Kriegsreisende

 die Sozialgeschichte der Söldner

Die Freikorps

Kampf ums Baltikum.

Die Gründung der ersten Freikorps in Deutschland ging 1918 von der OHL (Oberste Heeresleitung) aus, die damit die drohende Revolution bekämpfen wollte. Man hatte sich zur Aufstellung von Freiwilligenverbänden entschlossen, da erste Umfragen unter Fronttruppen ergeben hatten, dass diese vor allem nach Hause wollten und auch kaum bereit waren in einem Bürgerkrieg auf aufständische Arbeiter zu schießen. Diese Initiative wurde dann vom Rat der Volksbeauftragten abgesegnet. Auf den ersten Blick mag es merkwürdig erscheinen, dass die provisorische Reichsregierung, die aus jeweils drei Mitgliedern von SPD und USPD bestand, den alten kaiserlichen Generälen ein solches Instrument in die Hand gab. Die Hauptursache lag sicher darin, dass die Ereignisse im revolutionären Russland einen tiefen Eindruck auf die Sozialdemokraten machten. Dort hatten sich die Bolschewisten in der Oktoberrevolution an die Macht geputscht, kurz darauf den blutrünstigen Geheimdienst Ceka gegründet, Anfang 1918 die Volkvertretung, in der sie nur ca. 25% stark waren, aufgelöst und mit der Verfolgung ihrer politischen Gegner begonnen, der dann nicht nur Konterrevolutionäre zum Opfer fielen, sondern ganz besonders Sozialrevolutionäre und Menschewiken.

Freikorps in Berlin Mit Hilfe der Freikorps gelang es der Regierung die kommunistischen Aufstände 1919 und 1920 niederzuschlagen. Die Freikorps bewährten sich dabei zwar hervorragend, erledigten ihre Aufgaben aber mit einer solchen Härte und Brutalität, dass es vielen Sozialdemokraten unheimlich wurde. Völlig zu recht, denn als die umstrittenen Verbänden 1920 aufgelöst werden sollten, inszenierten sie mit dem Kapp-Putsch den ersten Umsturzversuch von rechts. Danach waren ehemalige Freikorpskämpfer an allen rechten Verschwörungen, politischen Morden, Putschversuchen und schließlich dem Aufbau der NSDAP in wichtigen Positionen beteiligt. Aus den Rettern der Republik wurden so ihre Totengräber.

Aber wir wollen uns ja hier nicht mit Soldaten beschäftigen, die für ihre politische Weltanschauung, sozusagen für "höhere Ziel" zu Felde zogen, sondern mit denen, die aus Gewinnstreben oder Abenteuerlust in fremden Kriegen kämpften. Nun zogen aber gerade die Freikorps jede Menge Abenteurer- und Söldnernaturen an. Die selbst gewählte Bezeichnung "Landsknecht" findet man in zahlreichen Autobiographien. Auch der hohe Sold war im von Arbeitslosigkeit geplagten Nachkriegsdeutschland ein nicht zu unterschätzendes Motiv. So gab es besonders in der Anfangszeit viele Freiwillige, die ihr Handgeld nahmen, sich einkleiden ließen und dann sofort wieder verschwanden, ihre Ausrüstung verkauften und das gleiche Spiel bei einem anderen Freikorps wiederholten. Sehr hoch war der Anteil an Kriminellen, die in den Freikorps Schutz vor Strafverfolgung oder einfach eine gute Gelegenheit zum plündern suchten. Den Kern und das Rückgrat bildeten dagegen junge Frontoffiziere mit niedrigem Dienstgrad, die in ihrer Persönlichkeit entscheidend vom Weltkrieg geprägt worden waren. Oft ohne Beruf schafften sie den Sprung ins Zivilleben nicht mehr, und sehnten sich nach Kameradschaft der Frontgemeinschaft, wo sie Anerkennung und Aufstieg erlebt hatten. Der Historiker Hagen Schulze kommt deshalb zu dem Schluss: "Sehr viele Freikorpssoldaten waren Desperados im eigentlichen Sinne des Wortes."

