Kriegsreisende

 die Sozialgeschichte der Söldner

Sumru der Finstere

Ein Abenteurer aus dem Elsass als Fürst in Indien.

Nach dem Tod des letzten bedeutenden Großmoguls Aurangzeb 1707 war das indische Mogulreich rasch in viele Teilfürstentümer zerfallen, die sich zum Teil erbittert bekämpften. Dies bot nun den Kolonialmächten endlich die langersehnte Gelegenheit ihren Besitz auszuweiten. Dabei boten sie den einzelnen Fürsten Unterstützung bei ihren Thron- und Grenzstreitigkeiten an. Da die Konkurrenz unter den Kolonialmächten in der Regel die Gegenseite unterstützte, führten die indischen Fürsten oft Stellvertreterkriege für England und Frankreich, und diese ließen sich ihre Unterstützung mit immer neuen Landstrichen und Handelsprivilegien bezahlen. Aufgrund ihrer stärkeren Flotte und des besseren Nachschubs bekamen die Engländer nach und nach die Überhand. Schließlich kam es noch vor Ausbruch des Siebenjährigen Krieges zum Konflikt um das reiche Bengalen.

Die Engländer hatten in den Mangrovesümpfen des Gangesdeltas die Handelsniederlassung Kalkutta gegründet. Da der Nabob von Bengalen misstrauisch ihren Machtzuwachs beobachtete, protegierte er eine französische Niederlassung im nahe gelegenen Chandernagore. Als die Forderungen der Engländer immer dreister wurden, belagerte der Nabob Kalkutta und eroberte schließlich das Fort. Die Gefangenen, unter ihnen auch Frauen und Kinder, wurden alle in ein enges Verlies gepfercht, wo die meisten an Wassermangel und Hitze während der ersten Nacht starben. Ganz England schrie nach Rache für das "schwarze Loch von Kalkutta" und schickte Robert Clive als Gouverneur mit frischen Truppen nach Bengalen. Clive wandte sich aber nicht gleich gegen den Nabob sondern gegen dessen potentiellen französischen Bundesgenossen in Chandernagore. Nach zwölftägigem Beschuß mußte sich die Franzosen der Übermacht ergeben. Danach begann der Krieg gegen den Nabob von Bengalen und am 23.6.1757 kam es zur Schlacht bei Plassey.

Der Triumph von Plassey Plassey ist nicht eine der entscheidendsten Schlachten der Weltgeschichte und eine englische Legende, in ihr manifestierte sich endgültig die Überlegenheit der europäischen Kriegstechnik über die indischen Massenheere. Clives 3.000 europäischen und indischen Söldnern standen 50.000 Mann Infanterie, 18.000 Mann Kavallerie, Kriegselefanten, 50 schwere Geschütze und Feldartillerie unter französischer Leitung gegenüber. Trotzdem war in einer Stunde alles vorüber, die Armee des Nabobs zerstreut und Clive der Herr von Bengalen. Ihr triumphaler Sieg hatte die Engländer lediglich zwei Dutzend Tote, darunter sieben Europäer gekostet. Vieles war zusammengekommen. Durch einen kurzen Regen war das Pulver der Inder nass geworden und große Kontingente hatten den Kampf völlig verweigert. Eigentlich hatten nur die Franzosen an den Geschützen wirklich gekämpft. Der Rest der Riesenarmee floh vor dem Salven- und Geschützfeuer der Engländer.

