Pernambuco
Die Sehnsucht nach der großen weiten Welt.
Von Kokosnüssen, die man mit Musketen von den Bäumen schießen
mußte und deren Saft wie Mandelmilch schmeckte, Zucker, der wie Salpeter
gekocht wurde, Wunderbäumen, abscheulichen Krokodilen, großen
Schlangen und haarigen Spinnen, Eidechsen, die wie Fliegen an den Wänden
liefen, Affen, Meerkatzen, Tigern, Papageien, Schwert- und Walfischen wolle
er erzählen, begann Johann Gregor Aldenburgk seinen Bericht über
die Eroberung Bahias (Salvador) im fernen Brasilien.
Sicher waren es überwiegend soziale Probleme, die für den
steten Nachschub an Söldnern sorgten. Der Not gehorchend "kapitulierten"
sie, wie man das Unterzeichnen eines Soldvertrages treffend bezeichnete.
Dennoch sollte man nicht übersehen, dass die Sehnsucht ferne Länder
zu sehen und wunderbare Abenteuer zu erleben auch oft eine starke Motivation
bildeten. Nachdem die Welt durch die Kolonisation und den Fernhandel immer
mehr erschlossen wurde, waren die Menschen geradezu verrückt nach
Reiseberichten. Fremde Länder, Sitten und Gebräuche der wilden
und der zivilisierten Völker, exotische Tiere und Pflanzen faszinierten
die Leser und erfüllten sie mit wohligem Schauern. Bei den Fürsten
kamen Wunderkammern und Raritätenkabinette in Mode, in denen seltene
Tiere, Mineralien, Pflanzen, Waffen, Kleidung, Schmuck, Felle, Früchte
und Knochen gesammelt wurden. Pilgerfahrten ins heilige Land waren sattsam
bekannt; jetzt wollte man von Indien, der Karibik, Afrika und China lesen.
Wundervolle Namen wie Pernambuco, Surabaya, Amboina oder Koromandelküste
zogen die Menschen in ihren Bann. Die meisten träumten nur davon,
aber einige machten sich auf den Weg. Der einfachste Weg führte über
Amsterdam, wo die WIC (West-Indische Compagnie) ständig Söldner
für ihren verlustreichen Krieg um ihre Kolonie Pernambuco in Nordbrasilien
warb.
Die Anziehungskraft dieser fernen Länder muss beträchtlich
gewesen sein, wenn man bedenkt, dass die WIC die meisten Söldner
zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges benötigte, als für
diese in Mitteleuropa praktisch Vollbeschäftigung herrschte. Vor allem
unter den Deutschen, die sich von der WIC anwerben ließen, findet
man deshalb einige, die unter normalen Umständen wahrscheinlich nie
Soldat geworden wären. Es gab Studenten und süddeutsche Patriziersöhne,
für die der Dienst in Westindien so ziemlich die einzige Möglichkeit
war nun auch etwas von der großen neu entdeckten Welt zu sehen. Manchmal
scheint der Kolonialdienst aber schon damals dazu benutzt worden zu sein,
sich Problemfälle vom Hals zu schaffen. Man schickte sie, wie das
Sprichwort sagt, "dahin, wo der Pfeffer wächst." Aber ganz anders
als in Südostasien führten die Niederländer in Nordbrasilien
einen blutigen und äußerst grausamen Krieg. Für die Betrachtung
exotischen Tropenlandschaften blieb dabei wenig Muße, und die jugendlichen
Abenteurer konnten froh sein, wenn sie mit heiler Haut davon kamen.
Der aus Coburg stammende Johann Gregor Aldenburgk studierte in Jena,
als er 1623 von den Werbungen der WIC hörte. Da er schon seit seiner
Jugend davon geträumt hatte, zu reisen und fremde Länder zu sehen,
machte er sich sofort auf den Weg nach Amsterdam und ließ sich für
die erste Expedition, die zur Eroberung von Bahia ausgerüstet wurde,
anwerben. Zumindest der Anfang der Reise entsprach noch seinen Erwartungen.