Besonders deutlich wird der Söldnercharakter der Freikorps aber am Beispiel der Kämpfe im Baltikum. Wenn es zwar manchmal behauptet wurde, so musste doch niemand ins Baltikum ziehen, um die Republik zu verteidigen. Dort kämpften sie dann auch im Auftrag Großbritanniens, der lettischen Regierung und letztlich eines russischen Fürsten. Ins Baltikum zog es die Chancenlosen und Gescheiterten, da die baltischen Barone Siedlungsland als Sold versprachen, die Kriminellen, die hofften dort noch viel besser rauben zu können, und diejenigen, die man heute als Adrenalinjunkies bezeichnen würde, die den Nervenkitzel des Krieges vermissten oder die gar zu spät dafür gekommen waren. Natürlich lohnte sich auch die Bezahlung. Zum Grundsold des alten Heeres von 30 Mark, erhielten die Freiwilligen im Reich eine Tagezulage von 5 Mark, im Baltikum dagegen 9 Mark - das war das Zehnfache! Dazu kam die Einkleidung und üppige Verpflegungspauschalen.

Freikorps im Baltikum Im Baltikum war bereits Ende 1918 mit der Aufstellung der "Eiserne Brigade" unter Major Joseph Bischoff begonnen worden. Ihre Hauptaufgabe war es den Rückzug des deutschen Ostheeres zu decken und dazu die Bolschewisten lange genug zurückzuhalten. Die deutschen Truppen waren kriegsmüde und leisteten praktisch keinen Widerstand mehr. Ihnen folgten oft lettische Eliteregimenter der Roten Armee, die im Januar Riga, Mitau und Schaulen eroberten und damit nicht mehr weit von der ostpreußischen Grenze entfernt waren.

Nominell regiert wurde Lettland von einer konservativ-bürgerliche Regierung unter Karlis Ulmanis, die allerdings erst langsam mit der Aufstellung eigener Truppen begonnen hatte. Daneben gab es die einflussreiche Schicht des deutschstämmigen baltischen Adels. Diese Familien hatten seit den Kreuzzügen im Land geherrscht und auch unter den Zaren nichts von ihrer Macht eingebüsst. Die Spannungen zwischen ihnen und der lettischen Bevölkerung reichten also über Jahrhunderte zurück, und sie dachten auch jetzt nicht daran, sich in einem demokratischen Staat einfach von den verachteten Letten regieren zu lassen. Da sie zu den bevorzugten Opfern der Bolschewisten zählten, hatten sie die "Baltische Landeswehr" gebildet, die am Anfang neben der Eisernen Brigade die einzige militärische Formation von einer gewissen Schlagkraft war.

Die Siegermächte wollten zwischen Deutschland und Russland einen Kordon aus unabhängigen aber mit ihnen verbündeten Staaten errichten. Am aktivsten waren hier die Briten, die einige Kriegsschiffe ins Baltikum entsandt hatten und die Regierung Ulmanis kräftig mit Material unterstützten. Das Problem war jedoch, dass die Rote Armee bereits einen Großteil Lettlands erobert hatte. Truppen konnte man keine schicken, da Lloyd George nach dem langen verlustreichen Krieg eine schnelle Demobilisierung versprochen hatte. Deshalb kamen die Briten sehr schnell auf die Idee, deutsche Truppen als eine Art Fremdenlegion auf Zeit zu verwenden. Bereits Ende 1918 wurde dem deutschen Unterhändler im Baltikum, dem Sozialdemokraten August Winning mitgeteilt, dass die Deutschen nun nach der Kapitulation, die Rote Armee wieder aus dem Baltikum vertreiben müssten. Winning schrieb darüber empört: "Soweit ging der Siegerhochmut, dass man uns wie gekaufte Söldner oder Gladiatoren zu kämpfen befahl."

