Die Glanton Gang
Liest man über die Erfolge von James Kirker und seiner Skalpjäger, erscheint das mexikanische Militär als eine Bande nutzloser Feiglinge, die Bevölkerung kaum besser als Schafe, die geraubt oder ermordet wurden. Die grausamen und kriegerischen Apachen terrorisierten völlig ungehemmt ganz Nordmexiko, bis ihnen von nordamerikanischen Skalpjägern erste schwere Niederlagen beigebracht wurden, die dabei selbst nur äußerst geringe Verluste hatten.

Dabei wird allerdings gerne der völlig desolate Zustand des mexikanischer Soldaten übersehen. Der preußische Reisende von Tempsky beschreibt eine auf einer großen Hacienda stationierte Gruppe so: “Das hungrige und elende Aussehen dieser Krieger ließ mich ein wenig an ihren Fähigkeiten zweifeln, Comanchen einen wirksamen Kampf zu liefern. In Wahrheit ist es kein Wunder, dass ihre Kampfbegeisterung auf einem niedrigen Niveau ist, da sie meist in den Dienst gepresst werden. Sie sind oft halb verhungert, da sie ihren Sold nicht regelmäßig erhalten. Und als Krönung werden sie von ihren Offizieren, die noch größere Feiglinge sind als sie selbst sind, brutal misshandelt. An diesem Ort mussten sie ihre Lebensmittel zu überhöhten Preisen kaufen, in einem Laden des Besitzers der Hacienda, zu dessen Schutz diese armen Elenden dort stationiert waren; doch er stellte ihnen die einfachsten lebensnotwendigen Dinge so unmenschlich hoch in Rechnung, dass ihr Lohn nicht immer ausreichte, um ihren Hunger zu stillen!”
Ein anderer Reisender äußert sich mehr zur Bewaffnung: “Die Soldaten sahen so arm und elend aus, wie sie nur sein konnten. Einige trugen Uniformstücke; andere waren nur in Lumpen gekleidet; einige saßen auf Maultieren, und andere gingen barfuß. Alle waren mit kurzen Lanzen bewaffnet, wie die Ciboleros, aber nur wenige hatten rostige Musketen.” Mit der Bewaffnung der Bevölkerung sah es ähnlich aus. Der Ort Real de San Lorenzo war sicher nicht untypisch. Dort gab es 89 Männer; 30 hatten Feuerwaffen, 38 Bogen und Pfeile, die anderen bestenfalls Lanzen, Keulen oder Messer.
In den 1840er Jahren kämpften mexikanische Soldaten wie Apachen und Comanchen vorwiegend mit Lanzen. Feuerwaffen waren knapp und unzuverlässig. Außerdem waren die meisten aus Mangel an Munition keine guten Schützen. Von Tempsky berichtet von einem vornehmen Mexikaner, der beritten mit dem “Schwert seiner Vorfahren” gegen mehrere mit Lanzen bewaffnete Comanchen kämpfte.
Trotz ihrer erbärmlichen Ausrüstung verteidigten die Soldaten die größeren Orte und fügten den Apachen auch die eine oder andere Niederlage zu. Das Hauptproblem war dabei, dass sie in dem riesigen Gebiet viel zu wenige waren, dazu nur zum Teil und oft schlecht beritten um die Apachen erfolgreich zu verfolgen oder gar offensiv gegen sie vorzugehen.

Kirker und die Skalpjäger dagegen waren erfahrene Jäger und hatten den Apachen jahrelang Waffen und Alkohol gegen Pferde und Maultiere verkauft. Das heißt sie waren hervorragend beritten und bewaffnet. Anstatt der veralteten Musketen hatten sie Büchsen (rifles) mit gezogenem Lauf; viele benutzten auch die ganz neuen Colt-Revolver. Vor allen Dingen aber nutzte Kirker – wie auch sein Vorgänger Johnson – mehrmals seine guten Geschäftsbeziehungen zu den Apachen, um sie völlig unerwartet nach Möglichkeit betrunken zu überfallen.
Solche Feinheiten wurden natürlich in den USA nicht wahrgenommen. Dort wurden Erfolge von Männern wie Kirker gerne als Ausdruck einer natürlichen Überlegenheit weißer, protestantischer Angelsachsen interpretiert. Man sprach gerne von “Manifest Destiny”, dem göttlichen Willen, der die Nordamerikaner dazu bestimmt hatte, sich den gesamten Kontinent untertan zu machen. Diese Ideologie lieferte die Rechtfertigung für Vertreibung und Ausrottung der indigenen Bevölkerung und schließlich den Vorwand um Mexiko fast sein halbes Staatsgebiet abzunehmen.