Er sah auf der Überfahrt fliegende Fische, Haie, Wale und die Kapverdischen
Inseln. Auch Bahia konnte nach kurzer Beschießung leicht eingenommen
werden. Doch nachdem die Söldner ihren Sieg mit erbeutetem Zuckerrohrschnaps
anständig begossen hatten, begannen die harten Befestigungsarbeiten.
Bei glühender Hitze mußten Schanzen, Hornwerke und Ravelins
aufgeworfen werden. In der Regenzeit stürzten Wassermassen vom Himmel
und schwemmten die Erdwerke hinweg. Die Söldner wühlten in Schlamm
und Dreck; Ruhr und Fieber breiteten sich aus.
Doch das war nicht das Schlimmste. Die Portugiesen hatten sich im Dschungel
vor der Stadt festgesetzt und begannen einen grausamen Kleinkrieg gegen
die Besatzung. Verstärkung erhielten die Holländer von schwarzen
Sklaven, die zu ihnen überliefen. Sie wurden mit alten Schwertern,
Spießen und Pfeil und Bogen bewaffnet, und dienten als Kundschafter
und Hilfstruppen. Die Söldner mussten jedoch bald feststellen, dass
hier, anders als in der Heimat, kein "Quartier" gegeben wurde, also keine
Gefangenen gemacht wurden. Selbst die Toten wurden verstümmelt. Am
schlimmsten traf es die Sklaven, die zu den Holländern übergegangen
waren. Einige wurden, nachdem ihnen die Portugiesen die Hände abgehackt hatten,
zur Abschreckung in die Stadt zurückgeschickt. Die Söldner begannen
daraufhin ebenfalls ihre Gefangenen zu erschießen oder übergaben
sie den Sklaven, die sie mit ihren Buschmessern in Stücke hackten.
Bald begann der Hunger in der Stadt. Pferde, Hunde, Katzen und Leguane
wurden gegessen. Nur die Sklaven schlichen sich noch durch die feindlichen
Linien und versorgten die Belagerten mit Obst und erbeuteten Vorräten.
Da die WIC die Kolonie weitgehend sich selbst überließ, kapitulierte
die Garnison bereits ein gutes Jahr später gegen freien Abzug. Die
Portugiesen hätten die verhassten Söldner zwar am liebsten niedergehauen,
aber die spanischen Truppen, die ja auch in Europa Krieg führen mussten,
sorgten für einen sicheren Rücktransport über England.
In Amsterdam wurde dann eine armselige Schar kranker, verkrüppelter
und abgerissener Gestalten abgedankt. Auch Aldenburgks Tropenträume
hatten so ein schnelles Ende gefunden. Immerhin war er gesund nach Hause
gekommen.
Wesentlich ausgiebigere Kriegserfahrungen sollte der Straßburger
Ambrosius Richshoffer machen. Er kam mit der großen Flotte, die 1629
zur Eroberung von Recife geschickt wurde. Richshoffer stammte aus einer
wohlhabenden und angesehenen Patrizierfamilie, und seine Eltern hatten
andere Pläne für ihn und ihn deshalb zu einem Nürnberger
Kaufmann in die Lehre gegeben. Doch der Lehrling schwärmte von seinem
Großvater der in venezianische Diensten an der Seeschlacht von Lepanto
und an Karl V. Kriegszug nach Tunis teilgenommen hatte, wo er "an Türckischen
Ducaten vnd schönen Antiquiteten gute Beuten gemacht vnd herauß
gebracht". Wahrscheinlich bewahrte man in dem Straßburger Patrizierhaus
einige türkische Teppiche und Waffen, die man stolz Besuchern zeigte.
Das war eher ein Stoff zum Träumen, als die trockene Kaufmannslehre.
Als die WIC wieder Söldner anwarb, büchste der gerade Siebzehnjährige
deshalb während einer Messe in Frankfurt aus, um endlich etwas von
der großen Welt zu sehen.