Da diese Aufgabe mit dem Frontheer nicht gelöst werden konnte, blieben nur die Freikorps. Auf Vermittlung der Briten kam es dann kurz darauf zu einem Abkommen zwischen Winning und der Regierung Ulmanis, in dem der Einsatz von Freiwilligen geregelt wurde. Alle Ausländer, die in Freiwilligenformationen mindestens vier Wochen für die Befreiung des lettischen Staates vom Bolschewismus kämpften, sollten auf Wunsch die lettische Staatsbürgerschaft erhalten. Das war das entscheidend, da sie durch die Staatsbürgerschaft das Recht erhielten, Siedlungsland zu erwerben, und dies versprach zwar nicht die lettische Regierung dafür aber der baltische Adel. Der hatte 1/3 seines Besitzes - zum Teil handelte es sich um riesige Latifundien - für diesen Zweck abgegeben. Gleich nach diesem Abkommen, wurde mit den im Reich begonnen. Anscheinend boten gerade diese Landversprechungen für viele entwurzelte Soldaten einen  besonderen Anreiz. Dabei versteht sich von selbst, dass die Werber die Perspektiven für Kolonisten in Lettland in den leuchtendsten Farben schilderten. Jedenfalls wurde die Werbestelle in Berlin bereits im Januar "von Freiwilligen überschwemmt."

Bescheinigung zur Erteilung der lettischen Staatsbürgerschaft und von 100 Morgen Siedlungsland.

Den Aufbau der neuen Armee übernahm Generalmajor von der Goltz. Da die Rote Armee nach ihrem schnellen Vorstoß erschöpft war und ebenfalls erst Ersatz heranführen musste, hatte er etwas Zeit seine Truppen zu ordnen. Neben der Baltischen Landeswehr gab es ein lettisches Bataillon, eine weißrussische Abteilung und die Eiserne Brigade, die verstärkt durch neue Freiwillige optimistisch zur Division aufgewertet wurde. Dazu kamen ständig neue kleinere Freikorps. Zwar wurden sie in größeren Einheiten zusammengefasst, normalerweise scherten sie sich aber wenig um militärische Strukturen. Meistens fühlten sie sich nur an ihrem Führer verpflichtet und operierten weitgehend selbständig. Die enge Bindung zwischen Offizieren und Mannschaften war charakteristisch für die Freikorps. Ein Teilnehmer vergleicht sie mit einem "Clan", in dem nur die gegenseitige Loyalität zählte. Gleichzeitig pflegten viele ein gewisses Räuberimage, ließen sich Haare und Bärte wachsen und grüßten Offiziere nur, wenn sie ihnen genehm waren. Alle Freikorps hatten eigene Symbole und Fahnen. Besonders beliebt waren die Farbe schwarz und der Totenkopf, was später von der SS übernommen werden sollte.

Verstärkt wurde der anarchische Charakter der Freikorps durch die kurze Vertragsdauer von einem Monat. Ständig kamen neue Freiwillige und andere zogen es vor, sich eine andere Truppe zu suchen oder ganz heimzukehren. Einige ließen sogar Frauen und Kinder nachkommen und auf den Panjewagen, die jede Einheit mit sich führte, stapelte sich oft genug die Beute. Raub und Plünderung waren an der Tagesordnung, obwohl einige Einheiten hart dagegen vorgingen; manche Freikorps griffen sogar zur Selbstjustiz und erschossen die Angeklagten nach kurzer interner Beratung. Man kann sich vielleicht vorstellen, dass in einem Krieg, in dem nur sehr selten Gefangene gemacht wurden, die Delikte entsprechend schwerwiegend sein mussten. Der nicht gerade zart besaitete Bischoff schrieb, dass seine Militärgerichte den Achtstundentag verdoppelt hätten und klagte: "Der ganze Schlamm, den der Umsturz in Deutschland aus der Tiefe an die Oberfläche gebracht hatte, wurde nun zu uns herausgeschwemmt." Andere Kommandeure drückten beide Augen zu, da sie der Ansicht waren: "denn es sind häufig wilde, tatenlustige Gesellen, die im Kampfe tadellos zu verwenden sind."