Die Artillerie der indischen Armeen besaß oft noch den Standard des 16. Jahrhunderts. Ihre Geschütze waren wie bei den Türken meist riesig und benötigten bis zu 200 Zugochsen beim Transport. Einmal aufgestellt waren sie in der Schlacht nicht mehr beweglich; zudem war ihre Feuergeschwindigkeit lächerlich. Ganz anders die Feldartillerie der europäischen Armeen. Sie waren die "Maschinengewehre" jedes Regiments. In den Händen von erfahrenen Kanonieren lag ihre Feuergeschwindigkeit noch über der von Musketen. Im Nahkampf konnten sie mit gehacktem Blei und Schrapnellen undiszipliniert angreifende Truppenmassen innerhalb von Minuten massakrieren. Ähnlich verhielt es sich bei den anderen Truppenteilen. Den Indern mangelte es nicht an Mut; die Kavallerie ritt bravouröse Attacken und die fanatischen Ghosais und Bairagis, wandernde Bettler, die Shiva den Gott der Zerstörung verehrten, warfen sich in Selbstmordeinsätzen fast nackt, mit Asche beschmiert und wildem Haar heulend auf den Feind. Doch die mit Äxten, Bogen, Speeren, Schwertern und Flinten bewaffneten Völker wälzten sich in ungeordneten Massen gegen den Feind, und oft genügten einige wenige Salven damit in den ersten Gliedern Panik ausbrach, die dann auf das gesamte Heer übergriff. Diese wilden Haufen waren gegen europäische Linieninfanterie und die nach ihrem Muster ausgebildeten indischen Sepoys ohne Chance.

Mit Plassey hatte jeder indische Fürst diese Unterschiede begriffen. Es begann die große Zeit der "Free Lances", der europäischen Abenteurer, die jedem ihr Können zur Verfügung stellten, wenn nur genug bezahlt wurde. Fremde Söldner hatten seit den Moguleroberern in Indien eine große Rolle gespielt. Seit dem 17. Jahrhundert kamen die Deserteure und Renegaten der Kolonialmächte hinzu. Als Geschützgießer und Kanoniere fand man sie am Hof des Großmoguls und bei vielen anderen Fürsten. Doch nach Plassey wollten die Fürsten keine einzelnen Artillerieexperten mehr, sondern ganze nach europäischem Muster ausgebildete Infanterieeinheiten. Die Engländer hatten vorgemacht, dass man mit europäischen Drillmeistern aus Indern hervorragende Linieninfanteristen machen konnte. Die von Europäern ausgebildeten und geführten Inder - die Sepoys - , stellten die Hauptmacht der siegreichen britischen Streitkräfte. Der erste, der anfing nun auch die indischen Fürsten mit Sepoys zu versorgen, war Walter Reinhardt. Obwohl man in Europa so gut wie nichts von ihm wusste, wurde er in Indien von den Engländern mit Hass verfolgt und von Maharadschas und Sultanen umworben. Aufgrund seines düsteren Gemüts soll er von französischen Kameraden den Beinamen "Sombre" - der Finstere - erhalten haben; in Indien wurde daraus "Sumru", und unter diesem Namen wurde er bereits zu Lebzeiten zu einer Legende.

Reinhardt war wahrscheinlich ein Zimmermann aus Straßburg und als Seemann auf einem französischen Schiff um 1750 an die Koromandelküste gekommen, wo er als Gemeiner zu den Landtruppen wechselte. Nach einigen Jahren desertierte er. Seine Gründe sind unbekannt. Es können Schulden, Streit mit einem Vorgesetzten oder einfach die Hoffnung auf ein besseres Leben gewesen sein. Er schlug sich bis Bengalen durch und ließ sich in Kalkutta für eine der schweizer Kompanien in englischem Dienst anwerben. Doch seine Erwartungen scheinen enttäuscht worden zu sein, denn bereits nach 18 Tagen desertierte er erneut, dieses mal zur französischen Garnison in Chandernagore. Er diente dort unter dem Schotten Law, einem Neffen des berüchtigten Börsenspekulanten, und wurde zum Sergeanten befördert.

Als sich die Festung den Engländern ergeben musste schlug sich Law mit einigen hundert Mann, unter ihnen auch Reinhardt, durch die feindlichen Linien. Es ist zu vermuten, dass sie die Hilfstruppe stellten, die den Nabob von Bengalen bei Plassey unterstützte. Nach dem Desaster setzten sie sich, hartnäckig verfolgt von den Engländern, nach Norden ab. Da der Nabob auf der Flucht ermordet wurde, waren sie fortan völlig auf sich gestellt. Law versuchte allerdings nicht die französische Garnison Pondicherry zu erreichen, sondern sah sich nach neuen Arbeitgebern um. An europäische Truppen erinnerten an seinen Männern bald nur noch ihre Musketen, die Uniformen waren schnell zerschlissen. Ihre wenigen Geschütze wurden von Ochsen und Elefanten gezogen, einheimische Söldner hatten sich ihnen angeschlossen; dazu kamen Frauen, Kinder, Diener und die Beute auf Ochsenkarren und Packpferden. Indien war riesig und vor ihnen lagen glühende Wüsten, steile Bergketten, undurchdringliche Dschungel und reißende Flüsse. Wenn es nicht anders ging lebten sie vom Raub, beteiligten sich an den Fehden der Fürsten oder wurden mit Geschenken weitergeschickt. Schließlich landeten sie im Dienst des Großmoguls.

