Der "Kongo-Müller" und das "Kommando 52"
Deutsche Söldner im kongolesischen Bürgerkrieg 1964/65.
Als der STERN-Reporter Gerd Heidemann im September 1964 im Kongo bis
zu weißen Söldner vorgestoßen war, die dort im Auftrag
der Zentralregierung gegen Rebellen kämpften, hatten diese gerade
ihren ersten Toten zu beklagen. Denn am späten Nachmittag des 19.
Septembers war Fritz Kötteritzsch, Jahrgang 1935, als erster Söldner
der Einheit "Kommando 52" gefallen. Was genau den deutschen Söldner
aus Münster in Westfalen, einen gelernten Maschinenschlosser und ehemaligen
Zeitsoldaten bei den Fallschirmjägern der Bundeswehr, nach Afrika
gezogen hatte, wussten seine Kameraden Peter Krumme und Heinz Wettengel
dem Journalisten allerdings nicht zu berichten. Sie selber waren aus "Abenteuerlust
und wegen des Geldes" Söldner geworden. Vorher hatten sie in Südafrika
in einer Fabrik für synthetisches Gummi gearbeitet, später in
Rhodesien (heute: Zimbabwe) beim Aufbau einer Ölraffinerie geholfen.
Dann aber lasen sie in der Presse, dass die kongolesische Armee Söldner
suchen würde und wurden Ende August 1964 nach erfolgreicher Anwerbung
in den Kongo geflogen.
Die Kongo-Krise
Am 30. Juni 1960 hatte der belgische König Baudouin I. die Kolonie
Belgisch-Kongo in die Selbständigkeit entlassen. Bedingt durch die
überstürzt vollzogene Unabhängigkeit sahen sich Staatspräsident
Joseph Kasavubu und Ministerpräsident Patrice Lumumba schon wenige
Wochen nach ihrer Amtsübernahme mit der gewaltsamen Austragung ethnischer
Konflikte und einer Revolte innerhalb der kongolesischen Armee konfrontiert.
Zeitgleich erklärte der Politiker Moise Tshombé, unterstützt
durch die belgische Bergbaugesellschaft Union Minière, die Unabhängigkeit
seiner Heimatprovinz Katanga (heute: Shaba), ohne deren Wirtschaftskraft
die Demokratische Republik Kongo nicht lebensfähig war. Tshombés
separatistische Pläne sollten allerdings nicht aufgehen, die Region
fiel im gleichen Jahr an den Kongo zurück, er selbst ging ins Exil
nach Spanien. Ende 1960 versuchte sich schließlich der Generalstabschef
der kongolesischen Armee, Mobutu Sese-Seko, an die Macht zu putschen. Ministerpräsident
Lumumba wurde wenig später gestürzt, inhaftiert, nach Katanga
gebracht, und dort 1961 umgebracht. Trotz eines Einsatzes von Blauhelmsoldaten
dauerte die sich nur langsam stabilisierende innenpolitische Situation
an.
Eine weiße "Beratertruppe" für Tshombé
Mit der Ausrufung einer "Volksrepublik Kongo" in der Provinzhauptstadt
Stanleyville (heute: Kisangani) begann 1964 in der Demokratischen Republik
Kongo ein innerstaatlicher Konflikt von ganz anderen Dimensionen. Denn
da der Kongo als Schlüssel zur Beherrschung Zentralafrikas galt, entwickelte
sich dieser Bürgerkrieg zu einem weltpolitischen Stellvertreterkonflikt,
in dem nicht die Wiederherstellung einer stabilen politischen Lage im Kongo
den höchsten Stellenwert einnahm, sondern vorrangig der Einfluss der
beiden politischen Machtblöcke des Kalten Krieges gesichert werden
sollte. Von der ehemaligen Kolonialmacht Belgien und den Vereinigten Staaten
unterstützt, koordinierte der 1964 kurzfristig zum Ministerpräsidenten
ernannte Tshombé zusammen mit General Mobutu den Einsatz weißer
Söldner und der kongolesischen Nationalarmee gegen die kommunistisch
beeinflusste Rebellion im Osten des Landes. Innerhalb weniger Wochen hatten
es dort Einheiten der sogenannten "Simbas" (Löwen) geschafft, weite
Teile des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Zentralregierung
in Léopoldville (heute: Kinshasa) war immer mehr in Bedrängnis
geraten, da ihre modern ausgerüstete Armée Nationale Congolaise
(ANC) den "speerschwingenden, leopardenfellbekleideten Kriegern" nicht
mehr Herr zu werden vermochte. Denn die schwarzen Regierungssoldaten glaubten
wie die "Simbas" an das "Tawa", einen Fetischglauben, der Unverwundbarkeit
im Kampf versprach, und flohen oftmals kampflos beim Anblick der "unverwundbaren"
Aufständischen. Deshalb lautete Mobutus Auftrag: 300 weiße Söldner
sollten, eingeteilt in sechs sogenannte "Kommandos", Stanleyville zurückgewinnen.
