und immer wieder bei Bedarf Straf- und Sündenerlass versprochen. Diese gelegentlichen Amnestien wurden schließlich als permanentes Privileg an bestimmte strategisch wichtige Orte vergeben. Wenn so genannte "Homicianos" (nach einem alten Wort für Mörder) normalerweise ein Jahr und einen Tag an einem so privilegierten Ort Dienst taten, erhielten sie einen königlichen Pardon für ihre Strafen. Erstmals wurde das Privileg der Homicianos von Ferdinand IV. 1310 für Gibraltar ausgestellt, als er nach dessen Eroberung dringend Truppen für die Garnison benötigte.

Die Homicianos wurden an der weit abgelegenen Südgrenze des Königreiches verwendet. Dort bestimmten Überfälle, Hinterhalte, Sklaven- und Viehraub den Kriegsalltag. Das Land war seit Generationen verwüstet und es gab nichts um in größerem Umfang Freiwillige als Kolonisten oder Soldaten anzulocken. Fast zwei Jahrhunderte stellten die Homicianos einen guten Teil der Truppen in dem ruhmlosen aber aufreibenden Kleinkrieg an der Grenze. Als Granada schließlich in einem zehnjährigen Krieg (1482-1492) erobert wurde, kamen die Homicianos noch einmal zahlreich zum Einsatz, um die neu eroberten Burgen und Dörfer zu besetzen.

Mit dem Fall von Granada war die Reconquista abgeschlossen, wodurch eigentlich die Notwendigkeit entfiel Homicianos als Grenzschützer zu verwenden. Doch bereits nach wenigen Jahren, begann Spanien mit der Eroberung befestigter Plätze an der nordafrikanischen Küste (Melilla 1497, Mazalquivir 1505, Peñón de Vélez de la Gomera 1508). Da sich für diese abgeschnittenen, oft heiß umkämpften und konstant schlecht versorgten Forts nie ausreichend Garnisonstruppen finden ließen, kam man dabei schnell auf das altbewährte Privileg der Homicianos zurück. Als Spanien dann kurz darauf ein Weltreich eroberte und anschließend verteidigen musste, wurden Homicianos vor allen Dingen in die kleinen, abgelegenen Forts auf den den Philippinen, in Nordmexiko oder Florida geschickt. Bezeichnenderweise nannte man diese Forts "Presidios", was im Spanischen sowohl Festung wie auch Gefängnis bedeutet.

Vasco da Gama und Degredados Portugal, wo verurteilte Kriminelle bislang nur zur Zwangsarbeit verwendet worden waren, hatte bereits 1415 mit der Eroberung von Ceuta den Sprung nach Afrika gewagt. Anschließend waren einzelne Kapitäne immer weiter an der westafrikanischen Küste nach Süden vorgestoßen und waren 1488 bis ans Kap der Guten Hoffnung gekommen. 1498 erreichte dann Vasco da Gama mit einer kleinen Flotte endlich das legendäre Indien. Bei der Betrachtung dieser Sternstunden der Geschichte wird gerne vergessen, dass es sich bei einem Großteil der Besatzungen - sowohl der Schiffe wie auch der Forts - um lästige Sklaven, aufgegriffene Vagabunden, Waisenkinder, konvertierte Juden und nicht zuletzt Sträflinge handelte. In Portugal bezeichnete man die für den Kolonialdienst bestimmten Sträflinge "Degredados" (Abgewertete oder einfach Verbannte).

Da die portugiesischen Schiffe aber oft schneller ins Unbekannte vorstießen als Forts oder feste Stützpunkte errichtet werden konnten, erfand man die "Lançados" (die Geworfenen), die fast unter zum Tode Verurteilten rekrutiert wurden. Wenn ein Schiff an einer fremden Küste einen Ort passierte, wo die Errichtung eines Stützpunktes angebracht erschien, ließ an einen Lançado zurück. Er sollte sich mit den Einheimischen anfreunden, ihre Sprache lernen und im besten Fall schon einmal ein Proviantlager für die nächste portugiesische Expedition anlegen. Fiel er einer der zahlreichen Krankheiten, wilden Tieren oder gar den Einheimischen zum Opfer, hatte er ja nur seine gerechte Strafe erhalten. Vasco das Gama hatte sich gleich zehn dieser Todeskandidaten aus den königlichen Gefängnissen erbeten. Einer von ihnen, ein konvertierter Jude namens João Nunes, war deshalb der erste Europäer, der Indien auf dem Seeweg erreicht hatte.