Trotz der spanischen Garnisonen am Rhein erreichte er mit zwei ebenfalls
abenteuerlustigen Reisegefährten glücklich Amsterdam, wo sie
ihr Handgeld erhielten und kurz darauf vereidigt wurden. Richshoffer durfte
bei der Parade durch die Stadt stolz das Fähnlein seiner Kompanie
tragen. Allerdings nicht aufgrund seiner Verdienste, sondern weil er als
Sohn aus guter Familie mit einem versilberten Degen und bunten Federn auf
dem Hut am besten gekleidet war. Im Mai 1629 fuhr die Flotte von Texel
ab. An Bord bildeten immer acht Mann eine sogenannte "Back", d.h. sie erhielten
zusammen in einer Schüssel einmal täglich eine warme Malzeit,
die aber wie Richshoffer schreibt "zween Mann mit gutem appetit hätten
aufessen können". An zwei Tagen gab es Fleisch mit Bohnen, an einem
Speck, sonst Gerstengrütze oder Erbsen, manchmal Stockfisch. Zusätzlich
erhielt jeder wöchentlich viereinhalb Pfund Zwieback, ein halbes Pfund
Butter, etwas Essig und für die ganze Reise drei große holländische
Käse.
Wie Aldenburgk war auch Richshoffer von den Eindrücken der Reise
fasziniert. Er berichtet von Schildkröten, Walen und fliegenden Fischen.
Doch gleichzeitig berichtet er auch vom Sterben an Bord. Das Essen war
zu salzig und der Zwieback voller Käfer und Würmer. Bald forderte
der Skorbut seine ersten Opfer und während eines längeren Aufenthalts
auf den Kapverden brach die Ruhr aus. Das Problem war, dass es die Flotte
gar nicht eilig zu haben schien nach Brasilien zu kommen, sondern längere
Zeit versuchte im Atlantik spanische Schiffe zu kapern, um damit die Kriegskasse
aufzubessern. Als sie endlich vor Recife ankam, waren allein auf Richshoffers
Schiff 23 Mann gestorben und ein Vielfaches davon krank.
Aber jetzt blieb Richshoffer keine Zeit mehr für eine Betrachtung
des idyllisch zwischen Palmen auf einem Hügel liegenden Olindas oder
des endlosen Sandstrandes. Statt dessen beobachtete er, wie auf den Schiffen
"Ketten- Brandtkugeln, Creütz, Feuerballen, Granaten vnd Bechkräntze"
fertig gemacht wurden. Die Musketiere mußten ihre Bandeliere mit
Pulver, Lunten und Blei füllen, dann wateten sie in ihren Stulpenstiefeln
und Federhüten an den Strand. Nach einem kurzen aber verlustreichen
Kampf stürmten sie Olinda und dann den kleinen Hafen Recife. Die Beute
war mager, denn die Spanier hatten fast alles in Sicherheit gebracht und
die Lagerhäuser in Brand gesteckt. Lediglich die, die zuerst das Jesuitenkloster
gestürmt hatten, fanden etwas Geld, das sie in den nächsten Tagen
jedoch gleich wieder verspielten. Die meisten mussten sich mit Wein begnügen,
woraufhin viele in den Häusern und den auf den Straßen" wie
das vnvernünfftig Vieh ligen blieben". Richshoffer und seine Kameraden
erhielten ein gutes Quartier, wo sie sich von zwei schwarzen Sklaven aus
Wein, Zucker und tropischen Früchten erfrischende Getränke bereiteten
ließen.