indische Krieger Der Großmogul führte gerade Krieg gegen Kasim Ali, den von England eingesetzten Nabob von Bengalen. Da die Engländer ihren Schützling tatkräftig unterstützten, wurde die Armee des Großmoguls geschlagen und Law kam mit den meisten seiner Offiziere in Gefangenschaft. Der Rest seiner Schar war damit ein desolater, führerloser Haufen. Als kurz darauf Pondicherry nach langer Belagerung kapitulieren musste, waren die Franzosen wie schon zuvor die Portugiesen und Holländer aus dem Spiel um Indien ausgeschieden. Nun gab es nur noch die Wahl zwischen englischer Gefangenschaft und Indien. Die Söldner beschlossen, weiterhin auf eigene Faust ihr Glück zu versuchen und wählten Reinhardt zu ihrem Befehlshaber. Er muss sich also in den Jahren des Herumziehens bewährt haben, nicht nur im Kampf, sondern viel mehr beim Überqueren von Flüssen, der Organisation von Verpflegung und bei Verhandlungen mit indischen Fürsten, wozu die Kenntnis mehrerer Sprachen notwendig war.

Kasim Ali, der Nabob von Englands Gnaden hatte für seine Herrschaft einen hohen Preis bezahlt. Die englischen Händler zahlten keine Steuern und wurden zu einer immer unerträglicheren Konkurrenz für die einheimische Wirtschaft. Also begann Kasim Ali heimlich zu rüsten. Den Kern seiner Streitmacht sollte eine europäisch ausgebildete Brigade unter Sumrus Kommando stellen. Mit dem Geld des Nabobs warb Sumru jeden herumziehenden Europäer, der schon einmal Waffen getragen hatte, und entlassene oder desertierte Sepoys. Musketen und Kanonen wurden beschafft, Uniformen geschneidert und einheimische Söldner ausgebildet. Aber die Engländer warteten nicht, bis der Nabob und Sumru ihr Reformwerk abgeschlossen hatten. Ohne Kriegserklärung erschienen sie überraschend vor Patna und stürmten die Mauern. Aber noch während die Engländer dabei waren, die reiche Stadt mit aller Gründlichkeit auszuplündern, erschien Kasim Ali mit seinem Heer. Viele der zerstreuten englischen Soldaten wurden niedergehauen. Doch auch die, denen der Rückzug gelungen war, wurden nach einigen Tagen eingeholt und vernichtend geschlagen. Von dem 2.000 Mann starken Heer waren nur 200 Gefangene übrig geblieben, darunter der Kommandeur und 60 Offiziere. Aber noch schwerer als dieser Verlust wog, dass die englische Armee den Nimbus ihrer Unbesiegbarkeit eingebüßt hatten. Zum ersten Mal war sie von indischen Truppen geschlagen worden. Sumru hatte daran einen wesentlichen Anteil.

Durch Patna wurde Sumru berüchtigt. Denn es war nicht der Glanz des Feldherren, sondern der finstere Makel des Schlächters, der an ihm haften blieb. Kasim Ali tobte wegen des heimtückischen Überfalls auf Patna und wollte ein Exempel statuieren. Alle Gefangenen sollten getötet werden. So etwas war bei Kriegen in Indien nichts ungewöhnliches, auch die Kolonialtruppen machten nur selten Gefangene; sie massakrierten bei der Niederschlagung von Aufständen ohne viel Skrupel Adlige, Frauen und Kinder. Außerdem hatten die Gefangenen zuvor in Patna wie die Wilden gehaust. Allerdings waren Europäer von diesen Gepflogenheiten bislang immer verschont geblieben. Aber Kasim Ali hatte schon viel zu lange die Privilegien der Fremden dulden müssen, um weiterhin Ausnahmen zu machen. Die Engländer behaupteten später, dass sich Kasim Alis Truppen geweigert hätten, die Henkersarbeit auszuführen, und dass deshalb Sumru das blutige Geschäft übertragen wurde. Es ist sicher anzuzweifeln, dass indische Truppen die Ausführung eines Befehl ihres Fürsten verweigerten. Weit wahrscheinlicher ist, dass Kasim Ali die unsicheren Europäer in seinem Heer durch die Bluttat fest an sich binden wollte. Denn dadurch wurde ihnen jeder Weg zurück versperrt.