Angeworben als "military technical assistance volunteers", sich selbst
als "Kongo-Freiwillige" bezeichnend, kämpften unter den insgesamt
fast 500 vornehmlich aus Belgien, Großbritannien, Rhodesien und Südafrika
rekrutierten modernen Landsknechten auch etwa drei Dutzend Deutsche auf
Seiten der Zentralregierung.
Der "Kongo-Müller"
Am 21. August 1964 landeten die ersten als Vorhut geworbenen Söldner
auf der ehemaligen belgischen Militärbasis Kamina im Kongo. Unter
ihnen der Deutsche Siegfried Müller. Auf den ehemaligen britischen
Offizier Mike Hoare, der für Tshombé die Söldnertruppe
aufbauen und führen sollte, wirkte Müller bei der ersten Begegnung
"as Prussian as a Pickelhaube". Mit 44 Jahren war Müller der älteste
Söldner. Er fiel durch seine ruhige und höfliche Art auf, die
im Gegensatz zu den Erwartungen stand, welche das Eiserne Kreuz an seiner
Uniform weckte. Vor allem auf die jüngeren Söldner, die in den
meisten Fällen über keine Kampferfahrung verfügten, machte
es großen Eindruck. Außer Müller waren noch zwei weitere
Deutsche anwesend: Bernd Köhlert und Walter Nestler. Von den insgesamt
38 Männern wurden 29 als kampfbereit eingestuft und unmittelbar nach
ihrer Ankunft eingekleidet und ausgerüstet. Bereits am nächsten
Tag flogen sie in den ersten Einsatz.
Die "Operation Watch-Chain"
Die Söldner verlegten mit dem Flugzeug in die Nähe der Stadt
Baudouinville (heute: Moba) am Tanganyika-See, wo sie drei amerikanische
Sturmboote übernahmen, um - durch über den Landweg angreifende
Einheiten der ANC unterstützt - das 150 Kilometer entfernte Albertville
zu erreichen. Bedingt durch den Ausfall zweier Motoren landeten sie 20
km südlich des Ziels und beschlossen zu Fuß auf Albertville
vorzustoßen. Während einer Rast wurden sie von Rebellen angegriffen,
wie Müller später berichtete: "Drei Karabiner schossen, Speere
und Pfeile flogen." Die Söldner erwiderten das Feuer und "innerhalb
von wenigen Minuten waren 28 Rebellen tot." Den Landweg nun als zu unsicher
einstufend ruderten die Männer weiter Richtung Albertville. Ein erstes
Landungsmanöver musste am 26. August im gegnerischen Feuer abgebrochen
werden, die Söldner forderten vergeblich Luftunterstützung an
und wichen schließlich aus. Mit einem "kleinen Radio, das zufällig
einer dabei hatte", hörten sie von Straßenkämpfen in Albertville.
Aufgrund dieser Informationen beschloss Hoare den Flugplatz der Stadt anzugreifen,
von dem die Söldner glaubten, dass er bestimmt noch in Feindeshand
sei. Müller führte - eingesetzt als Gruppenführer im Dienstgrad
eines Oberleutnants - die Spitzengruppe auf der Suche nach dem Flughafen.
Durch Rebellen entdeckt, fielen die beiden Deutschen Köhlert und Nestler,
zwei weitere Söldner wurden schwer verwundet, und einer von ihnen
dann sogar bei der folgenden Flucht der Einheit zurückgelassen. Am
4. September erreichte Müller wieder Kamina, nachdem er sich mit einigen
Männern und mit Unterstützung durch katholische Missionare über
den See zurück nach Baudouinville durchgeschlagen hatte.