Danach schienen sich die Ereignisse von Bahia zu wiederholen. Die Holländer
befestigten Olinda und Recife, während sich die Portugiesen in der
Nähe festsetzten und versuchten in einem Guerillakrieg die Garnison
vom Hinterland abzuschneiden. Immer neue Schanzen wurden aufgeworfen, die
Söldner kämpften um einzelne Vorposten und lieferten sich mit
dem Feind kleine Scharmützel. Wieder setzten die Portugiesen verbündete
Indianer ein und die Holländer bewaffneten entlaufene Sklaven mit
Spießen und Hackmessern. Es war ein Kampf ohne Gnade, "Quartier"
wurde von keiner Seite gewährt, Gefangene wurden meitens gnadenlos
hingerichtet oder verstümmelt.
In diesem schmutzigen Krieg endeten Richshoffers Tropenträume.
Er berichtet nichts von der exotischen Landschaft oder von fremden Tieren,
sondern vom Hunger, dem Tod seiner Kameraden und den alltäglichen
Kriegsgräueln. Auf einer Patrouille sah er 30 tote Söldner, die
in einer Reihe lagen; viele waren ohne Kopf, anderen hatte man die Geschlechtsteile
abgeschnitten und in Mund gesteckt. Aber er und seine Kameraden machten
sich diese Methoden schnell zu eigen. Als ein Trupp Portugiesen in einen
Hinterhalt geriet und gnadenlos niedergemacht wurde, steckten die Söldner
abgeschnittene Nasen und Ohren auf ihre Degen. Richshoffers Offizier verehrte
dem Regimentskommandeur eine "halbe Kling voller Nasen vnd Ohren". Auch
eine der besonders abstoßenden Landsknechtssitten war noch nicht
aus der Mode gekommen. Einem toten, besonders starken Brasilianer schnitten
die Söldner Streifen aus der Haut, um an den zauberkräftigen
Schmeer zu kommen.
Mit ihrer überlegenen Flotte setzten die Holländer Truppen
hinter den feindlichen Linien an Land. Diese unternahmen ausgedehnte Verwüstungszüge,
überfielen feindliche Stützpunkte, verbrannten Plantagen und
Zuckermühlen. Der junge Straßburger entwickelte sich dabei schnell
zu einem Spezialisten des Dschungelkriegs. Er berichtet wie sich die Söldner
von Gefangenen durch die Wildnis führen ließen. Sie lutschten
Zuckerrohr gegen den Hunger und schätzten sich überglücklich,
wenn sie etwas Wein oder Vieh erbeuten konnten. Richshoffers stolzeste
Beute war eine blutbesudelte, mit Seide und Spitzen verzierte Hose, die
er nach einem Scharmützel einem toten Portugiesen ausgezogen hatte.
Er behauptete zwar, daß ihm davor "dennoch nicht gekrauset" hätte,
aber man nimmt es ihm nicht richtig ab.
Die jungen Söldner verrohten schnell unter diesen Verhältnissen.
Man prahlte mit seinen schrecklichen Erlebnissen und damit, daß einen
wirklich nichts mehr erschüttern konnte. Richshoffer überliefert
eine dieser Geschichten, mit denen sich die Söldner die Zeit vertrieben
und ihre Abgebrühtheit demonstrierten. Zwei seiner Kameraden bereiteten
sich unter schwerem Beschuß in ihrer Hütte eine sogenannte kalte
Schale aus Wein und Brot. Noch während sie darüber stritten,
wer mehr Brot hineingetan hätte, sauste eine Kanonenkugel durch die
Hütte und riß dem einen den Kopf ab. Als der Kopf in die Schüssel
fiel, sagte der andere trocken: "jetzo magstu die kalte Schaal allein außessen".
Richshoffer wurde ein Veteran. Er lernte die kargen Rationen mit Zuckerrohr
oder Ratten anzureichern, überstand mehrere Verwundungen, wußte
wie man Hinterhalte legte oder versteckte Siedlungen ausfindig machte,
und vor allem hatte er sich an das mörderische Klima und die damit
verbundenen Krankheiten gewöhnt. Über die frischen Rekruten,
die manchmal noch schneller starben als sie von der WIC geliefert werden
konnten, bemerkte er lapidar: "als biß anhero vnter den new ankommenen
Völckern geschehen, davon der meiste theyl weggestorben, die solchen
heissen Landes vnd schlechten halbgesaltzenen Wassers gar nicht haben gewohnen
können".