deutsche und russische Freiwillige Ein französischer Beobachter bezeichnete deshalb von der Goltz’ Armee als "eine Armee von Banditen". Viele zogen beim Anblick der Freikorps Parallelen zu den Söldnerhaufen des Dreißigjährigen Krieges, und auch die Soldaten selbst identifizierten sich damit anscheinend nicht ungern. So bezeichnete sich Bischoff zum Entsetzen seiner preußischen Vorgesetzten selbst gerne als Landsknecht. Ein anderer schreibt in seinen Erinnerungen: "Niemand, der im Jahre 1919 an der Windau, an der Aa oder an der Düna den Rock des Soldaten trug, konnte sich dieser geheimnisvollen Macht, die fern, ganz fern aus dem Dreißigjährigen Krieg herüberzuwehen schien, ganz entziehen. Den einen packte es mehr, den anderen weniger, aber Landsknechte, Kameraden, Landsknechte wurden wir alle im guten wie im bösen Sinne."

Diese unausgegorene Mischung aus Abenteuerlust, Kriegertum und Geschichtsromantik war besonders für die radikaleren Freikorpskämpfer bestimmend und zog zudem einen bestimmten Typus an, den man in allen Söldnertruppen nach großen Kriegen findet. Es sind die ganz Jungen, die während des Krieges aufgewachsen sind und dabei mit seinen heroisierenden Geschichten gefüttert wurden, für ihn selbst aber "leider" zu spät kamen. Man begegnet diesen verhinderten Kriegern nach dem Dreißigjährigen Krieg, nach Waterloo, in den 50er Jahren in Indochina oder in Bosnien der 90er - um nur einige Beispiele zu nennen.

Das Lebensgefühl dieser Generation wurde wohl von niemand so gut beschrieben wie von Ernst von Salomon. Er hatte das Kriegsende als sechzehnjähriger Kadett erlebt. Zu Hause hatte er sich einen regelrechten Altar aufgebaut aus Kriegsandenken, Bildern von gefallenen Freunden und Verwandten, bis hin zur durchschossene blutbefleckten Brieftasche seines Bruders. Als er den Einmarsch der Fronttruppen in Berlin beobachtete, wurde dies für ihn zu einer Art Initiationserlebnis ist. Fasziniert von den harten Kriegern ließ sich noch am selben Tag für ein Freikorps anwerben. Von Januar bis März nahm er an den Kämpfen um Berlin teil. Danach aber wurde er zur Schutztruppe der Regierung in Weimar abkommandiert und langweilte sich: "Wir exerzierten und stellten Ehrenkompanien für Regenschirme und weiche Filzhüte." Nachdem er von den Kämpfen im Baltikum gehört hatte. desertierte er am 1. April mit 28 Gesinnungsgenossen an die Front.

Ernst von Salomon wurde später zum vielleicht herausragendsten Vertreter der Freikorpsliteratur. Deshalb lohnt es sich hier zumindest etwas genauer nach seinen Motiven zu forschen. Um den Kampf gegen den Bolschewismus ging es ihm jedenfalls nicht. Mehrmals spricht er mit Achtung von "verwegenen Matrosen" und dem Freiheitskampf des russischen Volkes. Seine ganze Verachtung galt dagegen den demokratischen, westlichen Demokratien. Verbittert stellte er fest: "Wir glaubten den Bürger zu retten, und wir retteten den Bourgeois." Nach konkreten politischen Vorstellungen sucht man vergebens. Statt dessen kreisten seine Ideen um vage Vorstellungen von ekstatischen Gefühlen und Gewalt. "Was wir wollten, wussten wir nicht, und was wir wussten, wollten wir nicht. Krieg und Abenteuer, Aufruhr und Zerstörung und ein unbekannter, quälender, aus allen Winkeln unserer Herzen peitschender Drang!"