Die Verwendung von Sträflingen in Übersee hatte den doppelten Vorteil, den Bernard von Clairvaux schon bei den Kreuzzügen so lobend hervorgehoben hatte: man befreite die Heimat von ihnen und erhielt gleichzeitig Kämpfer für äußerst verlustreiche Missionen. Und je weiter die Reise ging, desto weniger Sorgen musste man sich machen, dass sie jemals wieder nach Hause kamen.

gartende Landsknechte Im Europa der Frühen Neuzeit blieb die Begnadigung von Kriminellen zum Militärdienst deshalb lange auf Ausnahmen beschränkt. Schweizer und Landsknechte wurden auch lange relativ gut bezahlt, so dass es nie an Freiwilligen mangelte. Man kann zwar beobachten, dass viele entlassenen Söldner ins kriminelle Milieu absackten und sich als Diebe oder Straßenräuber durchschlugen. Die "Gartzeit", wie die Arbeitslosigkeit der Landsknechte genannt wurde, war von der Bevölkerung gefürchtet. Wie schon zur Zeit des Hundertjährigen Krieges ließ sich das Problem oft erst lösen, wenn wieder für einen neuen Feldzug geworben wurde. Schon allein deshalb stellten Kriminelle immer einen gewissen Teil der Heere; aber niemand hatte sie extra dafür begnadigt.

Lediglich auf den Britischen Inseln kam diese Methode im 16. Jahrhundert systematisch zum Einsatz. England und Schottland unterstützen die Protestanten auf dem Kontinent immer wieder mit Truppen und hatten dabei schnell entdeckt, dass man auf diese Weise unerwünschte Personen aus dem Land, nach "Übersee" entsorgen konnte. Die Tudor-Verwaltung in Irland leerte so regelmäßig die Gefängnisse, dass ein Beamter zufrieden feststellen konnte, dass das Land friedlicher und gehorsamer sei, wie noch nie seit seiner Eroberung. In Schottland ließ man verurteilte Verbrecher, die in den Krieg geschickt wurden, zur Sicherheit noch schwören, "dass sie - unter Androhung der Todesstrafe - niemals wieder zurückkehren würden."

Als nach dem Dreißigjährigen Krieg die europäischen Mächte mit dem Aufbau stehender Heere begannen, griffen alle nach und nach auf das Reservoir in ihren Gefängnissen zurück. Das Ausmaß war dabei nur vom Bedarf abhängig und nicht von moralischen oder juristischen Abwägungen. Ludwig XIV. war anfangs noch gegen die Rekrutierung von Kriminellen, da der Dienst für den König keine Strafe sein sollte. Die Werber mussten sich deshalb auf Schmuggler, Schuldner, Betrüger und andere Kleinkriminelle beschränken. Schwerverbrecher wurden normalerweise auf die Galeeren geschickt. Als gegen Ende seiner langen Kriege, jedoch kaum noch Ersatz aufzutreiben war, musste die Marine 1.500 Galeerensträflinge nach Spanien schicken - natürlich in Ketten und unter schwerer Bewachung.

Die Zeiten, in denen sich Söldner als stolze Kriegsleute präsentiert hatten und manchmal auch so wahrgenommen worden waren, gehörten längst der Vergangenheit an. Im 18. Jahrhundert galten sie allgemein als Abschaum der Gesellschaft. Für die Bevölkerung machte zwischen Soldaten und Gesetzlosen oft keinen Unterschied. Entlassene Einerseits stellten entlassene Soldaten und Deserteure die größte Gruppe in den zahlreichen Räuberbanden, andererseits schickten die Gerichte oft gefasste Straftäter direkt zum Militär. Manchmal überließ man zum Tode Verurteilte dem Henker. Ein englischer Historiker schreibt aber treffend, dass wenn Gerichte und Gefängnisse dazu aufgefordert wurden nach "für den Militärdienst geeigneten Sträflingen" zu suchen, sich das "geeignet" ausschließlich auf die körperliche Verfassung bezog.