Veteranen waren in erster Linie Überlebenskünstler und deshalb
für die WIC ganz besonders wertvoll. Als nach drei Jahren die Dienstzeit
der zuerst angeworbenen Söldner zu Ende war, versuchte man sie mit
doppeltem Sold und der Aussicht auf Beförderungen zum Bleiben zu überreden.
Richshoffer, der inzwischen auf Empfehlung eines Straßburger Offiziers
zum "Adelsburst" (Gefreiten) ernannt worden war, wurde die nächste
freiwerdende Fähnrichsstelle in Aussicht gestellt. Aber weder bei
ihm noch bei den meisten seiner Kameraden zeigten die Anreize besondere
Wirkung. Alle schienen heilfroh endlich nach Hause zu können. Der
süße Traum von den Tropen war im Dschungel Pernambucos schnell
im Blut ersoffen. Ein wenig lebte er noch einmal kurz auf, als auf der
Rückfahrt die karibischen Inseln angelaufen wurden, um Wasser und
Obst an Bord zu nehmen. Obwohl unterwegs keine Gelegenheit zum Seeraub
ausgelassen wurde und ein Schiff im Sturm verloren ging, war der Krieg
für die Entlassenen vorbei und Richshoffer dankte Gott, als er trotz
der vielen Gefahren gesund und mit allen Gliedmaßen in Amsterdam
angekommen war.
Dort bemerkte er eine großen Menge Frauen, von denen viele vergeblich
auf ihre Männer und Brüder warteten. Man spürt hier deutlich
seine Erleichterung, selbst davon gekommen zu sein. Die Überlebenden
feierten ihr Glück mit Branntwein und veranstalteten bei der Waffenabgabe
ein riesiges Freudenfeuerwerk, "weilen wir gleichsam nicht nur auß
dem Fegfeuer, sondern also zu reden, wohl gar auß der Höllen
in den Himmel kommen seind". Doch mit der Ankunft in Amsterdam waren die
entlassenen Söldner noch längst nicht in Sicherheit. Ein großes
Problem war der Rückweg, da marodierende Söldner und Bauernbanden
im Reich die Straßen unsicher machten. Auch Aldenburgk hatte ihnen
mehrmals ausweichen müssen und war von verzweifelten Bauern beinahe
gelyncht worden. Richshoffer schickte deshalb den Großteil seines
Soldes in Form von Wechseln nach Straßburg und fuhr mit Rheinschiffern
nach Süden. Bei einem Streit mit französischen Söldnern,
die in Köln Schutzgelder von den Reisenden eintreiben wollten, wurde
er nochmals verwundet. Aber schließlich war es das Leben, das er
kannte. Zwei Reitern, die ihn zuerst anwerben und dann ausplündern
wollten, erklärte er: "daß kein Winter so gar kalt, worinn die
Wölffe einander selber auffressen". Anscheinend erkannten sie den
Gleichgesinnten in ihm, denn sie ließen ihn ziehen.
Für Aldenburgk und Richshoffer war jugendliche Abenteuerlust sicher
das entscheidende Motiv, sich von der WIC anwerben zu lassen. Mit viel
Glück hatten sie die Gefahren des Krieges, das Fieber und die zahlreichen
anderen Krankheiten überlebt. Dass das Abenteuer auch anders ausgehen
konnte zeigt das Beispiel des Nürnberger Patriziersohnes Stephan Karl
Behaim, der vier Jahre nach Richshoffer nach Recife kam. Er hatte nicht
so viel Glück und sein Schicksal konnte von einem Historiker nur noch
mit Hilfe von Briefen rekonstruiert werden. Dadurch entsteht jedoch ein
wesentlich genaueres Bild der Lebensumstände dieser im Dreißigjährigen
Krieg aufgewachsenen Kinder aus gutem Hause und der Gründe, warum
sie manchmal in ferne Länder zogen und von dem elenden Schicksal,
das sie dort erwartete.