Das "Kommando 52"
Dort waren inzwischen auch Fritz Kötteritzsch, Heinz Wettengel
und Peter Krumme eingetroffen. Sie hatten sich zusammen mit weiteren Freiwilligen
auf Zeitungsannoncen in den Rekrutierungsbüros in Johannesburg, Salisbury
und Brüssel gemeldet. Aus ihnen wurden gemäß Mobutus Plan
die Kommandos gebildet, Söldnereinheiten in Zugstärke, die sich,
unterstützt durch Verbände der Zentralregierung, sternförmig
auf Stanleyville zu bewegen sollten. Müller erhielt am Abend des 8.
Septembers den Auftrag das "Kommando 52" zusammenzustellen, das in der
Provinz Equatorial westlich von Coquilhatville (heute: Mbandaka)
kämpfen sollte. Müller erkundigte sich bei Hoare, welche Männer
zur Verfügung stehen würden. Dessen Antwort war: "Welche Sie
wollen." Müller übernahm eine Gruppe internationaler Fallschirmjäger
und, nach Hoares Empfehlung: "Nehmen Sie die Deutschen noch dazu.", auch
die meisten deutschen Söldner. 50 Mann bildeten letztendlich das "Kommando
52", aufgeteilt in vier Gruppen unter Feldwebeldienstgraden, geführt
von Hauptmann Müller, den südafrikanischen Oberleutnanten Louw
und Schricker und dem als Verbindungsoffizier zugewiesenen belgischstämmigen
Oberleutnant Masy. Am Mittag des 9. Septembers verlegte Müller mit
39 seiner Söldner im Flugzeug nach Léopoldville, wo die "Operation
Tshuapa" begann, mit der Müller weltweit und besonders in Deutschland
seinen zweifelhaften Ruf als "Kongo-Müller" begründen sollte.
Die "Operation Tshuapa"
Unterstützt von israelischen und belgischen Militärberatern
übernahm das Kommando in Léopoldville Waffen und Ausrüstung.
Der Auftrag des "Kommando 52" sollte zunächst die Sicherung der Provinzhauptstadt
Coquilhatville sein. Wider Erwarten stießen die Söldner nach
der Landung auf dem örtlichen Flughafen auf keinen Widerstand. Die
"Simbas" standen nämlich noch in dem 600 km entfernten Ort Boende
an der Tshuapa, einem Nebenfluss des Kongo. Dazwischen lag dichter Urwald
mit kleinen Dörfern, nur verbunden durch eine Straße von der
"Qualität eines Feldweges". Müller veranlasste "eine Rundfahrt
durch die Stadt, weil die verantwortlichen Herren sagten, dass die Bevölkerung
sehr nervös sei. Die Menschen waren begeistert, haben gesungen, getanzt
und geklatscht." Obwohl mangelhaft ausgerüstet, entschloss sich Müller
nach Rücksprache mit Mobutu den Rebellen bis Boende entgegenzufahren,
den Ort zu nehmen und dadurch die Provinz Equatorial zu befreien. Müller
urteilte später: "Die ist fast so groß wie die Bundesrepublik.
Die habe ich mit meinen 40 Mann und vielleicht weiteren hundertfünfzig
Mann Schwarzen erledigt. Die habe ich geschafft. Zehn Wochen."
Die "Schrecklichen"
Das hieß für Müller: "Bei Annäherung erhöhten
unsere Gefechtsfahrzeuge [Jeeps mit aufmontierten Maschinengewehren und
einer rückstoßfreien 75mm Kanone] ihre Geschwindigkeit auf 60
bis 70 km/h, und aus allen Handfeuerwaffen schießend, rasten wir
auf den Gegner zu." Zu diesen für die "Simbas" häufig vernichtenden
Zusammenstößen kam es meistens in kleinen Ortschaften und an
Wegekreuzen. Einen Eindruck vom Vorgehen der Söldner, die sich ausschließlich
auf ihre dem Gegner weit überlegene Feuerkraft verließen, lässt
sich durch die Aufnahmen des Italieners Gualtiero Jacopetti gewinnen, der
den Angriff des Kommandos auf Boende in seinen Film "Africa Addio" dokumentierte.