Die eigentliche Antriebskraft entdeckt man erst wenn Salomon dazu übergeht, Kampfhandlungen zu beschreiben: "Der ganze Waldrand ist nun eine straffgespannte Schnur berauschter Leiber. Wir feuern, was nur immer aus den Läufen will. Das Feld vor uns wird glattrasiert, es ist, als zucke alle Wirre, alle langgehemmte Wut uns aus den Fingerspitzen und wandelte sich zu Metall und Flamme. Heraus damit, heraus mit Feuer, Eisen, Dampf und Schrei. Es geht erlösend durch den Wald, der Donner unsagbarer Lüste schmeißt das Feld vor uns zu Scherben." Der Text - es gibt noch eine ganze Reihe der selben Art - wird von einer nicht zu übersehende sexuellen Metaphorik dominiert, durch die kämpfen und töten geradezu penetrant mit sexueller Ekstase gleichgesetzt werden. Man sollte diese Perspektive auch nicht für etwas Zeittypisches halten. Denn abgesehen vom expressionistischen Stil, findet man solche Beschreibungen vor allem in modernen Autobiographien von Söldnern. Und so gesehen gehörte Salomon tatsächlich zur Avantgarde. Er hat den "Kick", er hat Adrenalinjunkies beschrieben, lange bevor diese Worte erfunden wurden.

Freikorps auf dem Vormarsch Im März 1919 bestand die Armee aus etwa 14.000 Mann, wovon die Freikorps gut 10.000 stellten. Von der Goltz hielt diese Kräfte für ausreichend und begann die Gegenoffensive. Hierbei bewährten sich die Freikorps hervorragend. Ihre kleinen, selbständig operierenden Einheiten erwiesen sich als optimal für schnelle Vorstöße und den Partisanenkrieg. Dazu kam der hohe Anteil an erfahrenen Offizieren, die zum Teil sogar eigene Sturmkompanien bildeten, und hoch motivierten Kämpfern. Sie durchbrachen die Front, umgingen und zerschlugen die schwerfälligen Verbände der Roten Armee, die sie bis über die Aa zurückdrängten. Die lettische Regierung war begeistert und versprach, schon bald mit den Landzuweisungen zu beginnen, und die Briten forderten eine weitere Offensive zur Befreiung Rigas. Aber die Freikorps benötigten erst einmal eine Ruhepause, um sich neu zu ordnen und die Verluste zu ersetzen.

Allerdings war der schnelle Sieg den Freikorps zu Kopf gestiegen. Es kam nun zunehmend zu Spannungen und Reibereien mit den Letten. Die Konflikte wurden von den Balten weiter angeheizt, da sie sich in der Regierung Ulmanis nicht ausreichend repräsentiert sahen. Schließlich reichte einem Freikorps ein relativ unbedeutender Zwischenfall in Libau, um einfach die gesamte Regierung zu verhaften, der dann aber die Flucht auf ein britisches Kriegsschiff gelang. Anschließend installierten die Balten eine neue ihnen genehme Regierung unter der Leitung des lettischen Pastors Needra. Da alle Freikorps dieses Vorgehen akzeptierten, hatten sie sich das Wohlwollen ihrer eigentlichen Auftraggebers und der Briten verspielt, die nun von Deutschland ihren Abzug forderten und Aufbau und Ausrüstung der lettischen Truppen beschleunigten.