Der Mexikanisch-Amerikanische Krieg hatte durch die militärischen Operationen an der Apachenfront für relative Ruhe gesorgt. Sobald jedoch der Frieden unterzeichnet und die meisten Truppen wieder abgezogen und demobilisiert waren, nahmen die Apachen ihre Raubzüge in gewohnter Weise wieder auf. Die mexikanischen Bundesstaaten reagierten relativ schnell, indem sie wieder Prämien für Skalps anboten. Anstelle einzelner Vereinbarungen verabschiedete Chihuahua im Mai 1849 nun das so genannte “5. Gesetz” (Ley Quinto). Der Krieg gegen die Apachen wurde darin zu einer staatlichen Prioriät erklärt. Für diesen Krieg konnte die Regierung ausdrücklich auch Ausländer anwerben. Für Skalps von Frauen und Kindern wurden 150 Pesos offeriert und für die von Kriegern 200 Pesos. Durango, Sonora, Coahuila folgten schnell mit ähnlichen Regelungen.
Da schon der Wert eines Kinderskalps mehr als einem durchschnittlichen Jahresgehalt entsprach (der Peso war etwas mehr wert als ein Dollar), entwickelte das Gesetz eine starke Anziehungskraft auf Leute, die sich eine solche Tätigkeit zutrauten. Obwohl von Anfang an auch einige Mexikaner auf dem Gebiet aktiv waren, dominierten bald Glücksritter von jenseits der Grenze die Szene.
Die meisten von ihnen waren ehemalige Texas Ranger oder Angehörige ähnlicher Freiwilligenformationen, die gegen Mexiko gekämpft hatten und sich nun nach dem Frieden nach neuen Tätigkeitsfeldern umsahen. Da kurz zuvor in Kalifornien Gold gefunden worden war, zogen tausende auf dem Landweg nach Westen. Während die überwiegende Mehrheit der Goldsucher natürlich versuchte den “blutrünstigen Wilden” aus dem Weg zu gehen, waren für ehemalige Texas Ranger die Skalpprämien eher eine Gelegenheit die Reisekasse aufzubessern. Der bekannteste von ihnen war ein gewisser John Joel Glanton.

Nach eigenen Aussagen stammte Glanton aus South-Carolina. Als er 1835 mit sechzehn Jahren nach Texas kam, war er bereits für seine Gewalttätigkeit bekannt. Angeblich wurde seine Jugendliebe kurz darauf von Apachen entführt und ermordet. Im Texanischen Unabhängigkeitskrieg diente er als Hauptmann bei den Texas Rangern und war einer der ganz wenigen Überlebenden des Goliad-Massakers. Man kann diese Ereignisse in den Bereich der Legende verweisen, sie dienten wohl hauptsächlich dazu, seine tiefe Abneigung gegen Apachen und Mexikaner zu rechtfertigen.
Während des Mexikanisch-Amerikanische Krieges war er dann als “Free Ranger”, das heißt als eine Art Scout, bei den Truppen von General Zachary Taylor, der ihn wegen der Ermordung eines Zivilisten vors Kriegsgericht stellen wollte. Glanton verschwand daraufhin erst einmal, tauchte dann aber wieder bei anderen Einheiten auf, wo man mehr Verständnis für seine Art von Kriegsführung hatte.
Bei Kriegsende wurde er entlassen und scheint kurz darauf mit ungefähr 30 Gleichgesinnten Richtung Kalifornien aufgebrochen zu sein. Möglicherweise ging ihnen unterwegs das Geld aus, oder sie erfuhren einfach von der Möglichkeit mit Skalps ihr Glück zu machen. Jedenfalls präsentierte sich Glanton 1849 mit dieser Truppe in Chihuahua und bot dem Gouverneur seine Dienste bei der Bekämpfung der Apachen an.
Noch im selben Jahr konnten sie ein großes Winterlager der Apachen am Grand Canyon überfallen. Sie sollen dabei ungefähr 250 Skalpe erbeutet haben, bevor sich die Apachen gesammelt hatten, und sie sich vor der Übermacht zurückziehen mussten. In Chihuahua wurden sie von der Bevölkerung mit großem Jubel empfangen. Der Gouverneur ließ eine Siegesparade abhalten, und die Feiern und Saufgelage erstreckten sich angeblich über einen Monat.