Nach den Aufzeichnungen im Kriegstagebuch Müllers wurden Gefangene
an den zuständigen Befehlshaber der ANC überführt, allerdings
ist auch die Misshandlung und Erschießung von tatsächlichen
und vermeintlichen "agitators or rebel leaders" belegt. Für die Söldner
das brutale Tagesgeschäft, das aber auch oft durch die begleitenden
schwarzen Soldaten ausgeführt wurde. Müller berichtete später:
"Ja, misshandelt - das ist hier normal. Man vernimmt jemanden, und wenn
man vernimmt, muss er Hiebe kriegen, sonst erzählt er nicht richtig,
sagt man. Und wenn er erzählt hat, wird er ja, da er ein Rebell ist
und ein Rebell außerhalb des Rechts steht, getötet." Schon bald
erhielten die Söldner von der Bevölkerung die Bezeichnungen "Weiße
Riesen" oder "Die Schrecklichen".
Auf der Straße der Landsknechte
Nach dem erfolglosen ersten Angriff auf Boende am 19. September 1964,
bei dem Fritz Kötteritzsch gefallen war, zog sich Müller in den
kleinen Ort Bekili zurück. Dort traf wenige Tage später der Journalist
Gerd Heidemann vom STERN ein, durch dessen Fotos und Artikel über
das Ausharren des "Kommando 52" und die wiederholten Angriffe der Rebellen
die deutschen Söldner und besonders der "Kongo-Müller" einen
hohen Bekanntheitsgrad in der westdeutschen Bevölkerung erlangte.
Müller wurde unterdessen als Führer des Kommandos abgelöst
und erhielt die Aufgabe, den zweiten, am 24. Oktober dann auch erfolgreichen,
Angriff auf Boende zusammen mit dem zugeführten "Kommando 54" und
den Einheiten des ANC zu koordinieren. Die "Operation Tshuapa" endete am
22. November 1964, nachdem das "Kommando 52" noch die östlich von
Boende gelegenen Ortschaften Bokungu und Ikela sowie zahlreiche Weiße
in Missionen und Farmen befreien konnte. Für Müller folgten mit
der Beförderung zum Major andere Verwendungen. Er wurde Kommandant
der Basis in Kamina und leistete dort logistische Unterstützung für
das Unternehmen zur Befreiung Stanleyvilles, an dem auch belgische Fallschirmjäger
beteiligt waren. Im Februar führte er noch eine Kolonne von Stanleyville
nach Paulis. Während viele Söldner ihren Vertrag verlängerten,
verließ Müller danach aus unbekannten Gründen den Kongo.
Ende 1965 übernahm Mobutu erfolgreich die Macht im Kongo und konnte
die Rebellion endgültig niederschlagen. Die Söldner mussten nach
und nach das Land verlassen.
Der lachende Mann
Nicht nur aus dem STERN erfuhr man in Deutschland von Müllers
Taten. Im Februar 1966 gelang es einem Filmteam aus der DDR, Müller
unerkannt zu interviewen. Angetrunken gab der Söldneroffizier in Uniform
mit Eisernem Kreuz vor der Kamera ausführliche Auskünfte. Müller
beschrieb seinen Einsatz als Kampf gegen den Kommunismus und "für
die Idee des Westens". Diese "Schnapsbeichte" (SPIEGEL) wurde als vermeintlicher
Dokumentarfilm unter dem Titel "Der lachende Mann - Bekenntnisse eines
Mörders" zu einem Politikum. Die DDR entwickelte mit Büchern,
einer Schallplatte mit dem Interview, Filmen und Presseartikeln über
den "Kongo-Müller" eine umfangreiche Propagandaaktion gegen die Bundesrepublik
Deutschland, die u.a. als "Handlanger des US-Imperialismus" bezeichnet
wurde. Im gleichen Jahr verließ Müller die BRD endgültig
nach Südafrika. Trotz zweifelhafter Berühmtheit - "Man kennt
mich von Peking bis Washington" - und einem geplanten Einsatz in Vietnam
ging der "Kongo-Müller" nie wieder in den Einsatz. Siegfried Müller
starb im April 1983 in Boksburg/Südafrika an Magenkrebs.
Literatur
Bunnenberg, Christian, Der "Kongo-Müller": Eine deutsche Söldnerkarriere,
Münster 2007,
ISBN 3-8258-9900-4.
Christian Bunnenberg, M.A., geboren 1979 in Iserlohn, lebt in Münster.