Freikorps stürmen Riga Davon unbeeindruckt begannen die Freikorps am 22. 5. ihren Großangriff auf Riga, das sie an einem Tag eroberten. Damit war die Widerstandskraft der Roten Armee im Baltikum gebrochen. Rasch stießen Freikorps und Baltische Landeswehr weiter nach Norden vor und kontrollierten bald ganz Lettland. Die Rote Armee zog sich so weit zurück, dass schließlich kein Feindkontakt mehr bestand. Das Problem war nun, dass sich die Freikorps durch den schnellen Sieg ihrer Existenzgrundlage beraubt hatten. So stellte ein Offizier erschrocken fest: "Um Gottes Willen, wir haben uns totgesiegt." Als die ersten Freikorps im Norden die Grenze erreichten, wurden sie dort zu ihrer großen Überraschung von estnischen Truppen angegriffen. Animiert von den Briten unterstützten die Esten die abgesetzte Regierung Ulmanis und begannen nun ihrerseits mit dem Vormarsch.

Bei Wenden kam es dann zu heftigen Kämpfen zwischen Freikorps und lettisch-estnischen Truppen, bis die Alliierten einen fragilen Waffenstillstand vermittelten. Sie verstärkten nun den politischen Druck auf die Regierung in Weimar "ihre" Truppen endlich abzuziehen. Doch die Regierung hatte auf die Freikorps nur einen äußerst geringen Einfluss. Außerdem kann man sich nicht ganz des Verdachts erwehren, dass es einigen ganz recht war, nach den blutigen Exzessen bei der Niederschlagung der Unruhen im März in Berlin und im Mai in München einige der problematischsten Einheiten im fernen Baltikum zu wissen. Die "Entsorgung" von Unruhestiftern via Solddienst hat schließlich eine lange Tradition. Da die Verhandlungen nicht weiterführten, versuchten die Freikorps mit der Baltischen Landeswehr im Juni noch einmal ihr Glück mit einem Großangriff auf Wenden und wurden mit schweren Verlusten zurückgeschlagen. Für diese Niederlage gab es viel Ursachen. Erstens klappte die Zusammenarbeit zwischen Balten und Freikorps sehr schlecht. Außerdem warteten die Freikorpsführer nur selten auf Befehle, sondern handelten lieber auf eigene Faust. Das hatte sich zwar im Kleinkrieg bewährt, war aber bei größeren Operationen von Nachteil. Eine Batterie stellte sogar mitten im Gefecht das Feuer ein und meldete ihrem Vorgesetzten: "um 12 Uhr ist unsere Vertragszeit abgelaufen, wir kündigen hiermit und fahren nach Hause." Vor allem aber hatten die Freikorps in ihrer Arroganz die Letten maßlos unterschätzt.

Nach dem Rückzug der Freikorps setzten die Alliierten die Regierung Ulmanis wieder ein, der auch die Baltische Landeswehr unterstellt wurde. Die Freikorps hatten südlich der Düna Stellung bezogen und sollten nun wirklich abtransportiert werden. Die Militaristen waren enttäuscht, da sie angeblich wieder einmal um den verdienten Sieg betrogen worden waren, die potentiellen Siedler forderten ihre Landzuweisungen, und wohl kaum einer sah eine positive Zukunft für sich in Deutschland. Die überwiegende Mehrheit war verbittert und verlor sich zunehmend im Wunschdenken fern der politischen Realitäten. Man verspann sich in Ideen von einem autonomen Militär-Siedler-Staat wie einst bei den Ordensrittern. Als dann tatsächlich mit dem Abtransport begonnen wurde, verweigerte Major Bischoff den Befehl. Das war offene Meuterei. Bischoff erklärte, er wolle die "wohlerworbenen Rechte" der Soldaten durchsetzen, und diese feierten ihn dafür wie einen Helden.

Fürst Awaloff-Bermondt Das war der endgültige Bruch mit der Reichsregierung, und diese reagierte mit der Sperrung des Soldes, des Nachschubs und der Aberkennung der Staatsbürgerschaft. Trotz aller Realitätsferne war zumindest den Freikorpsführern klar, dass sie sich einen neuen politischen Rückhalt suchen mussten. Dabei fiel ihr Blick auf die Weißen Armeen, die in Russland gegen den Bolschewismus kämpften. Im Norden bei Helsinki sammelte gerade General Judenitsch eine Armee für den Angriff auf Petersburg. Der richtige Mann für ein solches Unternehmen erschien dann in der Person des russischen Obersten Fürst Awaloff-Bermondt, der in der Literatur allgemein als "zwielichtige Gestalt" beschrieben wird. Awaloff hatte schon vorher damit begonnen in deutschen Gefangenenlagern Freiwillige für den Kampf gegen den Bolschewismus zu rekrutieren. Dabei wurde er von der Reichsregierung unterstützt, da sie die Gefangenen gerne los werden wollte. Daraus entstand dann die "Russische Freiwillige Westarmee".