Als sie endlich wieder loszogen, mussten sie festellen, dass es schwieriger geworden war, an die begehrte Beute zu kommen. Die Apachen hatten sich in sicherere Regionen zurückgezogen und waren besser auf der Hut. Glantons Männer konnten nun von keinem großen Massaker mehr berichten, brachten aber immer wieder einige der Trophäen nach Chihuahua und kassierten dafür die zugesagten Prämien. Doch bald kamen hässliche Gerüchte auf, dass Glantons Truppe nun friedliche Mexikaner ermordete und skalpierte. Wahrscheinlich war ihnen dabei auch der eine oder andere Zeuge entkommen, denn die Regierung von Chihuahua kündigte bald den Vertrag mit ihm, und er musste sich hastig absetzen.

Die Truppe zog weiter nach Sonora. Dort wurden zwar nur 50 Pesos pro Skalp bezahlt, dafür hatte der Gouverneur aber keine Probleme Glanton unter Vertrag zu nehmen. Doch das Geschäft lief auch hier nicht gut. Apachen waren schwer zu finden und erwiesen sich als äußerst kriegerisch. Glantons Männer hatten mehrmals Tote und Verwundete. In dieser Zeit stieß Samuel Chamberlain zu ihnen, der später von seinen Erlebnisse in ihren Reihen einen Bericht hinterließ.
Chamberlain hatte bei den Dragonern am Mexikanisch-Amerikanischen Krieg teilgenommen, und war dabei auch Glanton und einigen der Texas Ranger seiner Truppe begegnet. Als seine Einheit nach dem Krieg nach Kalifornien geschickt wurde, desertierte er auf dem Weg und schloss sich in Sonora Glantons Truppe an. Er traf dort einige alte Bekannte. Allerdings waren bereits einige der Texas Ranger nach Kalifornien weitergezogen und durch eine buntere Mischung ersetzt worden. “Da waren Männer aus Sonora, Cherokees und Delawares, Frankokanadier, Texaner, Iren, ein Schwarzer und ein vollblütiger Comanche in dieser Gruppe von Skalpjägern.”
Wie diese Skalpjäger “arbeiteten” berichtet Chamberlain dann detailliert. Während das Gros der Truppe im Norden von Sonora in dem kleinen Dorf Fronteras lagerte, war Glanton mit 10 Mann aufgebrochen, um bei den Behörden die Prämien für die 37 erbeuteteten Skalps zu kassieren. Nach fünf Tagen kamen sie allerdings ohne Geld zurück, und drei von ihnen waren verwundet.
Sie berichteten Folgendes: Nach zwei Tagen entdeckten sie nachts ein Lager mit Mexikanern. Da sie vermuteten, dass diese Sachen von Wert bei sich hatten, beschlossen sie diese zu überfallen. Um Mitternacht stürmten sie dann unter wildem Kriegsgeschrei das Lager, worauf die meisten Mexikaner panisch vor den vermeintlichen Apachen flohen. Sie ließen drei Tote zurück und fünf Frauen, von denen drei sofort erschlagen wurden, “da sie alt und hässlich waren”. Die Toten wurden dann alle skalpiert. Ansonsten war die erwartete Beute bescheiden, denn sie behielten nur ein paar Decken. Damit und den beiden Frauen ritten sie die ganze Nacht durch, da sie eine Verfolgung fürchteten.
Als sie sich endlich in Sicherheit fühlten, vergewaltigten sie die gefangenen Frauen den ganzen Tag über, bis sie am Abend von einer Gruppe Verfolger eingeholt wurden. Um keine Zeugen zurückzulassen, wurden die beiden Frauen nun ebenfalls ermordet und skalpiert. Dann griffen sie überraschend mit dem Kriegsgeheul der Apachen und Lanzen ihre Verfolger an und konnten deren Reihen durchbrechen, wobei drei von ihnen verwundet wurden. Nachdem sie ihre Verfolger abgeschüttelt hatten erreichten sie schließlich das Lager mit acht zusätzlichen Skalps.