Sumru hätte also bestenfalls flüchten können. Viele seiner Männer wären ihm ohne den Sold des Nabobs nicht gefolgt. Trotzdem hätte er nach einem Ausweg suchen können; schließlich war er sonst um Listen und Ausreden nicht verlegen. Vielleicht hielt er seine Position noch nicht für fest genug, oder die in Aussicht gestellte Belohnung spülte alle Bedenken beiseite. Es ist aber auch gut möglich, dass ihn der Sonderstatus von Europäern und besonders der von Offizieren genauso wenig interessierte wie Kasim Ali. Als Gemeiner und mehrmaliger Deserteur hatte er sicher ausreichend Gelegenheit gehabt, Hass gegen die arroganten und bestechlichen Offiziere anzuhäufen, die die Mannschaften bei Ausrüstung, Essen, Sold und Beute betrogen. Offiziere wurden in Gefangenschaft oft von ihren alten Gegnern zur Tafel geladen, wo man sich dann mit gegenseitigen Komplimenten hofierte. Einfache Söldner dagegen landeten in einem Fieber verseuchten Hungerlager, bis sie erneut kapitulierten. Die gefangene französische Besatzung von Pondicherry wurde zum Beispiel so lange in Madras schikaniert bis sie bereit war, den Engländern bei der Eroberung Bengalens zu helfen. Auf diesen Hass deutet auch die Art der Hinrichtung. Sumru lud die Offiziere zum Essen und ließ sie dann beim Festmahl von seinen Sepoys niederhauen. Die Gemeinen wurden anschließend erschossen. Nach diesem Gemetzel wurde Sumru von den Engländern mit unversöhnlichem Hass gejagt. Mit Gewalt und Intrigen versuchten sie seiner habhaft zu werden, um ihn nach einem Schauprozess hinzurichten.

Vorsicht wurde deshalb in Zukunft zu Sumrus herausragendster Eigenschaft. Englische Berichterstatter werfen ihm oft Feigheit vor, da er seine Brigade nie in riskanten Situationen zum Angriff führte, sondern meistens defensiv einsetzte und selbst immer mit Reserven zurückblieb. Andererseits wurde Sumru nie geschlagen und auch ein geordneter Rückzug war im Chaos einer Niederlage keine einfache Sache. Sumru war weder ein Held noch ein genialer Feldherr, er war ein Überlebenskünstler und Organisationstalent. In vielem glich er darin den Condottieri der italienischen Renaissance, die auch nur ungern ihre kostbaren Söldner und damit ihre Existenzgrundlage riskiert hatten. Wie sie musste Sumru ständig mit Betrug, Verrat, Meuchelmord oder der Auslieferung an den Feind rechnen. Nur inmitten seiner Brigade war er sicher und mächtig, ohne sie ein toter Mann.

Sepoy - ein indischer Söldnert Trotzdem wurde seine Brigade zu einem Faktor, der die Expansionsgelüste der Kompanie aufs schwerste behinderte. Deren Regimenter stießen zwar weiter siegreich vor, doch die Tage der geringen Verluste von Plassey waren vorbei. Die Inder flohen nicht mehr nach den ersten Salven in wilder Panik, sondern bildeten Karrees, erwiderten das Feuer und gingen auch zum Gegenangriff über. Als den Truppen der Kompanie endlich die Einnahme von Patna gelang, stellte das Annual Register erstaunt fest: "So endete dieser Feldzug gegen Kasim Ali. Er wurde von seiner Seite mit einer Tapferkeit, Energie und Disziplin geführt, dergleichen man bisher in Indien noch nicht gesehen hatte". Sumru hatte Patna mit Umsicht verteidigt, sich aber vor dem Fall der Stadt mit seiner Brigade durchgeschlagen. Nach dem Fall von Patna mußten sich Kasim Ali und Sumru in das benachbarte Gebiet des Nabobs von Oudh zurückziehen, der sich nun als nächster gegen das Vordringen der Kompanie zur Wehr setzen mußte. Da Kasim Alis Stern im sinken war, wollte Sumru noch rechtzeitig seinen rückständigen Sold eintreiben, was bei Fürsten im Exil noch nie besonders leicht gewesen war. Eines Tages umzingelte er deshalb mit seiner Brigade überraschend das Lager seines Herrn und forderte sein Geld.