Da es seinen Truppen aber noch an der notwendigen Schlagkraft fehlte, nahm Awaloff im Juli Kontakt mit den herrenlosen Freikorps im Baltikum auf. In ihrer verfahrenen Situation nahmen sie seine Vorschläge begeistert auf. Als auch noch General Judenitsch sein Einverständnis erklärte, wurden sofort wieder fantastische Pläne geschmiedet. Man wollte die Bolschewisten schlagen, auf Moskau marschieren, dann gemeinsam Polen niederwerfen und eventuell gleich weiter nach Paris ziehen. Nicht einverstanden waren dagegen die Alliierten, die keine deutsche Präsenz im Baltikum wünschten. Als selbst ernannter Stellvertreter des zaristischen Russlands betrachtete Awaloff Lettland als russische Provinz, die er zu seiner Operationsbasis erklärte. Er ernannte eine neue Regierung und ließ Geld für den Sold drucken, als dessen Sicherheit einfach der ehemalige russische Staatsbesitz in Lettland und das Heeresmaterial dienten. Auch die Freikorpskämpfer bekamen wieder einen Vertrag, in dem ihr Siedlungsrecht bestätigt wurde. Dazu erhielten sie russische Staatsbürgerschaft, russische Abzeichen und Fahnen. Insgesamt wurde die Russische Freiwillige Westarmee auf etwa 52.000 Mann geschätzt, darunter 40.000 Deutsche.

Für den großen Feldzug gegen Moskau fehlte aber zuerst noch die Kontrolle der Provinzhauptstadt. Und so begann ein neuer Angriff auf Riga. Doch diese Mal stießen die Freikorps auf den erbitterten Widerstand der Letten, die gut mit englischem Material versorgt wurden und Verstärkungen aus Estland erhielten. Während der harten Kämpfe an der Düna machte sich bei den Freikorps der fehlende Nachschub langsam bemerkbar. Vor allem mangelte es an Winterkleidung, da es im Oktober bereits empfindlich kalt wurde. Am 15.10. hissten die britischen Kriegschiffe dann plötzlich die lettische Fahne und eröffneten das Feuer auf Dünamünde, wo kurz darauf lettische Truppen landeten. Da das dort liegende russische Regiment dem Feuer nicht lange standhielt, musste der Angriff auf Riga aufgegeben werden.

Damit war das Baltikumabenteuer der Freikorps endgültig gescheitert. Sie leisteten der lettischen Gegenoffensive zwar noch einige Zeit Widerstand und unternahmen verbitterte Gegenangriffe, mussten sich aber dennoch immer weiter zurückziehen. Schließlich vermittelten die Alliierten wieder einen Waffenstillstand und sicherten so den Rückmarsch der Freikorps nach Ostpreußen, wo Mitte Dezember die letzten Einheiten die Grenze überschritten. Zu Hause wurden sie gnädig aufgenommen; auf Strafverfolgung oder gar Aberkennung der Staatsbürgerschaft wurde von den Behörden verzichtet. Genützt hat es nichts. Die meisten Baltikumer beteiligten sich bald darauf am Kapp-Putsch und arbeiteten auch danach fleißig am Untergang der Republik. Ernst von Salomon fand eine neue Heimat im rechten Terrorismus und beteiligte sich 1922 an der Ermordung des Außenministers Walther Rathenau.

© Frank Westenfelder  


 
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