Natürlich war man beim Militär selbst alles andere als beglückt mit dieser Art von Ersatz, und immer wieder beschwerten sich Truppenführer. Doch im Absolutismus sollten die Untertanen in erster Linie ihrer Arbeit nachgehen und fleißig Steuern bezahlen. Für das Militär blieben daher fast nur diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt keine Verwendung fanden, wie es Friedrich der Große treffend formulierte: "Wen nimmt man zum Soldaten? Die Hefe des Volkes. Faulenzer, die lieber müßiggehen als arbeiten, lüderliches Gesindel, das die Ungebundenheit im Soldatenrocke sucht, junge Taugenichtse, die daheim nicht guttun und sich aus Leichtsinn anwerben lassen." Wellington, der Held von Waterloo, bezeichnete seine Soldaten als "Abschaum der Menschheit" (scum of the earth).

Wellington bei Waterloo
Der "Abschaum der Menschheit" bei Waterloo

In Friedenszeiten, wenn der Bedarf nicht so hoch war, beschränkte man sich auf die Rekrutierung von Kleinkriminellen - oft war Landstreicherei ja schon ein ausreichender Grund, um im Gefängnis zu landen. Die Kolonialmächte schoben die schwereren Fälle nach wie vor gerne in die Kolonien als Zwangsarbeiter aber auch Soldaten ab. Großbritannien folgte hier bald dem portugiesischen und spanischen Beispiel. Wegen der extrem hohen Todesraten in Westafrika und der Karibik, verwendete man bei den Garnisonstruppen möglichst viele Sträflinge. So sollen allein zwischen 1766 und 1784 über 1.000 Sträflinge in die Sklavenforts nach Westafrika geschickt worden sein.

Wie für die Verwendung von Söldnern wurde auch für die Rekrutierung von Sträflingen die Französische Revolution zur großen Wende. In den neu aufgestellten Massenheeren aus Bürgersoldaten war für Söldner und Kriminelle kein Platz mehr. Der Theorie nach mussten Patrioten aus Idealismus dienen und nicht für Geld oder aus Zwang. Als der preußische Heeresreformer Gerhard von Scharnhorst dann ebenfalls mit dem Aufbau einer nationalen Armee begann, forderte er als erstes die Abschaffung der entehrenden Prügelstrafen und schrieb: "Will man aber die Ausländer, die Vagabunden, Trunkenbolde, Diebe, Taugenichtse und andere Verbrecher aus ganz Deutschland wieder haben, welche die Nation verderben, die Armee dem Bürger verhasst und verächtlich machen [...], dann wird man freilich nicht ohne die ehemaligen Strafen fertig werden. Bei entehrten Menschen gehören entehrende Strafen."

Nach den napoleonischen Kriegen setzte sich eine Art von allgemeiner Wehrpflicht bei den meisten Großmächte durch, wodurch die Verwendung von begnadigen Kriminellen wie auch von Söldnern praktisch unmöglich wurde. Allerdings beschränkte sich dies auf Europa, wo Patriotismus und Nationalismus immer bedeutender in der Politik wurden. In den Kolonien dagegen, wo man weitgehend unbeachtete, kleine, schmutzige Kriege führte, kamen je nach Bedarf weiterhin Söldner und Sträflinge zum Einsatz.

Von den traditionellen Kolonialmächten fuhr nur Großbritannien die militärische Verwendung von Sträflingen zurück. Nach einem Höhepunkt in den napoleonischen Kriegen, wurden die letzten Einheiten im "Royal African Corps" zusammengefasst und 1821 schließlich aufgelöst. Allerdings konnte man sich dies erlauben, da man lange und gute Erfahrungen in der Verwendung einheimischer Söldner hatte. Währen die Zahl der indischen und afrikanischen Regimenter stetig wuchs, wurden zu Hause unerwünschte Elemente zur Zwangsarbeit nach Australien geschickt.

In Spanien und Portugal hielt man dagegen an dem inzwischen altbewährten System fest um Forts in den Kolonien zu bemannen. Portugal, das immer knapp an Menschen war, schickte bis 1932 Sträflinge nach Angola, die dort teilweise vom Militär verwendet wurden. Nachdem Spanien 1898 seine letzten Besitzungen in Übersee verloren hatte, wurden Sträflinge noch bis 1911 in die unbeliebten nordafrikanischen Presidios geschickt. Als Spanien dann aber 1920 systematisch mit der Eroberung Marokkos begann, wurde die spanische Fremdenlegion gegründet, nicht nur um an vorderster Front zu kämpfen, sondern auch um das Vaterland von Vagabunden, Übeltätern und Kriminellen zu befreien. Bei nicht allzu schweren Vergehen konnten die Verurteilten oft zwischen einer längeren Haftstrafe oder Dienst bei der Legion wählen.