Nachdem er Kasim Ali um seine Schätze erleichtert hatte, übergab er ihn dem Nabob von Oudh als Gefangenen. Aber er verstand sich auch auf andere Schliche. Bei jeder Gelegenheit schürten seine Agenten die Unzufriedenheit unter den Söldnern der Kompanie und versuchten diese zum Überlaufen zu bewegen. Einmal machte sich fast das ganze Expeditionskorps auf den Weg, um sich Sumrus Brigade anzuschließen. Nur durch Versprechungen der englischen Offiziere und großzügige Spenden von Branntwein konnte diese Massendesertion verhindert werden. 150 Europäer und 100 Sepoys hatten den Dienst bei der Kompanie allerdings endgültig satt und verstärkten Sumrus Brigade. Bei einer anderen Gelegenheit machte sich ein Bataillon Sepoys geschlossen davon und konnte nur durch schnell herbeigeführte Verstärkungen zur Umkehr bewegt werden.

Aber auch der Nabob von Oudh konnte dem Druck der Kompanie auf Dauer nicht standhalten. 1764 kam es zur Entscheidungsschlacht bei Baksar. Sumrus Brigade und die von seinen Männern ausgebildeten Bataillone lieferten den englischen Truppen einen harten Kampf. Als alles auf der Kippe stand, verweigerte Sumru einen Befehl zum Gegenangriff und zog sich mit seiner Brigade geschlossen zurück. Da die Kompanie schwerste Verluste hatte, war sie trotz ihres Sieges zu Friedensverhandlungen mit dem Nabob bereit. Allerdings bestand sie auf der Auslieferung Sumrus. Der Nabob weigerte sich anfangs, da er dessen Macht fürchtete, wollte ihn dann aber in Gegenwart eines englischen Zeugen ermorden lassen. Sumru war unterdessen mit der Bewachung der Familie und des Harems des Nabobs betraut. Es mag sein, dass er von den geplanten Anschlag erfahren hat. Von den Verhandlungen wusste er, und mit Verrat rechnete er ohnehin ständig. Also plünderte er die Frauen, unter ihnen Mutter und Großmutter des Nabobs, aufs gründlichste aus. Die Begums von Oudh reisten nicht gerade mit leichtem Gepäck. Geld, Schmuck und kostbare Kleider wurden in einer eigenen Karawane mitgeführt. Mit dieser gewaltigen Beute erkaufte sich Sumru erst einmal die Loyalität seiner Truppen. Dann setzte er sich mit ihnen nach Westen ab, um einen gewissen Sicherheitsabstand zwischen sich und die Häscher der Kompanie zu bringen.

Mit seinem Aufbruch in das Innere der riesigen indischen Landmasse wurde er völlig zum Free Lancer, zum verspäteten Condottieri, der sein Schwert und seine Truppen an den Meistbietenden vermietete. Gelegenheiten gab es genug. Marathen, Sikhs, Dschatten, Rohillas und Radschputs stritten sich um die Brocken des zerfallenden Mogulreichs. Aber auch innerhalb dieser Völker gab es Fehden zwischen konkurrierenden Stämmen und Herrscherfamilien, und in weiten Gebieten konnten Steuern nur von einer starken Armee eingetrieben werden. Es gab also genug Arbeit für Sumrus Brigade, Geschenke, Bestechungsgelder und Frontwechsel. Da vor allem das Eintreiben von Steuern ein ständiges Problem war, belehnten die Fürsten in der Regel ihre Kommandeure mit einer eigenen Provinz, einem so genannten Jaghir, aus deren Steueraufkommen der Sold bestritten wurde. Damit ließ sich zwar wesentlich mehr Geld machen, doch Sumru wollte seine Brigade nicht im Land verteilen, sondern ständig um sich haben. Nur auf diese Weise war er vor Verrat relativ sicher und konnte außerdem je nach Interessenlage den Auftraggeber wechseln.