Behaim stammte aus einer reichen Nürnberger Patrizierfamilie. Da
sein Vater früh gestorben war, stand er unter der Vormundschaft
seines älteren Bruders. 1625 wurde er zum Studium nach Altdorf geschickt.
Obwohl gerade dreizehn Jahre alt, führte er bald ein wüstes Lotterleben
auf Festen und in Kneipen. Während er ständig mehr Geld forderte,
häuften sich die Klagen der Universität. Der Bruder mahnte und
nur die Mutter steckte ihm heimlich etwas zu. Doch alles nützte wenig.
Um seine Zechgelage bezahlen zu können, machte Behaim Schulden und
verkaufte heimlich seine wertvollen Bücher. Als er dann auch noch
durch seine Prüfungen fiel, nahm ihn der Bruder von der Universität
und gab ihn als "Aufwarter" in den Dienst eines adligen Hofmannes. Bei
einem Freund beklagte sich Behaim bitter über sein Schicksal. Sein
Leben erschien ihm kleinkariert und langweilig; er wollte ferne Länder
sehen und berühmt werden. Wenn er erst einmal in Indien oder Amerika
gewesen sei, könne sich zu Hause in Nürnberg keiner mehr mit
ihm messen. Von seinem Bruder verlangte er, in Tours studieren zu dürfen;
doch der dachte nicht daran. Nach einem Fluchtversuch brachte man den Tunichtgut
dann bei einem Advokaten am Reichskammergericht in Speyer unter. Der einzige
Lichtblick in dieser Zeit war für ihn eine Hochzeit am kurfürstlichen
Hof in Dresden. Jeder bekam soviel Bier und Wein, wie er trinken konnte
und fünf Gänge zu essen. "Und hat jedermann gnug gehabt", schreibt
Behaim begeistert.
Seine Sehnsucht nach Ruhm und Anerkennung schien wahr zu werden, als
Gustav Adolf siegreich durch Deutschland zog. Vom Bruder ausgerüstet
trat er 1632 in ein Nürnberger Regiment der schwedischen Armee ein.
Dort diente er zwar als einfacher Söldner, aber als Sohn aus guter
Familie benötigte er Pferd, Diener, gute Kleidung, standesgemäße
Unterkunft und bessere Verpflegung als er es sich mit seinem Sold leisten
konnte. Doch anstatt Beute und Lorbeeren zu sammeln, wurde er selbst von
feindlichen Reitern ausgeplündert, und die Familie musste eine neue
Ausrüstung bezahlen. Eine Menge Geld kostete auch sein Aufenthalt
in Stuttgart, wo er eine Verletzung auskurierte. Der Bruder hatte seine
Bettelbriefe nun endgültig satt. Auch in den Nürnberger Patrizierfamilien
begann das Geld knapp zu werden. Krieg und Kontributionen ruinierten das
Geschäft. Um sich das Problem möglichst sicher vom Hals zu schaffen,
nahm der Bruder über Geschäftspartner in Amsterdam Kontakt zur
WIC auf. Dort warb man immer noch Söldner für Pernambuco. Schwierig
war nur der Weg nach Amsterdam. Aber mit Geld und Beziehungen ließen
sich auch die notwendigen Pässe besorgen.
Als aber Behaim mit einem großzügigen Zehrgroschen versehen
dort ankam, stürzte er sich gleich in das wilde Leben der Hafenstadt.