Soldat Bat' d'Af Ganz anders war die Situation in Frankreich. Dort hatte man den Patriotismus praktisch erfunden und die alten Kolonien fast vollständig verloren. Als man aber1830 in Algerien mit der Eroberung eines zweiten Kolonialreichs begann, war der Bedarf an geeigneten Truppen groß, vor allem an solchen, die in Frankreich nicht vermisst werden würden. Im Juni 1832 wurden deshalb die "Bat' d'Af'" (Bataillons d'Infanterie Légère d'Afrique oder BILA) gegründet. Bezeichnenderweise ein gutes Jahr nachdem die Fremdenlegion aufgestellt worden war. In den Bat' d'Af' dienten neben verurteilten Soldaten viele Sträflinge aus Frankreichs Gefängnissen. Nach großen Unruhen wie der Revolution von 1848 oder der Pariser Kommune kamen Tausende von politischen Häftlingen dazu. Die Bat' d'Af' wurden meistens unter barbarischen Bedingungen zu Schwerstarbeit - z.B. im Straßenbau - eingesetzt, kämpften aber auch an vorderster Front in jedem größeren Konflikt Frankreichs, bis sie 1940 aufgelöst wurden. Eine beeindruckende Beschreibung der inneren Zustände hinterließ der französische Anarchist Georges Darien mit seinem Buch Biribi.

Bei den großen, ideologisch aufgeladenen Kriegen des 20. Jahrhunderts wurden immer mal wieder Häftlinge begnadigt, um an das dringend benötigte Menschenmaterial zu kommen, normalerweise handelte es sich dabei aber um Ausnahmeerscheinungen. Geschichten wie in dem Film The Dirty Dozen (1967) gehören zumindest bei den Westalliierten ins Reich der Legende. Verurteilte Straftäter wurden ausgerechnet dort rekrutiert, wo am lautesten die hohen Ideale beschworen wurden: in Nazi-Deutschland und in der Sowjetunion.

Sowohl Stalin wie Hitler waren anfangs strikt gegen die Verwendung von Häftlingen gewesen, waren dann aber durch die enormen Menschenverluste zum Umdenken bewogen worden. In der Sowjetunion dienten Deserteure zu Hunderttausenden in den so genannten "Shtrafbats", während Häftlinge aus Gefängnissen und Gulags in reguläre Einheiten der Roten Armee eingegliedert wurden.

In Deutschland tat mit sich mit der Verwendung von Häftlingen viel schwere, da sie generell als "wehrunwürdig" galten. Lediglich von Militärgerichten verurteilte Soldaten wurden ab Juni 1942 in den so genannten 500er Bewährungseinheiten an besonders kritischen Frontabschnitten eingesetzt. Einige Monate später wurden von Zivilgerichten Verurteilte und politische Häftlinge in die 999er Bataillone eingezogen, dort allerdings mehr zu Bauarbeiten eingesetzt. Zur berüchtigtsten Einheit sollte aber die von der SS aufgestellte Division Dirlewanger werden. Ihre Gründung ging auf eine verschrobene Idee Himmlers zurück, ehemalige Wilddiebe bei der Partisanenbekämfung einzusetzen. Da sich in deutschen Gefängnissen keine 100 Wilddiebe finden ließen, blieb die Einheit lange eine exotische Randerscheinung, die sich hauptsächlich durch die Ermordung von Zivilisten in Weißrussland hervortat. Erst als man sie gegen Ende des Krieges mit verurteilten SS-Männern, politischen Häftlingen und einigen zivilen Häftlingen verstärkt hatte, kamen ein paar tausend Mann zusammen, die vor allem bei der Zerstörung Warschaus 1944 eingesetzt wurden.