Von den Frauen hatte Glanton erfahren, dass deren Gruppe nach Kalifonien gewollt hatte, um dort Gold zu suchen. Da die Skalpjagd zunehmend problematisch wurde, erschien die Goldsuche den meisten eine gute Alternative und so wurde beschlossen, nach Kalifornien zu ziehen. Vor dem endgültigen Abmarsch schickten sie aber nochmals eine Gruppe los, um die Prämien für die erbeuteten Skalps zu kassieren. Sie waren sehr vorsichtig da sie befürchteten, dass etwas von ihren letzten Morden durchgesickert sein könnte. Doch diese waren eher hilfreich, da nun die Apachen wieder als ganz dringendes Problem galten. Der Regierungsvertreter bezahlte problemlos für alle Skalps. Die “mexikanischen gingen als gute indianische durch”, schreibt Chamberlain.
Nach einem weiteren großen Besäufnis, bei dem ihnen Glanton eine baptistische Predigt über Verdammnis und Erlösung hielt, brachen sie nach Norden auf. Sie zogen mehrere Tage durch die Wüste, bis sie von einer großen Gruppe Apachen angegriffen wurden. Obwohl sie den ersten Angriff noch gut abschlagen konnten, wurde die Situation im Laufe des Tages immer kritischer. Als sie sich am Abend verschanzten, fehlten 14 Mann, und von den restlichen 24 waren 7 verwundet. Da 4 davon nicht mehr reiten konnten, mussten sie auf Glantons Befehl aus “Gnade” getötet werden.
Durch einen äußerst strapaziösen Marsch, dem zwei weitere Verwundete zum Opfer fielen, konnten sie den Apachen schließlich entkommen, und sie erreichten den Gila, der zu der Zeit die Grenze zwischen den USA und Mexiko bildete. Sie folgten dem Gila bis zum Colorado. Der Colorado war hier zu mächtig um ihn zu überqueren, aber ein paar Meilen flussabwärts betrieben Angehörige des Stammes der Yuma eine Fähre. Da diese Fähre von allen potentiellen Goldsuchern auf dem südlichsten Weg nach Kalifornien benutzt werden musste, war sie ein hervorragendes Geschäft.

Glanton, der wahrscheinlich noch nie viel von der mühseligen Goldwäscherei gehalten hatte, erkannte sofort die Möglichkeiten. “Dies wird unser El Dorado, unsere Goldmine,” teilte er seinen Männern mit. Obohl sich einige dagegen aussprachen, war die Mehrheit einverstanden. Die unbewaffneten Yuma wurden vetrieben, einige der jungen Frauen gefangen genommen und die beiden Fährboote erbeutet. anschließend errichteten sie am Fluss aus Steinen eine primitive Schanze. Als die Yumas am nächsten Tag ihre Fährboote und Frauen zurück verlangten, erschossen sie einige davon. “Aus alter Gewohnheit” wurden sie skalpiert, wie Chamberlain berichtet.
Nachdem die Yumas ausreichend erschreckt schienen, wurde der Fährbetrieb aufgenommen. Täglich setzten sie eine größere Anzahl Mexikaner über den Fluss, von denen sie 4 Dollar pro Kopf erhielten. Glanton ritt nach San Diego und kaufte dort Whisky und Lebensmittel. Nach seiner Rückkehr hatte er bereits neue Geschäftsideen. Er wollte nun erfolgreiche Goldsucher auf der Heimreise ermorden und ausrauben.
Das gab nun Chamberlain und drei anderen den entscheidenden Anstoß. Sie beschlossen sich heimlich abzusetzen. Während der Großteil der Truppe noch ihren Rausch ausschlief, ritten die vier los, angeblich um Feuerholz zu sammeln. Sie waren bereits ein gutes Stück vom Lager entfernt, als sie beobachten konnten, wie dieses von den Yumas überfallen wurde. Widerstand gab es kaum, fast alle wurden im Schlaf überrascht und erschlagen. Das war das Ende von John Joel Glanton und seiner berüchtigten Gang.
Mit Glantons Tod verschwanden die nordamerikanischen Skalpjäger aus Mexiko. Das Geschäft wurde von Einheimischen übernommen. Aber es wurde zunehmend schwieriger und gefährlicher an die Beute zu kommen.
Literatur:
Smith, Ralph Adam
The Scalp Hunter in the Borderlands 1835-1850
in: Arizona and the West, Vol. 6, No. 1 (Spring, 1964), S. 5-22
Secrest, William B.
When the Great Spirit Died: The Destruction of the California Indians, 1850-1860
2003
Sepich, John
Notes on Blood Meridian
2008
Chamberlain, Samuel
My Confessions. Recollections of a Rogue
Austin c1996
© Frank Westenfelder