In den Kaschemmen lebte er in Saus und Braus und machte wieder großzügig
Schulden. Zu guter letzt entging er nur der Verhaftung, weil sein Bruder
200 Taler überwies. Aber jetzt musste er sich endgültig anwerben
lassen. Er wurde Gefreiter bei den Musketieren mit einem Monatssold von
vier Talern. Damit konnte er seinen gewohnten Lebensstil natürlich
nicht finanzieren, aber einem Behaim gewährte man in Amsterdam gerne
Kredit. Während sein Schiff wegen widriger Winde einige Wochen im
Hafen festlag, ließ er sich neue Kleider machen und feierte mit den
Kameraden an Bord die Ausfahrt. Die Hafenwirte schleppten fette Braten
aufs Schiff und dazu einen "Keller" nach dem anderen. Als "Keller" bezeichneten
Söldner und Matrosen eine Ladung aus sechs großen und drei kleinen
Flaschen Branntwein. Diese wochenlangen Gelage waren nicht billig und noch
einmal musste der Bruder 200 Taler berappen damit das Sorgenkind nicht
doch noch im Schuldgefängnis die Abfahrt verpasste. Doch danach war
endgültig Schluss; die Schiffe legten ab und Behaim fuhr nach Brasilien.
Trotz schwerer Verluste hatten die Holländer in Brasilien Fortschritte
gemacht. Das ehemalige Fischerdorf Recife war zum befestigten Zentrum der
Kolonie geworden, und die Obristen Sigismund von Schkopp und Christoph
Artischofsky hatten mit der Eroberung des Hinterlandes begonnen. Unter
dem Nachschub, der dazu benötigt wurde, war 1636 auch Behaim. Er kam
als Infanterist in das Regiment von Oberst Artischofsky. Gleich nach seiner
Ankunft erlebte er einige Gefechte mit den Spaniern und dann den Vormarsch
nach Süden. Die Truppen litten furchtbar unter dem mörderischen
Klima, den Märschen und der kargen Verpflegung, und Behaims großtuerische
Briefe wurden bald ziemlich kleinlaut. Seine größte Angst war,
krank zu werden. Wahrscheinlich ließ sich das elende Schicksal der
Siechen und Invaliden in Recife nicht übersehen. Er überstand
heil seinen ersten Feldzug, musste aber bereits während des nächsten
krank in Recife zurückbleiben. Zum Glück konnte er sich von dem
Nürnberger Söldner Christoph Ayrschedel Geld leihen und sich
damit bessere Verpflegung kaufen. Er bat seinen Bruder in einem Brief,
diese Schulden den Verwandten Ayrschedels zurückzuzahlen. Danach hörte
die Familie nichts mehr von ihm.
Erst durch Nachfragen in Amsterdam erhielten sie einen Brief von Kaspar
Stör aus Glückstadt, der den Dienst bei der WIC heil überstanden
hatte. Er hatte Behaim gut gekannt und schrieb, dass dieser zum Schluss
nur noch als einziges Kleidungsstück einen schäbigen Rock besessen
habe und eine seiner Zehen vereitert und halb abgefault gewesen sei. Er
hätte ihn nicht in ein Lazarett bringen können, da diese durch
"Elend und Stank" so verkommen seien, dass dort selbst Gesunde erkranken
und sterben würden. Nachdem Stör zu einer neuen Expedition aufgebrochen
war, starb Behaim am "roten Blutgang", an Blutvergiftung. Stör schrieb
empört über die Ausbeutung und die Zustände in Pernambuco:
"Aber der Teufel wird die Schinders, die Zuckerkrämers, noch wohl
reiten, daß sie so manch ehrlich Mannskind in Grund lassen verderben".
Stephan Karl Behaims Schicksal war in seiner Banalität sicher in
vielem typischer als das von Aldenburgk oder Richshoffer, die mehr Glück
hatten und über eine bessere Gesundheit verfügten. Er verreckte
elend am Straßenrand oder in einer Strohhütte, halb
nackt, zu apathisch und zu schwach um sich zu waschen, an einer läppischen
Wunde, die er sich wahrscheinlich auf dem Marsch zugezogen hatte. Nach
seinem Tod überwies die WIC seinen restlichen Sold abzüglich
der Kosten für Kleidung und Verpflegung nach Nürnberg; es waren
28 Fl und 10 Kreuzer.