Da die Westalliierten während des Krieges keine Sträflinge verwendet hatten, erscheint es besonders zynisch, dass einige von ihnen ausgerechnet auf verurteilte SS-Leute zurückgriffen. In den Niederlanden hatte man Nazi-Kollaborateuren die Staatsbürgerschaft entzogen und zu längeren Haftstrafen verurteilt. Als sich das Land jedoch immer stärker in einen schmutzigen und vor allem äußerst unpopulären Kolonialkrieg in Indonesien (1945-49) verstrickt sah, gab man vielen der Häftlinge die Chance sich an der Front als gute Niederländer zu beweisen. Nachdem der Krieg verloren war, meldeten sich einige ehemalige SS-Leute für das Kontingent, das die Niederlande in der Koreakrieg (1950-53) schickten. Möglicherweise trafen sie dort auf alte Kameraden von der Ostfront, die von Belgien nach Korea geschickt worden waren.

gefangene französische SS-Männer Frankreich, das in Indochina vor ähnlichen Problemen stand, startete 1948 mit den BILOM (Bataillon d'Infanterie légère d'Outre-Mer) eine Art Neuauflage der berüchtigten Bat' d'Af'. In den BILOM dienten deutsche Kriegsgefangene, vor allem aber französische Nazi-Kollaborateure, darunter auch Angehörige der SS-Division Charlemagne. Die BILOM wurden in Indochina eingesetzt, mussten aber bereits nach einem guten Jahr aufgelöst werden, nachdem die kommunistische Partei einen Skandal entfacht hatte. Allerdings wurden die Soldaten dann in anderen Einheiten der Kolonialtruppen verwendet.

Interessiert man sich nicht nur für die Rekrutierung bereits inhaftierter Nazi-Kollaborateure, sondern auch für die Verwendung und den Schutz von gesuchten Kriegsverbrechern, so nehmen die USA sicher eine unangefochtene Spitzenposition ein. Je nachdem, wie weit man den Bogen spannt - von der heimlichen Verwendung von Gestapo-Offizieren wie Klaus Barbie, über die Rekrutierung von SS-Leuten für die Green Berets, dem Aufbau der so genannten "Stay Behind" Netzwerke bis hin zur offiziellen Anwerbung deutscher Raketenspezialisten - kommt man leicht auf einige Hunderttausend.

Mit dem Ende des Kalten Krieges, der Massenheere und schließlich der Wehrpflicht schien die Methode verurteilte oder gesuchte Kriminelle zum Kriegsdienst zu rekrutieren endgültig der Vergangenheit anzugehören. Allerdings nur kurz, wenn man sich die aktuellen Bürgerkriege in Syrien oder Libyen etwas genauer ansieht, stößt man schnell auf Hinweise dass dort die Streitkräfte mit Ausländern, Söldnern, Kindern und eben auch Häftlingen verstärkt werden.

Natürlich soll hier nicht behauptet werden, dass begnadigte Kriminelle im Militär ein und dasselbe wie Söldner sind. Sehr oft treten jedoch beide Formen zusammen in Erscheinung, überlappen sich und gehen ineinander über. Regierungen rekrutieren Häftlinge und ehemalige Soldaten werden zu Räubern. Der Historiker John Rigby Hale bezeichnete die Armeen der Renaissance als "crime machines". Vor allen Dingen aber werden Kriminelle wie eben auch Söldner meistens dann rekrutiert, wenn die traditionellen Aufgebote nicht mehr funktionieren. Beide Gruppen sind - und bleiben auch meistens - Außenseiter in den Gesellschaft, für die sie kämpfen. Und ohne Reintegration in eine zivile Gesellschaft werden sie je nach Bedarf Kriminelle oder Söldner.



Literatur:

Anderson, Clare and Hamish Maxwell-Stewart
Convict Labour and the Western Empires, 1415-1954
2014

Conway, Stephen
Continental European Soldiers in British Imperial Service, c. 1756-1792
in: The English Historical Review , FEBRUARY 2014, Vol. 129, No. 536, pp. 79-106

Hurnard, Naomi D.
The King's Pardon for Homicide before A.D. 1307
Diss 1970

Kesselring, Krista
To Pardon and To Punish: Mercy and Authority in Tudor England
Diss 2000

Mawson, Stephanie J.
Convicts or Conquistadores? Spanish Soldiers in the Seventeenth-Century Pacific
in: Past & Present, Volume 232, Issue 1, August 2016, Pages 87-125

Villalon, L.J. Andrew
"Taking the King's Shilling" to Avoid "the Wages of Sin": Royal Pardons for Military Malefactors during the Hundred Years War
in: The Hundred Years War. III: Further Considerations; 2013

© Frank Westenfelder  


 
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