Nach acht Jahren, in denen er mindestens einem Dutzend verschiedener Herren gedient hatte, scheint er des unsteten Wanderns dann doch müde geworden zu sein; denn er trat in den Dienst des Großmoguls. Auch dort weigerte er sich lange ein Jaghir anzunehmen, da er ständig fürchtete, überrumpelt und als Verhandlungsmasse an die Engländer ausgeliefert zu werden. Doch diese Unabhängigkeit brachte Probleme mit sich. Der Großmogul war oft Monate mit dem Sold im Rückstand und Sumru musste ständig seine aufrührerischen Mannschaften beruhigen und sogar des manchmal vor offenen Meutereien fliehen. Natürlich hütete und mehrte er seine eigenen Schätze. Denn sie hielten seine Brigade zusammen, und nur in höchster Not war er bereit den Sold vorzustrecken. Schließlich war er bereit, das Fürstentum Sardhana 90 Kilometer nordöstlich von Delhi als Jaghir anzunehmen.

indischer Fürst Als Fürst von Sardhana widmete er sich nur noch wenig dem Krieg. Er zählte sein Geld und stritt mit seinen rebellischen Söldnern um die rückständige Bezahlung. Seine Angst vor den Engländern scheint sich in dieser Zeit zu einer regelrechten Paranoia ausgewachsen zu haben. Sumru war ständig auf der Hut, mied die Öffentlichkeit und ließ seinen Palast von Leibwächtern abriegeln. Seit Jahren hatte er sich völlig der indischen Lebensweise angepasst und lebte wie ein Nabob, mit prächtigen Kleidern, einer Heerschar von Dienern und einem Harem, den er auch auf seinen Feldzügen mit sich führte. Nur wenige Glücksritter waren so hoch gestiegen wie der einfache Zimmermann aus Straßburg. Ein schweizer Offizier im Dienst der Ostindischen Kompanie berichtete über ihn, dass er zwar fließend die persische Hofsprache und das im Land übliche Hindustani sprach, aber weder lesen noch schreiben konnte und aus seiner niederen Herkunft nie ein Hehl machte. Am meisten beeindruckte diesen Offizier allerdings Sumrus Klugheit: "Sein Hauptverdienst liegt in seiner klugen Handlungsweise. Vermöge dieser Eigenschaft hat er bisher seine Brigade ganz und unbesiegt bewahrt, obgleich er in den vielen Schlachten, die er mitgefochten hat, die Angriffe des Feindes beinahe ganz allein auszuhalten hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird ihn seine Klugheit auch in Zukunft retten. Er besitzt diese Eigenschaft in einem hohen Grade und niemand kann ihm ein gewisses militärisches Genie absprechen".

Dank dieser Klugheit überlebte er weiter und mehrte seinen Reichtum. Nach einem letzten Sieg über den Radscha von Bharatpur, krönte er seine Karriere als Gouverneur von Agra. Dort stiftete er wie viele große Kriegsherren, die im Alter das Gewissen plagt, ein Kloster. Am 4. Mai 1778 starb er im Alter von 58 Jahren in seinem Palast an einer Erkältung. Sein Grabmal ist noch heute in Agra zu sehen. Wahrscheinlich hatten die Strapazen der zahlreichen Feldzüge, das extreme Klima, Alkohol- und Opiumgenuß und die ständige Furcht vor Anschlägen schließlich seine Gesundheit zerstört. Viele Europäer überlebten das Klima nur wenige Jahre, Sumru hatte dagegen fast dreißig durchgehalten und lange Zeit davon unter außergewöhnlichen Bedingungen. Obwohl seine Brigade als eine der unzuverlässigsten und aufrührerischsten in Indien galt, hatte doch allein ihre bloße Existenz die Ostindische Kompanie jahrelang von einer weiteren Expansion nach Westen abgehalten.

© Frank Westenfelder  


 
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